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Der späte Tizian Sinnliche Malerei aus Venedig

Tizian, Selbstbildnis, 1546-47 © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie.

Tizian, Selbstbildnis, 1546-47 © Staatliche Museen zu Berlin, Gemäldegalerie.

Tizian ist berühmt für seine revolutionär offene Malweise in den späten Werken, die dunkle Farbigkeit und die pastose Farbmaterie. Im Gegensatz zur Floretiner und mittelitalienischen Malerei des Manierismus (→ Renaissance) besimmte der Protagonist der Renaissance Malerei in Venedig nicht Form und Linie als wichtigste Mittel der Bildproduktion, sondern Licht und Farbe. Damit - wie auch den Mythologien - prägte der Maler im reifen Alter die Vorstellung einer „sinnlichen“ Malerei.

„Tizian war wirklich der herausragendste aller Maler, da seine Pinsel immer den Ausdruck des Lebens hervorbrachten. Mir [Marco Boschini] wurde dies von Palma Giovane erzählt… der so glücklich war, die gelehrten Instruktionen von Tizian genießen zu dürfen, dass er seine Gemälde mit einer großen Menge von Farben anlegte, die gewissermaßen als Bett oder Basis für die Kompositionen dienten, die er daraufhin aufbaute; und auch ich habe einige davon gesehen, geformt mit kühnen Strichen, wobei die Pinsel nur so mit Farben getränkt waren, manchmal eine reine, rote Erde (…) und manchmal ein Bleiweiß; und mit dem selben Pinsel formte er mit Rot, Schwarz und Gelb ein Glanzlicht; und indem er diese Prinzipien befolgte, machte er das Versprechen, eine außergewöhnliche Figur in vier Strichen auftauchen zu lassen. Die anspruchsvollsten Kenner fanden diese Skizzen gänzlich befriedigend, und sie waren sehr gesucht….“

Mit diesen Worten beschrieb Marco Boschini 1660 in seinem theoretischen Werk "La carta del navegar pitoresco" die Malweise des alten Tizian aber auch die Aufnahme seiner Werke durch die Zeitgenossen.

Tizians Spätwerk

Nichtsdestotrotz erfuhr das Spätwerk des Venezianers im Laufe der letzten Jahrhunderte unterschiedliche Einschätzungen. Die monochrome Farbigkeit konstrastiert durch wenige reine Farben, die Offenheit des Pinselstriches und die Teigigkeit der Farbmaterie – zusammengefasst die neue Bedeutung des Malerischen wird als revolutionär eingestuft. Die ungleichmäßige Ausführung mancher Werke – so sind einige Partien besonders ausformuliert während andere nur rudimentär angedeutet werden – hat die Forschung bis heute irritiert. Mit den unterschiedlichsten Erklärungsmodellen wie Augenprobleme oder eine zitternde Hand aber auch das Nachlassen der künstlerischen Kraft versuchte man diese Phänomene zu erklären. Wenn man nun die späten Werke der 1550er und 1560er betrachtet, so zeugen sie von einer schnellen, spontanen Ausführung. Wenn man nun Palma Giovanes und Marco Boschinis Beschreibung folgt, so lernen wir, dass der Künstler jedoch beständig die Bilder überarbeitete, die Formen und Farben anpasste, dass er höchst kalkuliert ans Werk ging. Restaurierungsvorhaben – wie auch jenes von „Nymphe und Schäfer“ im Kunsthistorischen Museum – haben jedoch jüngst wieder bestätigt, was die Quellen uns bereits berichteten: Es handelt sich nicht um das Nachlassen der künstlerischen Qualität, einer Verflachung sondern um einen bewusst entwickelten Spät- und Altersstil.

„Tizian und die Sinnlichkeit der Malerei“ im KHM

Die Ausstellung im Kunsthistorischen Museum zeigt etwa 60 Gemälde, davon über 30 Leihgaben. Durch die Hängung in thematischen Gruppen – Portrait, mythologische und religiöse Szenen – wurde versucht, die Position des Künstlers zwischen den sakralen und profanen Aufgabenstellungen, typisch für das 16. Jahrhundert, klar zu machen. Unter dem Begriff der „Sinnlichkeit“ versteht man die Fähigkeit, Eindrücke mittels der Sinnesorgane wahrzunehmen wie auch leibliche Triebe. Tizians Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten der Farbe, seine „Vernachlässigung“ der Zeichnung, das Nichteinbinden der Figuren in den umgebenden Raum wird von den Ausstellungsmachern als sinnlich, das heißt das Auge reizend, beschrieben. Als sinnlich gelten aber auch die erotischen Werke Tizians, die dieser unter dem allgemeinen Titel „poesiae“ für König Philipp II. von Spanien geschaffen hat. In Bildpaaren werden Versionen von „Danae“-Darstellungen oder „Venus vor dem Spiegel“ einander gegenüber gestellt. Höhepunkte der Ausstellung sind sicher das frisch restaurierte Bild „Nymphe und Schäfer“, „Die Schindung des Marsyas“ und die „Verkündigung“ von San Salvador in Venedig wie auch die beiden späten Selbstbildnisse.

Die Folgen von Tizian

Als Tizian 1576 in Venedig starb, hatte er mit seiner neuen Art der Farbgebung maßgeblich und über Jahrzehnte die Malerei seiner Heimatstadt verändert. Jacopo Tintoretto, Paolo Veronese oder auch El Greco setzten sich intensiv damit auseinander, aber auch die Meister des 17. Jahrhunderts – Diego Velázquez, Peter Paul RubensAnthonis van Dyck und Rembrandt van Rijn – ließen sich von den Fertigkeiten Tizians inspirieren. So demonstriert die Gegenüberstellung von zwei Darstellungen der Hl. Margarethe, die eine aus der Werkstatt Raffaels und die andere ein Spätwerk Tizians, die Errungenschaften der Farbmalerei Tizians, während uns Rubens „Venus vor dem Spiegel“ aus der Sammlung des Fürsten von und zu Liechtenstein in seiner Neuformulierung des Tizian`schen Motivs aus „flämischer“ Perspektive vor Augen führt, was den Venezianer ausmacht. Die weiche Farbigkeit, die subtile Tongebung und die „Auflösung“ der Formen markieren Meilensteine westlicher Kunst.

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.