Picassos Frauen

Pablo Picasso und die Frauen ist ein unerschöpfliches Thema und wichtige Ergänzung zum Verständnis seines Werks. Während sich werkkritische Annäherungen an Picassos Werk vor allem mit Stilfragen beschäftigen, wird in der Biografieforschung viel Gewicht auf seine Liebschaften gelegt. Das täuscht darüber hinweg, dass Picasso seine Stilwechsel parallel zu neuen Frauen in seinem Leben vollzog. Obschon der Künstler wert darauf legte, dass neue ästhetische Konzepte nach langer Vorbereitungszeit sich mit Hilfe neuer Frauen Bahn brachen, er also quasi aus sich selbst heraus schuf, soll die Bedeutung von Picassos Fraunen nicht unterschätzt werden. Die französische Forschung periodisiert deshalb das Werk Picassos u.a. mit Hilfe seiner Freundinnen.

„Wenn es nur eine Wahrheit gäbe, könnte man nicht hundert Bilder über dasselbe Thema malen.“1 (Pablo Picasso)

Wer waren die Frauen an Picassos Seite?

Dolores Ruiz, genannt Lola, Picassos jüngere Schwester

Maria Dolores Ruiz (1884–1958), genannt Lola, war nicht nur Picassos jüngere Schwester, sondern auch sein Lieblingsmodell in seinen Jugendjahren. Lola studierte am Kolleg der französischen Nonnen La Sagrada Família in Málaga und absolvierte anschließend ihr Gesangsstudium während ihres Aufenthalts bei der Familie Ruiz Picasso in Coruña.

Das erste Porträt Lola Ruiz‘ datiert vom 1. Dezember 1894. Die Familie Picasso lebte damals noch in La Coruña, und Picasso war gerade einmal 13 Jahre alt. Wenige Jahre später malte er in Barcelona „Lola mit einer Puppe auf ihrem Schoß“ (1896). In den 1890er Jahren malte Picasso immer wieder seine jüngere Schwester, nach 1901 verschwand sie aus seinem Werk. In dieser Zeit entfernte sich Picasso von seinem Elternhaus. Lola kann keine Figur in den Werken der Blauen Periode sein (→ Pablo Picasso: Blaue Periode).

Dolores Ruiz heiratete 1909 den Neuropsychiater Juan Bautista Vilató Gómez, Sohn eines Professors für Neurobiologie aus Barcelona und einer Mutter aus Malaga, mit dem sie sechs Kinder hatte. 1910 zogen sie nach Mahon, wo ihr Mann in einem Gesundheitslabor arbeitete, und nach drei Jahren kehrte die Familie nach Barcelona zurück. Von ihren Kindern wurden zwei Maler: José Vilato Ruiz Fin (1916–1969) und Javier Vilato Ruiz (1921–2000).

Corina Romeu

Corina Romeu führte gemeinsam mit ihrem Mann Père Romeu das Künstlerlokal „Els Quatre Gats [Die vier Katzen]“2 in Barcelona an der Carrer de Montsió, das vom 12. Juni 1897 bis zum Juli 1903 bestand. Père Romeu hatte in Paris im Künstlercafé „Le Chat Noir [Die schwarze Katz]“ als Kellner gearbeitet. Das kunstbegeisterte Ehepaar machte ihr Lokal zu einem Treffpunkt der künstlerischen Avantgarde. Es trafen sich im „Els Quatre Gats“ die Protagonisten des katalanischen Jugendstils: Santiago Rusiñol, Ramon Casas und Miquel Utrillo. Von der jüngeren Generation waren Picasso, Julio González, Pablo Gargallo, Carlos Casagemas, Ramon Pichot i Gironès und Jaime Sabartés dort anzutreffen. Pablo Picasso hatte hier seine ersten Einzelausstellungen (Februar und Juli 1900). Neben Kunstausstellungen standen literarische und musikalische Darbietungen sowie Marionetten- und Schattenspiele auf dem Programm.

Im Jahr 1902 malte Picasso von ihr das „Portrait Corina Romeu“. Anlässlich der Geburt ihres Sohnes am 12. Mai 1902 beauftragte Corina Romeu den Maler mit einer Bildniszeichnung des Ehepaars. Das daraufhin entstandenen gemalten Porträts von Corina und Père Romeus schuf Picasso, um seinem Künstlerfreund und dessen Frau eine Freude zu machen. Die Bildnisse im Oval waren als Pendants und schmückten das Lokal bis zu dessen Enden im Juli 1903.

Das Bildnis „Corina Romeu“ (1902, Musée d’Art Moderne de Céret) entstand in der Blauen Periode als sowohl kompositorisch wie farblich auffälliges Werk. Nach dem Tod ihres Mannes im Jahr 1932 verkaufte es Corina Romeu an Angel de Soto, einen Jugendfreund Picassos, der es wiederum an den Künstler weitergab.

Señora Soler

Die Schneiderei von Benet Soler lag in unmittelbarer Nähe des Künstlerlokals „Els Quatre Gats“. Die Familie Soler lud den Maler oft zum Mittag- oder Abendessen nach Hause ein. Im Jahr 1903 nahm Pablo Picasso von dem Schneider Soler an, dessen Ehefrau und seine vier Kinder Marcè, Antoñita, Carles und Montserrat zu porträtieren. Dieses Angebot, Anzüge gegen Porträts zu tauschen, stand nicht nur Picasso offen, weshalb sich der Schneider in Künstlerkreisen größter Beliebtheit erfreute.

Picasso schuf 1905 ein Triptychon mit dem Familienbildnis in der Mitte, flankiert durch Señora und Benet Soler. Das Familienporträt zeigt Señora Soler mit ihrem jüngsten Kind links und Benet Soler rechts mit den weiteren drei Kindern in der Mitte. Die Komposition erinnert an Edouard Manets „Déjeuner sur l’herbe [Frühstück im Grünen]“. Der Künstler dürfte das Bildnis nach einer Fotografie gemalt haben, da ihn die Familienmitglieder nie gemeinsam im Atelier besucht haben. Er positionierte die Menschen vor einem neutralen Hintergrund, obwohl der Auftraggeber lieber eine Landschaft gesehen hätte. Heute befinden sich die Gemälde in den Museen von Liège – „La famille Soler“ (1903, Musée d’Art moderne et d’Art contemporain de la Ville de Liège) –, München, Zürich und Sankt Petersburg.

Sada Yacco

Sada Yacco war eine japanische Tänzerin, die im Herbst 1901 in Paris auftrat. Pablo Picasso entwarf für sie ein Plakat. Außerdem schuf er eine Reihe von Zeichnungen, die sie beim Tanzen zeigen.

Jeanne Bloch

Jeanne Bloch war Tänzerin und Animateurin in den Folies-Bergère. Picasso porträtierte sie 1901 in Aquarell und Tinte für ein geplantes Album der Berühmtheiten aus der Pariser Demimonde. Neben Jeanne Bloch porträtierte Picasso noch Jane Thylda, La Teresina und Anna Thibaut, Emilie-Marie Bouchaud alias Polaire, Grille d’Egout, Marie-Louise Derval alias La Derval, Jane Avril und anderen.

Einige Porträts aus dieser Serie konnte der Künstler im Magazin „Frou Frou“ unter dem Titel „Beuglant et Chahut [Tingeltangel und Radau]“ reproduzieren. Der Künstler signierte die Blätter mit „Ruiz“, obschon er in dieser Zeit bereits nur noch als „Picasso“ auftrat. Ob dies ein Zeichen für fehlende Identifikation ist, kann vermutet werden.

Deutlich sichtbar am Bildnis von „Jeanne Bloch“ ist, dass es mit „Picasso“ signiert und stilistisch sowie kompositionell stark von Henri de Toulouse-Lautrecs Werk beeinflusst ist (→ Pablo Picasso und Henri de Toulouse-Lautrec). Wie sehr sich der Künstler zu diesem Zeitpunkt dem berühmten Vorbild verpflichtet sah, stellte er in seinem Interieur „La chambre bleue [Das Blaue Zimmer]“ dar. Das Bild zeigt sein Atelier am Boulevard de Clichy 130, an dessen Wänden ein Plakat von Toulouse-Lautrec für die Tänzerin May Milton hängt.

Jeanne (auch: Jeanneton)

Jeanne, deren Nachname nicht bekannt ist, war eines der wenigen professionellen Modellen von Picasso am Beginn seiner Karriere. Im Frühjahr 1901 schuf er „Nu couché [Liegender Akt]“, war er doch von ihrem Aussehen und ihrer erotischen Ausstrahlung begeistert:

„Zuerst denkst du nur daran, sie zu malen, danach gehst du zu anderen Dingen über.“3 (Picasso)

In „Femme au manteau à collet (et au chapeau à plumes) [Frau mit Kragenmantel und Federhut]“ zeigt ebenfalls Jeanne – diesmal als elegant gekleidete Dame. Picasso selbst hat dies bestätigt. Der Maler zeigte beide Ölgemälde auf seiner ersten großen Ausstellung, die er gemeinsam mit dem baskischen Maler Francisco Iturrino bei Vollard hatte.

Jeanne de la Rochette (Totote Hugué)

Jeanne de la Rochette war eine Bardame auf dem Montmartre, die unter ihrem Spitznamen Totote bekannt geworden war. Sie war mit dem katalanischen Bildhauer Manolo, eigentlich Manuel Martinez i Hugué (1872–1945), verheiratet, der in Barcelona zu den engsten Freunden Picassos gehörte. Da sich Manolo dem Militärdienst entzogen hatte, konnte er nicht mehr nach Spanien zurückkehren, weshalb er sich mit Jeanne de la Rochette in Céret in den Französischen Pyrenäen niederließ. Er war es, der den Ort für viele Künstlerfreunde, darunter Picasso und Georges Braque, entdeckte.

Picasso war mit dem Ehepaar über viele Jahrzehnte befreundet, was sich in der Familiensammlung niederschlug. Jeanne ergänzte die Sammlung an Skulpturen ihres Mannes mit Arbeiten von Picasso, darunter zwei Bleistiftporträts von ihr selbst und ihrer angenommenen Tochter Rosa. Offenbar zeigt der Künstler in den naturalistischen Porträts seine Dankbarkeit für die Gesellschaft und Unterstützung. Er schuf die beiden Bleistiftporträts 1954 im Haus der Comtesse Paule Lazerme in Perpignan anlässlich eines Besuchs. Ein Jahr zuvor hatte Jeanne / Totote den Maler mit der Lazermes in Vallauris bekanntgemacht. In dieser Zeit hatte Francois Gilot Picasso mit den Kindern Claude und Paloma verlassen.

Die Sammlung Hugué enthält eine Fülle von Gegenständen, die Picasso seinen Freunden schenkte: Teller und Serviettenringe aus Keramik, Serviettentaschen, illustrierte Widmungen in Büchern, mit Skizzen versehene Zigarettenpapiere und -schachteln, herzliche Briefe mit Illustrationen und Zeichnungen sowie ein Gedicht des Künstlers.

Suzanne Bloch

Madeleine

Margot

Alice Derain

„Sie [Alice Géry] hatte eine gewisse wilde Ursprünglichkeit in ihrem Wesen, die vielleicht mit ihren brutalen Daumen zusammenhing und merkwürdig mit ihrem Madonnengesicht übereinstimmte.“

Alice Géry war in ihrer Jugend die Geliebte des Mathematikers Maurice Princets, der als Aktuar für die Regierung arbeitete, als unangenehmer, weil boshaft ironischer Mensch beschrieben wird und gelegentlich ein Bild von Picasso verkaufte. (darunter an den bedeutenden Gauguin- und van Gogh-Sammler Gustave Fayet aus Béziers). Alice dürfte sich dennoch mit jungen Malern vom Montmartre, vor allem Picasso, amüsiert haben. Als dieser sie einem über Rétif de la Bretonnes pornografischen Roman „L’Anti-Justine“ sitzen sah, bestand er darauf, sie bei der Lektüre zu zeichnen. Nicht lange, nachdem Princet und Alice geheiratet hatten, traf sie Ende 1905 den Maler André Derain. Dessen Ruhm als aufstrebender Künstler wurde in diesem Jahr nur noch von Henri Matisse übertroffen, mit dem er gemeinsam den Fauvismus entwickelt hatte. Einige Monate später verließ Alice ihren Ehemann und zog zu Derain, den sie 1907 heiratete. Picasso konnte sich nicht erinnern, wann er Derain kennengelernt hatte.4 Angeblich sollen sie einander bereits im Winter 1905 im Restaurant Azon getroffen haben. Da sich Derain nur selten in Paris aufhielt, freundeten sich die beiden Maler erst im Herbst 1906 mehr miteinander an. Apollinaire sollte später behaupten, dass „das Ergebnis dieser engen Beziehung die nahezu sofortige Geburt des Kubismus [war]“.5 Diese Aussage ist grundfalsch, da der Kubismus von Picasso im Dialog mit Georges Braque entwickelt wurde.

Alice saß Picasso nur für sehr wenige Zeichnungen und eine einzige Plastik Modell. Dennoch hinterließ ihr „madonnenhaftes“ Aussehen Spuren in seinem Werk. Ihre Züge sind in Zeichnungen zu erkennen, für die Madeleine und Margot als Modelle dienten. In der Endphase der Blauen Periode entstand so das für seine Kunst charakteristische Bild einer abgezehrten Frau – als Kombination von Picassos verschiedenen Geliebten. Im Laufe des folgenden Jahres verwischte der Künstler auch die Geschlechtsmerkmale, indem er Alices Schmollmund [bouderie] nicht nur in Mädchengesichtern, sondern auch bei den missmutigen Jungen der Rosa Periode einsetzte (→ Pablo Picasso: Rosa Periode). Dieser Trend zur Vereinheitlichung brach erst ab, als Picasso Anfang 1906 Fernande Olivier näher kennenlernte.

Fernand Olivier

Fernande Olivier traf Picasso im Sommer 1904 zum ersten Mal. Sie war hochgewachsen, rothaarig und galt als schön, sowie damals gerade 23 Jahre alt geworden – allerdings bereits verheiratet. Obschon ihre Affäre kurze Zeit später begann, zog das Paar erst am 3. September 1905 zusammen. Sie ist die erste Frau, die Picasso einlädt, sein Leben zu teilen; das Paar löste die Beziehung erst im Frühjahr 1912 endgültig.

In denMonaten davor hatte Fernande auch eine Beziehung mit Sunyer, einem Maler und Landsmann Picassos, für Kees van Dongen stand sie Modell. Fernande war die erste Frau, mit der Picasso eine Beziehung eingehen wollte, ließ er sie doch in sein Atelier im Bateau-Lavoir. Für sie stellte er seine Männerfreundschaften, unter anderem zu Pallarés, Casagemas, Sabartés und Max Jacob, zurück. Fernande zufolge war Picasso bereit, sie zu heiraten und haltlos eifersüchtig. Vermutlich war Fernande aufgrund ihrer körperlichen Attribute bereits vor Picasso ein begehrtes Modell. In der Woche, in der sie einwilligte, zu ihm zu ziehen, hatte sie für die akademischen Maler Cormon und Sicard posiert. Picasso bestand darauf, dass Fernande nicht mehr zu diesen Künstlern ging. Fernande erinnerte sich:

„Ich arbeitete nicht mehr. Cormon, der alte Gauner, zeigt Verständnis, als ich ihm mitteilte, dass ich nicht Modell sitzen kann und besteht nicht darauf. Doch Sicard schreibt Picasso: ‚Dann kommen Sie doch mit zu den Sitzungen. Ich brauche nur noch zwei Wochen.‘“6

Als Picasso sie bat, zu ihm zu ziehen, schrubbte er sein Atelier und rauchte mit ihr Opium. Letzteres, so Fernande in ihren Erinnerungen, hätte sie die Liebe zu dem Spanier erkennen lassen. Rasch musste Fernande erkennen, dass sie einen gänzlich anderen Lebensrhythmus als Picasso hatte (er arbeitete in der Nacht und legte sich erst um sechs Uhr morgens schlafen), dennoch blieb sie mit ihm bis zum Frühjahr 1912 zusammen. Während dieser sieben Jahre entwickelte sich Picassos Kunst von der Blauen Periode über die Rosa Periode hin zu den „Demoiselles d’Avignon“, zum Kubismus und damit zum Erfolg. 1909 war Picasso so bekannt und wohlhabend, dass er im Alter von 28 Jahren in eine bürgerliche Wohnung am Boulevard de Clichy ziehen konnte. Er war nun ein enger Freund von Guillaume Apollinaire und Gertrude Stein geworden. Seine ästhetischen Neuerungen spalteten die Pariser Avantgarde und lösten eine Welle von Bewunderung aus.

Fernande Olivier war die erste von sieben Frauen im Leben Picassos, welche als Geliebte oder Ehefrauen deutlichen Einfluss auf seine Arbeit ausübten. 1908 malte er von ihr ein erstes kubistisches Porträt und entwickelte in Horta de Ebro den analytischen Kubismus, der Ende 1909/Anfang 1910 in der Skulptur des „zerbrochenen Kopfes“ mündete. Danach war Fernande nicht mehr das Modell der sehr schönen „Femme nue assise dans un fauteuil [Nackte Frau in einem Sessel sitzend]“ (Herbst 1909), was auf eine gewisse Abkühlung der Beziehung schließen lässt. Denn: Im Frühjahr 1910 posierte das junge Modell Fanny Tellier für „Jeune fille à la mandoline [Mädchen mit Mandoline]“. Die folgenden Bildnisse von Wilhelm Uhde und Ambroise Vollard (Frühjahr 1910) sowie Henry Kahnweiler (1911) treiben den Kubismus an die Spitze.

Am 18. Mai 1912 teilte Picasso Fernande mit, dass er ihre Affäre mit Oppi entdeckt habe und sie wegen Eva verlassen würde. Er zog aus ihrer Wohnung aus, entließ das Dienstmädchen und entzog ihr seine finanzielle Unterstützung; Eva zog aus ihrer Wohnung mit Louis Marcoussis aus, und das neue Paar verließ Paris nach Céret in Südfrankreich. Im Juni 1912 schrieb Picasso an seinen Freund und Kunstsammler Daniel-Henry Kahnweiler: „Ich liebe [Eva] sehr und werde dies in meine Bilder schreiben.“ Entsetzt verließ Fernande den mittellosen Oppi und beschloss, Picasso aufzusuchen, um ihre Beziehung wiederzubeleben – oder so befürchtete Picasso.

Gertrude Stein

Gertrude Stein (1874–1946) hatte an der Harvard University studiert und übersiedelte gemeinsam mit ihrem Bruder Leo Stein (1872–1921) nach Baltimore, wo sie an der Johns-Hopins University weiterstudierten. Die beiden etablierten bereits in den USA einen Salon und vernachlässigten darüber ihr Studium. Leo brach seine akademische Ausbildung ab und reiste nach Europa, zuerst Florenz, wo er mit Bernard Berenson verkehrte, dann nach London, wo er sich mit dem Bloomsbury-Kreis anfreundete. Dort kaufte Leo Stein auch sein erstes Ölgemälde von Wilson Steer. Ab 1902 in Paris ansässig, bewegte sich Leo Stein in Künstlerkreisen und lernte den berühmten Kunsthändler Ambroise Vollard kennen, von dem er bald ein Gemälde Paul Cézannes erwarb.

Als Gertrude Stein ebenfalls ihr Studium abbrach und 1903 ihrem Bruder nach Paris folgte, kannte dieser die Pariser Künstlerszene bereits. Das Geschwisterpaar lebte in der Rue de Fleurus 27, direkt am Jardin du Luxembourg. Auch der zweite Bruder Gertrudes, Michael, kam nach Paris und beteiligte sich am Bilderkaufen. Von den Dividenden des durch Michael angelegten Geldes konnten Gertrude und Leo angenehm leben und sich ab und zu ein Bild leisten.

Gemeinsam erweiterten Leo und Gertrude Stein ihre Kunstsammlung mit Werken von Cézanne, Henri Matisse und Pierre-Auguste Renoir, am Salon des Indépendants von 1905 kaufte Leo einen Akt von Henri Manguin und ein Werk von Félix Vallotton. Kurze Zeit später lernten die amerikanischen Sammler Matisse persönlich kennen und wurden in diesen Jahren seine wichtigsten Pariser Kunden. So entstand in Michael Steins Wohnung ein Matisse-Museum, während bei Getrude und Leo die größte Cézanne-Sammlung in Paris zu sehen war. Die Geschwister öffneten ihre Wohnungen dem interessierten Publikum: Michael am Samstagnachmittag sowie Leo und Gertrude am Samstagabend. Noch Jahrzehnte später erinnerte sich Charles Sheeler, wie beeindruckt er von der Stein’schen Sammlung und deren Besucher:innen war.

Während Leo die Kunst seinen Gästen erklärte und die moderne Malerei propagierte, beobachtete seine Schwester deren Reaktionen und begann zu schreiben. Gertrude Steins Stil nährt sich aus einem experimentellen Erzählen zwischen Essay, Beschreibung und freier Assiziation (Missachtung der Satzzeichen und „continuous presend“).

Picasso wurde von Leo Stein entdeckt. Bei seinen regelmäßigen Rundgängen durch die Pariser Galerien besuchte er auch das Geschäft von Clovis Sagot in der Rue Lafitte, neben der Kirchen Notre-Dame de Lorette. Der ehemalige Clown Sagot betrieb eine kleine Galerie mit Ausschank, in der er junge Kunst, allen voran von spanischen Malern, vertrat. Im November 1905 kaufte Leo Stein Picassos Bild eines Clown mit Frau, Kind und Affe. Kurz darauf interessierte er sich für ein Bild eines kleinen, fast nackten Mädchens mit einem Korb roter Blumen (→ Rockefeller-Auktion: Picasso für 115 Mio. & 7 neue Rekorde). Deshalb nahm er seine Schwester mit in die Galerie. Gertrude Stein mochte allerdings das Bild nicht. Dennoch kaufte es Leo und hängte es in ihrer gemeinsamen Wohnung auf. Obschon Gertrude das Porträt misslungen fand, begeisterte sie sich doch für dessen Schöpfer. Ihr gefiel seine Direktheit und seine kraftvolle Erscheinung.

Als Picasso ihr vorschlug, sie zu porträtieren, war die Schriftstellerin entzückt. In den folgenden Monaten saß sie ihm im Bateau-Lavoir Modell (1906). Während sie gemalt wurde, schwatzte sie mit Fernande Olivier. Das Ergebnis überraschte, da der Maler das Gesicht wieder partiell entfernte, um ihm nach sechs Monaten das Erscheinungsbild einer Maske zu verleihen. Und Picasso rechtfertigte sich gegen den Vorwurf, dass die Abbildung der Abgebildeten nicht entsprechen würde, damit, dass das Bildnis Gertrude immer ähnlicher werden würde. Während der Sitzungen freundeten sich Gertrude Stein und Picasso miteinander an. Beide waren von der Qualität ihrer Arbeiten überzeugt – auch wenn sie noch niemand in der Öffentlichkeit wahrgenommen hatte.

Bei den Samstagabenden in der Rue de Fleurus begegnete Picasso amerikanischen Sammler:innen wie den Schwestern Claribel und Etta Cone, die mehrere Bilder kauften. Picassos „Hommage à Gertrude“ von 1909 zeigt seine Verehrung für die Autorin, ihr ästhetisches Empfinden und ihre Gastfreundschaft. Über ihr ästhetisches Urteil begannen sich die Geschwister Stein immer mehr zu zerstreiten. Leo tat den Kubismus als modischen Schnickschnack ab, während Gertrude ihn als revolutionäre Erneuerung der Malerei ansah. Für Leo Stein war das Gemälde „Demoiselles d’Avignon“ eine belanglose Spielerei, während Gertrude das Bild ernst nahm. Leo brach mit Picasso, Gertrude spätestens 1912 mit Leo, als sie das Wort-Porträt von Picasso in „Camera Work“ veröffentlichte. Im folgenden Jahr zog er aus der gemeinsamen Wohnung aus. Die Kunstsammlung wurde auseinandergerissen: Leo bekam die Renaissancemöbel und die Renoirs, Gertrude behielt die Picassos und jede:r einen Cézanne. Als Entschädigung für das Cézanne-Gemälde „Stillleben mit Äpfeln“, das Leo mitnahm, zeichnete Picasso einen Apfel für Gertrude.

Mit dem Sammelband „Zarte Knöpfe“ sowie der Erzählsammlung „Drei Leben“ erzielte Gertrude Stein eine gewisse Bekanntheit als Schriftstellerin. In den 1920ern war sie eine angesehene Schriftstellerin, und die Samstagabende wurden mehr und mehr zu Dichtertreffen. Mit dem Roman „The Making of Americans. Being The History of a Family’s Progress” sowie ihrem krypto-autobiografischen Roman “Die Autobiografie von Alice B. Toklas” wurden zu Bestsellern.

Im Frühjahr 1938 veröffentlichte Gertrude Stein den Essay „Picasso“ in Paris, im Herbst in London und im Frühjahr 1939 in den USA. Da Picasso sich bereits als bedeutendster Maler des 20. Jahrhunderts etablieren hatte können, war der Text ein großer Erfolg. Damit versuchte die Autorin Kreativität und Genie zu definieren. Niemand konnte so wie Stein die ästhetischen Experimente Picassos nachvollziehen, einen vereinfachten, geradezu naiven und dennoch abstrakten Stil zu entwickeln. Die Freundschaft zwischen den beiden blieb über Jahrzehnte bestehen, auch als Gertrude ihr Picasso-Gemälde verkaufte, um mit dem Erlös einen eigenen Verlag aufzubauen. Sogar als Picasso in den 1930er Jahren – als er sich in der Gruppe der Surrealisten bewegte und sich von seiner Ehefrau Olga getrennt hatte – zu schreiben begann, übte die Autorin harsche Kritik an seinen Texten.

Den Zweiten Weltkrieg überlebte Gertrude Stein in Südfrankreich. Nachdem sie wieder nach Paris zurückgekehrt war, gehörte Picasso zu ihren ersten Besuchern. Im Gegensatz zum spanischen Maler bezog Stein jedoch nie politische Position. Dennoch unterstützte sie die liberalen Ideale Amerikas, indem sie Lesungen in Kasernen abhielt und sich mit den Gis fotografieren ließ. Als Gertrude Stein im Juli 1946 in Paris starb, war sie bereits eine Klassikerin der literarischen Moderne geworden – und hatte Autoren wie Thornton Wilder und Ernest Hemingway, Carlos Williams und die Beat Generation maßgeblich beeinflusst.

Eva Gouel

Eva Gouel (1885–1915) war um 1910 in Paris eine Freundin von Fernande Olivier und die Lebensgefährtin von Louis Marcoussis. Sie hatte eine schwere Lungenerkrankung (vermutlich Lungentuberkulose, möglicherweise aber auch Lungenkrebs). Im Herbst 1911 wurde sie die Geliebte von Picasso. Eva Gouel war die einzige „häusliche Frau“ in Picassos Leben vor Jacqueline. Gouel lag etwas daran, dass Picasso die besten Arbeitsbedingungen vorfand. Da der Maler gerade kubistisch arbeitete, hielt er Eva Gouel nicht in einem Akt fest, so wie er es zuvor getan hatte und wie er es später wieder tun würde.

Als Eva Gouel im Herbst 1911 näher mit Picasso bekannt wurde, widmete er ihr das Bild „Femme à la cithare [Frau mit Zither]“. In dem Bild bringt Picasso die Figur, die Gegenstände und den sie umgebenden Raum mit den gleichen ausgeschnittenen Flächen und Grisaillen zum Ausdruck. Nur mehr aufgrund des Titels lässt sich das Instrument identifizieren. Mit „Ma Jolie [meine Schöne]“ und dem Titel eines Chanson von Fragson wies er verschlüsselt auf seine geheime Liebe hin.

Gemeinsam mit Eva floh Picasso aus Paris und ließ sich zuerst in Cèret und später in Sorgues nieder. Seine Gefühle verarbeitete er in einem fröhlichen Stillleben, in das er im Sommer 1912 „Jolie Eva [schöne Eva]“ wie die Überschrift einer Partitur in das kubistische Bild einer liegenden Geige. Anschließend malte er eine Gitarre, die er mit einer Collage aus einem 8heute verschwundenen) Lebkuchenherzen versah, auf dem der Schriftzug „J’aime Eva“ aus Zuckerguss geschrieben stand. Nachdem Braque die ersten Papiers collés (Collagen) entwickelt hatte, tat es ihm Picasso nach. „Femme nue, ‚J’aime Eva‘“ vom Herbst 1912 zeigt seine junge Gefährtin nackt mit dem Schriftzug „J’aime Eva“ auf Höhe ihres Geschlechts. Erst ein Jahr später arbeitete Picasso neuerlich an einem Bildnis Eva: „Femme en chemise dans un fauteuil [Frau im Hemd in einem Sessel]“, in dem er Matisse’s „Porträt de Madame Matisse“ verarbeitete. Studien belegen, wie intensiv sich Picasso mit den Formmöglichkeiten auseinandersetzte. Das finale Bild zeigt, dass er sich für die am weitesten konzeptionelle, geometrisch abstrakte Variante entschieden hat.

In einer Serie von Papiers Collés vom Winter 1913/14 wird Eva erneut besungen. Bereits im Frühjahr 1914 leitete der Maler davon erste klassizistisch angeregte Zeichnungen ab, wie Kahnweiler überlieferte. Der Kubismus wurde 1914 im Zuge des propagandistischen Nationalismus immer mehr als „boche [Deutsch, abwertend]“ angefeindet. In dieser Zeit überlegte, Picasso zum Naturalismus zurückzukehren und gestaltete „Le peintre et son modèle [Der Maler und sein Modell]“, die Radierung für den Umschlag von Max Jacobs Gedichtbandes „La défense de Tartuffe [Die Verteidigung Tartuffes]“ (1915). Das schönste Porträt von Eva ist jedoch „Portrait de jeune fille [Porträt eines jungen Mädchens]“. Hier bildete er die Papiers collés von 1914 als Trompe-l‘Œil nach. Die Erkrankung Evas brachte sie ins Krankenhaus von Auteuil, wo sie Picasso nahezu täglich besuchte. Am 14. Dezember 1915 starb Eva Gouel vermutlich an Krebs. Picasso zeichnete sie noch am Totenbett.

Gabrielle Depeyre

Gabrielle Depeyre (auch Gaby Lespinasse, 1888–1970) stand Picasso für eine Gruppe von Werken Modell, die er bis zu ihrem Tod geheim hielt. Den wenigen überlieferten Informationen nach war Gaby aus „gutem Hause“ und hatte ein wenig Privatvermögen. Sie war 1915 mit dem Dichter und Graveur Herbert Lesinasse eng befreundet. Sie lebte in einer Wohnung im obersten Stick des Hauses Boulevard Edgar Quinet 1 (Ecke Boulevard Raspail), während Picasso Atelier und Wohnung in der Rue Schoelcher 5bis, einer Seitenstraße des Boulevard Raspail, hatte. Ihren Unterhalt könnte sie sich als Tänzerin und Sängerin in einem Cabaret des Montparnasse verdient haben.

Wann und wo sich Picasso und Gabrielle Depeyre zum ersten Mal trafen, ist nicht bekannt. Sicher ist, dass der Maler bereits gegen Mitte 1915 mit ihr eine Affäre begonnen hat. Das Aussehen Gabys ist vor allem durch naturalistische Zeichnungen Picassos überliefert. Er entwickelte eine geradezu obsessive Liebe zu Gaby, die in einem Heiratsantrag nach Evas Tod gipfelte.

Im Spätsommer oder Herbst 1915 reisten Gaby und Picasso nach Saint-Tropez, vermutlich in das Haus von Herbert Lespinasse. Die Reise wurde geheim gehalten, um Eva nicht zu kränken. Das Fischerdorf war noch völlig unbekannt, und Lespinasse besaß ein kleines Haus an der Baie des Canoubiers, das er Künstlerin und ihren Frauen bzw. Freundinnen zur Verfügung stellte, damit diese ein „natürliches“ Leben am Mittelmeerstrand genießen konnten.

Gabrielle Depeyre zog die Leichtigkeit an der Seite von Lespinasse der besitzergreifenden Liebe Picassos vor. Das Paar heiratete am 23. April 1917. Über ihr weiteres Leben ist praktisch nichts bekannt. Picasso und seine Freunde tilgten sie aus seinen bzw. ihren Erinnerungen. Die beiden trafen einander um 1968 ein einziges Mal wieder. Picasso kam in Begleitung von Jacqueline. Douglas Cooper erwarb nach dem Tod von Gaby und Herbert Lespinasse die kleine Sammlung, darunter das Gemälde „Pivoine [Päonien]“ von 1901.

Irène Lagut

Irène Lagut (3.1.1893–4.8.1994) wurde von Picasso nicht so sehr versteckt wie Gabrielle, kannte doch Gertrude Stein das Modell als Begleiterin des Malers. Bereits in jungen Jahren muss Irène sexuellen Missbrauch erlebt haben. Sie wurde in einem kleinen Dorf nahe Maisons-Lafitte, 18 Kilometer nordwestlich von Paris, geboren. Nach ihrem Schulabschluss musste die 15-jährige in der Post mitarbeiten. Der Dorfdoktor verführte sie und brachte das Mädchen nach Paris. Hier wurde er von der Anklage der Verführung Minderjähriger freigesprochen, da Irène nicht gegen ihn aussagte. In der Folge wurde Irène an einen älteren russischen Adeligen verkuppelt, der sie mit nach Sankt Petersburg nahm. Als Irène im Jahr 1913 an Typhus erkrankte, schickte er sie nach Paris zurück.

In Paris wurde Irène die Gefährtin von Ardegno Soffici und dann Serge Férat. Der Picasso-Forscher Richardson beschrieb sie als die „neue Frau“: leichtsinnig, unbekümmert, klassenlos und ohne Moral. Irène wird als spritzige Person und besessene Tänzerin beschrieben. Sie ging gerne ins Bal Bullier, wo sie Picassos Freunde kennenlernte, die von ihr hingerissen waren. Die Affäre mit Picasso begann wohl im Frühjahr 1916. Nach dem Tod von Eva und der Abfuhr von Gaby war Picasso besessen davon, Irène zu heiraten. Dafür umschmeichelte er sie und lobte ihre Malerei. Zudem brachte er Irène dazu, die Academy Julian zu verlassen, um von ihm persönlich unterrichtet zu werden. Im Salon d’Antin hingen ihre Bilder neben seinen (Juli 1916). Immerhin stellte Picasso damals die „Demoiselles d’Avignon“ zum ersten Mal der Öffentlichkeit vor.

Als der Mietvertrag in der Rue Schoelcher 5 auslief, zog Picasso in das Schlösschen Montrouge in der Rue Victor Hugo 22 vor den Toren von Paris. Im August dürfte er sich mit Apollinaire verabredet haben, Irène dorthin zu entführen. Dort schloss sie Picasso ein. Irène entkam durch ein Fenster und flüchtete sich zu Serge. Danach versuchte Picasso seine Angebetete mit einer Aktaufnahme zu erpressen. Guillaume verarbeitete diese „Episode“ mit den handelnden Personen zum Roman „La Femme Assise [Die sitzende Frau]“ (Manuskript 1917 im Beisein von Irène, Serge und Max Jacob abschließend bearbeitet).

Trotz dieses Erlebnisses nahm Irène die Affäre mit Picasso im Herbst 1916 wieder auf. Die Beziehung dürfte allerdings nicht glücklich gewesen sein, wie Irène selbst beschreibt:

„Wir sahen praktisch niemanden. Da war der Hund, die Katze, der Vogel […]. Klar, wir hatten Leute bei uns […], Max [Jacob] kam zu uns zum Essen, Cocteau kam zu uns zum Essen, weil wir vor der Hochzeit standen […], nein besser, weil Picasso beschlossen hatte, mich zu heiraten. Ich war von dieser Idee überhaupt nicht überzeugt. Es war die Zeit, da er an der Bühnendekoration für ‚Parade‘ arbeitete […]. Nach der Hochzeit (die Trauzeugen sollten Apollinaire und Cocteau sein), war vorgesehen, nach Rom zu gehen. Stattdessen entfloh ich. Ich ging zu Serge zurück.“7

Picasso zeichnete Irène als Frau im Lehnstuhl, mal mit Katze, mal mit Schoßhund. Das unterscheidet ihre Bildnisse von allen anderen aus den Jahren zwischen 1913 und 1917. Außerdem hielt der Maler sie so auch in seinem Carnet Nr. 59 fest. Vielleicht malte sie Picasso noch einmal im Frühjahr 1923 in dem berühmten Gemälde „Les Amoureux [Das Liebespaar]“, zumindest nach Irénes eigener Aussage. Einige ihrer eigenen Bilder befinden sich in der Sammlung von Albert C. Barnes (heute: Barnes Collection, Philadelphia). Auch nach Dora Maar soll sie noch Kontakt mit Picasso Kontakt gehabt haben.

Eugenia Errazuriz

Eugenia Errazuriz (15.9.1860–1952) wurde als Eugenia Huici in der Nähe von Santiago de Chile in eine großbürgerliche Familie geboren, die mir Silberminen reich geworden war. Nach einer Ausbildung in einem englischen Nonnenkloster besuchte Errazuiz ein katholisches College in England. Im Alter von 20 Jahren heiratete sie den Chilenen José-Tomas Errazuriz und übersiedelte 1880 nach Paris. Ab 1900 lebte das Paar 14 Jahre lang in London, wo sie Werke von Paul Cézanne und 1912 die erste Picasso-Ausstellung stahen. 1913 starb Tomas Errazuriz in der Schweiz an Tuberkulose.

Die verwitwete Eugenia Errazuriz zog mit ihren drei Kindern nach Paris und unterstützte Künstler. Zu den von ihr geförderten Kreativen gehörten Serge Diaghilew mit den Balletts Russes, die Tänzer Nijinski und Serge Lifar. Über Diaghilew lernte Errazuriz Picasso und Strawinsky kennen. Sie besuchte den zurückgezogen in Montrouge lebenden Maler gelegentlich. Madame Errazuriz führte Picasso in die bessere Pariser Gesellschaft ein. Sie soll die erste Person gewesen sein, die ein kubistisches Bild über einem antiken Möbelstück aufhängte. 1924 erwarb sie die Villa La Momoseraie in Biarritz, wo es nur weiße Wände und Gemälde von Picasso gab. Die einzige Ausnahme war das blaue Zimmer, das Picasso zur Überraschung seiner Gastgeberin 1918 mit dunkelblauer Tinte ausmalte. Eugenia Errazuriz hatte Picasso und Olga Khokhlowa eingeladen, letztere eine Ballerina. Obwohl sich Olga wegen einer Beinverletzung kaum bewegen konnte, kam das Paar am 30. Juli 1918 in Biarritz an. Für Picasso wurde ein Atelier eingerichtet, so dass er ungestört arbeiten konnte. Am Strand sah der Maler erstmals die neuen Badeanzüge ohne Ärmel und mit Beinen, die nur bis zum Knie reichten. Das wählte er als neues Bildmotiv. Zur selben Zeit entstanden Porträts von Eugenia, die an die Kunst Ingres‘ erinnern.

Anfang des Zweiten Weltkriegs geriet Eugenia Errazuriz in finanzielle Schieflage und musste sich sukzessive von ihrem Besitz trennen. Mit 81 Jahren verkaufte sie noch ihr letztes Picasso-Gemälde. Errazuriz starb 1952 in Chole, wo sie noch in hohem Alter Kontakt mit Le Corbusier aufgenommen hatte, der ihr ein Sommerhaus am Pazifik bauen sollte.

Kaiserin Eugénie

Olga Picasso

Picassos erste Frau: Olga Picasso

Olga Picasso (1891) wurde als Olga Khokhlova 1891 als Tochter eines ukrainischen Oberst geboren. Die Geschichte von Pablo und Olga begann im Herbst 1915, als Edgar Varèse dem Maler Jean Cocteau vorstellte. Daraufhin lud Cocteau Picasso ein, Bühnendekoration und Kostüme für ein Ballett zu entwerfen. Die Musik kam von Erik Satie und die Choreografie von Sergej Diaghilews Ballets Russes. Im Februar 1917 fuhr Picasso mit Cocteau nach Rom, um an „Parade“ zu arbeiten. Im Rahmen dieses Engagements lernte Picasso Igor Strawinsky, Léon Bakst, Ernest Ansermet, Léonide Massine kennen. Mitte März schrieb er in einem Brief an Guillaume erstmals von der Tänzerin Olga Khokhlova, die zehn Jahre jünger als er im Jahr 1912 zu Diaghilews Ensemble gestoßen war.

Am 18. Mai 1917 wurde das Stück „Parade“ im Théâtre du Châtelet aufgeführt, danach in Barcelona. Picasso folgte dem Ensemble. Er zeichnete Olga auf dem Balkon der Pension Ranzini und hat sie dafür äußerst einfühlsam beobachtet. Picasso porträtierte Olga während ihrer Verlobungszeit in der spanischen Tracht mit Mantille und kurz darauf als elegante Französin in der Art von Ingres.

Am 12. Juli 1918 fand die standesamtliche Trauung im Bezirksamt des VII. Pariser Arrondissements und anschließend die kirchliche Trauung in der russischen Kirche in der Rue Daru statt. Trauzeugen waren Guillaume Apollinaire, der glücklich darüber war, dass das „plagende Junggesellendasein“ Picassos damit ein Ende fand, Max Jacob und Jean Cocteau. Cocteau verglich die Zeremonie mit einer Aufführung von Boris Godunow, „eine echte Hochzeitsfeier mit Riten und mystischen Gesängen“.

Picasso und Olga trennten sich 1935. Auf ihre religiösen Gefühle Rücksicht nehmend und die wirtschaftliche Lage im Blick habend, ließ er sich jedoch nicht von ihr scheiden.

Sara Murphy

Sara Murphy (1883–1975) und Picasso lernten einander 1922 in Paris kennen. Sie war die Tochter eines amerikanischen Industriellen und Millionärs, beherrschte drei Sprachen und weltgewandt. Gemeinsam mit ihrem Mann Gerald, einem aufstrebenden Maler, wurde Sara Vorbild für unzählige Protagonistinnen amerikanischer Bücher der „lost generation“. Gerald Murphy (26.3.1888–17.10.1964) hatte kurz zuvor in der Auslage von Daniel Kahnweilers Galerie kubistische Gemälde gesehen und beschlossen, Maler werden zu wollen. Er nahm Stunden bei der russischen Emigrantin Natalja Gontscharowa. Er malte nur 14 Bilder, davon haben nur sieben die Zeit überdauert – und dennoch urteilte Fernand Léger ihn als „der einzige amerikanische Maler in Paris“.

Sara Murphy war eine originelle und einfallsreiche Gastgeberin, die große Parties für Diaghilwes Ensemble schmiss. So lud sie die ganze Truppe in eine halbrenovierte Wohnung zum Essen an Tapeziertischen ein oder mietete einen Seine-Lastkahn für einen Event.

Picasso lernte Sara Murphy kennen, als sie gemeinsam mit Gerald in einem Atelier im baufälligen Belleville-Viertel von Paris Kulissen für Diaghilew malte. Die Murpheys hatte bereits mit seiner Kunst Kontakt gehabt. Von den ihnen bekannten Gesellschaftsmalern William Merrit Chase oder John Singer Sargent hob sich Picassos Ausstrahlung deutlich ab. Gerald beschrieb den Spanier als „dunkle, starke, körperliche Persönlichkeit, die mich immer an Goyas Stiere erinnerte“.8

1922 oder 1923 begann Picasso, „transformierte Versionen“ von Sara zu malen und zu zeichnen.9 Die Mutter und Kind-Darstellungen von 1922 können sowohl als Bilder von Olga und Paulo oder Sara mit einem ihrer drei Kinder, vermutlich der dreijährige Baoth Murphy, interpretiert werden. Im Sommer 1923 fuhren die Murphys nach Antibes an der Côte d’Azur. Dort mieteten sie das fast leere Hôtel du Cap (Antibes war ein Winterferienort!). am Strand von La Garoupe trafen sie Picasso, Olga, Paulo und Picassos Mutter Senñora Ruiz. Weiters gesellte sich noch der Comte Étienne de Beaumont zu ihnen. In dieser Zeit widmete sich Picasso einer Reihe von Zeichnungen und Ölgemälden von einer blonden Frau mit Mandelaugan, ausgeführt in der klassischen Manier griechischer Vasenmalerei. In drei der Ölgemälde ist die Farbe mit Sand gemischt. Das Hauptwerk dieser neoklassischen Phase ist „Femme en blanc [Frau in Weiß]“, die ein identisches Kleid trägt wie Sara auf einem am Strand von La Garoupe aufgenommenen Foto. Wie sehr Picasso beim Malen an Sara dachte, ist umstritten. Vermutlich war der Maler aber in die kultivierte und offenherzig direkte Amerikanerin verliebt. Das Gemälde „La flûte du Pan [Panflöte]“ wurde vom Maler Ende des Sommers übermalt, so dass nur noch die beiden Männer an der Küste übrigbleiben und die Venus samt Cupido entfernt ist. Dies dürfte ein Hinweis darauf sein, dass Sara Picasso abgewiesen und „nur“ seine Muse gewesen ist.

Marie-Thérèse Walter

Marie-Thérèse Walter (1909–1977) und Picasso trafen einander zum ersten Mal im Winter 1926/27. Sie würde die inspirierende Muse werden, deren Gestalt über Jahre hinweg in Picassos Werk immer wieder auftaucht (bis 1935). MTW selbst gab an, den Maler am Samstag, den 8. Januar 1927, in der Nähe der Galeries Lafayette getroffen zu haben; sie war zu diesem Zeitpunkt siebzehneinhalb Jahre alt, hatte ein rundliches Gesicht und kurze Haare.

Picasso malte Marie-Thérèse Walter ab 1927 in Porträts. Er hatte in den zwei Jahren zuvor an den ästhetischen Lösungen gearbeitet, die nun vollends zum Tragen kamen. Dennoch bedeutete die Begegnung mit ihr eine Wende in seinem malerischen und skulpturalen Werk. Er entdeckte sie gleichsam auf der Straße als sein gesuchtes, erträumtes Modell.

1935 brachte Marie-Therese Walter die gemeinsame Tochter Maya zur Welt.

Nusch Éluard

Nusch Éluard, geborene Maria Benz (1906–1946), wurde in vier Jahren acht Mal von Picasso porträtiert. Damit sicherte sich die Ehefrau von Paul Éluard einen Platz im Pantheon von Picassos Frauen. Nusch war die Tochter eines Gauklers und arbeitete als Schauspielerin an deutschen Theatern. Da sie keinen Erfolg hatte, war sie gezwungen in zweifelhaften Varietés zu arbeiten und für Postkarten zu posieren. Außerdem trat sie unter dem Pseudonym Maja Benaro während der Vorführpausen in Kinos als Pantomimin auf.

Die Begegnung mit dem surrealistischen Dichter Paul Éluard (Eugène Grindel, 1895–1952) am 21. Mai 1930 war rein zufällig. Éluard suchte mit René Char eine amour fou. Sie luden eine junge Frau in ein Café ein, wo sie einen ganzen Korb Croissants verschlang. Die 23-jährige Nusch war arbeits- und mittellos. Éluard lud sie daraufhin in seine Wohnung in der Rue Becquerel ein, wo sie bis 1946 blieb – Gala hatte sich gerade von ihm getrennt und war bei Salvador Dalí geblieben. Die sanfte Nusch stellte im Vergleich zur „russischen Sirene“ keinerlei Ansprüche. Im Sommer 1930 besuchten Éluard und Nusch Gala und Dalì in Cadaquès. Obschon Éluard Nusch am 24. August 1934 heiratete, war er noch immer in Gala verliebt.

Éluard kannte Picasso seit vielen Jahren. Zwischen 1921 und 1923 hatte er bei den Auktionen der Sammlungen von Wilhelm Uhde und Daniel-Henry Kahnweiler Arbeiten von ihm erworben. Erst im Jahr 1933 begann ihre engere Freundschaft, als sie an der ersten Ausgabe der surrealistischen Zeitschrift „Minotaure“ arbeiteten (→ Surrealismus). Picasso hatte gerade einen Lebens- und Schaffenskrise hinter sich. Kurz vor der Trennung von Olga hielt er sich im Umfeld der Surrealisten auf, malte wenig und beschäftigte sich mit automatischem Schreiben. Zu Picassos und Éluards Gruppe gehörten noch René Char, der Schriftsteller Georges Bataille, der Schriftsteller und Maler Roland Penrose sowie Man Ray. Im Januar 1936 machte Éluard Picasso auf der Pressevorführung von Jean Renoirs Film „Le crime de Monsieur Lange“ mit der aufstrebenden Fotografin Dora Maar bekannt.

Vor allem die gemeinsame Sommeraufenthalte im südfranzösischen Mougins von 1936 bis 1938 bedeuteten dem Maler viel. Er erholte sich mit seinen Freunden Christian Zervos und dessen Frau, Roland Penrose mit seiner zukünftigen Frau Lee Miller, Man Ray und seiner Freundin Adrienne Fidelin, René Char, Picassos Galerist Paul Rosenberg kamen auf Besuch. Im Sommer 1937 wurde Picasso von Dora Maar begleitet. Sie mieteten sich das einzige Balkonzimmer der Pension, und Picasso malte kleine Landschaften und Porträts, überwiegend von Dora Maar, aber auch von Éluard, Nusch (Sammlung Berggruen) und Lee Miller.

Im Herbst 1937 malte Picasso ein eindrucksvolles Porträt von Nusch in Paris. Sie hatte sich ein neues schwarzes Kleid und einen Hut gekauft. Auf dem Revers waren zwei vergoldete Cherubim zu sehen, und der Hut war mit einem Hufeisen verziert. Nachdem Nusch gegangen war, malte Picasso den Sockel des Ambosses als durchsichtigen Schatten senkrecht über das Oval ihres Gesichts. Die Cherubim sind auf dem Revers zu sehen, und ihr dunkles Haar umgibt ihren Kopf mit der Bewegung von Wolken.10

Das letzte Porträt von Nusch entstand am 19. August 1941 und zeigt sein Modell ohne Verzerrung. Die damals 35-jährige wird von Picasso als fast körperloser Akt gezeigt, was vermutlich an ihre Zeit im Zirkus erinnern soll. Das Bild wird Nuschs elfenhaftes Wesen gerecht. Eine Fotografie Brassais zeigt Éluard 1945 vor dem Bild. Zwei Jahre später schenkte er dem Musée d’Art Moderne in Paris. Nusch war am 28. November 1946 verstorben.

„Aber seit meinem letzten Besuch dominieren jetzt die Picassos die Wände. Darunter ist ein Porträt von Nusch vom August 1941, ein Meisterwerk. Picasso hat dieses ätherische Geschöpf mit aller Sanftheit, aller Zärtlichkeit gemalt, derer sein Pinsel fähig ist, als wollte er alles Schreckliche beiseite schieben und sich in der Anmut ausruhen.“11

Die acht Ölgemälde und einige Zeichnungen, die Picasso zwischen 1937 und 1941 von Nusch angefertigt hat, gelten als Freundschaftsbeweis. Francois Gilot glaubt jedoch an eine „vage Affäre“ zwischen den beiden (vermutlich 1936). Aufgrund einer Schlaflosigkeit begann Nusch in dieser Zeit Collagen anzufertigen. Es gibt nicht mehr als sechs dieser Werke. Alle Arbeiten zeigen weibliche Akte, allein oder in Paaren und üppiger als Nusch selbst gebaut. Die Situationen sind surreal, gelegentlich angespannt.

Lee Miller

Lee Miller

Dora Maar

Dora Maar (11.11.1907–16.7.1997) wurde als Theodora Markovic 1907 geboren und überlebte Picasso um 24 Jahre. Sie starb ohne Familie, weshalb zwei greise Cousinen fünften Grades, die nichts von ihr wussten, das Erbe von ca. 200 Millionen Francs zufiel.

Die gebürtige Pariserin verließ mit ihrer Familie im Alter von drei Jahren ihre Heimat, da ihr Vater ein jugoslawischer Architekt, in Argentinien tätig wurde. Bei ihrer Heimkehr sprach Dora Maar fließend Spanisch und machte ihre Matura im Molière-Gymnasium im schicken 16. Arrondissement. Danach ließ sich Dora Maar als Fotografin und Malerin an der Akademie von André Lhôte ausbilden. Einer ihrer Mitschüler war Henri Cartier-Bresson. Wie ihr Kollege zog es auch Maar zur Straßenfotografie. Ab der Weltwirtschaftskrise engagierte sich Dora Maar politisch und traf Georges Bataille in einer linksextremen Gruppierung. Freunde erinnern sich an eine eigenwillige, stolze Frau von bestechender Intelligenz. Rasch stellte sie Kontakte zu André Breton, Yves Tanguy und vor alle Paul Éluard her, stellte sie für die Künstler doch das Ideal der surrealistischen Muse dar. Man Rays und Brassai inszenierten sie als distanzierte, selbstbewusste und sinnliche Frau. Ihre eigenen Fotografien wurden auf zwei Surrealismus-Ausstellungen präsentiert, darunter „Père Ubu“ 1936 neben einem Objekt von Picasso.

Im Januar 1936 machte Éluard Picasso auf der Pressevorführung von Jean Renoirs Film „Le crime de Monsieur Lange“ mit der aufstrebenden Fotografin Dora Maar bekannt. Daraufhin trafen sie einander im Café „Les Deux Magots“. Kurz zuvor hatte sich der Maler von seiner Ehefrau getrennt; die illustre Welt der Ballerina hatte nach Kriegsausbruch in seiner Heimat einen schalen Beigeschmack bekommen. In Dora Maar fand er eine intellektuelle, künstlerisch tätige Gefährtin, die Spanisch sprach und sich für die politische Lage interessierte. Und doch machte Picasso Dora Maar als „weinende Frau“ weltberühmt. Er übersäte ihre Porträts mit Ecken und Kanten und brachte sie in schrillen oder sehr dunklen Tönen auf die Leinwand. Die um 26 Jahre jüngere Dora wurde von Picasso auf eine Art entstellt, wie es sonst keine seiner Freundinnen ertragen musste. Jahre später vertraute Picasso dem Schriftsteller André Malraux an:

„Ein Maler muss schaffen, was er spürt. Aber – Achtung! Spüren, spüren, das sagt sich so leicht. Es bedeutet nicht: so zu sehen! Für mich ist Dora immer eine weinende Frau gewesen. Gut. Eines Tages konnte ich sie schaffen. Ich konnte sie schaffen. Das ist alles. Das ist wichtig, weil Frauen Leidensmaschinen sind. Wie bei ‚Guernica‘. Gar nicht so lange nach ‚Guernica‘. Man darf nicht zu genau wissen, was man macht.“

Als Geliebte und Muse von Picasso änderte Dora Maar ihre künstlerische Haltung völlig. Sie gab die surrealistische Kunstfotografie auf, um Malerin zu werden. Zudem war sie als seine Hoffotografin tätig und machte mit der Dokumentation seines Werkes ihrem berühmten Kollegen Brassai den Platz streitig. Ihr verdankt die Welt die Aufnahmen vom Entstehungsprozess von „Guernica“. Die kritische Dora Maar bot Picasso die Stirn, und dennoch ließ sie sich von ihm zur Passivität verdammen.

Am 22. November 1943 malte Picasso das letzte Porträt von Dora Maar. Im selben Monat trat die 40 Jahre jüngere Francois Gilot in sein Leben. Der Bruch mit Dora war schleichend, löste jedoch einen Nervenzusammenbruch bei der Künstlerin aus. 1945 löste sich die Beziehung endgültig.

Inès Sassier

Françoise Gilot

„Pablo und ich hatten eine Ausstellung von Dora Maars Bildern in der Galerie Loeb besucht und gingen gerade in die Rue de Seine hinunter, als eine kleine, rothaarige Frau mittleren Alters mit einem schmalen, verkniffenen Mund auf uns zukam. Es war Olga. Pablo stellte mich ihr vor. Als sie uns entgegenging, war mir aufgefallen, dass sie mir kleinen steifen Schritten ging, wie ein Zirkuspony. Ihr faltiges Gesicht war mit Sommersprossen übersät, und ihre hellen, grünlichgrauen Augen flogen überall hin, wenn sie sprach, sahen einen aber niemals direkt an. Alles, was sie sagte, wiederholte sie wie eine zersprungene Schallplatte, und wenn sie aufhörte, um Atem zu holen, stelle man fest, dass sie eigentlich gar nichts gesagt hatte.“12

Von den vielen Frauen, mit denen Picasso für längere Zeit zusammenlebte, war Françoise Gilot die einzige, die ihm psychisch und physisch überlebt hat. Sie wurde die Mutter von Paloma und Claude Picasso und war die einzige, die sich bewusst von dem Maler trennte.

Françoise Gilot wurde am 26. November 1921 in Neuilly bei Paris als einziges Kind eines erfolgreichen Kaufmanns geboren und starb 2023. Sie studierte auf Wunsch ihres Vaters Jura, daneben ließ sie sich heimlich zur Malerin ausbildung. Im Alter von 21 Jahren (1941) brach sie das Jus-Studium ab, brach mit dem Vater und tauchte in die Pariser Kunstszene ein. In der ersten Hälfte der 1940er Jahre lernte Gilot die Kunst Picassos über den ungarischen Maler Endre Rozsda kennen und im Mai 1943 Picasso persönlich im Restaurant El Katalan. Das Paar verbrachte zehn Jahre miteinander. Doch erst drei Jahre nach ihrer ersten Begegnung zog Françoise Gilot in die Rue des Grands Augustins, zwischen sahen sie einander sporadisch.

Neben Dora Maar verstand Françoise Gilot die Kunst Picassos am besten. Zudem dürfte sie für ihn ein Jungbrunnen nach den entbehrungsreichen und schwierigen Jahren des Zweiten Weltkriegs gewesen sein. Anfangs „jonglierte“ Picasso seine drei Frauen Dora Maar, Marie-Therese Walter und Françoise Gilot. Doch am 15. Mai 1947 wurde Claude und am 19. April 1949 Paloma geboren. Neben ihren Tätigkeiten beschäftigte sich Françoise jedoch weiterhin als Künstlerin und erhielt 1949 einen Vertrag von Kahnteiler, der ihr zum ersten Mal eine finanzielle Unabhängigkeit sicherte.

Am 30. September 1953 verließ Françoise Gilot Picasso. Sie nahm die beiden Kinder mit sich. Dies hat ihr Picasso nie verziehen. In Vallauris, wo Picasso weiterhin wohnhaft blieb, kümmerte sich Jacqueline Roque um den Künstler, während Gilot nach Paris zurückkehrte. 1955 heiratete sie Luc Simon, einen Maler, mit dem sie 1956 die Tochter Aurelia hatte. Picasso begann eine Kampagne gegen seine ehemalige Gefährtin, weshalb Kahnweiler 1956 den Vertrag mit Gilot kündigte. Eine Serie unschöner Prozesse endete 1961 mit der Anerkennung von Claude und Paloma durch ihren Vater. Gilots Buch „Leben mit Picasso“, verfasst mit dem Kunstkritiker Carlton Lake, erschien 1964 in New York und wurde sofort ein Bestseller. Picasso wollte eine französische Ausgabe verhindern, doch 1965 verlor er alle Prozesse dazu. Der Anruf, um ihr zum Sieg in ihrem Kampf zu gratulieren, war das letzte Gespräch zwischen den beiden.

In „Les Peintres [Die Maler]“ reflektierte Françoise Gilot ihre Position inmitten der berühmten Maler ihrer Zeit. Picasso steht mit zwei Malerfreunden dominant im Bildzentrum, während sie sich selbst am Bildrand wiedergibt. Das Gemälde zeigt den Einfluss Picassos auf die junge Malerin; ihr eigenes Porträt ähnelt jenen von ihm. In den folgenden Jahren arbeitete Gilot kontinuierlich an ihrer ästhetischen Bildsprache und entdeckte, dass sie eine Koloristin ist. Sie führte Abstraktion und Figuration zu einer Synthese, die von den Farben lebt.

Hélène Parmelin

Florence Loeb

Angela Rosengart

Madame X

Nicolasa Arias

Sylvette David

Jacqueline Picasso

Jacqueline Picasso (1927–1986) wurde als Jacqueline Roque geboren. Sie trat im Sommer 1952 in Picassos Leben. Ab Sommer 1954 malte sie Picasso immer wieder, so dass sie schließlich sein am häufigsten dargestelltes Modell wurde. Jacqueline lebte über 20 Jahre mit dem 45 Jahre älteren Maler zusammen und war die letzten zwölf Jahre seine zweite Ehefrau.

Die Hochzeit fand am 2. März 1961 in Vallauris statt, wo sie einander auch in der Töpferei Madoura kennengelernt hatten. Picasso richtete sich dort ein Keramik-Atelier ein, und Jacqueline arbeitete erst kürzlich als Verkäuferin dort. Jacqueline ist die Muse im Spätwerk des Malers, der nun das Thema Maler und Modell variantenreich durchspielt. Expressiv, explosionsartig, archetpyisch wird die wilde Malerei Picassos der 1960er und 1970er Jahre beschrieben. Der Künstler fühlte sich unter Zeitdruck und arbeitete wie besessen. Er malte Jacqueline als Arlesierin, in Anlehnung an Eugène Delacroix‘ „Frauen von Algier“. Jacqueline identifizierte sich völlig mit dem Mann und dem Künstler Picasso.Nach seinem Tod war sie die streitbare Verfechterin seines Andenkens.

Am Abend vor ihrem tragischen Selbstmord rief sie die beiden Töpfer Dominique Sassi und Francis Milici zu sich. Sie beiden hatten über Jahre hinweg für Picasso gearbeitet. Jacqueline verabschiedete sich von ihnen, indem sie beiden keramische Unikate Picassos schenkte.

  1. Picasso in einem Gespräch mit Hélène Parmelin.
  2. Die katalanische Redewendung „Quatre gats [vier Kater]“ bedeutet „ein paar Verrückte“ oder „ein paar Außenseiter“.
  3. s.v. Jeanne, in: Daix 1995, S. 100.
  4. Siehe Daix 1977, S. 69.
  5. LeRoy C. Breunig, Guillaume Apollinaire, Chronique d’Art, S. 265.
  6. Fernande Olivier, 1988, S. 191.
  7. Brief von Irène Lagut an Soffici, 15.9.1916, zit. n. Richardson 1996, S. 401.
  8. 4
  9. William Rubin, 6
  10. Siehe 27
  11. Brassai 31
  12. 1 Olga