Charles-François Daubigny (Paris 15.2.1817–19.2.1878 Paris) gehört zu den wichtigsten Malern Frankreichs in der Mitte des 19. Jahrhunderts. Noch zu seinen Lebzeiten wurden Daubignys stimmungsvolle Landschaften in den Kanon der Kunstgeschichte aufgenommen und hochpreisig gehandelt. Gemeinsam mit Gustave Courbet, Camille Corot, Théodore Rousseau und Jean-François Millet führte er die Landschaftsmalerei in Richtung Naturalismus und erreichte deren Anerkennung am Salon. Durch seine direkte Auseinandersetzung mit der Natur in Form von Plein-air Malerei wurde Charles-François Daubigny zum Wegbereiter des Impressionismus, er antizipierte allen voran die Landschaftsmalerei von Claude Monet (1840–1926).
USA / Cincinnati: Taft Museum
20.2. – 29.5.2016
England / Edinburgh: Scottish National Gallery
25.6. – 2.10.2016
#InspiringImpressionism
Holland / Amsterdam: Van Gogh Museum
21.10.2016 – 29.1.2017
Charles-François Daubigny wurde 1817 in eine Familie von Malern und Miniaturmalern hineingeboren. Seine früheste Ausbildung erhielt er von seinem Vater Edmé François Daubigny und seinem Onkel. In den Jahren 1835/36 unternahm er die traditionelle Italienreise, von der er einige idealisierte Landschaften mitbrachte. An der Akademie besuchte er zwar die Klasse des Historienmalers Paul Delaroche (1797–1856), dennoch wählte er holländische Landschaften des 17. Jahrhunderts als Vorbilder. Bereits 1838 stellte Daubigny am Salon aus, verdiente sich jedoch mit Illustrationen und Druckgrafiken bis Mitte der 1840er Jahre sein Einkommen. Den Durchbruch feierte der Maler mit Landschaften aus dem Wald von Fontainebleau, wo er sich 1843 niederließ. Mit querformatigen Landschaften, in denen Daubigny sowohl Detailgenauigkeit wie Stimmung und Atmosphäre wiedergab, errang er ab Mitte des 19. Jahrhunderts respektablen Erfolg im In- und Ausland.
Als Freund und Unterstützer sowie als Mitglied der Salon-Jury förderte er die Karrieren seiner jungen Kollegen. Während des Deutsch-französischen Kriegs 1870/71 hielt er sich in London auf und traf Camille Pissarro und Claude Monet. Daubigny stellte die jungen, aufstrebenden Maler seinem Galeristen Paul Durand-Ruel vor und wurde damit auch als Netzwerker zum wichtigen Förderer der zukünftigen Impressionisten. Monet und Co. revanchierten sich in den frühen 1870er Jahren damit, die von Daubigny mit Hilfe seines Atelierbootes so intensiv erforschten Flusslandschaften, blühenden Obstgärten, Sonnenuntergänge und Jahreszeiteneffekte als Ausgangspunkte ihrer Avantgarde anzuerkennen. So wie die Jüngeren die neuartigen Landschaftsgemälde von Daubigny studierten, so beeinflussten sie wiederum den Spätstil des Malers. Durch seinen Aufenthalt in Auvers-sur-Oise, wo Daubigny mit seinem Atelierboot viele Gemälde der Uferzonen malte, wurde der kleine Ort zu einer Künstlerkolonie. Und auch noch Vincent van Gogh (1853–1890) pilgerte zum Atelier des 1878 verstorbenen Malers in Auvers-sur-Oise, um Haus und Garten in mehreren Gemälden festzuhalten.
Obwohl sich der französische Maler zu seinen Lebzeiten im In- und Ausland großer Beliebtheit erfreute, ist sein Werk heute nur noch Spezialisten ein Begriff. Um diese Leerstelle zu füllen, erarbeiteten drei Museen eine Ausstellung, die Daubignys neuartige Landschafts- und Lichtstudien und deren Folgen in den Œuvres von Claude Monet und Vincent van Gogh beleuchten. Das Taft Museum of Art in Cincinnati, die National Gallery in Edinburgh und das Van Gogh Museum in Amsterdam (Den Haag, The Mesdag Collection) vereinen für diese Ausstellung Werke von Claude Monet und Van Gogh, um erneut Licht auf Daubignys Bedeutung für die Entwicklung des Impressionismus zu werfen.
Am Salon von 1857 zeigte Daubigny „Frühling“, das erste von vielen Gemälden, in denen er blühende Obstgärten darstellte. Die Originalität dieses Motivs beruhte auf seiner Einfachheit und der Eroberung eines omnipräsenten Motivs. Zeitgenössische Kritiker sahen in ihm die Idylle der Erneuerung, den Realismus Daubignys, womit der Maler zum „Kopf einer realistischen Schule“ erkoren wurde. Nach Ende der Salon-Ausstellung kaufte der französische Staat das Gemälde und ließ es im Musée du Luxembourg hängen. Der hohe Preis von 3.000 Francs ermöglichte dem 40-jährigen Daubigny vermutlich, sein berühmtes Atelier-Boot „Botin [die kleine Schachtel]“ zu erwerben. Auf dieser zu einem Atelier-Boot umgebauten Fähre trieb Daubigny in den folgenden Jahrzehnten die Seine und die Oise hinab und suchte nach pittoresken Sujets.
Adolphe-Victor Geoffroy-Dechaume (1816–1892), Daubignys engster Freund, erinnerte sich, dass sie um 1834 nach Valmondois gefahren sind, wo sie der erblühten Natur, dem Vogelgezwitscher und dem Duft des Heuens frönten. Sie nannten diese Erfahrung „Energie tanken“. Dahinter steht die gedankliche Trennung von Paris und dem umgebenden Land: Die Hauptstadt stand für Überbevölkerung, Schmutz und Laster, während das Landleben als gesund und kräftigend verstanden wurde. Diese Dialektik beförderte nicht nur die Erfindung des Landurlaubs (Sommerfrische), sondern auch die Wertschätzung der Landschaftsmalerei ab den 1840er Jahren. Landschaften konnten so von einer finanziell unabhängigen Gesellschaftsschicht visuell erfahren werden. Daubigny stellte als Künstler gleichsam den Prototyp des Parisers Mitte des 19. Jahrhunderts dar, denn er produzierte Sehnsuchtsbilder und nutzte die Aufenthalte im Grünen für seine eigene Erholung.
Claude Monet, Camille Pissarro und Alfred Sisley könnten „Frühling“ im Salon gesehen haben oder spätere Fassungen des Themas, die auf den Salon-Ausstellungen von 1859 und 1867 bis 1870 präsentiert wurden. Daubignys Gemälde der 1860er Jahre haben einen lyrischen Ton und zeigen eine farbenprächtige, freie Malweise, wie „Apfelbäume in der Normandie“ (1865–1867, Calouste Gulbenkian Foundation, Lissabon).Im Jahr 1872 nahmen Claude Monet und Camille Pissarro mit „Obstgarten in Blüte, Louveciennes“ (1872, National Gallery of Art, Washington DC) das Thema auf.
„Ich sehe das Meer, und es ist so schön, dass ich nirgendwo anders hingehen möchte und die Arbeit nicht erwarten kann.“1 (Charles Fr. Daubigny)
In den 1850ern malte Charles-François Daubigny in der Île-de-France wie z.B. „Die Seine bei Mantes“ und am Strand von Villerville an der Normandie-Küste, das gegenüber von Le Havre liegt. In dem Gemälde „Am Wasser, Optevoz“ (Mount Holyoke College Art Museum, South Hadley, Massachusetts) verzichtete Daubigny erstmals auf den Streifen Land im Vordergrund, womit er seine späteren Flusslandschaften vorwegnahm. Alle Pflanzen können identifiziert werden. Typisch für die Malweise des Frühwerks ist, dass es aus dünnen Schichten aufgebaut wurde. Hier fällt die Variationsbreite der Pinselstriche auf. Erst in den letzten Schichten beschreibt Daubigny Details, Pflanzen und das Erscheinungsbild. Die reiche Palette Daubignys ergänzte dieser auch mit chemischen Farben wie das jüngst entwickelte Pigment Viridian.
Im Herbst 1857, nachdem Daubigny mit dem Verkauf von „Frühling“ an den Staat 3.000 Francs verdient hatte, begann er mit seinem berühmten Atelier-Boot an der Seine nach neuen Themen zu suchen. In den folgenden 22 Jahren malte er Landschaften von der Mitte des Flusses aus. Die früheste bekannte Studie zeigt „Das Dorf Gloton“ (1857, The Fine Arts Museums of San Francisco) an der Seine. Er setzte ungewöhnlich helle, lebendige, frische Farbtöne ein. Während der 1850er Jahre gab es noch eine klare Abgrenzung zwischen spontan entstandenen Skizzen (Plein-air) und den bedachten Atelier-Arbeiten für den Salon. Die Darstellung von Wasser und seinen Reflexionen leitet die Bilder am unteren Rand ein. Tiefe können daher nur über Größenverhältnisse von Objekten (z. B. Bäumen) und Farbwerte illusioniert werden. Schon 1858 wandte er diese Kompositionsweise auf ein Seestück in der Normandie an. „Meer mit bedecktem Himmel“ (1858, Groninger Museum, Groningen). In den folgenden Jahren stellte Daubigny in einer Reihe von Bildern Himmel und Meer, bzw. Wellen dar, darunter „Villerville, von Le Ratier gesehen“ (1855), in dem er die Muschelbänke bei Ebbe zeigt. Um den Horizont weit fassen zu können, nutzte Daubigny erstmals ein doppeltbreites Gemälde. Es wäre möglich, dass die ab 1865 entstandenen Gemälde der grünen Wellen von Gustave Courbet hierin eine Wurzel haben.
„Ufer der Oise“ (1858/59), von Nadar (1820–1910) direkt aus dem Atelier des Künstlers erworben und dann ausgestellt am Salon von 1859, brachte Daubigny die dritte Goldmedaille und die Berufung in die Ehrenlegion. Für viele Zeitgenossen markierte dieser Salon2 eine Wende im öffentlichen Kunstgeschmack: Die Landschaftsmalerei hatte sich das Großformat („la grande peinture“) erobert, das bislang der Historienmalerei vorbehalten war. Gleichzeitig wurde das Genre als wichtigster Zweig der aktuellen Malerei gefeiert. Die Ehrungen festigte den Ruf von Daubigny als modernen Meister und führenden Landschaftsmaler Frankreichs.3 Das Gemälde zeigt die Île de Vaux an einem ruhigen Tag und viele Reflexionen im Wasser der Oise. Interessanterweise sahen die zeitgenössischen Kritiker in ihm sowohl ein Beispiel einer „wörtlichen Übersetzung der Natur“ (Castgnary), also für Direktheit, Ehrlichkeit und Realismus, als auch eines für Gefühlsmalerei und Subjektivität. Zacharie Astruc (1833–1907) verband beide Eigenschaften und meinte gar, Daubignys „objektive Augen“ und „gefühlvolles Herz“ wären gleich stark.
„Seine Gemälde sind Bruchstücke der Natur, ausgeschnitten und mit Gold gerahmt.“4 (Théophile Gautier)
Daubigny wuchs im Dorf Valmondois in der Umgebung von Auvers bei einer Amme auf. Bis zu seinem neunten Lebensjahr lebte er in dieser Gegend, weshalb sein Umzug nach Auvers wohl auch eine starke biografisch-emotionale Komponente gehabt haben dürfte. Zum ersten Mal kam er mit seinem Freund, dem Bildhauer Adolphe-Victor Geoffroy-Dechaume, und ein weiteres Mal in den 1840ern. Sein erstes Gemälde „Der Maler an der Staffelei“, das Auvers und ein Selbstporträt des Künstlers miteinander verbindet, datiert in das Jahr 1843. In der Zwischenzeit hatte Daubigny die Landschaftsmaler Théodore Rousseau und Jules Dupré kennengelernt. Doch erst 1854 wurde Auvers-sur-Oise ein Ausgangspunkt für Daubignys Landschaftsstudien. Vor allem die Lage von Auvers begeisterte den Maler. Mit seinem Malboot Botin konnte er Pontoise und Eragny im Südwesten sowie Valmondois und den Wald von L’Isle Adam im Nordosten leicht erreichen. Jean-Baptiste Camille Corot dürfte seinen Freund ermutigt haben, sich ein Grundstück in dem Ort an der Oise zu kaufen, denn genau in diese Zeit fiel die frühste Entwicklung der Künstlerkolonie in Auvers. Im Sommer 1854 malte Daubigny vor allem in Valmondois, wo er das Motiv für „Wiesen in Valmondois“ (unbekannter Aufenthaltsort) fand, das er mit drei weiteren Gemälden 1855 zur Weltausstellung einreichte und damit eine Medaille dritter Klasse einbrachte. Auch das Gemälde „Ufer der Oise“ (Bordeaux), das er am Salon von 1859 präsentierte, brachte ihm Anerkennung. Interessanterweise stellte Daubigny das Dorf nur höchst selten dar, stattdessen widmete er sich der Schilderung von traditioneller Landwirtschaft und pittoresken Landschaften.
Im Jahr 1860 konnte sich Daubigny ein Stück Land in Auvers-sur-Oise kaufen, auf dem er ein Atelierhaus baute. Er wählte eine ländliche Zone mit kleinen, reetgedeckten Bauernhäusern. Im Jahr 1861 war Daubignys Atelier nach Plänen von Achille-François fertig. Das Haus wurde „Villa des Vallées“ genannt. Corot entwarf Landschaftsdekorationen, die hauptsächlich durch Daubignys Sohn Karl ausgeführt wurden. Für das Schlafzimmer seiner Tochter Cécile malte Daubigny Blumen, Vögel, Blätter sowie Illustrationen aus La Fontaine. Im Jahr 1865 folgten Landschaften an den Wänden des Esszimmers, während Cécil und Karl ein Blumenbouquet ausführten. Zwei weitere Häuser sind als Besitztümer von Daubigny überliefert. Sie zeigen, wie angesehen der Maler und wie begehrt seine Gemälde während der 1870er Jahre bereits waren.
Daubignys Salon-Einrichtungen der 1860er Jahre zeigen Flusslandschaften, die von konservativen Kritikern als „ébauches“ (Skizzen) abgetan und nicht als „tableaux“ (Gemälde) anerkannt wurden. Ein Selbstbildnis von 1862, in Botin arbeitend, trägt den Hinweis „réalisme (Realismus)“. Dass sich diese Naturtreue auf die dargestellten Objekte und nicht die Bildausschnitte bezieht, ist bereits anhand der Darstellungen bäuerlicher Arbeit deutlich geworden. Die Oise wurde in den 1850er Jahren mit dem Kanal Saint-Martin verbunden und so zur wichtigsten Flussstraße von den Kohleminen in Belgien und Nordfrankreich nach Paris. Wenn Kunst also nur echte Dinge wiedergeben darf, muss das ja nicht heißen, dass sie alles zeigen soll!
Den ersten persönlichen Kontakt zwischen den Impressionistinnen und Impressionisten stellte der gemeinsame Freund Achille-François Oudinot (1820–1891) her. Als Berthe Morisot im Sommer 1863 in Auvers malte, stellte er sie Daubigny als erste vor. Ein gemeinsames Mittagessen und langjährige Freundschaft folgten. Auch der Landschaftsmaler Antoine Guillemet bildete eine Brücke zwischen dem inzwischen angesehenen Daubigny und den jungen Impressionisten im Café Guerbois und im Atelier Suisse in Paris. Guillemet, einer der engsten Freunde von Pissarro, begleitete 1866 Paul Cézanne (1839–1906) nach Aix-en-Provence.
Als Bazille 1867 eine Petition für einen Salon des Refusés auf die Beine stellte, unterschrieben Daubigny, Guillemet, Manet, Monet, Pissarro, Renoir und Sisley. Wenn auch diese Ausstellung nicht stattfand, so wurden doch die Regeln für die Bestellung der Juroren für den Salon von 1868 zugunsten der Impressionisten geändert. Nun wurden die Juroren unter all den ehemaligen Teilnehmer des Salons ermittelt. Daubigny erhielt die meisten Stimmen. Unter den 4.213 angenommenen Werken (um 1.378 Werke mehr als im Vorjahr!) befanden sich Arbeiten aller zukünftigen Impressionisten: Bazille, Degas, Manet, Monet, Morisot, Pissarro, Renoir und Sisley. Die Präsentation erwies sich trotz harscher Kritik durch Kunstminister Nieuwerkerke, der die Staatskunst bedroht sah, als Riesenerfolg.
Trotz des Durchbruchs der realistischen Landschaftsmalerei am Salon von 1868 waren die folgenden Jahre mehr durch gemeinsame Ausstellungen in London geprägt. Daubigny, Monet, Pissarro und der einflussreiche Galerist Paul Durand-Ruel flohen vor dem Deutsch-Französischen Krieg in die Metropole an der Themse. Zwischen 1870 und 1874 organisierte Durand-Ruel elf Ausstellungen mit Werken der Schule von Barbizon, Daubigny und den aufstrebenden Impressionistinnen und Impressionisten.
„Der Hintergrund ist nicht vollendet und die vorderen Ebenen […] sind nur skizziert; nach ein paar Monaten Arbeit könnte das Ding einem Gemälde ähneln.“5 (Maxime Du Camp über das Gemälde „Die Ernte“ 1852)
Bereits im Jahr 1865 findet sich in einer Kritik der Hinweis auf eine „Schule des Eindrucks [impression]“ und ihren „Anführer“, Charles François Daubigny. Théophile Gautier (1811–1872) würdigte den Landschaftsmaler für „Exaktheit“ und „lebendigen Eindruck“. Das Gemälde „Der Teich von Gylieu“ (Cincinnati Art Museum) verglich er sogar mit einer Daguerrotypie. Während der ganzen 1860er Jahre wurden Daubignys Gemälde mit dem Begriff der „impression [Gefühlseindruck/Eindruck]“ diskutiert – sowohl in positiver wie in negativer Richtung.
In einigen Flusslandschaften integrierte Daubigny Dampfschiffe im Vordergrund. Schon 1844 hatte Daubigny sechs Zeichnungen mit Fabriken, Eisenbahnen, Brücken und Lastkähnen für „Album-Revue de l’industrie parisienne“ geliefert und weitere Darstellungen dieses Themas angefertigt. Camille Pissarros (1830–1903) Flusslandschaften der 1870er Jahre zeigen nicht nur eine ähnliche Perspektive, sondern auch Fabriksschlote in einer ländlichen und agrarisch genutzten Umgebung. Der Schriftsteller Frédéric Henriet (1826–1918), ein Freund von Daubigny, hat vielleicht die treffendsten Worte für die Wandlung Frankreichs von einem Agrarstaat in einen Industriestaat gefunden:
„Jede Eroberung der Industrie und materielle Verbesserung verlangt in erster Linie einige Opfer von der Schönheit der Erinnerung und der Harmonie der pittoresken Schönheit. […] Wir würden den Verehrern der reinen Kunst empfehlen […], versenkt euch immer und immer wieder im lebensspendenden Kontakt mit der Natur, die ewige Quelle von Wahrheit, Schönheit und Kraft […], wo die Flügel eurer Inspiration nicht von Fabriksschloten, Telegrafenmasten oder dem schwarzen Auspuffrohren der Lokomotiven eingezwängt wird.“6
Die Orte, die Daubigny malte, sind erstaunlich deckungsgleich mit jenen, die in der Freizeitindustrie zwischen der 1830er und 1880er Jahre beworben wurden. Das Interesse der Touristen wurde nicht mehr von historischen Stätten, sondern von „Natur“ angezogen. Anstelle jedoch hyperrealistische Bilder der Veränderungen der Landschaft zu liefern, malte Daubigny romanische Ansichten der Seine und der Nebenflüsse ohne den zunehmenden Schiffsverkehr oder die an den Ufern niedergelassenen Fabriken mit abzubilden. Vielleicht hat die industrielle Veränderung der Seine dazu geführt, dass der Maler die Oise deutlich bevorzugte.
„Hier verschwindet die Kunst, um der Natur den Platz zu überlassen. – Man könnte meinen, es handle sich um ein Fenster, das aufs Land geöffnet ist, und nicht um einen Keilrahmen mit einem Rahmen.“7 (Théophile Gautier)
Maltechnisch wurden Studien und Gemälde Daubignys für den Impressionismus wichtig, weil der Künstler die ephemeren Lichtstimmungen direkt und mit großer Arbeitsökonomie festzuhalten verstand. Er dachte bereits wie sein Nachfolger Claude Monet in Farbflecken und konzentrierte sich auf Farben und Licht. Details und Konturen wurden hingegen vernachlässigt. Der Pinselstrich beschreibt weniger die Form als die Farbe. Daubigny beschrieb seine Werke als Niederschriften von Sinneswahrnehmungen und Gefühlen, die er schnell und spontan in Malerei verwandelte.
Diese Arbeitsweise führte zwangsläufig zur Frage, wie er die Frische und Spontaneität der Skizzen auf die im Atelier ausgeführten Gemälde übertragen könnte. „Klippen bei Villerville“ (Salon von 1864) könnte Daubigny vor dem Motiv gemalt haben. Zumindest legte er die Komposition im Oktober 1863 vor Ort an. Wie weit er jedoch das Gemälde auch unter freiem Himmel vollendete, kann nicht geklärt werden. Da allerdings auch die Impressionisten ihre Werke in den Ateliers fertigstellten, darf auch Gleiches für Daubigny angenommen werden. Mit Bildern wie „Mondaufgang“ (Salon von 1868) und dessen Impasto-Mond oder „Die Dünen bei Camiers“ (1871, Minneapolis Institute of Art) hatte er großen Einfluss auf die nachstrebenden Landschaftsmaler. Daubignys intime, stille Landschaften waren ihnen offenbar mehr zugänglich als die heroischen Bilder Gustave Courbets.
Claude Monet und Daubigny lernten einander während des Deutsch-französischen Kriegs in London kennen. Der Kontakt zu den jüngeren Malern ermutigte Daubigny seine experimentelle Richtung mit breiter, mit Palettmesser aufgetragener und ineinander verschmierter Farbe (alla prima Malerei) weiterzuführen. Der Spätstil Daubignys in den 1870er Jahren ist schroff, befreit von Detailwiedergabe, voll schnell hingesetzter Pinselstriche, die mehr wie Kürzel wirken als wie Beschreibungen. Es ging ihm um den „effet“ (Effekt) einer Stimmung, einer Wetterlage, des unendlichen Meers. Diesen „Effekt“ fing er an den immer gleichen Orten ein, quasi Thema und Variationen, was entfernt auf Monets Serien der 1890er vorausweist. Mit den 25 mondbeschienenen Landschaften weist sich der französische Landschaftsmaler einmal mehr als ein origineller Verwerter und Wegbereiter zwischen später Romantik und frühem Symbolismus8. Dass Claude Monet für sein Bild „Impression, soleil levant“ genau dieser Begriff wählte und daraufhin bei der ersten Ausstellung der Impressionisten die ganze Gruppe damit verbunden wurde, war gut vorbereitet.
Am 15. Februar 1817 wurde Charles- François Daubigny in Paris geboren. Er verbrachte seine Kindheit in Valmondois im Tal der Oise. Studium bei seinem Vater Edmé-François Daubigny, einem neoklassizistischen Landschaftsmaler, und seinem Onkel, dem Miniaturmaler Pierre Daubigny.
1835 und 1837 Studium beim Historienmaler Pierre-Asthasie-Théodore Sentiès.
1836 Umzug nach Italien (Februar). Vielleicht malte Daubigny die Studie „Landschaft in der römischen Campagna“ (Brooklyn Museum, New York) bereits im Freien. Ihr langgezogenes Querformat wird zeitlebens das Lieblingsformat des Malers bleiben.
1837 Rückkehr nach Paris (November)
1838 Erste Teilnahme am Salon
1839 „Hl. Hieronymus in der Wildnis“ (Musée de Picardie, Amiens) versuchte er en plein-air zu malen und positionierte sich dafür auf einem Berg in den französischen Alpen (Isère). Eine steife Brise vereitelte diesen Plan.
1840 Am Salon Teilnahme mit „Hl. Hieronymus in der Wildnis“ (Musée de Picardie, Amiens). Eintritt ins Atelier von Paul Delaroche (1797–1856).
1841 Aufgrund eines Achtsamkeitsfehlers wurde Daubigny vom Rom-Preis ausgeschlossen. Zu diesem Zeitpunkt fällte er den Entschluss, der akademischen Ausbildung den Rücken zu kehren und sich stattdessen selbständig weiterzubilden. Aufträge für Bücher und Magazine garantierten ein Einkommen in den folgenden Jahren.
1843 Im Herbst in Fontainebleau, wo er „Die Kreuzung am Adlerhorst, Wald von Fontainebleau“ (1843/44, Öl auf Leinwand, 89.54 x 116.21 cm, Minneapolis Institute of Art, Gift of Ruth and Bruce Dayton, Inv.-Nr. 91.148.5) malte. In einem Brief beschrieb er, wie er Leinwand und Malfarben jeden Tag in den Wald trug. Das Gemälde vollendete Daubigny im Winter im Atelier. Es verrät aber sein Studium der holländischen Landschaftsmalerei des 17. Jahrhunderts, seine akademische Ausbildung (Tonalität) und Übung im Umgang mit grafischen Entwürfen.
1846 Geburt des Sohnes Karl Daubigny in Paris (1846–1886 Auvers-sur-Oise)
1849 Daubigny reiste mehrfach in die Berge östlich von Lyon und über dem Rhone Tal (bis 1858). An die 25 Gemälde sind von dieser Landschaft inspiriert. Im November entdeckte er die Ruinen für die „Landschaft bei Crémieu“ (Minneapolis Institute of Art). Vielleicht hat Daubigny in diesem Jahr bereits mit Camille Corot (1796–1875) zusammengearbeitet, vielleicht aber auch erst 1852. Sie könnten ihre Freundschaft in diesem Jahr oder schon früher begründet haben.
1851 Machte Radierungen für Pierre Lachambeaudie’s „Fabeln“.
1852 Erste Anerkennung am Salon für „Die Ernte“, in dem er das „aktive Leben am Lande“, wie er es selbst in einem Brief ausdrückte, zeigen wollte. Für die Komposition des panoramaartigen Bildes könnte Philips de Koninck (1619–1688) Pate gestanden haben, der Einfluss Gustave Courbets wird am gesteigerten Realismus der Landschaft festgemacht. Die Goncourt Brüder priesen das Gemälde in höchsten Tönen. Mit diesem Bild und mit seiner mutigen Farbverwendung bereitete Daubigny den Impressionismus vor. Sowohl was den Farbauftrag mit dem Palettmesser als auch die Farbzusammenstellung (Weg im Vordergrund und Wolken in rosa und Violett, die entfernten Felder in Türkis, Violett, Blaugrün und Gelb) anlangt, ist das Gemälde ein Vorbote einer neuen Landschaftsmalerei.
1853 Teilnahme am Salon mit „Der Teich in Gylieu“ (Cincinnati Art Museum), das ebenfalls begeistert aufgenommen wurde. Daubigny erhielt dafür eine Medaille Erster Klasse, und Kaiser Napoleon III. erwarb es.
1854 Im Juni entdeckte Daubigny Villerville, ein Fischerdorf in der Normandie.
1859 Nadar (1820–1910) erwarb „Les Graves de Villerville [Ufer der Oise]“ direkt aus dem Atelier Daubignys. Das Gemälde wurde am Salon ausgestellt und brachte dem Maler einen ersten Kritikererfolg.
1860 Kaufte ein Stück Land in Auvers-sur-Oise, wo er sich ein Atelierhaus baute.
1862 Veröffentlichung der Serie „Voyage en bâteau. Croquis à l'eau forte“ (Druck Cadart, Paris).
1866 Erster Aufenthalt in London.
1870/71 Während des Deutsch-Französischen Kriegs hielt sich Daubigny mit seiner Familie erneut in London auf. Hier traf er Claude Monet und Camille Pissarro, die er mit dem Kunsthändler Paul Durand-Ruel bekannt machte.
1871 Gemeinsam mit Monet brach er in Richtung Holland auf, wo beide malten. Im Mai Aufenthalt in Etaples in der Normandie.
Am 19. Februar 1878 starb Daubigny in Paris.
Lynne Ambrosini: ‘Leader of the School of the Impression’ Daubigny and his Legacy, S. XX
Maite van Dijk: Daubigny and the Impressionists in the 1860s, S. 45–
Michael Clarke: Tales of the Riverbank: Daubigny’s River Scenes, S. 65
Lynne Ambrosini: The Market for Daubigny’s Landscapes, or ‘The best pictures do not sell’, S. 81
Frances Fowle: Auvers-sur-Oise as an Artists’ Colony: from Daubigny to Van Gogh, S. 93
Nienke Bakker: In Daubigny’s Footsteps: Vincent van Gogh, S. 105
René Boitelle: ‘Tout dans son talent est prime-sautier, sain, ouvert’: Observations on Daubigny’s Late Painting Techniques, S. 131
Lynne Ambrosini and Katie G. Benedict: Chronology, S. 153