Pablo Picasso, Akt auf rotem Grund, Detail, Paris 1906, Öl/Lw, 81 x 54 cm (Musée de l‘Orangerie)
Gegen Ende 1904 belebte Pablo Picasso seine Farbskala nach der Blauen Periode wieder, dennoch blieb etwas von der melancholischen Stimmung in den Gemälden erhalten (→ Pablo Picasso: Blaue Periode). Seine Modelle fand Picasso nun in der Welt der Gaukler, der Harlekine und Seiltänzer, französisch „Saltimbanques“. Zirkusmotive zeigte er häufig vor rosafarbenem Hintergrund und die Hautfarbe der Akte in Spanien (Gosol) im Sommer 1906, weshalb diese Phase als die Rosa Periode bezeichnet wird. Wichtigste Werke der Rosa Periode sind „Frau mit Krähe“ (1904) und „Die Gauklerfamilie [Les Saltimbanques]“ (1905).
Frankreich / Paris: Musée d’Orsay
18.9.2018 – 6.1.2019
Schweiz / Riehen b. Basel: Fondation Beyeler
Februar – Juni 2019
Vor allem ab 1905 scheint Pablo Picasso seine Melancholie überwunden zu haben, und es beginnen rosa Töne in seinen Werken vorzuherrschen. Sein Gemälde „Junge mit Pfeife“ aus dem Jahr 1905 bildet den Übergang. Vor einer dunkelrosa gefärbten und mit Blumen geschmückten Wand sitzt ein junger Arbeiter, in blaues Leinen gekleidet, der eine Pfeife in der Hand hält und mit einem Blütenkranz im Haar geschmückt ist. Picasso fügt in diesem Motiv Rosa und Blau zusammen. Im Vergleich zur Blauen Periode gibt es nur noch wenig Melancholie in seinen Werken dieser Periode, das Blau weicht in den Hintergrund. Besonders Gaukler, Seiltänzer und Harlekins, traurige Spaßmacher aus der Commedia dell‘arte, zählen zu seinen Bildmotiven. Selten sind sie bei der Arbeit zu bewundern, nie machen sie Späße oder lachen gar. Stattdessen zeigt der Maler das triste Leben der mageren Gestalten und Reisenden, deren Beruf nicht für den Unterhalt reicht. Hierin mag man erkennen, dass für Pablo Picasso der Gaukler ein Alter Ego darstellt, der seine eigenen prekären Lebensumstände, seine häufigen Wohnungswechsel, seine fehlende Zugehörigkeit widerspiegelt.
Im Herbst 1905 schuf Pablo Picasso „Die Gauklerfamilie [Les Saltimbanques]“, das als das Hauptwerk der Rosa Periode gilt. Der Maler hatte im Herbstsalon die „Alten Musiker“ von Edouard Manet sowie „Türkisches Bad“ von Ingres gesehen; der Klassizismus Ingres' inspirierte ihn und seine Freunde am Montmartre.Zu Picassos neuen Freunden zählten die Schriftsteller Max Jacob, Guillaume Apollinaire und André Salmon, der Symbolist Jean Moréas, wie auch der Bühnenautor Alfred Jarry. Damit entwuchs Picasso dem Zirkel der emigrierten Spanier in Paris und integrierte sich immer mehr in die Pariser Avantgardeszene, schlussendlich wurde er eine ihrer wichtigsten Persönlichkeiten.
„Die Gauklerfamilie [Les Saltimbanques]“ zeigt sechs Mitglieder der Gauklerfamilie in der kargen, sandigen Landschaft. Sie stehen oder sitzen, der in ein rotes, enges Trikot gezwängte Possenreißer – nach einer betitelten Zeichnung von 1905 als „El tio Pepe“ bezeichnet – scheint zu sprechen, und doch wirken seine Worte nicht. Dem 212,8 mal 229,6 Zentimeter großen Bild ging eine Reihe von Vorzeichnungen voraus, in denen das Familienleben, die Übungsstunden, überhaupt Dynamik die Kompositionen mitprägen. Eine der wenigen Vergnügungen, die sich Picasso und seine Freunde in diesen frühen Jahren vor ihrem Erfolg überhaupt leisten konnten, gehörte der wöchentliche Besuch des Cirque Médrano, ehemals Cirque Fernando. Vor Picasso fanden bereits Edgar Degas, Pierre-Auguste Renoir und Henri de Toulouse-Lautrec hier Inspiration, nach dem Spanier kamen auch noch Van Dongen, Marc Chagall und Léger. Die Künstler fanden sich unter den Artisten, Schaustellern und Tieren gut aufgehoben, sodass Picasso sie zu den Protagonisten seiner Bilder machte. Daher wird die erste Phase der Rosa Periode auch Zirkus Phase genannt.
1915 inspirierte dieses Gemälde Rainer-Maria Rilke zur „Fünften Duineser Elegie“. Der Schriftsteller wohnte vier Monate lang im Haus von Hertha von Koenig in München, der das Gemälde gehörte. Er bezeichnete sich selbst als den „Wächter“ des Hauptwerks der Rosa Periode. Das 1922 vollendete Gedicht trägt „Saltimbanques“ im Untertitel und zählt zu den herausragenden Beiträgen der Lyrik des frühen 20. Jahrhunderts.
Noch im Herbst 1905 entstand „Junges Mädchen mit Blumenkorb [Fillette à la corbeille fleurie]“, in dem er seinen jugendlichen Klassizismus in überzeugender Form formulierte. Als er das Gemälde an Clovis Sagot verkaufte, war Picasso gerade von einem sechswöchigen Aufenthalt in Holland zurückgekommen und pleite. Der Maler lud den Kunsthändler in sein Atelier ein, dieser bot für das Gemälde und zwei Gouachen mit holländischen Motiven 700 Francs. Picasso lehnte ab musste sich aber einige Tage später eingestehen, dass er das Geld brauchte. Nun bot ihm Sagot nur noch 500, was den Spanier rasend machte. Als er sich wieder beruhigt hatte, bekam er für die drei Werke nur noch 300 Francs - hatte aber für das Leben gelernt, keinen Kunsthändlern mehr zu vertrauen. Das Bild zeigt „Linda la Bouquetière“, eine junge Blumenverkäuferin, die wohl auch als Straßenprostituierte und Modell (für Picasso, Van Dongen, Modigliani) arbeitete. Die ersten Besitzer des Gemäldes waren das Geschwisterpaar Leo und Gertrude Stein, die es wohl für wohlfeile 150 Francs erwarben. Danach wurde es von Peggy und David Rockefeller erworben, nach dem Tod Rockefellers wird das Gemälde am 8. Mai 2018 für 115 Millionen Dollar in New York versteigert (→ Rockefeller-Auktion: Picasso für 115 Mio. & 7 neue Rekorde).
Während der Rosa Periode beschäftigte er sich auch erstmals mit den Techniken Radierungen und Kupferstich.
Während seines Sommeraufenthalts 1906 in Gosol (oberhalb des Tals von Andorra in Katalonien) wandelte sich Picassos Stil in Richtung einer nahezu klassischen Kompaktheit der Figuren. Er fasste die Körper deutlich voluminöser auf, schuf vor allem weibliche Akte und geometrisierte deren Brüste. Dadurch erhalten sie eine überzeitliche Idealisierung.
Er lernte die US-amerikanische Schriftstellerin Gertrude Stein (1874–1946; „Eine Rose ist eine Rose ist eine Rose“) 1905 in Paris kennen und porträtierte sie in neunzig Sitzungen. Erst als er ohne das Modell an dem Bild arbeitete und sich vom Realismus endgültig verabschiedete, wollte es fertig werden. Das Bild zeigt Gertrude Stein denkend und lauschend, wichtig und gewichtig (Metropolitan Museum of Art, New York). Das Dargestellte, wir berichtet, war entzückt von ihrem Porträt.