Heinrich Lefler (1863–1919) und Joseph Urban (1872–1933) gehören zu den wenig bekannten Jugendstilkünstlern Wiens. Lefler studierte an den Akademien in Wien und München. Hier kam er auch in Kontakt mit ersten Tendenzen des Jugendstils, den er ab Mitte der 1890er Jahre aufnahm. Der Architekt, Bühnenbildner und Illustrator Joseph Urban heiratete 1897 die Schwester von Heinrich Lefler und bildete mit diesem ein kongeniales Künstlerpaar. 1896 erhielten sie den begehrten Kaiserpreis und 1899/1900 gehörten sie zu den treibenden Gründungsmitgliedern des Hagenbundes.
Österreich / Wien: MAK – Österreichisches Museum für angewandte Kunst / Gegenwartskunst
Der Entwurf für ein Kalenderblatt „Dezember“ aus der Kunstblättersammlung des MAK führt in den flankierenden Rahmenleisten eine Reihe von Bildern und Bauernweisheiten zusammen. Oben flankieren die Symbole des Tierkreiszeichens Steinbock den Monatsnamen.
Links schließt ein Emblem, eine intellektuelle Kombination von Wort und Bild, an: Ein blühender und gleichzeitig Früchte tragender Orangenbaum wird mit dem Text „Florem non adimit fructus [Die Frucht raubt nicht die Blüte]“ kombiniert. Das Sinnbild steht für die Unbefleckte Empfängnis Mariae, die am 8. Dezember gefeiert wird. Der im 12. Jahrhundert aufgekommene, katholische Festtag ist in Österreich seit dem Jahr 1647 ein Feiertag. Da Wien während des Dreißigjährigen Kriegs verschont blieb, weihte Kaiser Ferdinand das Land der Muttergottes und führte den Feiertag ein.
Darunter wird an den heiligen Nikolaus erinnert. Noch bevor er Bischof von Myra wurde, bewahrte er drei Jungfrauen davor aus Armut in die Prostitution verkauft zu werden. In drei aufeinanderfolgenden Nächten warf er der Legende nach Goldklumpen durch die Fenster in deren Zimmer. Der heilige Bischof wird daher mit Goldkugeln oder goldenen Äpfeln dargestellt. So auch in der Interpretation durch Lefler und Urban, zeigen sie ihn doch als gütigen, weißbärtigen Mann mit einer Schüssel von leuchtenden Früchten. Die weißgekleideten Mädchen wirken engelsgleich, der Junge trägt ein mittelalterliches Fantasiekostüm. Die Goldäpfel finden sich im Rahmenwerk, das entfernt an ein spätgotisches Gesprenge eines Altares erinnert, jedoch mit Fruchtgirlanden und Ketten gefüllt sind.
Auch rechts verbinden Lefler und Urban Bild mit Text. Stark stilisierte Tannenzeige tragen Kerzen, die sich zu einer Zweier-, einer Dreier- und einer Vierergruppe verbinden. Damit spielen die beiden Entwerfer auf die drei Adventssonntage im Dezember an. Dazwischen setzen sie überdachte Schrifttafeln ein, in denen sie Bauernweisheiten kundtun: „Grüne Weihnachten weisse Ostern“ und „Dezember kalt mit Schnee gibt's Korn auf jeder Höh'“ verbinden das Wetter mit landwirtschaftlichen Vorhersagen.
Lefler und Urbans Kalenderblatt „Dezember“ ist beredtes Beispiel für den gekonnten Umgang mit Flächengliederung und Linienführung. Text und Bild gehen eine ästhetische Einheit ein, denn beide werden flächig und ornamental gestaltet. Die Verbindung dieser beiden Elemente geht so weit, dass Lefler und Urban das Tierkreiszeichen der Form des „Z“ aus „Dezember“ angleichen und es durch eine doppelte Spiegelung zum Muster hinter dem fischschwänzigen Capricornus umwandeln. Hier zeigt sich die Auseinandersetzung mit der Flächenkunst, der Einfluss japanischer Kunst und der kreative Umgang mit Schriftzeichen wie er von Rudolf von Larisch propagiert wurde (→ Malerei und Kalligraphie in Japan).
Als sich der Hagenbund innerhalb des Künstlerhauses konstituierte und schlussendlich 1900 aus ihm austrat, waren durch die Ausstellungsaktivitäten der Wiener Secession bereits wichtige Maßstäbe gesetzt worden, mit denen sich Lefler und Urban besonders erfolgreich auseinandersetzten. Die Gestaltung von Druckwerken und Alltagsgegenständen entsprach einem Hauptanliegen der Jugendstil-Künstler, denn sie wollten ihre ästhetischen Vorstellungen einer breiten Öffentlichkeit vorstellen (→ Koloman "Kolo" Moser). Bereits während Urbans Mitgliedschaft im Aquarellisten-Club im Künstlerhaus konnte er gemeinsam mit Heinrich Lefler erste Erfahrungen in der Katalog- und Ausstellungsgestaltung erwerben. Die zeitgenössische Kritik unterstellte beiden, aus Angst vor der Konkurrenz der 1897 gegründeten Wiener Secession, „in dem von der Secession angestrebten moderneren Ausstellungs-Genre das Möglichste zu leisten“1. Wenn auch von der Kritik nicht restlos beklatscht, so verkörperten Joseph Urban und Heinrich Lefler innerhalb des Hagenbundes jene führenden Kräfte, die – wie dieser Entwurf für ein Kalenderblatt belegt – einen gemäßigten, dekorativen Jugendstil propagierten.
Der Maler, Grafiker, Kunstgewerbler Lefler stattete von 1900 bis 1903 Opern unter Gustav Mahler aus. Ab 1903 arbeitete er am Burgtheater und lehrte bis 1910 an der Akademie der bildenden Künstler in Wien, wo er als besonders fortschrittlich im damaligen Lehrkörper galt. Zu seinen wichtigsten Schülern zählten Richard Gerstl (→ Richard Gerstl) und Anton Kolig (→ Anton Kolig: Werk und Leben).