Sheila Hicks
Wer ist Sheila Hicks?
Sheila Hicks (* 24.7.1934, Hastings, Nebraska) ist international seit mehr als 50 Jahren als eine Protagonistin der textilen Kunst bekannt. Ihre Arbeiten in Wolle und Leinen, Baumwolle und Seide stellen ästhetische Fragen, die in den 1960ern und 1970ern zu den avantgardistischen Überlegungen in der Bildhauerei zählten (→ Anti-Form), in den letzten Jahren aber allzu oft übersehen wurden.
Leuchtende Farbe, Material und Raum sind Hicks‘ zentrale Themen – dazu gesellt sich noch die komplexe technische Ausführung und Experimentierfreude. Monumentale Arbeiten entstanden für öffentliche Räume und Ausstellungen, sind zwischen hoher Kunst, Design und Dekoration angesiedelt. Diese teils monumentalen Kunstwerke bereitet die Künstlerin mit „Minimes“ vor. Das sind in der Größe von etwa A4 gearbeitete Webstücke oder Kompositionen, die eine Art von Laboratorium für Hicks‘ Werk darstellen, verschiedenste technische Experimente durchexerzieren und ihre überbordende Kreativität unter Beweis stellen. Sheila Hicks' Werke reagieren auf die Bauten, in denen sie ausgestellt werden. Die Kunstwerke bilden farbige „Kuschelecken“ aus oder streng geometrische Farbfelder, wirken wie abstrahierte Architekturelemente (vgl. Josef Albers!) oder erinnern an Säulen.
Ausbildung und Formfindung: Yale – Mexiko
Bereits während ihres Studiums an der Yale Universität entdeckte Sheila Hicks in den späten 1950er Jahren die präkolumbianische Textilkunst, vermittelt durch Professor George Kubler und Raoul d’Harcourts Publikation „Les textiles anciens du Pérou et leurs techniques“ (1934). Über ihren Lehrer Josef Albers partizipierte Sheila Hicks auch an den Konzepten und Überzeugunge des Bauhaus. Dennoch: Anfangs wollte die junge Hicks Malerin werden und in die Fußstapfen der Abstrakten Expressionisten treten. Das Textil als ihr Medium zu entdecken, führte sie bereits als Studentin nach Südamerika und Mexiko – später dann in die ganze Welt. Hier bewegt sie sich wie eine Ethnografin durch die Webwerkstätten und sammelt Webtechniken und -ideen für ihre Kreationen. Mit ihren Werken bewegte sich Sheila Hicks seither im Grenzbereich zwischen hoher Kunst, Design und Dekoration. Tief beeindruckt von der Farbtheorie ihres Lehrers Albers und später des mexikanischen Architekten Luis Barragan, entwickelte Hicks Kompositionen in leuchtenden Farben (z. B. „Palacio Iturbide“, 1972 für die Banco de Mexico, Mexico). Als Sheila Hicks 1959 ihr Studium abschloss, präsentierte sie neben ihren Gemälden gewebte Kunst aus der Serie „Faja“ (1956–1959). Dabei wurde sie von der Textilkünstlerin Anni Albers, der Ehefrau von Josef Albers, unterstützt (→ Anni Albers. Textilkünstlerin mit Folgen).
In den frühen 1960er Jahren lebte Sheila Hicks in Mexiko (1959–1963), wo sie sich mit dem Architekten Luis Barragán und dem Bildhauer Mathias Goeritz eng anfreundete. Die beiden hatten kurz davor die Torres de Satélite (1957) errichtet und ermutigten Hicks, den eingeschlagenen Weg der textilen Kunst weiter zu gehen. Schlussendlich gab Sheila Hicks die Malerei zugunsten der Arbeit mit farbigen Fäden auf, da sie sich nicht auf eine vorgegebene (oder auch gewählte) Fläche begrenzen wollte. Das bedeutete von der Wandarbeit in die Dreidimensionalität zu wechseln und ortsspezifische Werke zu schaffen. „Tenancingo“ und die beiden „Minimes“, „Clignancourt“ und „Dimanche“ (alle 1960), zeigen sich als gewebte Objekte, in denen Hicks ihre Erfahrungen mit alten Webtechniken und -traditionen teilte.
Paris und Arbeit für Florence Knoll
Bevor Sheila Hicks 1964 nach Paris übersiedelte, arbeitete sie mit Webern in Indien und Marokko – und verkaufte ihre erste Arbeit 1960 an das Museum of Modern Art. In Paris zählten der Anthropologe Claude Lévi-Strauss und die Textilhistorikerin Monique Lévi-Strauss zu ihren engen Freunden, mit denen sie auch den fachlichen Austausch pflegte.
Die Verbindung von Hochkunst und Design ist charakteristisch für das Denken von Hicks, die 1965 für Florence Knoll, die „Hohepriesterin“ des Desgin des 20. Jahrhunderts zu arbeiten begann. Kissen für Eero Saarinens Tulip Chair waren das erste, was sie für die berühmte Designerin entwarf und fertigte. Im gleichen Jahr begann Hicks mit einer indischen Firma, der Commonwealth Trust Handweaving Factory, zusammenzuarbeiten, die sie zu ihrem berühmten Stoffmuster „Badagara“ inspirierte.
Zu den dekorativen Arbeiten zählen die Tapisserie für das Restaurant des Hauptquartiers von CBS in New York „Grand Prayer Rug“ und das Flachrelief mit Medaillons für die Ford Foundation in Manhattan; 1972 folgten Arbeiten für Morgan Guaranty Insurance Company in Milwaukee und IBM in La Défense (Paris). In gänzlichem Gegensatz zu Clement Greenberg arbeitete Sheila Hicks ortsspezifisch und mit Fäden. Ihre Werke treten in Dialog mit den Räumen, in denen sie ausgestellt werden – oder für die sie konzipiert wurden. Der skulpturale Charakter lässt sich in „Trapèze de Cristobal“ (1971) und „Lianes nantaises [Nantes lianas]“ (1973) leicht nachvollziehen, sehen die Werke doch aus wie eingefärbten Lianen, die von der Decke hängen.
Was ist eine Skulptur? Weiche Skulpturen
Sheila Hicks „nur“ im Kontext der textilen Kunst zu diskutieren, wäre zu kurz gegriffen. Ihre Kunstwerke gehören zum Diskurs der 1960er Jahre, was eine Skulptur – und Kunst im Allgemeinen – sein kann.
In der zweiten Hälfte der 1960er Jahre begann Sheila Hicks „weiche Skulpturen“ zu kreieren, die über die klassische Tapisserie weit hinausging und zu ikonischen Werken wurden („Banisteriopsis“). Aufgehäufte Wollstapel und Leinen können mit jeder Präsentation neu interpretiert werden. Damit beweist Sheila Hicks, dass sie sich als „Erbin des Bauhaus“ konzeptuell auf einer Ebene mit den zeitgenössischen Antiform und post-minimalistischen Künstlern bewegte.
Während der 1970er Jahre arbeitete Sheila Hicks mit einer Serie von großen „weichen Skulpturen“, von denen „Trapèze de Cristobal“ (Stedelijk Museum, Amsterdam) und „Lianes nantaises“ (Château des Ducs de Bretagne) ausgestellt sind. Hicks arbeitete mit langen Fasern, die sie in rhythmischer Folge mit bunt eingefärbten, seidig schimmernden Fäden umwickelte. So entsteht der Eindruck eines unendlichen „Pferdeschweifs“ (Sheila Hicks), einer überdimensionalen Kette, die sie von der Decke abhängt. Sheila Hicks erfüllt mit diesen Objekten und ihrer Farbigkeit den Raum. Hicks‘ Textilien sind nicht an eine feste Form gebunden, sondern deformierbar, dehnbar, biegsam, anpassungsfähig und verwandelbar. Mit jeder Raumsituation, jeder Installation verändern sich die Objekte. Einzige Kraft, der sie sich beugen müssen ist die Schwerkraft.
Die Auseinandersetzung mit Niki de Saint Phalles begehbarer Installation „Hon“ (1966, Stockholm) wie auch Jean Tinguelys kinetischen Skulpturen ließen Sheila Hicks in den frühen 1970er Jahren ihr Verhältnis von Objekt und Raum neu überdenken. Seither arbeitet sie auch mit „weichen Wänden“, die sie aus gefundenen Kleidungsstücken assembliert und frei hängen lässt. Zu den von ihr „verarbeiteten“ und häufig wieder zurückgegebenen Kleidungsstücken gehören Baby-Shirts, Krankenhauskittel, Krankenhausbettzeug, Schwesternkleidung – aus all diesen Elementen baute sie temporäre Räume.