Frankfurt Bockenheim | Schirn: Suzanne Duchamp Vom Dadaismus zur Abstraktion | 2025

Suzanne Duchamp, Fabrique de joie, 1920 (Galerie 1900 – 2000, Paris, © Suzanne Duchamp / 2024, ProLitteris, Zürich)
Vermutlich hätte Suzanne Duchamp (1889–1963) die neue Ausstellungs-Location der Schirn gefallen. In einer einstigen Druckerei deren Produktlinie von fälschungssicheren Wertpapiere bis Spielkarten reichte, ist eine Pionierin des Dadaismus an der richtigen Stelle. An das Alte erinnern noch die schlanken Eisensäulen, das offene Mauerwerk im Stiegenhaus. In der Nähe des Botanischen Gartens gelegen, präsentiert sich die Schirn in Bockenheim als urcooler Ausstellungsort mit vielfältigem Potenzial. Hier nun widmet Frankfurt der Pionierin der Dada-Bewegung die erste umfassende Einzelausstellung. Der nüchterne Ausstellungsraum bieldet den Rahmen für eine vielfältige Schau einer bisher kaum bekannten Künstlerin - als Schwester von Marcel Duchamp allerdings weltbekannten Frau.
Suzanne Duchamp
Deutschland | Frankfurt Bockenheim: Schirn Kunsthalle Frankfurt, Halle 1
10.10.2025 – 11.1.2026
- Suzanne Duchamp, Schirn 2025
Suzanne Duchamp in Frankfurt 2025
„Travailler et … Sourir! [Arbeiten und ... Lächeln!]“,
steht auf einer späten Farbstifzeichnung Suzanne Duchamps. Es handelt sich hierbei, so die Künstlerin, um „Lebensweisheiten der großen zeitgenössischen Maler“. 1959 an den Kunstkritiker Henri Corbière gerichtet, fasst das Blatt Freude und Mühsal mit einem für Duchamp charakteristischen Augenzwinckern zusammen. Auf die harte Arbeit folgt hoffentlich das Feiern, angedeutet durch ein Feuerwerk, das einem Strauß halbabstrakter Blumen ähnelt.
Suzanne Duchamp ist in der Kunstgeschichte keine Unbekannte, wie gesagt, sie war die Liebelingsschwester von Marcel, der ihr legendäre Hochzeitgeschenke übersandte, und mit dem sie an Ready Mades arbeitete. Dennoch ist ihr Beitrag für die Entwicklung des Dadaismus bisher unterbelichtet geblieben. Erst die Doktorarbeit von Talia Kwartler1, die die Ausstellung co-kuratiert, rückt Suzanne ins Zentrum des Interesses.
Anhand von ersten kubistischen Kompositionen, abstrakten Gemälden, experimentellen Collagen bis hin zu naiv wirkenden, figurativen Darstellungen zeigt die Retrospektive der Schirn das vielseitige Schaffen von Suzanne Duchamp. In vier Kapiteln unterteilt, startet die Schau mit Duchamps Arbeiten, die zwischen Fauvismus und Kubismus changieren. Fast 15 Jahre jünger als ihre beiden Brüder Raymond Duchamp-Villon (1876–1918) und Jacques Villon (1875–1963) sowie zwei Jahre jänger als Marcel Duchamp (1887–1968) befand sich Suzanne in einem Epizentrum des Kubismus. Mit Hilfe ihrer Brüder konnte sie bereits 1910 in die Avantgarde-Kunstszene einsteigen. Deshalb setzt die Vorstellung der Künstlerin mit einer Fotowand ein, die den Blick von der Familie Duchamp mit den drei Künstlerbrüdern auf Suzanne führt. Sie fotografierte sich selbst und selbstbewusst, bereit, Paris und seine Kunstszene zu erobern. Mit Kurzhaarschnitt und legerere Kleidung trug sie in den 1910er und 1920er Jahren zur Entwicklung des Dadaismus bei.
Im Fokus der Suzanne Duchamp-Retrospektive der Schirn steht insbesondere ihr innovativer Umgang mit Materialien und Medien. In der Kombination von Aspekten des Ready Made, poetischen Inschriften und geometrischen Formen schuf sie eine einzigartige, subtile wie humorvolle Bildsprache. Neben ihren Dada-Arbeiten beleuchtet die Ausstellung zudem Duchamps spätere Werkphasen, darunter ihre figürlichen und landschaftlichen Gemälde der 1930er und 1940er Jahre sowie ihr abstraktes Spätwerk.
- Suzanne Duchamp, Dada bis Abstraktion, Schirn 2025, (c) Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS
Suzanne Duchamps Dadaismus
In Frankfurt kann man Dada neu entdecken - Suzanne kannte die Experimente von Pablo Picasso und Georges Braque (synthetischer Kubismus), den Futurismus, die bildhaften Gedichte von Guillaume Apollinaire2. In Duchamps Gemälde „Multiplication brisée et rétablie“ (1918/19) prangt ein Gedicht über dem ungedrehten Eiffelturm:
„Die Sterne würden erlöschen / Die Ballons würden davonfliegen / Das Schafott würde zusammenstürzen / Und der Spiegel würde zerbrechen."3 (Suzanne Duchamp)
Mit poetischen Setzungen wie diese reagierte Suzanne Duchamp auf den Ersten Weltkrieg wollen sich die Künstler:innen als Monteure und Konstrukteure sehen. Im Werk von Suzanne Duchamp findet man die Verbindung von Malerei und Sprache, Malerei und Technik, Malerei und Materialexperiment. Diese Zeit brachte für die Künstlerin, die sich von ihrem ersten Mann hat scheiden lassen, um sich ganz der Kunst hingeben zu können, Freiheit und Anerkennung. Dennoch: Neben Sonia Delaunay-Terk war sie die einzige Frau in DADA PARIS.4
Manche Werke von Suzanne Duchamp sind wahre Bilderrätsel: In „Ariette d’oubli de la chapelle étourdie [Vergessene Ariette der benommenen Kapelle]“ (1920) verarbeitete sie ein auf Holz ausgeführtes Porträt ihres Ehemannes Jean Crotti mit einem markanten Glasauge mit Marcel Duchamps Gedicht „Jean Crotti“. Dies beginnt mit der Zeile „Seine Augen sind aus Glas“ und fährt fort, das Sehen mit einer Spule, „die Strom, Licht und Wärme erzeugt“, zu verbinden. Suzanne Duchamp, die Cortti am 14. April 1919 geheiratet hatte, zitiert nicht nur den Text ihres Bruders, sondern betitelt das Werk mit „ARieTte“, als „kleine Arie“, wobei die großgeschriebenen Kapitälchen das Wort „ART [KUNST]“ ergeben. Anstelle ein Bildnis ihres Mannes als Einfühlung oder kubistische Konstruktion bzw. Analyse zu bieten, stellt sie Aspekte seines Seins und Tuns mit Hilfe von Symbolen zusammen, die auf der inhaltlichen Ebene ein Bilderrätsel ergeben und auf der ästhetischen ein scheinbar spielerisches Fließen von Formen, wo aber alles seinen fest zugewiesenen Platz erhält.
„Suzanne Duchamp macht Intelligenteres als die Malerei.“5 (Francis Picabia, 1920)
Der Umgang Suzanne Duchamps mit dem Readymade, indem sie Readymadepaintings machte, indem sie Readymade Materialien in ihre Malerei einführte, ist gänzlich verschieden zu Marcel Duchamp - und steht dennoch im engen Austausch mit seinen Readymades. Hatte ihr Bruder Alltagsgegenstände durch künstlerische Entscheidung angeeignet und durch Zufügung seiner Signatur zu Kunstwerken „auf-“ oder „umgedeutet“, so verband Suzanne in ihren Gemälde unterschiedlichste Techniken und Zitate. Zu den Höhepunkten der Schau gehört der Dialog der Geschwister anlässlich der Hochzeit von Suzanne mit Crotti: Marcel schickte dem neuvermählten Paar eine Anweisung für das Readymade „Le readymade malheureux“. Hierfür sollte Crotti ein Geometriebuch am Balkon aufhängen und vom Wind zerzausen lassen. Eine unscharfe Fotografie im Philadelphia Museum of Art dokumentiert das Werk 1919/20. Suzanne Duchamp nutzte die 180° gedrehte Aufnahme für ihr abstraktes Gemälde „Le readymade malheureux de Marcel“ (1920, The Bluff Collection) als Ausgangspunkt. Marcel hingegen fügte die Fotografie 1959 in seine „La boîte en valise [Die Schachtel im Koffer]“. Das Ping-Pong-Spiel zwischen den Geschwistern und Crotti ist ein lebensiges Durchdeklinieren von Ideen. Die künstlerische Kollaboration funktioniert wie ein Cadavre Exquis, wobei jede:r dem finalen Werk eine neue Wendung geben, einen neuen Einfall zufügen kann beziehungsweise erst das Retournieren des Balls eine Reaktion und Weiterarbeit an der Idee auslöst.
- Suzanne Duchamp, Le readymade malheureux de Marcel, Schirn 2025 (c) Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS
Malen, um des Malens willen
1922/23 verließ Suzanne Duchamp die DADA Bewegung, weil sie sich immer mehr institutionalisierte und bürokratisierte, wie Ingried Pfeiffer vermutet. Die Künstlerin verstand sich als Malerin und wollte alleine ausstellen. In Katherine S. Dreier fand sie eine wichtige Förderin in den USA, die sie an wichtige Ausstellungen vermittelte und die weibliche Duchamp auch textlich begleitete.
Der Bruch zwischen den dadaistischen Arbeiten und den Gemälden könnte Mitte der Schirn-Ausstellung nicht größer sein. Die vielseitige Künstlerin wandte sich einer vereinfachten Darstellungsweise zu, um vom „Irdischen Paradies“ (1924), von Menschen auf einer Parkbank (1924) und einer Hochzeit (1924) oder der Auslage eines Metzgerladens (um 1930) zu erzählen. In den Kriegsjahren verbindet sie eine spätfauvistische, expressive, fleckige Fabrigkeit mit gekonnter Zeichnung, um idyllische Szenen in einer grauenvollen Welt zu entwerfen. Diese Reaktion erinnert entfernt an René Magrittes Renoir- und Kuh-Periode, in denen er sich von der faschistischen Kunstdoktrin grundlegend entfernte. Suzanne Duchamp hatte bereits seit den 1920er Jahren regelmäßig in Gruppenausstellungen ihr Werk präsentiert, und im April 1943 widmete ihr die Pariser Galerie Marcel Guiot eine Einzelausstellung mit Gemälden, Aquarellen und Zeichnungen. Zwei kontrastreiche Landschaftsbilder aus dieser Zeit beenden gleichsam den Rundgang. Während viele ihrer Künstlerfreunde über den Atlantik flohen, blieben Suzanne Duchamp und Crotti in Südfrankreich. Dort entstanden jene Bilder, mit denen das Spätwerk der Künstlerin umschrieben werden kann. Farbenfroh und an die Realität gebunden.
Kathrine Dreier beschrieb Suzanne Duchamp als „halbabstrakte Malerin“. Obwohl Duchamps Werke in weltbekannten Sammlungen vertreten sind, blieb ihre künstlerische Bedeutung lange im Schatten ihrer Brüder Marcel Duchamp. Es wird Zeit den Scheinwerfer auf „die Schwester“ zu richten: Die Schirn Bockenheim bietet Suzanne Duchamps Kunst eine wunderbare Bühne - unbedingt sehenswert!
Die Ausstellung entsteht in Kooperation mit dem Kunsthaus Zürich.
Kuratiert von der Suzanne Duchamp-Expertin Talia Kwartler und Ingrid Pfeiffer.
Bilder
- Suzanne Duchamp, Fabrique de joie, 1920 (Galerie 1900 – 2000, Paris)
- Suzanne Duchamp, Landschaften, Schirn 2025, (c) Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS









