Zum 70. Geburtstag richten die Albertina, das Centre Pompidou (→ Anselm Kiefer Retrospektive im Centre Pompidou), die Bibliothèque Nationale in Paris und das Museum der bildenden Künstle Leipzig (→ Anselm Kiefer. Künstlerbücher) dem aus Deutschland stammenden Maler und Installationskünstler Anselm Kiefer (* 1945) eine vierteilige Retrospektive aus. Das Wiener Haus würdigt erstmals die Holzschnitte des international gefeierten, aber in seiner Heimat lange Zeit umstrittenen Künstlers. Kuratorin Antonia Hoerschelmann versammelt 43 monumentale Arbeiten, die nicht nur einen Überblick über das druckgrafische Werk geben, sondern auch einen thematischen über das Schaffen des Wahl-Franzosen bieten. Neben großformatigen Arbeiten wie der „Hermannsschlacht“, „Grane“ und „Cette obscure clarté qui tombe des étoiles“ (1997–2015) hat Kiefer mit „Sol invictus Elagabal“ (2015/16) ein neuer Holzschnitt zu einem neuen Thema fertiggestellt, die es allerdings nicht mehr in den Katalog schafften.
Österreich / Wien: Albertina, Basteihalle
18.3. - 19.6.2016
„Ich arbeite mit Symbolen, die unser Bewusstsein mit der Vergangenheit verbinden. Diese Symbole schaffen eine simultane Kontinuität und wir erinnern uns an unsere Ursprünge.“1
Ob es der Teutoburger Wald, der Rhein samt Rheintöchtern und Schatz, zerstörte Bunker an den Verteidigungslinien des Zweiten Weltkriegs oder brennendes Stroh und Speers Architekturphantasien sind, die Orte von Kiefers pathetisch vorgetragenen Bildwelten sind mit unheilvollen Erinnerungen aufgeladen. Die von Anselm Kiefer eingesetzten Symbole haben heftige Auseinandersetzungen ob des Inhalts seines vielgestaltigen Werks ausgelöst. Mit seinen als verwirrend und rätselhaft empfundenen Kompositionen setzte er sich mit nordischer Mythologie, deutscher Geschichte (von der Hermannsschlacht bis zum Zweiten Weltkrieg), dem Nibelungenlied und Wagners Ring, vom mythischen Rhein bis zu NS-Bauten auseinander. Während ihm damit durchschlagender Erfolg in den USA beschieden war, reagierten Kritiker in Europa skeptisch, einige beschimpften den Maler sogar als Neo-Faschisten.
„Bunker sind hochinteressante architektonische Gebilde von einer wunderbaren Schönheit, und zwar deshalb weil es nicht mehr uns Wohnen geht. Die Bunker sind die eigentlichen l’art pour l’art Gegenstände, weil der Raum, der innen übrig bleibt, in keinem Verhältnis zu dem Beton steht, den man für den Bau eines Bunkers braucht.“2 (Anselm Kiefer)
Oft würden Anselm Kiefers Werke auf den ersten Blick in die Gattung des Landschaftsbildes fallen, wenn nicht der Künstler mit bewusst linkischer Hand und alter Schreibschrift vielsagende Titel, poetische Textfragmente und Bunkerruinen in die Bilder einfügen würde. Sie erst machen aus der Rhein-Serie eine Ansammlung von militärischen Stellungen, aus den Protagonisten der Nibelungensage verhängnisvolle Vorbilder einer verblendeten Nation. Aus der im Wahn versprochenen 1000 Jahren Herrschaft wurde ein mörderischer Krieg, dessen Relikte die Landschaft noch immer definiert. Anselm Kiefer wandte seinen Blick nicht ab von der unrühmlichen Vergangenheit und ihren Resten, sondern hielt mit seinen Werken den Finger darauf.
Gleichzeitig betonte Anselm Kiefer im Gespräch mit Anton Zeilinger, hätte er die von den Nationalsozialisten missbrauchten Erzählungen, Orte, den deutschen Wald, deutsche Geistesgrößen von ihrem schlechten Ruf befreit (→ Anselm Kiefer und Anton Zeilinger in der Albertina). Das Pferd Grane ist Brunhildes einziger treuer Gefährte, der sie bis in den Feuertod am Scheiterhaufen begleitet. Wie bei vielen Porträts von deutschen Dichtern, Philosophen und historischen Persönlichkeiten nutze Kiefer auch hier Vorlagen aus der nationalsozialistischen Publizistik. Durch ihre neuerliche Aktivierung hat Kiefer die von der nationalsozialistischen Propaganda missbrauchten Figuren und Denker dem aktiven Vergessen oder Verschweigen entrissen, um sie erneut zur Diskussion zu stellen, denn, so ist sich der Künstler sicher, die Geschichte könnte sich jederzeit wiederholen.
Im Jahr 1974 erprobte Anselm Kiefer erstmals die Möglichkeiten des Hochdrucks, den er bis heute als Handdruck realisiert. Er schnitt knapp 30 Porträts in Holz, die er zum Holzschnitt-Buch „Die Hermanns-Schlacht“3 (1977) zusammenstellte, dem ältesten Ausstellungsstück in der Albertina. Ab 1977/78 kombinierte Anselm Kiefer verschiedene, auch ältere Druckstöcke mit neuen Themen: „Brünhilde-Grane“4, wobei er allerdings nur Pferd und Scheiterhaufen darstellt, und die Walküre nur über die Beschriftung eingeführt ist. In der Albertina sind vier Holzschnitt-Collagen der „Brünhilde – Grane“ aus den Jahren 1977/78, 1978 (2 Versionen) sowie 1977 bis 1991 zu sehen, deren frühere drei noch stärker mit Farben überarbeitet wurden. Hierin zeigt sich Kiefers Interesse, mit der (illusionierten) Maserung von Holzplanken zu arbeiten, die er als horizontal verlaufende Strukturen einsetzt.
Zum Jahreswechsel 1977/78 schuf Anselm Kiefer erstmals einen Holzschnitt zu „Wege der Weltweisheit: die Hermannsschlacht“, für den er über dreißig, meist schon 1974 entstandene Porträts5 im Teutoburger Wald zusammenstellte. Ein Liniengewirr, zwischen Spinnennetz und Verbindungsstränge changierend, legt sich über die Köpfe. Der gleichnamige Holzschnitt „Teutoburger Wald“ hingegen scheint auf dem ersten Blick nur ein Feuer und wirbelartig miteinander verschlungene Äste im Wald zu zeigen. Erst bei genauer Betrachtung fällt der Panzer auf, der sich von links dem mythischen Ort im Waldesinneren nähert. In der Ausstellung präsentiert Kuratorin Antonia Hoerschelmann den „Teutoburger Wald“ (1980) neben „Grane“, um Kiefers Vorliebe für Motivwanderungen offen zu legen.6
„Seit dreißig Jahren entwickelt sich das Werk von Anselm Kiefer in einem Prozess aus Ablagerung, Kreuzung und Überarbeitung von Themen, Motiven und Konstellationen, die in sehr unterschiedlichen Medien immer wieder auftauchen und sich in ihnen überlagern, in Photographien, Gouachen und Aquarellen, Gemälden, Büchern, Gravüren, Skulpturen, Installationen und Atelierinszenierungen – diese werden Gegenstand für Photographien, die ihrerseits wieder für Bucher, Gouachen, Gemälde usw. benützt werden können.“7 (Daniel Arasse)
Wie in seiner Malerei und seinen Installationen lässt sich Anselm Kiefer bei seinen Holzschnitt-Collagen von der Intuition leiten. Er mischt Drucke verschiedener Jahrzehnte, indem er sie über- und nebeneinander collagiert. Dann überarbeitet sie malerisch mit Öl, Acryl, Emulsion und Schellack. Die Resultate sind Unikate in Riesenformaten. Die Entstehungszeit so manches Holzschnitts erstreckt sich daher über ein Jahrzehnt. Kiefer geht es nicht um das Reproduzieren, sondern um das „Remixen“ von Material, Themen, Ideen, Bildfindungen; ein Arbeitsprozess, der sich bereits seit Jahrzehnten von Gemälden zu Installationen, Holzschnitten zu Künstlerbüchern erstreckt. Mit diesem Zugang ist er nicht nur Georg Baselitz, sondern vor allem Edgar Degas‘ Monotypien ähnlich.
Anfang der 1990er Jahre, nach mehrjährigen Reisen in den Vorderen Orient und nach Asien, erschuf Anselm Kiefer seine Bildwelt neu. Er entdeckte die jüdische Kabbala und die mystisch-poetische Annahme des englischen Philosophen Robert Fludd (1574–1637), es gebe für jede Pflanze einen Stern im Universum. Doch auch Francisco de Quevedo y Villegas, Pierre Corneille, Paul Celan, Ingeborg Bachmann gehören zum persönlichen Kosmos des deutschen Künstlers. Nun geht es ihm um den Menschen, Kiefer selbst, und seine Verbindung zur Natur. Als stehender oder liegender Akt stellt er sich seither in harmonischer Beziehung zum Universum dar, fest daran glaubend, dass „wir die Membran zwischen Makrokosmos und Mikrokosmos sind“8.
Daher positioniert sich der Künstler selbst liegend unter dem Sternenhimmel, riesigen verdorrten Sonnenblumen mit schwer hängenden Köpfen bzw. wird zu Stamm und Wurzel einer schwarzen Sonnenblume in „für Robert Fludd“ (1996). Kiefer liebt die Sonnenblume – allerdings in ihrem reifen, todesnahen Zustand, wenn die Köpfe voller Kerne stecken. Sie wählt er als Symbol für Tod und Wiedergeburt in einem. Gleich gegenüber in „Cette obscure clarté qui tombe des étoiles“ (1997–2015) wird die Materialität Kiefers noch einmal deutlicher, klebte er doch unzählige Sonnenblumenkerne auf die Mischung aus Holzschnitt und Kohlezeichnung. Wie Sternenstaub fallen die Partikel auf eine Wüstenei. Nichts geht verloren – auch im Tod nicht, das Leben steckt in den kleinsten Einheiten.
In seiner aktuellsten Arbeit – „Sol invictus Elagabal“ (2015/16) – zeigt sich Anselm Kiefer einmal mehr als Nachfolger der deutschen Romantik: ein tiefverschneiter Tannenwald, ein kleiner Junge, als Sol invictus und Kaiser Eglabal (Regierungszeit 218–222 n. Chr.) angesprochen. Während dessen Regierungszeit begann die Verbreitung des Sol-invictus-Kultes im Römischen Reich.9 Dem Glitzern eines verschneiten Waldes hält Kiefer einen verwundbaren Jungen in kurzen Hosen entgegen. Die Tannen erinnern an den „deutschen Wald“ in Gemälden von Caspar David Friedrich und Märchen der Gebrüder Grimm, auf beide hat sich Kiefer bereits in früheren Arbeiten bezogen. Die heroischen Landschaften des Rhein konterkariert er mit einem Kinderbild. Vielleicht handelt es sich hierbei ja um ein Selbstbildnis des Künstlers, der im zerbombten Deutschland groß wurde und in der politischen Geschichte und den erzählten Geschichten seine Inspirationsquellen sieht.
Merken
Merken