Robert Longo (*1953, Brooklyn) ist für seine monumentalen fotorealistischen Bilder bekannt: kraftvolle Kohlezeichnungen drängendsten Fragen unserer Zeit, die einen durch die virtuose Technik und die Bildmächtigkeit des Motivs in ihren Bann ziehen. Als Vorlagen wählt der New Yorker Künstler Fotografien aus Natur, Politik und Geschichte, die dramatische Situationen im größten Spannungsmoment festhalten – und ergänzt mehrere Aufnahmen zum perfekten Moment wie früher die Historienmaler. Seine Methoden und Strategien entlehnt er sowohl der medialen Kommunikation als auch der Kunst- und Fimgeschichte (Plakatkunst!). Dabei geht es dem Künstler nicht um den Moment des Triumphes, sondern um das Aufzeigen von Macht.
Österreich | Wien: Albertina
30.8.2024 – 12.1.2025
Die ältesten Arbeiten des New Yorker Künstlers sind im dritten Raum der Ausstellung gehängt: Longos berühmte „Men in the Cities“ (1979–1983). Sie fallen, tanzen oder sterben vor reinweißem Hintergrund - in der Albertina wird das sterbende Zusammensinken angesichts der überlebensgroßen Darstellungen von Revolvern gegenüber betont. Inspiration für die Arbeiten in Kohle und Grafitstift fand Robert Longo nicht nur in der Kunstgeschichte, man denke an Andy Warhols Elvis-Porträts, sondern auch im Film.
Der New Yorker gehört zur ersten Generation von Kunstschaffenden, die in ihrer Kindheit vom TV-Programm der 1950er bis 1970er Jahre geprägt wurden. Wie er selbst einmal erklärte, sei er als Legastheniker besonders davon abhängig gewesen.1 Heldensagen in Schwarz-Weiß erklärten Longo die Welt, Medienbilder zeigen uns auch heute noch, was in der Welt vorgeht. Auslöser für die Idee des Fallens in den „Men in the Cities“ wurde schlussendlich „Der amerikanische Soldat“ von Rainer Werner Fassbinder (1970). „Jetzt alle [Für R. W. Fassbinder]“ (1982–1989), eine zweiteilige Arbeit mit einer Skulptur eines Fallenden vor einem kriegszerstörten Straßenzug im Gemälde dahinter, zitiert den berühmten Filmregisseur im Titel. Für die „Men in the Cities“ fallen oder liegen Longos Freunde, darunter Cindy Sherman, in schwarzen Anzügen wie in einem film noir - und können doch über die Zeit hinweg als Symbol einer Gesellschaft gedeutet werden. Wie dunkel-düster und gespenstisch diese werden kann, reflektiert der Künstler in den Zeichnungen zu Sigmund Freud im Anschluss.
Robert Longo verwendet tausendfach publiziertes Bildmaterial. Nirgendwo wird das so deutlich wie in „Ohne Titel [Floß auf dem Meer])“ (2016/17). In einem monumentalen Triptychon, das die Dimension eines Altarbildes von Peter Paul Rubens besitzt, zeigt Longo ein Schlauchboot am offenen Meer. Flüchtende mit Rettungswesten sitzen am Rand, meist mit dem Rücken zu den Betrachtenden. Es scheint überfüllt, liegent das Boot doch gefährlich tief im Wasser. Wenn man sich dem Bild aus dem vorgelagerten Ausstellungsraum nähert, wird es noch zusätzlich von einem Atompilz („Ohne Titel [Nagasaki, B])“, 2003) und einem Kampfjet („Ohne Titel [Mirage F1 CR])“, 2013) gerahmt. Beide Darstellungen beschwören die suggestive Schönheit der Gefahr, sei es die Größe und Duftigkeit der strahlenden Atomwolke oder die technoide Kraft eines Bombers, der über Wolken schwebt. Robert Longo beschwört in seiner Kunst aber nicht Kraft und Stärke, sondern das Schwarz der Kohle, verbranntes Holz, lässt den Tod omnipräsent sein.
Gerahmt werden die Bootsflüchtlinge von Bildern, in denen Frauen und Hijab thematisiert werden: „Ohne Titel [Protest für Masha Amini; Iranische Botschaft, Brüssel; 23. September 2022]“ (2024) und „Ohne Titel [Herzeleide, Barbaras Augen]“ (2012). Wie sich „Ohne Titel [Weißer Tiger]“ (2011) und „Ohne Titel [Ping]“ (2007) in das Narrativ einordnen lassen, bleibt hingegen jedem und jeder selbst überlassen.
„Ohne Titel [Kathedrale des Lichts])“ (2008/09) zeigt kleine Menschen in einer gotischen Kathedrale und mystischem Licht. Gegenüber hängt „Ohne Titel [Westmauer])“ (2011), vermittelt über „Ohne Titel [Gabriels Flügel])“ (2015). Longo vereint in der Albertina heilige Orte des Christen- und des Judentums. „Ohne Titel [Hercynian])“ (2011) verweist auf einen ursprünglichen Wald, dessen hochaufragende Tannen sich im mystischen Gegenlicht fast auflösen, und damit auf den Herkynischer Wald oder Teutoburger Wald der Germanen und Römer anspielt. Schnell stellt sich das Gefühl von Erhabenheit ein, angesichts der Bedeutung, Größe und vor allem Lichtstimmung an diesen Orten.
Doch der Künstler und seine Kuratorin wollen es nicht bei diesem Sentiment belassen. Bereits im nächsten Kapitel konfrontieren sie das Publikum mit Flugzeugen vor schwarzen Streifen, die wohl als Aufnahmen der World Trade Centers aus der Froschperspektive gedeutet werden sollen: „Ohne Titel [Der Spuk])“ (2005). Die Folgen von 9/11 beschäftigte Longo noch lange, wenn er verpixelt und nahezu völlig aufgelöst mit „Ohne Titel [Gefangene, Flughafen Kandahar])“ (2016) den Abtransport von Kriegsgefangenen in eine Zeichnung überträgt und dieser Komposition im Kontrast das überscharfe „Ohne Titel [Ende des Imperiums])“ (2022) gegenüberstellt. Krieg, Zerstörung, Leid – egal ob im Irak, in Syrien oder in der Urkaine, unter anderem zu sehen in: „Ohne Titel [Syrische und irakische Flüchtlinge warten in einer Schlange der Erstaufnahmestelle auf Dokumente in Preševo, Serbien; Donnerstag, 27. August 2015; basierend auf einer Fotografie von Sergej Ponomarew])“ (2018).
Eine rote Rose – das einzige farbige Bild in der Ausstellung – vermittelt zur älteren US-amerikanischen Kriegs- und Kunstgeschichte. Longo wagte sich mit seiner minutiösen Zeichentechnik über Jackson Pollock und übrtrug ihn „Ohne Titel [Nach Pollock, Herbstrhythmus: Nummer 30, 1951]“ (2014). Als er sich mit dem Abstrakten Expressionismus beschäftigte, lernte der Künstler, dass er von der CIA als Beispiel für Demokratie durch die befreiten Städte Westeuropas geschickt wurde. Das verbindet die Nachkriegskunst Amerikas mit der Weltgeschichte – und Longo setzt deshalb ein Bild aus dem Urkaine-Krieg, „Ohne Titel [Ukrainische und russische Panzerschlacht])“ (2023) mit ähnlichen Spuren im Schnee dem Symbol von Freiheit und Subjektivität gegenüber. Erstaunlich, dass sich dieser Künstler als abstrakter Zeichner versteht, wenn er doch mit so stark aufgeladenen Figurendarstellungen arbeitet.
Den Abschluss der Ausstellung macht ein Raum voller Naturschauspiele: der erhabene Eisberg in hellsten Grautönen, zwei brechende Wellen und zwei Mal der Weiße Hai mit vom Künstler vergrößerten Zähnen. Die Gewalt der Natur zelebriert Longo in bildgewaltigen Symbolen. So soll der Eisberg an Caspar David Friedrich erinnern. Aber, ist damit „Das Eismeer“ (→ Caspar David Friedrich: Das Eismeer) und die zerschellte Hoffnung gemeint? Der Hai erinnert mehr an Plakate der berühmten Filmserie, in denen das Raubtier auf Jagd ist. Die Wellen mögen zum Surfen einladen… Doch lauert darunter nicht die Gefahr? So offenbart sich das Werk Robert Longos eine politische Allegorie auf das Leben der viereinhalb Jahrzehnte. Brandaktuell und zum Nachdenken anregend!