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Baselitz – Richter – Polke – Kiefer Die jungen Jahre der Alten Meister

Georg Baselitz, Ein Grüner zerrissen, Detail, 1967, Öl/Lw, 131,5 x 162 cm (Staatsgalerie Stuttgart © Georg Baselitz 2018)

Georg Baselitz, Ein Grüner zerrissen, Detail, 1967, Öl/Lw, 131,5 x 162 cm (Staatsgalerie Stuttgart © Georg Baselitz 2018)

Die jungen Jahre von Georg Baselitz, Gerhard RichterSigmar Polke und Anselm Kiefer bezeugen die Kritikfähigkeit deutscher Maler während des Wirtschaftswunders der 1960er Jahre und bis in die 1970er Jahre hinein. 112 frühe Hauptwerke zeigen, wie alle vier Künstler mit ihrem Frühwerk die Grundlage für ihren nationalen wie internationalen Erfolg legten. Obschon sich alle vier als unpolitisch sehen, können, ja müssen ihre Werke als Kommentare auf die sie umgebende Gesellschaft, die deutsche Geschichte und der Umgang damit gelesen werden. Unpolitisch kann in diesem Zusammenhang nur eine Unabhängigkeit von parteipolitischen Dogmen bedeuten. Götz Adriani, der die vier Maler aus Deutschland, schon seit Jahrzehnten begleitet, kuratiert die umfassende Schau, die zuerst in der Staatsgalerie Stuttgart und ab 13. September in den Deichtorhallen in Hamburg zu sehen ist.

Die vier Maler Baselitz, Richter, Polke und der etwas jüngere Kiefer stehen prototypisch für die Generation der während des Zweiten Weltkriegs geborenen Deutschen. Sie erlebten in ihrer Kindheit und Jugend die Kriegs- und Nachkriegszeit. In ihren Gemälden verarbeiteten sie Erlebtes und reagierten auf die deutsche Geschichte. Ihre Suche nach einer neuen (west-)deutschen Identität ließ sie gegen die Prüderie auflehnen, den Konsum als Sucht diffamieren. Sie enttarnten Verdrängung, Verleugnung, Schweigen als Quellen des Unheils, fragten nach missbrauchten Texten oder stellten mit Hilfe von Meta-Malerei die Möglichkeiten des Malens auf den Kopf.

Dass Georg Baselitz diesen Schritt machte und seit „Der Wald auf dem Kopf“ (1969) konsequent seine Motive auf den Kopf stellt, ist bereits legendär. Gerhard Richters romantisches „Schloss Neuschwanstein“ (1963) tifft auf „Onkel Rudi“, auf das zerbombte Dresden, auf den die Treppen herabsteigenden Akt, auf uminterpretierte Bilder aus Zeitschriften und Zeitungen. Während Richter den Malprozess per se sowie die Reduktion des Kolorits auf subtile Grauwerte als Ausdrucksträger einsetzte, arbeitete Sigmar Polke mit Witz und Ironie, mit Materialimitation (Druckgrafik, Rasterdruck), mit humorvollen Kommentaren auf berühmte Werke der Kunstgeschichte (Dürer-Hase) oder führte das Konzept des Informel in „Moderne Kunst“ (1968) ad absurdum. Die Auseinandersetzung mit den Überresten des Nazismus und des Kriegs (Stichwort: Hitlergruß, germanische Mythologie und Bunker) stellt in den 1960er Jahren den wichtigsten Aspekt in Anselm Kiefers Werk dar.

 

Erfolge auf der Biennale von Venedig und in amerikanischen Museen

Offensichtlich wurde und wird das Werk der vier berühmten deutschen Maler als eine Form der Aufarbeitung sowohl der Schuld, der Traumata aber auch als Symbol für das Wiedererstarken einer Nation international anerkannt. Seit Jahren sind die vier Künstler auf den Listen der führenden lebenden Maler und schon längst in alle historische Überblicksdarstellungen zur Kunst des 20. Jahrhunderts eingespeist.

Für Götz Adriani, Kunsthistoriker und Kurator der Ausstellung, sind es große Ausstellungsprojekte, welche die Karrieren der Künstler – und schlussendlich deren internationalen Erfolg – ausmachen.1 Hier macht er aus, dass den erfolgreichen Präsentationen auf der Biennale von Venedig großangelegte Ausstellungstourneen der Maler in den USA folgten. Gerhard Richter war schon 1972, Georg Baselitz und Anselm Kiefer 1980 sowie Sigmar Polke 1986 auf der wichtigsten Kunstbiennale der Welt vertreten. Der internationale Durchbruch gelang ihnen ab 1987, als eine Einzelausstellung von Anselm Kiefer durch die USA tourte2 Ein Jahr danach folgte eine Ausstellungstournee von Gerhard Richter3 Im Jahr 1990/91 folgte Sigmar Polke4. Georg Baselitz konnte schlussendlich 1995/96 eine große Ausstellung eröffnen.5

 

Abgesehen von Sigmar Polke, der 2010 verstorben ist, unterstützen Richter, Baselitz und Kiefer mit singulären Leihgaben aus ihrem Besitz die Ausstellung. Die intensive Auseinandersetzung der vier Künstler mit ihrer Zeit und deren unmittelbaren Vergangenheit wird in der Schau durch ein Zeitpanorama der politischen, gesellschaftlichen und kulturellen Ereignisse – vom Wirtschaftswunder und dem geforderten Wohlstand für alle, bis zu den Studentenunruhen und der außerparlamentarischen Opposition ergänzt.

Gastkurator: Prof. Dr. Götz Adriani

 

Baselitz – Richter – Polke – Kiefer. Die jungen Jahre der Alten Meister: Ausstellungskatalog

Begleitet wird die Ausstellung von einer umfassenden Publikation Götz Adrianis, die ausführliche Gespräche mit den Künstlern über ihr Frühwerk und dessen besonderen Stellenwert beinhaltet, sowie zahlreiche Abbildungen und eine zeitgeschichtliche Dokumentation der 1960er Jahre.

Staatsgalerie Stuttgart, Deichtorhallen Hamburg (Hg.)
Text von Gotz Adriani
342 Seiten, 360 Abb., farbig und S/W
30,5 x 23,5 cm, Festeinband
ISBN 978-3-95498-472-5 (DT / Buchhandel)
ISBN 978-3-95498-473-2 (E / Buchhandel)
Sandstein Verlag

 

 

Baselitz – Richter – Polke – Kiefer: Bilder

  • Georg Baselitz, Ein Grüner zerrissen, 1967, Öl/Lw, 131,5 x 162 cm (Staatsgalerie Stuttgart © Georg Baselitz 2018)
  • Georg Baselitz, Der Wald auf dem Kopf, 1969, Öl/Lw, 250 x 190 cm (Museum Ludwig, © Georg Baselitz 2019)
  • Gerhard Richter, Schwimmerinnen, 1965, Öl/Lw, 200 x 160 cm (Sammlung Froehlich, Stuttgart, © Gerhard Richter 2018 (26022018))
  • Gerhard Richter, Kuh II, 1965, Öl/Lw, 157 x 113 cm (Staatsgalerie Stuttgart, © Gerhard Richter 2018 (26022018))
  • Sigmar Polke, Freundinnen, 1965/66, Öl/Lw, 150 x 190 cm (Stuttgart © The Estate of Sigmar Polke, Cologne)
  • Sigmar Polke, Zirkus, 1966, Dispersion, 180 x 242 cm (Staatsgalerie Stuttgart, © The Estate of Sigmar Polke, Cologne)
  • Anselm Kiefer, Heroisches Sinnbild VII, 1970, Öl/Baumwolle, 119 x 158,5 x 3,5 cm (Sammlung Worth, © Anselm Kiefer)
  • Anselm Kiefer, Glaube, Hoffnung, Liebe, 1973, Kohle, Collage, Hasenblut/Rupfen, 298,5 x 281 cm (Staatsgalerie Stuttgart, © Anselm Kiefer)

 

Beiträge zu Gerhard Richter

24. September 2024

Dresden | Kunsthalle im Lipsiusbau: Estnische und Deutsche Kunst von Lucas Cranach bis Arvo Pärt Spiegel im Spiegel | 2025

Die Ausstellung spiegelt die Komplexität der gemeinsamen Geschichte Estlands und Deutschlands von der Gründung der Hanse bis zu Fragen zu Migration, Religiosität, Feminismus und Queerness.
5. September 2024
Gerhard Richter, Blumen, 1977, Öl auf Leinwand (Privatsammlung © Gerhard Richter 2023)

Düsseldorf | Kunstpalast: Gerhard Richter. Verborgene Schätze Werke aus rheinischen Privatsammlungen | 2024/25

Götz Adriani, Baselitz – Richter – Polke – Kiefer. Die jungen Jahre der Alten Meister (Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart; Deichtorhallen Hamburg), Dresden 2019, S. 13–14. Anselm Kiefer […]
25. Januar 2024
Gerhard Richter, 11.8.2023 (3), 2023 (Ausschnitt) © Gerhard Richter 2024 (25012024)

London | David Zwirner: Gerhard Richter (2024) Faszination Abstraktion | 2024

Eine Reihe neuer Arbeiten auf Papier, die alle in dieser Ausstellung zum ersten Mal zu sehen sind, verdeutlichen die vor kurzem entdeckte Dringlichkeit und Bedeutung, die der Künstler dem Prozess und der Technik beim Zeichnen beimisst.

Beiträge zu Georg Baselitz

10. April 2024
Georg Baselitz in Colmar, 6.6.2018, Foto Alexandra Matzner

London | White Cube Bermondsey: Georg Baselitz A Confession of My Sins | 2024

Georg Baselitz kehrt zum ersten Mal seit acht Jahren in die White Cube Bermondsey zurück und präsentiert eine Auswahl neuer Gemälde.
27. Dezember 2023
Georg Baselitz, Zero Mobil (Zero Mobile), 2013–2014 (© Georg Baselitz 2023, Foto: Jochen Littkemann, Berlin)

London | Serpentine South: Georg Baselitz: Skulpturen 2011–2015 Rohe Holzskulpturen und Zeichnungen im Dialog | 2023/24

Georg Baselitz zeigt im Herbst 2023 eine Reihe von Skulpturen und Zeichnungen aus den Jahren 2011 bis 2015. Die Arbeiten wurden gemeinsam mit Georg Baselitz ausgewählt und stammen direkt aus seinem Atelier.
6. September 2023
Martha Jungwirth, Spittelauer Lände, 1993 (Albertina Wien - The Essl Collection (c) Bildrecht, Wien 2023)

Wien | Albertina modern: Deutschland – Österreich. Malerei 1970 bis 2020 Gegenüberstellung wichtiger Künstler:innen | 2023/24

Es entfaltet sich in der Albertina modern ein überraschender Pas de deux abseits des Nationalitätenprinzips, der das Tänzerische und Spielerische der Kunst in den Vordergrund rückt: mit Baselitz und Lassnig, Grosse und Hollegha, Rainer und Richter, Oehlen und Jungwirth, Kiefer und Nitsch.

Beiträge zu Anselm Kiefer

14. August 2024
Anselm Kiefer, Schierlingsbecher, Detail, 2019, Emulsion, Öl, Acryl, Schellack und Stroh und Blattgold auf Leinwand. 280 x 760 cm. © Anselm Kiefer. Foto © White Cube (Theo Christelis)

London | Royal Academy: Kiefer / Van Gogh Neue Werke Kiefers und seine lebenslange Begeisterung für van Gogh | 2025

Neue Werke Kiefers und seine lebenslange Begeisterung für van Gogh sind die Themen dieser großangelegten Ausstellung zum 80. Geburtstag des deutschen Künstlers.
18. Juni 2024
Anselm Kiefer, Sternennacht, 2019, © Anselm Kiefer. Foto: Georges Poncet

Amsterdam | Van Gogh Museum + Stedelijk Museum: Anselm Kiefer Sag mir wo die Blumen sind | 2025

Sag mir wo die Blumen sind ist der Titel einer neuen, 24 Meter langen Installation von Anselm Kiefer im Stedelijk Museum Amsterdam. Neben den Werken aus der Sammlung ptäsentiert das Van Gogh Museum die langjährige Beziehung des Künstlers zu Vincent van Gogh. Außerdem arbeitet Kiefer an neuen Bildern mit Bezug zum Impressionisten.
22. März 2024
Anselm Kiefer, Engelssturz, Detail

Florenz | Palazzo Strozzi: Anselm Kiefer Engelssturz | 2024

Die Kiefer-Ausstellung im Palazzo Strozzi soll die Komplexität von Kiefers Kunst vermitteln und die Verflechtung von Figur und Abstraktion, Natur und Künstlichkeit, Schöpfung und Zerstörung in einem zutiefst fesselnden Projekt feiern, sowohl im physischen als auch im konzeptuellen Raum seines Schaffens.
  1. Götz Adriani, Baselitz – Richter – Polke – Kiefer. Die jungen Jahre der Alten Meister (Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart; Deichtorhallen Hamburg), Dresden 2019, S. 13–14.
  2. Anselm Kiefer 1987/88: Art Institute of Chicago, Philadelphia Museum of Art, Museum of Contemporary Art von Los Angeles sowie im Museum of Modern Art in New York.
  3. Gerhard Richter 1988/89: Art Gallery of Ontario in Toronto, Museum of Contemporary Art in Chicago, Hirshhorn Museum in Washington, San Francisco Museum of Modern Art.
  4. Sigmar Polke 1990/91: San Francisco Museum of Modern Art, Hirshhorn Museum in Washington und Art Institute of Chicago, Brooklyn Museum in New York.
  5. Georg Baselitz 1995/96: Solomon R. Guggenheim Museum in New York, Los Angeles County Museum of Art und Hirshhorn Museum in Washington.
  6. Götz Adriani, Baselitz – Richter – Polke – Kiefer. Die jungen Jahre der Alten Meister (Ausst.-Kat. Staatsgalerie Stuttgart; Deichtorhallen Hamburg), Dresden 2019, S. 13–14.
  7. Anselm Kiefer 1987/88: Art Institute of Chicago, Philadelphia Museum of Art, Museum of Contemporary Art von Los Angeles sowie im Museum of Modern Art in New York.
  8. Gerhard Richter 1988/89: Art Gallery of Ontario in Toronto, Museum of Contemporary Art in Chicago, Hirshhorn Museum in Washington, San Francisco Museum of Modern Art.
  9. Sigmar Polke 1990/91: San Francisco Museum of Modern Art, Hirshhorn Museum in Washington und Art Institute of Chicago, Brooklyn Museum in New York.
  10. Georg Baselitz 1995/96: Solomon R. Guggenheim Museum in New York, Los Angeles County Museum of Art und Hirshhorn Museum in Washington.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.