Die Ausstellung „The Cindy Sherman Effect. Identität und Transformation in der zeitgenössischen Kunst“ im Bank Austria Kunstforum Wien behandelt eine der zentralen Fragestellungen in der Kunst: Identität, deren Konstruktion, Formen der Transformation und Fiktion. Die Beschäftigung mit den Themen ist von großer Aktualität angesichts der sich durch die stetig zunehmende Globalisierung immer schneller wandelnden Welt. Gleichzeitig geben neue Technologien, wie Internet, Genmanipulation, oder Klonen, vermehrt Anlass dazu, über den Begriff Identität im Sinn von Subjektgenerierung und -definition nachzudenken.
Österreich | Wien: Bank Austria Kunstforum
29.1. – 21.6.2020
verlängert bis 19.7.2020
Ausgehend von Werken der US-amerikanischen Fotokünstlerin Cindy Sherman (* 1954), die zu den Klassikern der inszenierten Fotografie und des künstlerischen Rollenspiels zählen, werden relevante Fragen zum Thema Identität beleuchtet. In den 1970er Jahren entwickelte die Fotokünstlerin in Auseinandersetzung mit der Performance-Kunst, frühen feministischen Positionen (Lynda Benglis, Eleanor Antin und Hannah Wilke) aber auch der erstarkenden Medienwelt und dem ihr eigenen Interesse an Rollenbildern und Verkleidung eine spezifische Form des inszenierten (Selbst-)Porträts. Cindy Sherman demonstriert bereits mit ihrer ersten bedeutenden Serie, den „Untitled Film Stills“ (1977–1980 → Cindy Sherman: „Untitled Film Stills” in der National Portrait Gallery, London), den Bruch zwischen authentischer Selbstdarstellung und Inszenierung, indem sie den Betrachter mit dem Paradox einer Verweigerungsstrategie konfrontiert.
In den folgenden Jahren entwickelte Cindy Sherman ihre Bildsprache konsequent weiter. Zum einen begann sie mit Puppen und anatomischen Modellen zu arbeiten, die düsteren Seiten der amerikanischen Kultur aufzugreifen, sich mit der Inszenierung der nackten Frau in Sexmagazinen auseinanderzusetzen, kunsthistorisch bedeutende Darstellungen von Frauen (durch männliche Künstler) zu re-inszenieren. Die Ausstellung im Kunstforum, Wien, führt von den frühensten Serien wie „Bus Riders“ (1976), den ikonischen „Untitled Film Stills“ (Herbst 1977–1980), „Fairy Tales und Masks“, „Disasters“ (1985–1989), „Sex Pictures“ (1992), „History Portraits“ (1999) bis hin zu jüngeren Selbstinszenierungen als alte Dame eine große Vielfalt an Werken Shermans zusammen. In nuce erzählt die Ausstellung - wenn auch nicht chronologisch angeordnet - eine Retrospektive der bedeutenden US-amerikanischen Künstlerin.
Dass Shermans Selbszinszenierungen und Verhandlungen von (medial und kulturell geprägten) Rollenbildern als stilbildend empfunden werden, zeigt bereits der Bergriff Cindy Sherman Effect. Seit mehr als 15 Jahren diskutieren Gender- und Medienhistoriker*innen, wie Shermans Werk auf nachfolgende Generationen wirkte (siehe u.a. Die fotografische Wirklichkeit. Inszenierung – Fiktion – Narration).1 Die Ausstellung im Bank Austria Kunstforum Wien untersucht in Form von Gegenüberstellungen von Werken Cindy Shermans und zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern Themen wie Dekonstruktion des Portraits, kulturelle, geschlechterspezifische und sexuelle Stereotypen sowie Konstruktion und Fiktion von Identität. In der Nachfolge Shermans ist eine Vielzahl von Künstlerinnen und Künstler diesem künstlerischen Ansatz gefolgt, um nur einige zu nennen: Elke Krystufek, Samuel Fosso, Julian Rosefeldt, Candice Breitz, Sarah Lucas, Pipilotti Rist bis zu Markus Schinwald und Ryan Trecartin. Die ebenfalls in der Ausstellung präsentierten Arbeiten von Sophie Calle und Fiona Tan sind hingegen Sammlungen von Objekten bzw. Fotografien, welche die Künstlerinnen als Pars pro toto für ihr Leben und die Gesellschaft heranziehen.
Cindy Sherman inspiriert nachfolgende Generationen an Künstlerinnen und Künstlern dazu, die Thematik Identität und Transformation in diversen Medien zu erkunden, ohne jedoch selbst die einmal erarbeiteten künstlerischen Verfahrensweisen grundlegend zu verändern. Bevorzugtes Ausdrucksmittel wurden die vergleichsweise jungen Medien Fotografie, Film und Videokunst, seltener Installation (Sophie Calle) und Malerei (Markus Schinwald). Die Kamera wird als Spiegel oder Bühne für Inszenierungen des Selbst verwendet – beziehungsweise einer Stellvertreterin/eines Stellvertreters –, um die bildliche Präsentation geschlechtlicher wie gesellschaftlicher Identität zu untersuchen und zu dekonstruieren.
So spielt Candice Breitz in „Becoming“ Szenen berühmter amerikanischer Schauspielerinnen nach. Zweiseitige Bildschirme zeigen auf der einen Seite das Original und auf der gegenüberliegenden die Künstlerin in Action. Der emotionsgeladenen Inszenierung von Frauen im Hollywoodfilm steht Pipilotti Rists Installation „Ever is Over All“ (1997) gegenüber, in der die Protagonistin mit einer Blume fröhlich durch die Straße schlendert, bevor sie genauso überraschend wie aggressiv das Seitenfenster eines parkenden Autos mit ihrem Accessoire eingschlägt. Die Neubewertung des Frauseins scheint, so die Frage von Kuratorin Bettina M. Busse, mit dem Akt der Zerstörung einherzugehen. Der zentrale Saal stellt Shermans „Bus Drivers“ zwei Filmstills aus Julia Rosefeldts „Manifesto“ gegenüber, Shermans berühmte „Untitled Film Stills" treffen auf Gillian Wearings Verkörperungen berühmter Künstlerinnen und Künstler, genauer Wearing als Andy Warhol und Georgia O'Keeffe. Das Element der Verkleidung spielt für Catherine Opie, Samuel Fosso eine große Rolle, während die indische Künstlerin Tejal Shah in „I AM“ (2010) Frauen zeigt, die sich nicht an das traditionelle indische Geschlechterstereotyp halten wollen. Zerstörung ist für die zum Teil verbrannten Fotografien von Douglas Gordon aber auch die aus Ton geformten Selbstporträts von Gavin Turk oder Markus Schindwalds übermalte Bilder essentieller Ausdruck von Identitätskonflikten. Wie Identität konstruiert wird, zeigt Fiona Tan in der Arbeit „Vox Populi Sydney“ (2006), für die sie Fotoalben duchsuchte und Bilder verschiedener Familien miteinander in einer Fotowand in Beziehung treten lässt. Indem die Künstlerin innerhalb der Bildersammlung nach Themen ordnet, erscheint die Bildwelt strukturiert und die individuellen Aufnahmen aus den privaten Leben doch wie aus einem Guss. Sich gegen die Übermacht der Geschlechtsstereotype zu stellen und eine den Normen vielleicht auch zuwiderlaufende Identität aufzubauen, stellt einen komplexen Vorgang dar, für den viele Kunstschaffende mit und nach Cindy Sherman eindrucksvolle Bilder geschaffen haben und noch schaffen. Manches ist schrill, vieles regt zum Nachdenken an - in Summe eine äußerst gelungene Ausstellung zur komplexen Frage: Wer bin ich?
Kuratiert von Bettina M. Busse.
Monica Bonvicini, Candice Breitz, Sophie Calle, Samuel Fosso, Douglas Gordon, Martine Gutierrez, Elke Silvia Krystufek, Sarah Lucas, Maleonn, Zanele Muholi, Catherine Opie, Pipilotti Rist, Julian Rosefeldt, Markus Schinwald, Eva Schlegel, Tejal Shah, Cindy Sherman, Fiona Tan, Ryan Trecartin, Wu Tsang, Gavin Turk, Gillian Wearing