Paul Klee (1879–1940) ist einer der bedeutendsten und produktivsten Künstler des 20. Jahrhunderts. Doch was meinte Klee, wenn er von der „Konstruktion des Geheimnisses“ sprach? So geschehen in „exakte versuche im bereich der kunst“ (1928). Zwischen reflektierter Gestaltung der Bildkompositionen und weltabgewandten, romantischen Träumereien werden seine Werke schon zu Lebzeiten des Künstlers verhandelt. Im Zentrum der Ausstellung in der Pinakothek der Moderne mit knapp 150 Werken stehen die Jahre am Bauhaus, in denen Klee vor allem ab 1923 auf den Funktionalisierungs- und Rationalisierungsdruck der 1920er Jahre reagieren musste – und sich selbst als „denkenden“ Künstler mit schwerem Kopf selbst empfand und inszenierte. Kurator Oliver Kase konstatiert Klees „geistige Sehnsucht nach der Höhe“ und beobachtet die Konjunktur von bestimmten Motiven wie Berg und Pyramide, Leiter und Treppe, Architektur, Vollmond und Sternen.1 Äußerst sehenswerte Schau, in der sich wunderbare Leihgaben mit klugem Konzept kongenial verbinden.
Deutschland | München: Pinakothek der Moderne. Sammlung Moderne Kunst
1.3. – 10.6.2018
verlängert bis 17.6.2018
„Ich bin [...] nur Mensch, und
will einige Stufen steigen, wirklich steigen.
Wirken, […] als
Einheit hier unten mit Verbindungen nach dort oben.“2
Der philosophisch-literarische Pantheon Paul Klees erstreckt sich von Goethes Faust zu Nietzsches Zarathustra und E. T. A. Hoffmanns Himmelsleiter. Hinter den Figuren und Metaphern steht die von ihm angenommene Gespaltenheit des Menschen zwischen geistigem Wesen und zum Körper verdammt: Wenn auch zu geistigen Höhenflügen befähigt, bleibt der körperliche Aspekt doch immer mangelhaft und erdverbunden. Schon im Frühwerk begegnete Klee diesem Mangel mit „Der Held mit dem Flügel“ (1905), einem Anti-Ikarus, und unzähligen Engelsdarstellungen in den letzten Lebensjahren. Allein der Kopf vermochte, so Klee, die Schwerkraft und damit (idealerweise) in Form gedanklicher Unabhängigkeit, freier Geistigkeit die „Last“ des Körperlichen zu überwinden. Gleichwohl zeigen unzählige Strichzeichnungen Varianten des Balanceverlusts, Fallens und Scheiterns. Dem träumenden Himmelsstürmer war die Realität des Fallens wohlbewusst, mag man anfügen. Ziel der Klee’schen Werks war die Überwindung der irdischen Zeit und des irdischen Raums in Form von fantasievollen „Konstruktionen des Geheimnisses“, was ihm unendliche Freiheit auf dem Papier bescherte.
„Man verlässt die diesseitige Gegend und baut dafür hinüber in eine jenseitige, die ganz ja sein darf. Abstraction
Die kühle Romantik dieses Stils ohne Pathos ist unerhört“ (Paul Klee)
Ab 1915 widmete sich Paul Klee in seinen Schriften den Fragen Romantik und Abstraktion, die er auf interessante Weise miteinander verknüpfte. Dabei fungiert der Begriff Romantik für den Maler als Gegenentwurf zur Klassik und wird mit Eigenschaften wie „dynamisch“ belegt. Wenn auch aus den Texten nicht klar hervorgeht, welches Konzept Klee für eine neu-romantische Kunst erarbeitet hat, so begeisterte er sich Ende der 1920er Jahre nachweislich für den Weltraum und die Schwerelosigkeit. Zudem wählte er den Mondaufgang als „autobiografischen Initialerlebnis“3 Dem Kreis stellte er in der Folge das Rechteck und das Quadrat zur Seite, mit denen er Naturformen abstrahierte. Die frühen Aquarelle der 1910er Jahre stehen heute noch charakteristisch für den Durchbruch des Künstlers zur Farbe während seiner berühmten Tunis-Reise wie auch dessen Öffnung zur Abstraktion. Die Übertragung dieser Lösungen auf die Ölmalerei in den frühen 1920ern festigte Klees internationalen Ruhm, der bedeutendste lebende Künstler Deutschlands zu sein (vor allem in Frankreich).
Die Klee-Ausstellung in München birgt einen Schatz an frühen Aquarellen, der den Weg zum Bauhaus Meister deutlich macht: „Gestirne über bösen Häusern“ (1916, 79) aus der Merzbacher Stiftung, „Stadt vom Tempel gekrönt“ (1917, 12) aus einer New Yorker Privatsammlung, „Landschaft in Rot, mit einem weißen Gestirn“ (1917, 71) aus der Staatlichen Graphischen Sammlung in München und „Mondaufgang (St. Germain)“ (1915, 242) aus dem Folkwang Museum, Essen, verschränken verschiedene Aspekte in Klees Recherche: Farbe, südliches Licht, Architekturfantasie, komplexes Verhältnis von abstrahierten geometrischen Formen zur Naturwiedergabe, Kreis, Rechteck und Quadrat als Basisformen Klee’scher Kompositionen, Aufstreben in den Kosmos. Letzteres besonders schön aufgefasst in „Agnus dei qui tollis in peccata mundi [Lamm Gottes, du nimmst hinweg die Sünde der Welt]“ (1918, 20) aus dem Franz Marc Museum in Kochel. Hier „entspringt“ dem menschlichen Kopf ein Gewirr an Formen und Figuren, von denen einige an afrikanische Masken erinnern und vielleicht den Teufel meinen. Im romantischen Motiv des leuchtenden Mondes und in Visionen des Aufstiegs über Treppen und Leitern artikuliert Klee seit den 1910er Jahren die Sehnsucht des Menschen nach dem Grenzenlosen.
Paul Klee unterrichtete über zehn Jahre am Bauhaus. Von Walter Gropius im Dezember 1920 berufen, trat er im Januar 1921 seinen Dienst an. Wenn auch die Kunstschule durch die unterschiedlichen Lehrerpersönlichkeiten und heterogenen Zielrichtungen geprägt war, so dürfte sich Paul Klee trotz seines Rufes als individualistischer, kosmischer Romantiker und Schöpfer „zweckentfremdeter Werke“ einen positiven Umgang mit Spannungen, Streitigkeiten und Lehrmeinungen angeeignet haben. Kurzum, die Frage der Stellung und der Funktion der Malerei stand vor allem ab 1928, als Gropius den Architekten Hannes Meyer zu seinem Nachfolger ernannte, deutlich auf dem Prüfstand. Klee reagierte darauf, indem er experimentelle Techniken wie das Sprühen in seiner Kunst intensivierte – und darüber wie auch über die Bildtitel der nunmehr durch Radiowellen zusätzlich belebten „Luft“ einen Stellenwert gab.
Im Mittelpunkt der Ausstellung stehen die 1920er Jahre, in denen sich Klee mit den neuen Herausforderungen des Menschen in einer technisierten Moderne und den Konsequenzen für das Schaffen des Künstlers auseinandersetzt. Als Meister am Bauhaus stellt Klee den Rationalismus in Frage, der durch Walter Gropius‘ Motto „Kunst und Technik – eine neue Einheit“ und vor allem das Gebäude als Ziel aller Kunst seit 1923 in den Fokus rückt und die Bedeutung der Malerei zurückdrängt. Statt sich den technisch-rationalen Tendenzen unterzuordnen, strebt Klee nach einer Balance von Verstand und Gefühl, von Konstruktion und Intuition. 1928 fordert er sogar für die Lehre: „es wären Aufgaben zu stellen, wie etwa: die konstruktion des geheimnisses“.
Seine systematische Gestaltungslehre am Bauhaus ermöglicht es Klee, die Reflexion über die Grenzen von Diesseits und Jenseits, von Aufstieg und Fall mittels Farb-, Raum - und Perspektivstudien in eine neue abstrahierte Bildsprache zu übersetzen, die so genannten „Quadratbilder“ und „Schichtaquarelle“ (→ Paul Klee und die Abstraktion). Damit reagierte er unter anderem auf die Anwesenheit von Theo van Doesburg am Bauhaus, der die De Stijl-Bewegung und ihr „Credo“ vom Quadrat nach Deutschland brachte (→ Abstrakte Kunst). Mit Werken wie „Blühender Baum (Abstract mit Bezug auf einen blühenden Baum)“ (1925, 119) reagierte Paul Klee glaubhaft auf den spannungsgeladenen Diskurs, ohne sich die Organik seines Konzepts nehmen zu lassen. Diese ausgleichende Haltung Klees zeigt sich paradigmatisch in „Seiltänzer“ (1923, 138). „Durch zart bis vehement gespritzte oder – im Gegenteil dazu – besonders pastos aufgeschichtete Bildoberflächen“, so der Kurator, „verlieh Klee selbst seinen kühlen Linienkompositionen ein Element des Intuitiven, Geheimnisvollen, Archaischen oder Undurchdringlichen.“4
„Paul Klee. Konstruktion des Geheimnisses“ ist die erste große Sonderausstellung zu Klees Werk in der Pinakothek der Moderne – neben der Sammlung Berggruen und Düsseldorf K20 die größte in Deutschland und die erst große zu einem Meister der Klassischen Moderne seit zehn Jahren in diesem Haus. Sie wird den 20 hochkarätigen Werken, von denen 16 zu sehen sind, aus dem Münchner Bestand nach dreijähriger Vorbereitung erstmals zusammen mit 129 Leihgaben aus den wichtigsten internationalen Klee-Sammlungen präsentieren. Zu den bekanntesten Klee-Blättern in München zählt das wunderbar blaue „Abenteurer-Schiff“ (1927, 1 / vgl. aus der Albertina→ Paul Klee, Abenteurer zur See). Die Ausstellung folgt Paul Klees Weg als „denkenden Künstler“, der in seinem Werk systematisch die Grenzen des Rationalen auslotet und gleichzeitig überschreitet.
Stilistisch und thematisch vielseitige Künstler, experimentieren mit Farben und Techniken, mit Bildträgern und Formen. Warum stellte Oliver Kase die Bauhaus-Zeit ins Zentrum der Ausstellung? Für ihn verhandeln die Künstler des Bauhaus die zentralen Fragestellungen der 1920er Jahre in Deutschland. Wie verhält sich Klee als klassischer Tafelbildmaler, die neue Meiden fördert, Film und Design fördert. Das Motto von Walter Gropius, Kunst und Technik miteinander zu „versöhnen“, lässt sich bei Klee fast nicht anwenden. Klee ist aber ein denkender Künstler, der sich bewusst in die Tradition seit Leonardo, Dürer und Runge stellte. Die Grenzen des bildnerischen Gestaltens erforschte er über die Grenzen des Darstellbaren, indem das Geheimnisvolle im Konstruierten kulminiert. Das Rationale und das Mysterium bringt er paradoxal zusammen. Wenn er geheimnisvoll und romantisch bleibt, so öffnete er sich doch der Moderne und versuchte, beides in eine Balance zu bringen.
Zehn Kapitel mit Werktiteln einer Arbeit von Paul Klee. Es geht eigentlich immer um Selbstdarstellungen, Bilder, die programmatisch für sein künstlerisches Selbstverständnis sind. Das Abheben des Geistes, der nach dem Grenzenlosen strebt, ist ein Leitmotiv Paul Klees und steht daher am Beginn der Schau. Auf kleinen Formaten konstruierte er die Unendlichkeit des Raumes. Er greift immer wieder Bildformulare auf, die er immer wieder vom Früh- zum Spätwerk variiert. Mit Räumen zur Düsseldorfer Zeit, zu Bern werden Blicke zurück und voraus geworfen, um die an der Bauhaus-Zeit destillierten Fragestellungen über das „gesamte“ Œuvre. In der Münchner Pinakothek werden die kleinformatigen Arbeiten auf dem Farbschema des Meisterhauses mit Scheinperspektiven an den Wänden präsentiert. Der Bauhaus-Kontext wird im Ausstellungskatalog zur Seite gestellt, um den Künstler aus dem „Teufelskreis der Immanenz“ herauszubekommen, wie Oliver Kase betont. Gleichzeitig sind die Bauhaus-Bestände in zwei weiteren Räumen der Pinakothek zugänglich, um den Bauhaus-Meister zu kontextualisieren.
Die Ausstellung zeigt die ungebrochene Aktualität von Klees Werk, das aus der Zerrissenheit des modernen Menschen erwächst und eine Brücke zwischen rationaler Selbstverpflichtung und der romantischen Sehnsucht nach dem Unendlichen schlägt. Ein umfangreich bebilderter Katalog und ein vielseitiges Begleit- und Vermittlungsprogramm ergänzen die Ausstellung.
Im Franz Marc Museum ist „Paul Klee. Landschaften. Eine kleine Reise ins Land der besseren Erkenntnis“ (bis 10.6.) zu sehen. Ein Symposium werden die Utopien der Stadt und Landschaft diskutiert, dem folgen die Fragen nach den Gründen für die internationale Bekanntheit des deutschen Malers und Grafikers sowie dessen Kunsthändlerinnen und Kunsthändler.
Oliver Kase (Hg.)
Mit Beiträgen von Régine Bonnefoit, Nadine Engel, Susanne Glasl, Caroline Heise, Christine Hopfengart, Oliver Kase, Wolfgang F. Kersten, Cathrin Klingsöhr-Leroy, Andreas Schalhorn, Christoph Wagner, Stephen H. Watson und Gregor Wedekind
Hirmer Verlag