Jacopo Tintoretto (1518/19–Venedig 1594) wurde – je nach Auslegung der historischen Dokumente – 1518 oder 1519 in Venedig geboren. Das Wallraf-Richartz-Museum in Köln und das Pariser Musée du Luxembourg feiern bereits 2017/18 den 500. Geburtstags des höchst einfallreichen Manieristen. 1539 eröffnete Tintoretto, wie Japop Robusti sich selbst nannte, eine Werkstatt, ab den 1540er Jahren sind datierte Gemälde von seiner Hand bekannt. „Tintoretto – a Star was born“ versammelt eine Reihe von Frühwerken des Venezianers, die zwischen etwa 1537 bis 1555 entstanden. Sie zeigen Tintorettos Weg zu einem der angesehensten und umstrittensten Maler der Lagunenstadt. Im Zentrum der Schau steht das „Liebeslabyrinth“ der Royal Collection, das Kurator Roland Krischel dem jungen Tintoretto zuschreiben konnte.
Deutschland / Köln: Wallraf-Richartz-Museum & Fondation Corboud
06.10.2017 – 28.1.2018
Frankreich / Paris: Musée du Luxembourg
6.3. –1.7.2018
„Il disegno di Michelangelo e’l colorito di Tiziano [die Zeichnung Michelangelos und das Kolorit Tizians]“1 (Tintoretto schrieb dieses Motto angeblich auf seine Werkstattwand, berichtet Ridolf, 1642)
Tintorettos Spitzname leitet sich vom Beruf seines Vaters Giovanni Battista oder Giambattista Robusti ab, der als Färber [tintore] arbeitete. Sein Sohn nannte sich daher der „kleine Färber“, „Tintoretto“. Damit betonte er, dass er den politisch machtlosen popolani angehörte. Diese Gruppe stellte zwar 80 % der Bevölkerung Venedigs und setzte sich aus Handwerkern zusammen, sie war allerdings nicht in die Leitung der Markusrepublik eingebunden.
Über die Ausbildung von Tintoretto ist nichts überliefert. Carlo Ridolfi, der 1642 erstmals über Tintoretto publizierte, berichtet über einen sehr kurzen, jäh beendeten Aufenthalt des blutjungen Tintoretto im Atelier Tizians. Dieser hätte den begabten Schüler hinausgeworfen, nachdem er dessen Zeichnungen gesehen hatte. Ob man das glauben darf oder als Mythos abtun muss, wird in der Forschung (siehe Katalog) stark in Zweifel gezogen. Allerdings ist die sowohl auf persönlicher wie beruflicher Ebene ausgefochtene Antipathie zwischen den beiden Malern verbürgt.
Die Dokumente verraten jedenfalls, dass der noch nicht zwanzigjährige Tintoretto 1537 für 20 Dukaten eine „Wohnung und Werkstatt“ im Kirchsprengel von San Cassiano anmietete. Ein Jahr später wurde er als Meister gelistet. Es gibt Hinweise, dass Tintoretto auch als Subunternehmer für andere Maler wie Bonifacio oder Tizian gearbeitet haben dürfte. Der später als „Schnellmaler“ bekannt gewordene Künstler hätte sich mühelos den Stilen seiner Kollegen und deren Werkstätten anpassen können, wird in zeitgenössischen Quellen berichtet. Sich selbst einen Namen zu machen, war jedoch zuvorderstes Ziel des aus dem Handwerkermilieu stammenden Malers. Dazu nutzte er seine reichen Kontakte zu Literaten, Schreibern, Ärzten der Stadt. Während Tizian für die Notablen der Stadtregierung tätig war und internationale Großsammler wie Kaiser Karl VI. belieferte, wählte Tintoretto das „einfache Volk“ als Publikum seiner Bilder. Am 22. Mai 1539 eröffnete Tintoretto eine Werkstatt am Campo San Cassiano, wo er in den 1540er Jahren eine Reihe spektakulärer Werke für die Scuole Venedigs schuf. Hochdramatische Bilder mit reichen Bewegungen in vielfigurigen Kompositionen, in die Tiefe fluchtende Perspektiven, weich gemalte Farbflächen. Wahrhaftig die Verbindung von Florentiner Hochrenaissance bzw. Manierismus und venezianischem Kolorit. Dazu kommt eine von ausgesuchten Textvorlagen abgeleitete Ikonografie, welche den intellektuellen Status des offensichtlich an den Diskursen seiner Zeit interessierten Malers belegen. Da diese neuartige Malweise jedoch alle Erwartungshaltungen weit übertrafen, fanden Kritiker und Poeten kaum geeignete Worte, um das Phänomen Tintoretto zu beschreiben. Diese Wendigkeit drückte der Künstler selbst durch unterschiedliche Signaturen und Namen aus, die er in diesen frühen Jahren sichtbar in seine Werke integrierte.
Die Ausstellung im Wallraf-Richartz-Museum in Köln präsentiert das Frühwerk Tintorettos von den späten 1530er Jahren bis 1554. Die mehrjährige Vorbereitung hat auch einige Funde zutage gebracht, wie die Neuzuschreibungen der „Fußwaschung“ (um 1539) aus dem Musée de Grenoble und des „Liebeslabyrinths“ der Royal Collection durch Kurator Roland Krischel. Die Nähe Tintorettos zur Buchmalerei könnte über den rätselhaften Giovanni Galizzi geklärt werden, der als erster und engster Mitarbeiter Tintorettos, als Geschäftspartner und vielleicht sogar Ateliergenosse Jacopo etwa von 1544 bis 1554 begleitet haben könnte.
Ehrlichgestanden: Wenn man das Frühwerk Tintorettos durchsieht, reihen sich großfigurige Kompositionen an kleinfigurige, hochdramatische Bewegungen und fliegende Draperien erzeugen chaotisches Durcheinander, gedeckte Farbtöne, ja die tonale Farbgebung insgesamt vermögen den Bildern kaum zusätzliche Struktur zu verleihen. Mit den schönen Madonnen Raffaels im Kopf (→ Raffael in der Albertina) oder auch Tizians Werk bis in die 1520er Jahre wird man Tintoretto eindeutig nicht gerecht. Etwas näher an die vielfach komplex aufgebauten Kompositionen gelangt man über Michelangelos „Jüngstes Gericht“ (1537–1541), die tonale Farbigkeit taucht parallel zu den reifen und späten Werken Tizians (→ Der späte Tizian) auf.
Und damit ist man schon mitten in der Diskussion um die Möglichkeiten des Manierismus, die kaum ein Künstler mit solcher Freude am Zitat ausgenutzt haben dürfte wie der junge Tintoretto. Verweise auf Druckgrafiken von Albrecht Dürer bis Marcantonio Raimondi, flämischem Detailrealismus, kombiniert mit ausgesuchten Textquellen mögen eine Idee von dem breiten Horizont zu vermitteln, den dieser aufstrebende Künstler sich angeeignet hat. Die maniera Tintorettos war bereits den Zeitgenossen nicht geheuer, unterlief der Maler doch die eng geführte Verbindung von Stil und Persönlichkeit. Sich einen „Namen machen“ bedeutete für ihn offensichtlich, sich Gegebenheiten anzupassen und viel öfter Auftraggeber mit noch ungesehenen Kompositionsweisen in Atem zu halten (oder besser: vor sich her zu treiben). Gleichzeitig wusste er die Bedürfnisse der Schulen (scuole) und Bruderschaften zu erfüllen, gehört Tintoretto zu den wichtigsten Malern großformatiger Leinwandbilder in deren Versammlungsräumen. Das legendäre „Sklavenwunder“ für die Scuola Grande di San Marco (1548, heute: Accademia) steht am Ende einer spannenden Entwicklung, die mit der „Bekehrung des Saulus“ (1538/39, Washington), dem „Liebeslabyrinth“ (um 1537/38 und um 1551/52, Hampton Court) dem „Abendmahl in Emmaus“ (um 1543 Budapest) ihren Anfang nahm. Neben religiösen Sujets betätigte sich Tintoretto auch im Porträtfach (z.B. das berühmte „Porträt eines weißbärtigen Mannes“, um 1545, Kunsthistorisches Museum) und der Mythologie, kurzum sämtlichen Gattungen der Malerei.
Das Frühwerk des ehrgeizigen Jacopo Tintoretto weist teils noch einen suchenden Charakter auf, Experimentierfreude und thematische Vielfalt. In kaum einem Werk, wie Erasmus Weddigen im Katalog hervorhebt, beschritt er nicht einen neuen Weg der bildlichen Interpretation.2 Ziel dieser inhaltlichen und ikonografischen Beweglichkeit dürfte die dichte Konkurrenzsituation in Venedig gewesen sein. Der Ruhm Tizians dominierte die Malerei der Lagunenstadt. Maler-Unternehmer wie Bonifacio oder Jacopo Bassano führten große Werkstätten. Künstler wie Lorenzo Lotto (→ Lorenzo Lotto. Porträts) führten ein unstetes Reiseleben und versorgten auch die Terraferma mit Gemälden. Tintorettos Mitstreiter wie Paris Bordone (um 1500–1570/71) und Andrea Schiavone (um 1520–1582) stiegen wie er selbst ab Beginn der 1550er Jahre zu namhaften Vertretern der modernen Malerei in Venedig auf.
Zentrales Bild für die Rekonstruktion des frühen Werks von Tintoretto ist das „Letzte Abendmahl“ (um 1543) aus Budapest, das in seiner dramatischen Bewegtheit einen Gegenpol zu Tizians ruhigen Darstellungen setzt. Mit Hilfe einer spektakulären Gesamtkomposition, so mutmaßte Detlev von Hadeln schon 1922, hätte der aus einfachen Verhältnissen stammende Maler, die Betrachterinnen und Betrachter überzeugen wollen. Dazu kommen noch naturalistische Alltagsdetails, die Tintoretto wohl aus der Malerei bzw. Druckgrafik der altniederländisch-deutschen Schule ableitete.
Vor kurzem erst konnte Roland Krischel das „Liebeslabyrinth“ in Hampton Court dem jungen Tintoretto zuschreiben. Es zeigt den langen Weg zum zentralen Tisch der Weisheit (Spr 9,2–6). Nacheinander sind alle Viertel des Runds ganz zu durchlaufen, worin sich ein Schema zeigt, das die Säfte- und Temperamentenlehre mit den Himmelsrichtungen, den Jahreszeiten und den Altersstufen des Menschen zur Deckung bringt. Die Eigentümlichkeit des Künstlers zeigt sich in der Gleichzeitigkeit mit der etwas früheren „Anbetung der Könige“ (um 1537/38) aus dem Prado und der „Bekehrung des Saulus“ (1538/39) aus Washington. Der suchende Charakter des Frühwerks findet in einem ersten Hauptwerk wie „Christus unter den Schriftgelehrten [Disputa]“ (um 1539, Mailand) eine überzeugende Lösung sowohl was die Tiefenstaffelung als auch spiegelsymmetrischen Anlage der Architektur anlangt, auf der die Schriftgelehrten in dramatischen Gesten in ihren Büchern nach Antworten suchen. Hier zeigt sich der Tintoretto, der mit den Ölgemälden für die Scuola di San Rocco in die Kunstgeschichte eingehen würde (→ Tintoretto in der Scuola Grande di San Rocco, Venedig).
Die 1540er Jahre brachten eine Beruhigung im Werk des Malers: In „Deukalion und Pyrrha beten vor der Statue der Göttin Themis“ (1541/42) experimentierte er mit Figuren in extremer Untersicht, denn es entstand als Deckendekoration für Vettor Pisani. Damit folgte der junge Jacopo Tintoretto Giulio Romano im Palazzo del Te zu Mantua (um 1527) und revolutionierte die Ausstattungspraxis in Venedig. „Christus und die Ehebrecherin“ (um 1547–1549, Rijksmuseum Amsterdam) und „Salomo und die Königin von Saba“ (um 1546–1548, Greenville), beide bereits mit Werkstattbeteiligung ausgeführt, lassen die Zweiteilung des Raumes in einen bevölkerten Vorder- und einen extrem schnell in die Tiefe fluchtenden Mittel- und Hintergrund erkennen. Hinter den Raumkulissen stehen sowohl Sebastiano Serlios „Il secondo libro…“ (Paris 1545) aber auch Tintorettos Erfahrung als Bühnenbildner. Und mit dem „Kampf des heiligen Georg mit dem Drachen“ (um 1553) aus der National Gallery in London tritt das Malerische, die Lichtemanation einer Gottesschau ins Werk des Künstlers. Die feine Ausführung des Gemäldes führte zur Vermutung, dass es als Altarbild in der Privatkapelle eines venezianischen Adelspalastes diente.
In der Kritik wurde Tintoretto mit Prädikaten wie ghiribizzoso (grillenhaft), stravagante (extravagant) und capriccioso (ausgefallen) beschrieben, fehlten den Kommentatoren offensichtlich die Worte, um seine Kunst adäquat zu erfassen. Um 1600 festigte sich die Vorstellung, dass Tintoretto, ein „kleiner Färber“, durch Unkenntnis der Regeln der Malerei deren Niedergang ausgelöst hätte. So zumindest die Florentiner Lesart, die schon vom vernichtenden Urteil Giorgio Vasaris Mitte des 16. Jahrhunderts befeuert wurde. Es bedurfte Ridolfis Wiederentdeckung Mitte des 17. Jahrhunderts, dass der Tintoretto der großformatigen Dekorationsgemälde und des magischen Lichts (Engelsdarstellungen!), der es jüngst auch zu einer Biennale-Teilnahme gebracht hat, durch das Bild eines jungen, aufstrebenden Kunst-Rebellen ergänzt wurde.
Kuratiert von Roland Krischel
„In allem was die Malerei anbelangt aber ist er wunderlich, kapriziös, schnell und kühn und der furchterregendste Intellekt, den die Malerei je besessen“ (Giorgio Vasari über Jacopo Tintoretto, 1568)
Große Werkschau im Palazzo Ducale, Venedig 2018, die Anfang 2019 in The National Gallery of Art, Washington, gezeigt wird.