„Wir sind keine Genossenschaft, keine Vereinigung, kein Bund, sondern haben uns in zwangloser Form eigens zum Zweck dieser Ausstellung zusammengefunden, verbunden einzig durch die Überzeugung, dass kein Gebiet menschlichen Lebens zu unbedeutend und gering ist, um künstlerischen Bestrebungen Raum zu bieten, dass […] auch das unscheinbarste Ding, wenn es vollkommen ausgeführt wird, die Schönheit dieser Erde vermehren hilft, und dass einzig in der immer weiter fortschreitenden Durchdringung des gesamten Lebens mit künstlerischen Absichten der Fortschritt der Kultur begründet ist.“ (aus der Festrede von Gustav Klimt anlässlich der Eröffnung)
Österreich | Wien: Unteres Belvedere
1.10.2008 – 18.1.2009
Als Gustav Klimt am 1. Juni 1908 die Kunstschau eröffnete, sollten mit dem Projekt mehrere Bedürfnisse gestillt werden. Der Zeitpunkt war mit großem Bedacht gewählt, feierte doch Kaiser Franz Joseph in diesem Jahr sein 60-jähriges Thronjubiläum. Da die beteiligten Künstler 1905 aus der Secession ausgetreten waren, verfügten sie über keine Ausstellungshalle mehr, in der sie ihre Kunst und Philosophie einem breiten Publikum präsentieren hätten können. Koloman „Kolo“ Moser sprach sich im Zuge der Vorbereitungen dafür aus, nur Künstler „österreichischen Ursprungs“ zuzulassen und 1909 eine Internationale Kunstschau auszurichten. Indem die Organisatoren rund um Josef Hoffmann die Bereiche Architektur und Kunstgewerbe besonders stark präsentierten, sollte die Idee des Gesamtkunstwerks wie bereits in den Secessionsausstellungen einem breiten Publikum zugänglich gemacht werden. Erfolgreiche Projekte aus dem Jahr 1907 wie die Ausstattung des Wiener Cabaret Fledermaus und auch die Auftragserteilung für das Brüsseler Palais Stoclet gaben den Künstlern Mut. Gleichzeitig erhofften sie sich wohl auch einen finanziellen Erfolg, den Klimt in seiner oben zitierten Eröffnungsrede nicht durch öffentliche Aufträge des Staates, sondern durch die „ideale Gemeinschaft aller Schaffenden und Genießenden“ verwirklicht sah. Das Konzept des Gesamtkunstwerks beinhaltete somit wohl nicht nur eine Verschönerung der Welt mit Hilfe des Designs, sondern auch die gesellschaftliche Integration des Künstlers.
Auf der Gesamtfläche von etwa 6.500m² errichtete Josef Hoffmann auf dem Baugrund des heutigen Konzerthauses (Lothringerstraße) ein aus 30 Pavillons, Gärten und einem Schau-Friedhof bestehendes, provisorisches Ausstellungsgebäude. 176 Künstler – etwa ein Drittel davon weiblich (!) – stellten bis Beginn November hunderte von Objekten und Gemälden aus. Bedeutenden Künstlerpersönlichkeiten wie Gustav Klimt, Carl Moll, Koloman Moser und dem heute wenig bekannten Bildhauer Franz Metzner wurden ganze Säle gewidmet, andere waren thematisch zusammengefasst. Zu den bedeutendsten Werken, die auf der Kunstschau zu sehen waren, zählt zweifellos Gustav Klimt: Der Kuss (1907/08)!
Koloman Moser gestaltete den Klimt-Raum mit einer delikaten Musterung sowie ornamentale Einfassungen der Türen. In der Rekonstruktion der Räume, die Klimt und ein weiterer der Wiener Werkstätte gewidmet waren, stellt sich so nicht nur der Eindruck von Ruhe und elitärem Glanz ein, sondern auch das Gefühl für die nahezu liebevolle Präsentation der Werke. Ganz im Gegenteil dazu sind die Plakate von Bertold Löffler und seinen Schülern (darunter der aufstrebende Oskar Kokoschka) mit leuchtenden Primärfarben gestaltet und waren wie im Stadtbild nahtlos und überbordend an die Wände affichiert.
Die schwierigste Arbeit für die Ausstellungsmacher war aus einem dünnen Katalog und einigen erhaltenen Dokumentationsfotos eine ganze Ausstellung zu rekonstruieren. Etwa drei Viertel davon wurde ausfindig gemacht und manches davon konnte erstmals wieder zusammengeführt werden. Nicht alle Kunstobjekte – wie etwa das erste Porträt der Adele Bloch-Bauer von Gustav Klimt – wurden von ihren Besitzern jedoch für die Ausstellung zur Verfügung gestellt. Ausgleich dafür soll vor allem der monumentale Katalog bieten. Auf über 500 Seiten werden die Ausstellungsobjekte der Kunstschau 1908 vorgestellt. Für Kenner der Wiener Kunst des beginnenden 20. Jahrhunderts bietet die Schau einen spannenden Überblick über alle Gattungen im „Stichjahr“ 1908 – von der Malerei, über Kunsthandwerk bis hin zu Kinderkunst sowie Kunst für Kinder. Die einzige Neuentdeckung mag der Bildhauer Franz Metzner sein, dessen heroisch-gefühlsbetonte Männerbilder irgendwo zwischen postsymbolistisch und monumental einzuordnen sind.