Piero della Francesca

Wer war Piero della Francesca?

Piero della Francesca (Sanseprolco um 1415/20 – 12.10.1492 Sanseprolco) war ein italienischer Maler der Renaissance. Nach dem Tod von Masaccio führte er jene Strömung innerhalb der mittelitalienischen Kunst fort, in der Perspektive und Volumen eine große Rolle spielten. Piero arbeitete für hohe kirchliche Würdenträger, Laienbruderschaften in Arezzo und Borgo und einflussreiche Mäzene wie die d’Este in Ferrara (um 1450), Sigismondo Malatesta in Rimini (1451) und die Fürsten von Montefeltre in Urbino (seit etwa 1460); allerdings arbeitete Piero della Francesca nie für die Medici in Florenz.

Abseits der großen Kunstzentren entwickelte Piero della Francesca einen höchst persönlichen Malstil, der auf stilisierten, geometrischen Grundformen basiert. Die kühle, ja kristallin wirkende Ästhetik seiner Bilder begeisterte Anfang des 20. Jahrhunderts die Kubisten für den Künstler. Die geometrische Idealisierung und die konsequente perspektivische Konstruktion der Bildräume werden durch die Leidenschaft des Maler für die Mathematik erklärt. Am Ende seines Lebens schrieb er drei theoretische Traktate (über die Geometrie, die Perspektive und den Abakus). Die detailliert beschrieben Landschaften im Hintergrund seiner Werke wie auch die stofflichen Qualitäten der Oberflächen setzen hingegen die Kenntnis der altniederländischen Malerei voraus.

Kindheit & Ausbildung

Piero della Francesca wurde um 1415/20 in Sanseprolco (Umbrien) als Piero di Benedetto Franceschi und Sohn von Benedetto geboren. Sein Vater war anfangs Fellhändler und wandte sich vor 1440 dem Anbau und Vertrieb von Färberwaid zu. Ein Onkel, ebenfalls Benedetto genannt, diente unter Alfons V. in Neapel als Infanteriekapitän und dürfte besondere Kenntnisse auf dem Gebiet der
Militärarchitektur bewessen haben.

Piero dürfte der Erstgeborene gewesen sein, da seine Anwesenheit in Borgo mit einer gewissen Regelmäßigkeit zu beobachten ist. Piero della Francesca hatte zwei Brüder: Marco und Antonio, letzterer war ein „leiblicher“ Bruder. Zwei weitere Brüder mit den Namen Luigi und Matteo verstarben bereits als Kinder. Seine Schwester Angelica heiratete vor 1454. Der Maler durfte auf stabile wirtschaftliche Verhältnisse bauen.

Vasari berichtet, dass sich der Junge mit den mathematischen Wissenschaften beschäftigt haben. Allerdings lernte Piero kein Latein, weshalb seine mathematischen Kenntnisse in den folgenden Jahren wohl ein wichtiger Türöffner zu den Intellektuellen seiner Zeit bildeten. Die Ausbildung in Borgo di Sansepolcro dürfte hervorragend gewesen sein, wie die Karrieren des Mathematikers Luca Pacioli (*1445) und des Dichters Francesco di Benedetto Croce am Hof von Papst Nikolaus V., Pius II. und Paul II. belegen.

Seine erste Ausbildung dürfte Piero della Francesca ab seinem 15. Lebensjahr bei dem ortsansässigen Maler Antonio di Giovanni d'Anghiari erhalten haben.

Ab 1437/38 scheint Piero für vermutlich zehn Jahre Domenico Venezianos Schüler bzw. Mitarbeiter gewesen zu sein (er wird 1439 in einer Rechnung namentlich erwähnt!). Beide sind von Merkmalen von Fra Angelicos Kunst Mitte der 1430er Jahre beeinflusst. Die Vermutung, der eine oder der andere konnte in Angelicos Werkstatt gearbeitet haben, ist plausibel.

Familie und Publikationen

Piero della Francesca war weder verheiratet noch hatte er Kinder. Uneheliche Kinder sind nicht bekannt. Mit dem Gewinn aus seinen Aufträgen kaufte er Ländereien, die von Pächtern bewirtschaftet wurden. Die Franceschi oder della Francesca verdienten ihr Geld mit dem Anbau und Vertrieb von Färberwwaid (isatis tinctoria), mit dem Indigo-Farbe für Tücher herstellen konnte. Dieser Geschäftszweig war so lukrativ, dass er direkt von der Stadt Florenz kontrolliert wurde.

1450 veröffentlichte Piero della Francesca den Trattato dell'abaco (Rechnungsbuch), wohl inspiriert durch die positive wirtschaftliche Entwicklung seiner Heimatstadt.

Werke

Piero della Francescas künstlerischer Hintergrund und die Details seiner frühen Biografie sind nicht leicht zu bestimmen. Auber Zweifel steht jedoch, dass eine Verbindung zu Domenico Veneziano bestand, und ein Kontakt mit dem Werk Sassettas in Borgo San Sepolcro wahrscheinlich ist. Vielleicht kam Piero schon früh nach Florenz, wo er das Werk des malenden Mönches Fra Angelico kennenlernte und besonders dessen Einsatz von Lichtreflexen studierte. Seinen ersten urkundlich belegten Auftrag erhielt Piero della Francesca 1445 in seiner Heimatstadt Borgo San Sepolero, die fünf Jahre zuvor unter florentinische Herrschaft gekommen war.

Anders als Masaccio, der in jungen Jahren starb, oder Domenico Veneziano, der offenbar sehr langsam arbeitete und von dem nur wenige Werke erhalten sind, hat Piero eine Fülle von Kunstwerken hinterlassen. Sein Œuvre ist in thematischer und auch technischer Hinsicht ungewöhnlich breit. Hinzu kommen Bücher über Perspektive und Mathematik, die seinen Ruhm noch vermehrten. Auch als Architekt soll er in Erscheinung getreten sein. Ein Landsmann aus Borgo, Luca Pacioli, ein Mathematiker und Mitarbeiter Leonardo da Vincis, spannte Piero den Fürsten der Maler" seiner Zeit. Nachdem unbegreiflicherweise sein Ansehen vom 16. bis weit ins 19. Jahrhundert hinein tief gesunken war, wurde seine Kunst erst in jüngster Zeit wiederentdeckt. Heute ist er einer der am meisten bewunderten Maler der Renaissance.

Anfänge in Sansepolcro

Da die Malatesta Sansepolcro 1430 an den Kirchenstaat verloren, wurden der Maler Antonio di Giovanni d'Anghiari und (sein Schüler?) Piero della Francesca dafür bezahlt, die Wappen von Papst Eugen IV. an die Stadttore zu malen. Weiters gestalteten sie sechs Fahnen.

Antonio di Giovanni d'Anghiari erklärte im Juli 1433, dass er dem Vater Piero della Francescas 56 Gulden schulde, da der Sohn seit Juni 1432 für ihn gearbeitet habe.1 Piero hatte die Tafel für das Hochaltarbild der Kirche San Francesco in Sansepolcro vorbereitet, sie vergipst und den Malgrund geglättet. Vermutlich hat sich der junge Maler Hoffnungen gemacht, für Antonio di Giovanni weiterarbeiten zu können. Dieser hatte 1430 den Auftrag für ein Polyptychon für das Franziskanerkloster erhalten (140 Gulden). Allerdings wurde 1437 Sassetta für die ernome Summe des vierfachen Preises verpflichtet. Daraufhin verließt Antonio die Stadt in Richtung Arezzo.

Mit Domenico Veneziano und Pisanello in Florenz (1439)

Bis zum 9. Mai 1439 ist Piero della Francesca in Sansepolcro dokumentiert. Danach dürfte er in den Dienst von Domenico Veneziano getreten sein. Denn bereits am 12. September 1439 wird Piero in einer Rechnung erwähnt, als er Domenico Veneziano beim Ausmalen des Chors von Sant'Egidio in Florenz half: Sie wurden für das erste Fresko mit der „Begegnung an der Goldenen Pforte“ bezahlt.2 Vermutlich war Piero della Francesca damals bereits kein unbekannter Werkstattmitarbeiter, da Domenico Veneziano im Frühjahr die Arbeit mit Bicci di Lorenzo weiterführte („Geburt Mariens“). Auch wenn der Maler ais Sansepolcro dann schon nicht mehr am Projekt beteiligt war, so dürfte er doch die vorbereitenden Zeichnungen gekannt haben.

Die „Vermählung der Jungfrau“ wurde von Alesso Baldovinetti ausgeführt, der die als Akte vorbereiteten Figuren erst beim Ausmalen anzog. Diese Vorgangsweise machte sich auch Piero della Francesca zueigen (siehe Montefeltro-Diptychon). Eine weitere Erkenntnis dürfte Piero della Francesca aus dem Einsatz von Öl als Bindemitte gewonnen haben. Dies konnte er auch bei Domenico Veneziano studieren.

In diesem Jahr war das Konzeil von Ferrara nach Florenz übersiedelt, was nachweislich Antonio Pisanello in die Stadt lockte. Vor allem die Fühigkeit Pisanellos im Porträtfach (Portätähnlichkeit, Kleidung, Tiere) könnten den jungen Piero begeistert haben.3 Pisanello hatte dem Kaiser des Oströmischen Reiches, Johannes VIII. Palaiologos, die erste Kaisermedaille der Antike gewidmet, da dieser mit seinem Gefolge am Abschlusszeremoniell des Konzils teilnahm. Über den Künstler bekam Piero auch die von Gentile da Fabriano entwickelte Technik des Kopierens von antiken Sarkophagen, Gemmen, aber auch Statuen vermittelt; diese Elemente bauten die Künstler der Frührenaissance zunehmend in ihre eigenen Kompositionen ein.

Im Jahr 1440 kämpften 2000 Einwohner von Sansepolcro in der Schlacht von Anghiari mit der Republik Venedig gegen Florenz und den Kirchenstaat. Nach ihrer Niederlage verkaufte Papst Eugen die Stadt für 25.000 Gulden an Florenz. 1442 taucht Piero della Francescas Name auf der Liste jener 300 für öffentliche Ämter wählbaren Bürger auf.

Taufe Christi (vielleicht um 1437–1445)

Das berühmteste Bild von Piero della Francesca ist die „Taufe Christi“ (um 1437–1445), ein 167 x 116 cm großes Tafelbild in der National Gallery, London. Diese frühe Datierung, die von der National Gallery vorgeschlagen wird, ist in der Forschung nicht unumstritten. An diesem Bild kann Pieros früher figürlicher Stil gut studiert werden. Christus steht säulenartig (wie die Maria im Altarbild der Schutzmantel-Madonna oder der Baum der neben ihm) in der Mitte der Komposition. Sein nackter Körper ist rechts sparsam mit breiten, ein wenig schematischen Schatten modelliert. Die Anatomie innerhalb der silhouettenhaften Konturen ist flächig und nur sehr verhalten angedeutet.

Charakteristisch für die Kunst von Piero della Francesca ist die kompositorische Strenge, mit der er Figur und Landschaft zu einem perfekten formalen Gleichgewicht zusammenführt. Der Maler macht beispielsweise aus der weißen Taube des HI. Geistes, die über dem Haupt des stehenden Christus schwebt, eine sich ausspannende Horizontale. Sie ähnelt den Wolken im Hintergrund und schafft damit ein Gegengewicht zu den Vertikalen der Figuren und Bäume. Die Spannung von Horizontalen und Vertikalen findet ihre Auflösung im Halbrund der oberen Bildzone, die mit grünem Laubwerk gefüllt ist. Die lässig links von Christus und Johannes dem Täufer stehende Engelgruppe (ohne Flügel) lockert die Zentralität des Bildes und seine strenge Organisation etwas auf. Pieros Gestaltung kennt keine sklavische Nachahmung von antiken Vorbildern. Dennoch hat der Faltenwurf des mittleren Engels eine Ähnlichkeit mit klassischen Skulpturen, während die Gesichtstypen eher an Werke von Luca della Robbia erinnern.

Piero della Francesca besaß zu seiner Lebenszeit einen Ruf als ausgezeichneter Künstler, den er im Verlauf der kommenden Jahrhunderte teilweise einbüßte. Erst im 20. Jahrhundert wurde Piero della Francesca wiederentdeckt. Eine der Gemeinsamkeiten zwischen seiner Kunst und der Klassischen Moderne ist der stark geometrische Charakter seiner Arbeiten, das deutliche Auftreten kräftiger horizontaler und vertikaler Bildelemente, die nicht bloß das jeweils Dargestellte repräsentieren, sondern eine reine, formale Qualität erreichen.

Sakristei der Pilgerkirche in Loreto (1447)

Piero della Francesca und Domenico Veneziano arbeiteten 1477 gemeinsam an der Ausschmückung der Sakristei der Pilgerkirche in Loreto. Sie mussten die Arbeit jedoch aufgrund einer Pestepidemie abbrechen. Dennoch konnte Piero die Stiländerung des älteren Meisters kontinuierlich verfolgen. Dieser schuf immer lichterfülltere Kompositionen. Auch die Verbindung von plastischer Figur und Hintergrund löste Veneziano auf neue, weil durchdachte Weise, womit er die Konstruktion und die Maßverhältnisse der Objekte zueinander in einen logischen Raum (Weite des Hintergrundes) brachte.

Madonna della Misericordia (späte 1440er)

Piero della Francescas Altarblatt vom Misericordiaaltar, eine „Madonna della Misericordia“, wurde überwiegend in den späten 1440er Jahren gemalt. Die Holztafel ist 134 x 91 cm groß und befindet sich in der Pinacoteca Communale in Borgo San Sepolcro. Diese Schutzmantel-Madonna gehört zu den frühesten eigenständigen Werken, die Piero della Francesca für seine Heimatstadt Borgo San Sepolcro malte. Die Komposition mit Goldgrund ist eher konventionell ausgeführt. Die in einem anderen Größenmaßstab gemalten Schutzbefohlenen knien im Kreis um Maria und bilden gleichsam die Basis für die säulenartige Madonna. Unter sich sind sie in zwei Gruppen zu jeweils vier Männern und vier Frauen unterschiedlichen Altersgegliedert.

Der tiefe Augenpunkt, der an Domenico Veneziano erinnert, erlaubt eine enge Gruppierung der Figuren nahe an der vorderen Bildebene. Das Licht spielt eine wichtige Rolle in Pieros Werk ebenso wie in der Malerei Fra Angelicos und des Sieneser Malers Sassetta, dessen Altarbild für San Francesco gerade ein Jahr vor Pieros Auftrag nach Borgo San Sepolcro geliefert worden war. Das Licht, das nichts Atmosphärisches hat, objektiviert die Figuren.

Die „Madonna della Misericordia“ hätte eigentlich nach drei Jahren fertig sein sollen, doch zehn Jahre später, im Jahr 1455, hatte Piero sie noch immer nicht vollendet. Ein neuer Vertrag verpflichtete den Maler dazu, die Malerei bis zur Fastenzeit jenes Jahres fertigzustellen. Große Teile des Altarbildes von Borgo San Sepolcro müssen aber schon vor 1450 fertig gewesen sein.

Ferrara

Um 1450 arbeitete Piero an Fresken für Borso d'Este in Ferrara (Zimmer seines Palastes), die nicht erhalten sind – aber wichtig für die Entwicklung eines neuen Stils in Ferrara gewesen sein müssen.

Die d’Este in Ferrara besaßen eine „Kreuzabnahme“ von Rogier van der Weyden. Weitere Studien der altniederländischen Malerei konnte Piero della Francesca vor allem in Urbino betreiben, da Federico da Montefeltro eine große Sammlung besaß. Mit diesem stand er etwa ab 1460 in regelmäßigem Kontakt.
Außerdem hielt sich einige Jahre zuvor auch Leon Battista Alberti in Ferrara auf. Dort könnte er mit der Konzeption seines Buches über die Baukunst begonnen haben. Zumindest war der Venezianer Jacopo Bellini von Albertis Entwürfen beeindruckt und könnten auch noch in Pieros „Geißelung“ eine Rolle spielen.

Hl. Hieronymus

Ebenfalls 1450 signierte und datierte er das Bild des „Hl. Hieronymus“ (Gemäldegalerie, Staatliche Museen zu Berlin). Diese kleine Tafel wurde 1968 gereinigt und restauriert, sie besticht durch ihre einfache Komposition. Die Farbigkeit kann heute nur noch über die Grundierung erschlossen werden. Es ist nicht geischert, ob es sich um ein vollendete Werk handelt (Battisti) oder ein unvollendetes, das nach dem Tod des Künstlers im Besitz der Familie verblieben war.

Der HI. Sigismund und Sigismondo Pandolfo Malatesta (1451)

Im Tempio Malatestiano in Rimini befindet sich Piero della Francescas Fresko „Der HI. Sigismund und Sigismondo Pandotfo Malatesta“ von 1451, das 257 x 345 cm groß ist. Piero fand Gönner in einigen kleineren Stadtstaaten Mittelitaliens. Für Pandolfo Malatesta, den Herrn von Rimini, malte er dieses Andachtsbild für die Kirche, die Battista Alberti für die Familie vollständig umgebaut hat. Es ist wahrscheinlich, dass Piero und Alberti sich kannten, da sie sich zu gleicher Zeit in Rimini, in Urbino und in Rom aufhielten.Es handelt sich bei dem Fresko um das erste Monumentalwerk Piero della Francescas.

Der junge, im Profil dargestellte Fürst kniet vor seinem Schutzheiligen und Namenspatron, dem bärtigen HI. Sigismund. Der Heilige ähnelt dem einige Jahre zuvor verstorbenen Kaiser Sigismund (1410–1437). Das Fresko belegt, dass Piero della Francesca Anfang der 1450er Jahre bereits mit fortschrittlichen architektonischen Lösungen vertraut war. Darin darf man eine zusätzliche Bedeutungsschicht dieses Gemäldes erkennen. Dieses Fresko hat im Verlauf der Zeit sehr gelitten und lässt sich nur noch in seinen Grundzügen analysieren.

Für die Ausführung des „Hl. Sigismund und Sigismondo Pandolfo Malatesta“ musste Piero della Francesca siene Arbeit in Loreto unterbrechen.

Rom

Ende 1454 erhielt Piero della Francesca einen weiteren, gut bezahlten Auftrag: Er malte ein Polyptychon für San Agostino in Borgo San Sepolcro. Man weiß aus den Zahlungen an Piero (Dokumente in der päpstlichen Schatzkammer), dass er 1458/59 in Rom für Papst Pius Il. gearbeitet hat. Er ist am 16. Oktober 1458 in der Stadt dokumentiert. Seine Fresken in den päpstlichen Gemächern wurden für Raffaels „Gefangenschaft des hl. Petrus“ und „Die Messe von Bolsena“ abgeschlagen werden.

Fresken im Chor von San Francesco in Arezzo (um 1455–vor 1466)

Am 14. Januar 1455 wurde Piero della Francesca nach Borgo di Sansepolro beordert, wo er unter Aufsicht das Polyptychon der „Schutzmantelmadonna“ vollenden sollte. Für Arezzo nutzte er in der Folge erstmals Mitarbeiter, nachweislich Giovanni di Piamonte, Lorentino d'Arezzo und ein weiterer Anonymus. Mit einem Dokument ist die Vollendung des gigantischen Fresnkenprogramms vor dem Jahr 1466 belegt.

Piero della Francescas Freskenzyklus im Hauptchor der Kirche San Francesco in Arezzo handelt von der Legende des Wahren Kreuzes. Er erzählt die Geschichte des Holzes, aus dem das Kreuz Christi gemacht wurde, angefangen vom Paradies über die Wiederauffindung durch die Heilige Kaiserin Helena im 4. Jahrhundert bis zur Rückführung nach Jerusalem durch Herakleios im 7. Jahrhundert. In diesen Fresken gelangt Piero della Francesca zu einer Ausgewogenheit zwischen der realen, alltäglichen Welt, der antiken und der spirituellen, christlichen.

Pieros Zyklus basiert auf Legenden, die im 13. Jahrhundert von Jacobus de Voragine zusammengestellt wurden und vor Piero nur gelegentlich in anderen Bildzyklen dargestellt worden waren. Ursprünglich hatte der Florentiner Maler Bicci di Lorenzo den Auftrag für den Zyklus erhalten. Er scheint auch mit den Arbeiten begonnen zu haben, zumindest im Gewölbebereich, dann aber verstarb er. Obwohl es keine dokumentarischen Belege gibt, steht die Autorschaft Pieros an den Fresken außer Zweifel. Pieros Fresken hatten im Verlauf der Jahrhunderte unter Feuchtigkeit zu leiden. Unter dem Chor gab es einen unterirdischen Wasserlauf, weshalb der Chor feucht wurde.

Seine politische Bedeutung erhält der Freskenzyklus durch die zeitgenössischen Ereignisse im Heiligen Land bzw. am Bosporus. 1439 wurde in Florenz eine Einigung zwischen der westlichen und östlichen Kirche unterzeichnet. Allerdings eroberten die Osmanen 1453 Konstantinopel (heute: Istanbul). Die christlichen Gemeinden riefen die Päpste Nikolaus V., Calixtus II. und schließlich Pius II. zu Hilfe, doch der propagierte Kreuzzug gegen die Türken wurde nie umgesetzt. So stellte Piero della Francesca in der „Konstantinsschlacht“ eine Schlacht von Kreuzrittern gegen Türken dar, die im Jahr 1456 die Donau überschreiten wollten. Die Franziskaner gehörten zu den leidenschaftlichen Befürwortern eines Kreuzzuges.

  • Der Tod Adams, Fresko, 390 x 747 cm (Lünette): Es wird der Baum gepflanzt, aus dessen Holz später das Kreuz gezimmert wurde.
  • Anbetung Holzes durch die Königin von Saba und Begegnung Salomos mit der Königin von Saba, Fresko, 336 x 747 cm
  • Die Aufrichtung des Kreuzholzes, Fresko, 356 x 190 cm
  • Vergraben des Holzes (mittlere Wandzone)
  • Verkündigung, Fresko, 329 x 193 cm
  • Traum Konstantins (unterstes Wandfeld)
  • Konstantins Sieg über Maxentius
  • Folterung des Juden
  • Heraklius‘ Sieg über Chosroes (unterstes Wandfeld): Chosroe hatte das Kreuz aus Jerusalem gestohlen.
  • Ausgrabung und das Wunder des Heiligen Kreuzes (mittlere Wandzone)
  • Heraklius führt das Kreuz nach Jerusalem zurück (Lünette): 615 brachte Kaiser Heraklius das Kreuz wieder nach Konstantinopel zurück und ließ es aufrichten.
  • Prophet (nicht identifiziert)
  • Prophet (nicht identifiziert)

Eine der Eigentümlichkeiten des Freskenzyklus ist die gewählte Anordnung der einzelnen Szenen. Sie sind nicht chronologisch geordnet und folgen einem genau durchdachten Plan. Die Szenen stehen einander an den Kapellenwänden in typologischer Weise einander gegenüber (Alter Bund vs. Neuer Bund). Der Zyklus entstand fast gleichzeitig mit Fra Filippo Lippis Fresken im Chor des Doms zu Prato.

Mit der Geschichte vom „Tod Adams“ setzt die Legende des Wahren Kreuzes ein: Der Baum, aus dessen Stamm später das Kreuz hergestellt wurde, wuchs aus einem Zweig, der in Adams Mund gepflanzt wurde. Trotz des schlechten Erhaltungszustands des Freskos und alter Restaurierungen lässt sich die Erzählung noch identifizieren. Da dieses Bild das höchste und damit von den Betrachter:innen am weitesten weg ist, platzierte Piero die Handlung fast ausschließlich im Bildvordergrund und gruppierte die Figuren wie auf einem flachen Fries. Die Gestalten an beiden Seiten wenden sich nach innen; sie rahmen die Komposition. In diesem Bild ist großer Wert auf die Darstellung der Akte gelegt, gleichgültig ob es sich um Männer oder Frauen, Junge oder Alte handelt.

Die „Anbetung Holzes durch die Königin von Saba und Begegnung Salomos mit der Königin von Saba“ sind zwei Momente der Geschichte, deren Bildraum von der massiven Säule in der Mitte geteilt wird. Links in einer Landschaft kniet die verschleierte Königin von Saba vor dem Holzstück, aus dem später das Kreuz Christi werden soll. Rechts erblickt man die Königin in einem antikischen Innenraum bei ihrem Treffen mit König Salomo. Während die Architektur biblische Assoziationen weckt, sind die Figuren in zeitgenössische Kostüme gekleidet. Man hat den Eindruck, dass viele konkrete Porträts darunter sein könnten; nachweislich ist Kardinal Bessarion mit König Salomon zu identifizieren. Dies könnte auch mit der politischen Bedeutung der Darstellung zu tun haben, denn während des Unionskonzils wurde diese Szene als typologischer Vorläufer bezeichnet. Durch die historischen Ereignisse wandelte sich die Bedeutung aber mehr in Richtung eines Bittgangs der Ostkirche um Befreiung.

Die Szene von der „Aufrichtung des Holzes“ an der Altarwand ist eine bildliche Vordeutung auf die spätere Passion Christi. Die Haltung des tragenden Mannes und die deutliche Diagonale der Balkenform entsprechen der Ikonografie, die sonst für die Kreuztragung Anwendung findet. Die Jahresringe des Holzes sind so angebracht, als trüge der Mann einen Heiligenschein.

Piero della Francesca zeigt in seiner „Verkündigung“ den Engel im Profil und Maria frontal stehend. Die machtvolle Präsenz ihrer Erscheinung verdankt sie dem klassischen Kontrapost (Standmotiv), der ihr Stabilität und eine gerade aufgerichtete Haltung verleiht, die etwas von der Säule hat, welche sie vom Engel trennt. Aus den Wolken oben links sendet ein eisgrauer Gottvater die Heilsbotschaft auf die Jungfrau hinab.

Nach Urkunden waren die Fresken in Arezzo 1466 fertiggestellt, aber das ist lediglich ein terminus ante quem. Vermutlich waren sie um einiges früher fertig; wahrscheinlich arbeitete der Künstler zwischen 1452 und 1458 daran. Zweifellos bildet der Freskenzyklus in Arezzo den Hohepunkt seiner mittleren Schaffensphase.

 

Auferstehung Christi

Um 1459 entstand die „Auferstehung Christi“, ein Fresko im Empfangssaal des Rathauses von Sansepolcro (Museo Civico, Sansepolcro). Im Gegensatz zur „Taufe“, wo die Modellierung noch hell und sanft ist, erscheint hier der muskulöse Körper Christi von einem starken Hell-Dunkel-Kontrast bestimmt zu sein.

 

Die Geißelung Christi (um 1458–1460)

Die „Geißelung Christi“ (um 1458–1460, Galleria Nazionale, Urbino) von Piero della Francesca befand sich im 18. Jahrhundert im Dom von Urbino. Weder ihr Auftraggeber noch ihre Entstehungsumstände sind bekannt. Der zweigeteilte Bildaufbau zeigt rechts im Vordergrund drei Männer in zeitgenössischer Kleidung, die auf einem präzise konstruierten Platz zusammenstehen. Im Mittelgrund befindet sich die bildgebende Szene mit der Geißelung Christi. Es ist schon viel über die eigenartige Verbindung bzw. Isoliertheit der beiden Szenen geschrieben worden. Einmal mehr ist es ein Zusammentreffen von Ost und West, was durch die Kleidung deutlich wird: ein Grieche und ein Byzantiner (links) treffen einen westlichen Fürsten (rechts).4 Die Figur in der Mitte mit antikischer Kleidung und nackten Füßen könnte als Engel gedeutet werden. Vermutlich ist das Gemälde als ein Aufruf zum Kreuzzug gegen die Türken zu verstehen. Auch die Figur des Pilatus ist zeitgenössisch gekleidet; sein spitzer Hut und die roten Schuhe lassen ihn als  byzantinischen Kaiser erkennen. Die Geißelung darf man wohl als Symbol für die gegeißelte christliche Kirche verstehen.

 

Rückkehr nach Borgo San Sepolcro

Im Jahr 1469 ging Piero della Francesca nach Urbino wegen eines Altarbildes für die Bruderschaft des Corpus Domini, für die er bereits Predellenbilder gemalt hatte. Offenbar lehnte Piero aber ab, und der Flame Justus van Ghent übernahm den Auftrag. Quellen belegen, dass sich Piero für den Rest seines Lebens in Borgo San Sepolcro aufhielt, obgleich er seine Verbindungen mit dem Hof von Urbino nicht abreißen ließ.

 

Porträts

  • Piero della Francesca, Bildnis der Battista Sforza, nach 1472, Holz, 47 x 33 cm (Galleria degli Uffizi, Florenz)
  • Piero della Francesca, Triumphzug der Battista Sforza, nach 1472
  • Piero della Francesca, Bildnis des Federigo da Montefeltro, nach 1472, Holz, 47 x 33 cm (Galleria degli Uffizi, Florenz)
  • Piero della Francesca, Triumphzug des Federigo da Montefeltro, nach 1472

Zwar arbeitete Piero della Francesca auch in der Gattung des Porträts, allerdings tat er dies nur selten. Er muss überredet worden sein, ein Doppelporträt anzufertigen, das seinen Gönner Federigo da Montefeltro von Urbino und dessen Gattin Battista Sforza darstellt. Er meisterte diese Aufgabe in Öl – und nicht wie bisher üblich in Temperafarben. Die beiden Gemälde bilden ein Bildpaar, erkennbar am Landschaftshintergrund, der sich kontinuierlich über beide Porträts erstreckt. Piero stellte ein großes Gewässer dar, das ein See sein könnte, während die Hügel eine Referenz an die umbrische Landschaft sind.

Mit den Bildnissen des Federigo da Montefeltro und der Battista Sforza beginnt Pieros späte Schaffensphase, in der sich seine Kunst zu weicheren, diffuseren Formen und einer geheimnisvolleren, freieren Modellierung entwickelt. Battista Sforza lebte zum Zeitpunkt, als das Diptychon gemalt wurde, nicht mehr; sie war im Alter von nur 26 Jahre verstorben. Die Herzogin blickt im Profil nach rechts; sie repräsentiert mit ihrem reichen Kopfputz, den gezupften Augenbrauen und der Kette seltener Perlen den Inbegriff der damaligen Mode. Federigo, DER Condottiere [Heerführer] seiner Zeit, bedeutender Kunst- und Büchersammler sowie Humanist, blickt seine Frau im Profil an, wodurch seine unförmige Nase nur deutlicher hervortritt. Dieses charakteristische Profil findet sich noch auf einem anderen Gemälde Pieros, dem Brera-Altar. Dort wird dieses anatomische Detail allerdings weniger deutlich betont.

Pieros Bilder des Herzogspaars von Urbino sind auf der Rückseite mit zwei Triumphwägen bemalt Auf der Rückseite von Federigos Porträt wird der Triumphwagen von Schimmeln gezogen; der Herzog erscheint in seiner Rolle als Feldherr, in schimmernder Rüstung, den Kommandostab in der Hand. Der Triumphwagen Battistas entspricht im Maßstab dem ihres Gemahls; der Wagen wird von Einhörnern gezogen. Die ihn lenkende Caritas ist schwarz gekleidet und hält einen Pelikan in ihrer Hand, was als Anspielung auf den Tod der jungen Frau nach der Geburt eines Sohnes und ihre Selbstaufopferung gedeutet werden kann. Wiederum ist im Hintergrund der Tafel ein großes Gewässer zu sehen, dessen Bedeutung unbekannt ist. Unter dem Bild befindet sich eine Eloge auf den Herzog in humanistischem Latein. Im Bildnis bestimmen Hügelketten den landschaftlichen Hintergrund. Auch die Rückseiten der Bilder sprechen dafür, dass sie einst direkt nebeneinander hingen.

 

Brera-Altar (1472–1474)

In der Pinacoteca di Brera, Mailand, befindet sich der sogenannte Brera-Altar von Piero della Francesca. Die Madonna mit Kind und Heiligen, Engeln und einem Porträt von Herzog Federigo da Montefeltro entstand zwischen 1472 und 1474. Die Holztafel ist 248 x 170 cm groß und war möglicherweise für die Kirche San Bernardino in Urbino bestimmt. Der Brera-Altar wurde von Herzog Federigo mit der gebrochenen Nase in Auftrag gegeben, der kniend unten rechts als Stifter dargestellt ist. Er trägt eine spiegelnde Rüstung (vgl. altniederländische Malerei!), den Helm und eiserne Handschuhe hat er zum Zeichen der Ehrfurcht abgesetzt.

Sechs Heilige sind um das thronende Paar angeordnet. Im Hintergrund schließen vier Engel die Gruppe ab. Besonders auffällig ist das mit kühler Präzision gemalte Ei, das an einem Faden von der Konche herabhängt. Es soll ein Straußenei darstellen und gilt als Anspielung auf die unbefleckte Empfängnis Mariä. Das nackte Kind schläft auf Marias Schoß eine Vorausdeutung auf seinen schmachvollen Tod. Der architektonische Dekor dieses singulären Bildes besticht aus einem monumentalen Bogen mit Tonnengewölbe und Rosetten. Man hat den Eindruck, das Querhaus einer Renaissancekirche all'antica vor sich zu haben, ausgestattet mit farbigem Marmor und antiken Stilelementen. Die fest wie Säulen dastehenden Figuren scheinen gedankenverloren und mit sich selbst beschäftigt zu sein.

 

Geburt Christi (um 1480)

Die „Geburt Christi“ von Piero della Francesca in der National Gallery, London, entstand um 1480. Das Tafelbild ist 124,5 x 123 cm groß.

Während seiner gesamten Schaffenszeit blieb Pieros Stil durchgängig monumental geometrisch und klassizistisch. Erst gegen Ende seines Lebens zeigen sich auch aufgelockerte Züge, so in diesem unvollendeten Werk, welches die Anbetung des neugeborenen Jesuskinds zum Thema hat. Es wurde in Pieros Nachlass gefunden.

Das fast quadratische Bild ist entweder unvollendet oder hat durch übertriebene Reinigung Schaden erlitten. Das Bildthema ist aus der nordischen Kunst übernommen, war aber schon in der Frührenaissance lange in Italien geläufig. Im Hintergrund ist die einfache Hütte dargestellt, in der die Geburt stattfand, ebenso auch Ochs und Esel. Die Figuren hinter Maria scheinen Zeitgenossen Pieros zu sein. Es wird der „Geburt Christi“ eine politische Bedeutung zugeschrieben, wie das für viele seiner Gemälde gilt.

„Geburt Christi“ unterscheidet sich erheblich von den friesartigen Figurenarrangements früherer Werke Pieros (wie beispielsweise für dem Freskenzyklus in Arezzo). Das Licht spielt wieder eine beherrschende Rolle, doch nun hat auch der Schatten zu größerer expressiver Kraft, und die Skala der Tonwerte ist erheblich ausgeweitet. Der Kopf der Maria, nur durch einige dunkle Pinselstriche und einen tiefen Schatten unter dem Kinn umrissen, ist in vollem Sonnenlicht dargestellt. Die gleiche Verteilung von Licht und Schatten ist an der Gruppe der singenden Engel zu beobachten. Die Gesichter der Engel zeigen eine Emotionalität und eine Intensität des Ausdrucks, die neu in Pieros Kunst sind. Die Landschaft auf der linken Bildseite ist ebenfalls beachtenswert. Der Weg steigt leicht an, führt dann steil bergab und zieht mäandernd in die Ferne. Die Figuren, die etwas stärker gelängt sind, als man es von Piero gewohnt ist, haben schmale, nicht mehr so stark geometrisierte Köpfe; dennoch machen auch sie einen distanzierten Eindruck. Piero gibt seinen plastischen Figurenstil nicht auf, auch nicht in diesem letzten, vor seiner Erblindung geschaffenen Werk.

Schließlich ist die „Geburt Christi“ auch ein Beispiel für Pieros schrittweisen Wechsel von der Tempera- zur Ölmalerei, denn es verbindet Öl und Tempera miteinander. Die Ölmalerei eröffnete Piero auch noch spät in seiner Laufbahn neue Möglichkeiten.

 

Einfluss auf die nächste Generation

Piero lebte länger als die meisten Angehörigen seiner Generation und wurde Zeuge tiefgreifender Veränderungen in der Entwicklung der Malerei. Träger des Wandels war die in den 1460er und 1470er Jahren Künstler wie der frühreife Andrea Mantegna, die von Pieros Kunst wertvolle Anregungen empfingen. Piero della Francesca war der Lehrer Luca Signorellis. Zudem er hatte einen zumindest indirekten Einfluss auf Leonardo da Vinci, sowohl durch seine Malerei als auch durch sein Denken und Schreiben. Raffael wuchs am Hof von Urbino auf und muss Pieros Gemälde, die dort vorhanden waren, gut gekannt haben.

Tod

Piero della Francesca starb am 12. Oktober 1492 in Sanseprolco.

Literatur zu Piero della Francesca

  • Carlo Bertelli, Piero della Francesca. Leben und Werk des Meisters der Frührenaissance, Köln 1992.
  • H. Wohl, In detail: Piero della Francesca's Resurreaction Freso, in: Portofolio, II, 1981, S. 38-43.