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J. & L. Lobmeyr

Was ist J. & L. Lobmeyr?

J. & L. Lobmeyr (gegründet 1823) ist ein traditionsreicher Wiener Glasproduzent, dessen Geschäft in der Kärntner Straße 26, 1010 Wien, liegt. Der Erfolg Lobmeyrs lag in der Verbindung eleganter Entwürfe mit innovativen Herstellungs- und Glasbearbeitungstechniken zu stilsicheren Produkten im Bereich Glas und Leuchten. Seit dem 19. Jahrhundert arbeitet Lobmeyr mit bedeutenden Künstler:innen zusammen, darunter Theophil von Hansen, Josef Storck, Friedrich von Schmidt, Josef Hoffmann, Adolf Loos, Oswald Haerdtl. Lobmeyrs Beleuchtungskörper hängen im Palast des ägyptischen Vizekönigs, im Palazzo Reale in Venedig und den Residenzen Ludwigs II. von Bayern (München, Herrenchiemsee) aber auch in den Opernhäusern von New York und Sidney.

 

Gründung 1823: Joseph Lobmeyr

Joseph Lobmeyr senior (17.3.1792–8.5.1855), der aus Grieskirchen in Oberösterreich stammte, gründete um 1822/1823 in Wien einen bescheidenen Glaserladen im Haus „Zur Kaiserin von Österreich“ in der Weihburggasse. Das älteste noch vorhandene Geschäftsbuch beginnt am 1. Februar 1823; das Datum der Eröffnung des Glaserladens lässt sich nicht mehr genau eruieren, es könnte aber schon im November 1822 gewesen sein. Seine Ausbildung hatte Joseph Lobmeyr bei seinem Großonkel in Grieskirchen sowie beim Glaser in Lambach erhalten. Um 1818 fand Lobmeyr bei einem Glaser in einer der südlichen Wiener Vorstädte Beschäftigung, danach im Geschäft Hohenrieder am Graben. Mit 600 Gulden gründete er sein eigenes Geschäft.

Zu Beginn der Firmengeschichte trat Lobmeyr als reiner Händler auf. Er verkaufte Gläser verschiedener Hersteller und vertrat die wichtigsten böhmischen Glasraffinerien in Wien. Letztere, darunter Joseph Lötz (Bergreichenstein), Friedrich Egermann (Haida), F. Steigerwald und Johann Meyr (Adolf), überließen Joseph Lobmeyr ihre Erzeugnisse in Kommission. Dabei handelte es sich vor allem um Luxus- und Gebrauchswaren aus Kristall- und Farbenglas mit Schliffdekor. Lobmeyr siedelte sich bereits Anfang 1824 in der Kärntnerstraße Nr. 940 an und machte am 29. Juli seine Meisterprüfung. Daran schloss sich auch das Bürgerrecht der Stadt Wien an, der Bürgerbrief wurde ihm am 13. August 1824 ausgehändigt.

Am 19. August 1827 heiratete Joseph Lobmeyr Aloisia Dobrasky (6.12.1803–1864) in der erzbischöflichen Churkapelle zu St. Stephan. Fünf ihrer neun Kinder erreichten das Erwachsenenalter; die beiden ältesten traten als Lehrlinge in das väterliche Geschäft ein. Joseph Lobmeyr wurde 1835 anlässlich der Lieferung eines ersten Services für die Hofburg zum K. k. Hoflieferanten ernannt. Im gleichen Jahr wurde er Untervorsteher der Genossenschaft Glaser, Glashändler und Glasschleifer in Wien. Im Jahr 1844 gelang es Joseph Lobmeyr das große Eckgeschäft zu beziehen, wodurch er die gesamte Häuserfront zwischen Weihburggasse und Kärntner Straße bezog.

Von 1837 bis 1849 pachtete Joseph Lobmeyr gemeinsam mit Joseph Kampf eine Glasfabrik in Marienthal in Slawonien (ehemals Königreich Ungarn). Die beiden bezahlten 1.000 Gulden für 12 Jahre Nutzung. Lobmeyr ließ dort Hohl- und Tafelglas herstellen aber auch Kristall- und gepresstes Glas (feinstgeschliffene Biedermeiergläser). Da sich Joseph Kempf, der als Direktor der Glashütte eingesetzt wurde, Unregelmäßigkeiten zuschulden kommen, weshalb er entlassen und gerichtlich belangt wurde. Daraufhin engagierte Lobmeyr Georg Trnka als Leiter.
Künstlerische Inspiration und technisches Knowhow importierte Joseph Lobmeyr aus Frankreich, von wo er sowohl Formen aus Messing, Maschinen und Kunsthandwerker importierte, um „brillantiertes Pressglas“ herzustellen. Dennoch erwarb Joseph Lobmeyr am 2. August 1838 das gesamte Warenlager und die Gewölbeeinrichtung der Konkurrenzfirma Janke & Görner am Kohlmarkt für 8.400 Gulden.

Ab 1840 sind erste „eigene Muster“ Joseph Lobmeyrs im Museum für angewandte Kunst (MAK) nachweisbar. Damit wurde der Händler zum Auftraggeber von Biedermeiergläsern, Beleuchtungskörpern und Spiegeln. Zu den wichtigsten frühen Projekten zählt die Produktion von Kron- und Wandleuchter für den Vizekönig von Ägypten. Das Biedermeier-Glas löste in den 1820er Jahren das Glas im Empire-Stil ab. Gegen Mitte des 19. Jahrhunderts dominiert eine starke Farbigkeit sowohl in der Farbigkeit des Glases als auch in der Bemalung. Zudem musste sich Joseph Lobmeyr mit neuen, möglichst komplizierten Schliffdekorationen auch am farblosen Glas auseinandersetzen. Das MAK verwahrt 18 Folianten der „Werkzeichnungen“, die Joseph Lobmeyr verkaufte: 52 verschiedene Servicearten sind aufgeführt. Die Einzelformen sind im Firmenarchiv in Papierschnitten erhalten. Nur zwei der 52 Servicen haben den Zusatz „nach eigenen Zeichnungen“, was als erste Entwürfe von Ludwig Lobmeyr zu werten ist. Ab 1845 bot Lobmeyr auch Dessertservicen an, ab 1860 korrespondierten sie im Dekor mit den Trinkservicen. Der 18. und letzte Band der „Werkzeichnungen“ beinhaltet Glasluster, die seit 1839 einen wichtigen Zweig der Lobmeyr’schen Produktion ausmachten: Nachdem Lobmeyr die Luster für den Ballsaal der österreichischen Botschaft in St. Petersburg gefertigt hatte, gewann er den Wettbewerb um die Beleuchtung im Palast des Vizekönigs von Ägypten (1848, Installation November 1849). Fünf Jahre später stattete die Firma den Palazzo Reale in Venedig aus (1854).

Neben Marienthal gründete Joseph Lobmeyr 1841 eine Glasfabrik in Zwechewo (heute: Zvečevo) in Slawonien, die bis 1857 Bestand hatte. Erster Geschäftsführer war Karl Sigismund Hondl, dem wegen mangelhafter Buchführung 1851 Ludwig Lobmeyr folgte.
Noch während des Betriebs bezog Lobmeyr um 1850 den größten Teil des benötigten Glases von „J. Meyr’s Neffen“ in Adolf und Eleonorenhain in Südböhmen (gegr. 1815), sowohl für das Rohglas als auch für die veredelten Gläser. Die Neffen des Firmengründers Johann Meyr, Josef Taschek und Wilhelm Kralik (1807–1877), leiteten bis zu sieben Fabriken gleichzeitig. Am 28. Mai 1851 heiratete Wilhelm Kralik Louise, die Tochter von Josef Lobmeyr, in Eleonorenhain bei Winterberg (Böhmerwald). Die nunmehr verschwägerten Familien stellten 1873 mit großem Erfolg auf der Wiener Weltausstellung aus. Zur gleichen Zeit gründete Lobmeyr in Blottendorf bei Haida eine eigene Raffinerie. Ein Verwalter überwachte die Weisung des Wiener Hauses und sorgte für den Versand der fertig verzierten Gegenstände nach Wien.

Die jüngste Tochter Mathilde heiratete am 26. November 1864 den angesehenen Wiener Geschäftsmann August Rath; ihr jüngster Sohn Stefan Rath erbte später die Firma. Noch im Jahr 1925 streute Eduard Leisching dem Firmengründer Rosen, wenn er schreibt:

„Josef Lobmeyr, dessen Bildung von Haus aus gering, dessen Rührigkeit und Weltsinn aber bewunderungswürdig stark waren und sich auf seine Söhne vererbte, denen er alles bot, was sich damals auf Schulen lernen ließ, war einer von jenen Altwienern, die das Pfahlbürgerum abstreiften und auch ins Ausland gingen, um zu lernen.“1

 

Josef & Ludwig Lobmeyr

Die Brüder Josef junior (1.2.1828–2.6.1864) und Ludwig Lobmeyr (2.8.1829–25.3.1917) übernahmen nach dem plötzlichen Tod ihres Vaters am 8. Mai 1855 die Leitung der Firma. Josef führte den Betrieb als kaufmännischer Direktor, während Ludwig für die künstlerische Weiterentwicklung verantwortlich war. Am 12. Oktober 1859 nahm Josef seinen Bruder als Gesellschafter in die Firma auf; sein dem 21. April 1860 ist sie als „Josef & Ludwig Lobmeyr“ eingetragen und acht Tage später wurde ihr der Titel „k.k. Hofglaser und Hofglaswarenhändler“ verliehen. Laut Familienlegende trafen die Brüder Lobmeyr am Beginn ihrer Tätigkeit eine radikale unternehmerische Entscheidung: Um ihre Kunden für eine moderne Stilrichtung zu gewinnen, vernichteten sie das gesamte Biedermeier-Warenlager ihres Vaters; die neue Firmenphilosophie, eine konsequente Unterstützung der Avantgarde, brachte internationalen Erfolg.

 

Londoner Weltausstellung 1862

„Zu den größten und schönsten Sammlungen der österreichischen Abtheilung gehört unstreitig diejenige der Glaswaren von J. und L. Lobmeyr in Wien. […] und trug nicht wenig bei zu dem rühmlichen Erfolge, welchen sich die Industrie des Kaiserstaats auf der Weltausstellung errang. Alle ausgestellten Gegenstände der Firma sind durchweg nach deren eigenen, selbstentworfenen Zeichnungen gearbeitet, die reichverzierten Glasservice, Candelaber- und Kronleuchterbestandteile sowie die anderen Glasartikel durch ihre Arbeiter in Böhmen (Deutschböhmen bei Hayda) geschliffen, graviert, gemalt und vergoldet, die erforderlichen Bronzefassungen dagegen in Wien anfertigt. […] Tafel- und Desserttrinkgefäße mit feinen Gravierungen […] verdienen namentlich genannt zu werden, sowie es nicht unerwähnt bleiben soll, dass diese Gegenstände ungeachtet der äußerst gediegenen sorgfältigen Arbeit weitaus billiger im Preise sich stellen als ähnliche englische Erzeugnisse […].“2

1862 stellten die Brüder Lobmeyr zum ersten Mal auf einer Weltausstellung aus. Josef und Ludwig hatten 1851 gemeinsam die erste Londoner Weltausstellung besucht und mit Freuden festgestellt, dass die böhmischen Produkte mit der internationalen Konkurrenz mithalten konnte. Elf Jahre später präsentierten sie in London selbst außergewöhnliches Trinkservice aus geschliffenem und graviertem Glas, wofür sie eine silberne Medaille erhielten. Entwürfe kamen von Theophil von Hansen, Friedrich Schmidt, dem Erbauer des Wiener Rathauses, und Josef Storck, vieles aber auch von Ludwig Lobmeyr selbst. Diese neuen Entwürfe von Ludwig Lobmeyr waren von seinem Schwager Kralik, dem er die Zeichnungen zu Ausführung übersandte, heftig kritisiert worden. Wohl zu Recht wies Kralik darauf hin, dass es keine Glasmacherei- sondern Drechslerarbeiten wären. Die beiden rauften sich gleichsam zusammen, um das technisch Mögliche mit dem künstlerisch Gewünschten zu verbinden. Vor allem die Luster wurden gelobt. Obschon J. & L. Lobmeyr keine eigene Glasfabrik mehr besaß, kaufte die Firma Rohglas und ließ es nach eigenen Mustern von den Schleifern in Haida und Umgebung raffinieren.

 

Gründung des Österreichischen Museums für Kunst und Industrie (heute: MAK)

Die Gründung des Österreichischen Museum für Kunst und Industrie, heute MAK, in Wien förderte Lobmeyr intensiv durch Geschenke und Kontakte zu den dortigen Kunstwissenschaftlern. Ludwig Lobmeyr hinterließ 1917 dem MAK eine stattliche Anzahl weiterer Gläser. Desgleichen arbeitete er mit der 1868 gegründeten Kunstgewerbeschule (heute: Angewandte) und ihren Lehrenden intensiv zusammen, darunter dem Künstler Storck.

Ministerpräsident Erzherzog Rainer erteilte 1862 Rudolf von Eitelberger den Auftrag, einen Plan für die Einrichtung eines Kunstgewerbemuseums in Wien zu erarbeiten. Mit dieser Sammlung bedeutender Vorbilder für das Kunsthandwerk und das Publikum wollte der Staat zur „Hebung des Geschmacks“3 beitragen. Das Projekt wurde unter dem Namen Österreichisches Museum für Kunst und Industrie am 12. Mai 1864 im Ballhaus eröffnet und heißt heute MAK – Museum für angewandte Kunst. Ludwig Lobmeyr förderte die Gründung tatkräftig. So präsentierte er die neuesten Erzeugnisse der Firma Lobmeyr im Museum, fungierte als Mitglied des Kuratoriums und der Gesellschaft zur Förderung der angeschlossenen Kunstgewerbeschule. Gleichzeitig bildete er sich selbst im Museum weiter und engagierte Lehrende von der Kunstgewerbeschule als Entwerfer.

Anlässlich der Eröffnung des neuen Museumsbaus am Ring beauftragte Kaiser Franz-Joseph I. J. & L. Lobmeyr mit dem „Kaiserservice“ (1870/73).4 Der Entwurf geht auf Ludwig Lobmeyr sowie Josef Storck zurück, die Ausführung besorgte Mayr’s Neffen in Adolf. Ziel war, das Können der österreichischen Kunstindustrie zu belegen. Lobmeyr war verantwortlich für die Formen von Flaschen, Krügen und Gläsern, während Storck die anderen Gefäße und den Dekor, der sich an Bergkristallgefäßen aus dem 16. und 17. Jahrhundert orientiert, gestaltete. Der aufwändige Glasschnitt wurde von Peter Eisert in Haida, Nordböhmen, ausgeführt. Das „Kaiserservice“ wurde in zwei eigens dafür angefertigten Glasschränken in einem Saal der Hofburg ausgestellt, wo Kaiser Franz-Joseph I. die ausländischen Botschafter empfing (heute: Silberkammer).

 

Ludwig Lobmeyr

Nach Josefs Tod am 2. Juni 1864 war Ludwig Lobmeyr ohne es zu wollen Alleininhaber der Firma. Er war als zwölfjähriger in die Realschule des k. k. Polytechnischen Instituts eingetreten, wo er zwei Jahrgänge absolvierte. Danach besuchte er die kommerzielle Abteilung des Instituts, belegte Kurse für Physik und Chemie und in die Zeichenschule Professor Zimmermanns im St. Anna-Gebäude. Ab dem 13. September 1840 arbeitete Ludwig Lobmeyr als Glaserlehrling in der Firma mit; 1843 wurde er Geselle und 1858 zum Meister berufen. Am 18. Mai 1858 erhielt er „ein Glasgewerbe für die innere Stadt und das Bürgerrecht verliehen“. Nach dem überraschenden Tod seines älteren Bruders und der Eheschließung seiner zweiten Schwester Mathilde lebte der unverheiratete Ludwig Lobmeyr.

Unter der Leitung von Ludwig Lobmeyr entwickelte sich J. & L. Lobmeyr zum führenden Glasproduzenten und Glasverleger der Habsburgermonarchie. In den folgenden neun Jahren entstanden 50 neue Trinkservice, größtenteils (bis auf sieben) nach Entwürfen Ludwig Lobmeyrs. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Firma auch international höchst konkurrenzfähig. Der Firmenchef war sowohl in künstlerischer, technischer wie auch ökonomischer Hinsicht ein ausgewiesener Kenner internationaler Produktion. Ludwig Lobmeyr arbeitete an der Schnittstellte zwischen Entwurf und Ausführung, wobei er seine Vorstellungen in den Entwurf einzubringen verstand. Künstlern wie Theophil Hansen, Josef Storck erweiterten den künstlerischen Anspruch der Entwürfe.

Die neue Bedeutung von J. & L. Lobmeyr präsentierte die Geschäftsfassade von Siccardsburg und Van der Nüll, den Architekten der Hofoper (heute: Staatsoper), das bis zum Abbruch des Hauses im Jahr 1895 bestehen blieb. Die gesellschaftliche wie politische Anerkennung Lobmeyrs erfolgte 1887, als ihm als ersten bürgerlichen Unternehmer gelang, ins österreichische Herrenhaus einzuziehen. Dennoch schlug der Unternehmer aus, in den Adelsstand aufgenommen zu werden. Die Stadt Wien machte ihn 1889 zu einem Ehrenbürger.

 

Wiener Weltausstellung 1873

Auf der Wiener Weltausstellung 1873 präsentierte die Firma J. & L. Lobmeyr, unterstützt von Wilhelm Kralik und Meyr’s Neffe, ein Sortiment, das Trinkservice und Tafelgeschirr aller Art, Gebrauchs- und Luxusglas sowie Beleuchtungskörper und Spiegel umfasste. Im Zentrum hing ein Kronleuchter für 96 Kerzen, dessen Gestell aus vergoldetem Eisen bestand. Das berühmte „Kaiserservice“ war ebenso zu bewundern wie eine Unmenge von Servicen, Vasen, Schalen und Krügen, welche den Formen- und Farbenreichtum der Produktion vermittelten.

Das „Trinkservice Nr. 103“ (1866) war von Theophil von Hansen entworfen worden und von Meyr’s Neffen in Adolf gefertigt. Seit Anfang der 1860er Jahre arbeitete Hansen für Lobmeyr. Das Trinkservice „mit griechischen“ Motiven zeigt in der Mitte Schwäne oder geflügelte Wesen. Das umlaufende Dekorband ist mit stilisierten floralen Motiven oder Mäandern gestaltet. Das für die erste Pariser Weltausstellung 1867 entstandene „Dessertservice Nr. 25“ (1866/1872), ebenfalls ein Entwurf von Theophil Hansen, nahm Lobmeyr wieder auf. Der Architekt hatte ein vielteiliges Service mit Tafelaufsätzen, Vasen und Leuchtern mit reichem figürlichem Dekor gestaltet. Der Tafelaufsatz wurde in der Hauptgalerie auf einem Tisch mit den dazugehörigen Trinkgefäßen aufgestellt. Besonderer Wert wurde auf den Schliff und die Gravierung gelegt, ergänzt durch Goldränder und vergoldetes Flechtwerk. Dafür ließ sich Lobmeyr von den reichen beständen an Bergkristallgefäßen in der kaiserlichen Schatz- und Kunstkammer (heute: Kunsthistorisches Museum) inspirieren.

Das vom neogotischen Architekten Friedrich Schmidt entworfene Service, bestehend aus einer Kanne, einem Becher und einer Platte, wurde nicht rechtzeitig zur Weltausstellung fertig. Ludwig Lobmeyr wollte das prunkvoll mit vergoldetem Silber, Email, Perlen und Edelsteinen gefasste Werk der Stadt Wien widmen. Die gotisierende Buckelung bereitete große technische Schwierigkeiten, die unter Kraliks Leitung erst 1874 gelöst wurden. Die heute verschollene Garnitur wurde daraufhin direkt ins Rathaus geliefert.

Der Erfolg der Präsentation brachte Ludwig Lobmeyr den Orden der Eisernen Krone III. Klasse ein. Unmittelbar nach Ausstellungseröffnung am 1. Mai 1873 kam es zum Börsenkrach, wodurch sich die wirtschaftliche Lage von Lobmeyrs Klientel schlagartig verschlechterte. Ein Ausbruch der Cholera hielt einen großen Teil des ausländischen Publikums von einem Besuch ab. Daher verkaufte Lobmeyr auf der Wiener Weltausstellung kaum ein Stück. Einiges wurde später unter Verlust verkauft, anderes befindet sich bis zum heutigen Tag in der Firmensammlung. Ludwig Lobmeyr verfasste nach der Wiener Weltausstellung 1873 einen „Ausstellungs-Bericht“ über die Glasindustrie (gemeinsam mit Jakob von Falke); 1874 veröffentlichte Lobmeyr „Die Glasindustrie, ihre Geschichte, gegenwärtige Entwicklung und Statistik“ (Stuttgart 1874, gemeinsam mit Albert Ilg [historischer Teil] und Wendelin Boeheim [Statistik]).

 

Irisierendes und geschnittenes Glas

Obschon im Mai 1877 Ludwig Lobmeyrs Schwager Wilhelm Kralik starb, konnte der Unternehmer die Glasproduktion weiter vorantreiben. Kralik hatte zwei Jahre zuvor eine verbesserte Rezeptur für irisierendes Glas erfunden. Die Technik war von dem Chemiker Dr. L. O. Pantotsek, der für die Glasfabriken von J. G. Zahn in Sladno tätig war, bereits um 1850 entwickelt worden. Kralik war in Besitz der Erfindung gekommen und hatte sich verbessert. So erreicht er einen bis zu diesem Zeitpunkt unbekannten metallischen oder perlmuttartigen Schimmer, indem er in einer Blechtrommel Salze verdampfen ließ und das glühende Glas diesen Dämpfen aussetzte. Ludwig Lobmeyr zeichnete für diese Veredelungstechnik neue, gebuckelte Formen, um die Oberflächenwirkung ganz auszukosten. Diese Neuheit erregte auf der Pariser Weltausstellung 1878 großes Interesse.

Ende der 1870er Jahre konnte Lobmeyr in Karl Pietsch einen fähigen Glasschneider verpflichten. Er schuf 1875 die ovale „Tritonschale“ (Entwurf A. Kühne, Ornament von Storck) und 1880/81 jene Schale (1877–1880, Entwurf Albert Eisenmenger, Ornamentik von J. Salb), die dem Kronprinzen Rudolf zu seiner Vermählung von den Österreichischen Handels- und Gewerbekammern überreicht wurde (10.5.1881). Die für den Späthistorismus charakteristischen Prunkgefäße weisen eine emaillierte Goldschmiedefassung auf. Das Engagement zahlte sich aus, bestellte doch Kronprinz Rudolf und dessen Schwager, Prinz Philipp von Coburg, mehrere Pokale, Schüsseln und Gefäße, welche sie zur Silberhochzeit dem belgischen Königspaar schenkten. Aus diesem Anlass organisierte Antwerpen die Weltausstellung 1885, wo das royale Geschenk sogleich ausgestellt wurde.

Ende des 19. Jahrhunderts verfasste Ludwig Lobmeyr eine Autobiografie, in der er Einblicke in das persönliche und geschäftliche Leben gewährte. Zum letzten Mal leitete Ludwig Lobmeyr die Geschicke seiner Firma auf der großen Pariser Weltausstellung von 1900. Die Werke der 1890er Jahre weisen überbordende Ornamentik auf. Der figürliche Tiefenschnitt ist äußerst plastisch herausgearbeitet. Allusionen an Renaissance-Kunst wie naturalistisch wiedergegebene Naturmotive stehen gleichberechtigt nebeneinander. Gleichzeitig erfreuten sich orientalisierende Email-Malerei großer Beliebtheit, wie die in rascher Folge entstehenden Serien arabischer, persischer, osmanischer und maurischer Gefäße dokumentieren. Sie sind in den Bänden 15 und 16 der „Werkzeichnungen“ im MAK zusammengefasst. Auf der Pariser Weltausstellung war die so genannte „Alhambra“-Serie (1888, F. Schmoranz & Moritz Knab), gefolgt von Entwürfen Gustav Schmoranz‘ zu sehen.

 

Moderne Luster

Eine Sparte der Firma J. & L. Lobmeyr umfasst die Herstellung von Luster. Für deren Formgebung ließen sich die Entwerfer von alten Lustern des 18. Jahrhunderts inspirieren. Wichtige technologische Neuerungen, wie die Erfindung der Kohlenfadenlampen durch Thomas A. Edison, wurden sofort aufgegriffen. Auf der „internationalen Elektrischen Ausstellung“ in Wien 1883 präsentierte Lobmeyr seinen ersten elektrischen Luster, wobei die hängende Glühbirne im Vergleich zur stehenden Kerze neue Formen verlangte.

Die wichtigsten Aufträge, die Lobmeyr für Beleuchtungskörper erhielt, betrafen das Wiener Rathaus und den Redoutensaal in der Hofburg, gefolgt von den bayerischen Schlössern Herrenchiemsee und Linderhof (1881–1886).

 

Stefan Rath

Bereits Ende 1894 hatte sich der 65-jährige Ludwig Lobmeyr seinen Neffen Stefan Rath (19.5.1876–25.10.1960) ins Geschäft geholt. Einmal mehr wollte der Unternehmen seine Firma auflösen, doch sein Freund Otto Wagner hatte ihn davon abgehalten. Stattdessen bezog J. & L. Lobmeyr das Ecklokal Ecke Kärntner Straße/Schwangasse. Stefan Rath wurde künstlerisch von Storck ausgebildet und durfte ab 1897 bereits selbstständig Skizzen für die Beleuchtungskörper im Oberen Belvedere, damals noch Wohnung von Erzherzog Franz Ferdinand, ausführen. Im Jahr 1902 trat Lobmeyrs Neffe als Gesellschafter in die Firma ein. Bis zum Tod von Ludwig Lobmeyr am 25. März 1917 bliebt dieser zwar nominell der Inhaber, jedoch zog er sich gänzlich in sein Privatleben zurück.

Stefan Rath übernahm 1917 den Betrieb und leitete ihn bis 1960. Auf der Pariser Weltausstellung 1900 musste der Junior-Chef erkennen, dass der Historismus endgültig vom Jugendstil abgelöst worden war. Um seine führende Stellung zu erhalten, musste J. & L. Lobmeyr mit der Zeit gehen und neue Künstler verpflichten. In Wien hatte sich bereits einige Jahre zuvor die Secession gegründet, Koloman Moser und Josef Hoffmann waren für konkurrierende Glasverleger bereits vor 1900 tätig geworden. Stefan Rath öffnete sich der neuen Strömung nur langsam, indem er einen gemäßigten Jugendstil anwandte. Kurz Zeit später hatte Lobmeyr bereits glatte, schmucklose Gläser im Sortiment. Langsam erarbeitete sich der Glasverleger einen neuen Stil, der vor allem Schalen mit naturalistischen Tierdarstellungen, mit dem Seifenblasenbub oder dem Schmetterlingsmädchen prägte. Diese Produkte verkauften sich gut, zudem entwickelte Lobmeyr mit dem von Stefan Rath entworfenen „Maiänderluster“ einen der ersten elektrischen Luster, bei denen die Glühlampen im Luster angebracht waren (Erstpräsentation auf der Simplon-Ausstellung in Mailand 1906).

 

Wiener Moderne

Im Jahr 1910 machte Stefan Rath die Bekanntschaft mit Josef Hoffmann – danach folgten Michael Powolny, Alfred Roller, Oskar Strnad, Rudolf von Larisch, Eduard J. Wimmer-Wisgrill, Anton Hanak und Franz Cizek. Hatte sich Rath in den Jahren zuvor noch distanziert gezeigt, so wurde er 1912 zum Mitbegründer des „Österreichischen Werkbundes“. Einer der bekanntesten Glas-Entwürfe Hoffmanns entstand für Lobmeyr mit Schwarzweißdekor. Professor Hugo Max von der Glasfachschule in Steinschönau hatte diese aus schwarzschillernder Malerei herausgeätzten so genannten Bronzitdekore entwickelt. Dafür wurde das Glas mit einer schwarzen oder braunen Schicht mit schwach metallischem Glas überzogen, und dann das Glas mit Hydrofluorsäure geätzt. Diese für J. & L. Lobmeyr und die Wiener Werkstätte entstandenen Glasserien zeigen einfache lineare Muster oder stark stilisierte Ranken. Der wirtschaftliche wie künstlerische Erfolg brachte weitere Künstler der Wiener Moderne – wie Moritz Jung, Urban Janke und Ludwig Heinrich Jungnickel – dazu, sich mit dem Bronzitdekor zu beschäftigen.

Daneben arbeitete Hoffmann mit schweren, massiv geschliffenen Glasobjekten, die er in intensiven Farben herstellen ließ. In den geschliffenen Gläsern der 1910er Jahre orientierte sich Josef Hoffmann an Gläsern des Klassizismus und des Biedermeier. Die Zusammenarbeit mit den Künstlern der Wiener Werkstätte fand einen ersten Höhepunkt auf der Ausstellung zur Werkbundtagung in Köln 1914. Die Verbindung mit J. & L. Lobmeyr ermöglichte Hoffmann, sich bis in die 1950er Jahre experimentell mit Glasentwürfen zu beschäftigen. Wie einige Zeichnungen dokumentieren, ging der Architekt dabei auch manchmal über die Grenze des Umsetzbaren hinaus.

Der Keramiker Michael Powolny (1871–1954) entwarf ebenfalls ab 1912 Glasobjekte für J. & L. Lobmeyr. Seine Gläser wurden mit figurativen und floralen Glasschnitten dekoriert, die im stilistischen Kontrast zu den geometrischen Dekoren von Josef Hoffmann und Otto Prutscher standen.

Mit dem Ausbruch des Ersten Weltkriegs endete diese Phase abrupt, da Stefan Rath eingezogen und an die Front in den Karpaten geschickt wurde. Aufgrund des schlechten Gesundheitszustandes seines Onkels könnte er jedoch bereits 1916 nach Wien zurückkehren. Nun schuf J. & L. Lobmeyr bemalte Kriegsgläser bzw. dünn geblasene Gläser.

 

Steinschönau

Nach Ende des Ersten Weltkriegs kaufte Stefan Rath in Steinschönau (heute: Kamenicky Šenov, Nordböhmen) ein Barockhaus (heute: Städtisches Glasmuseum). Er gründete dort eine Filial- und Graveurwerkstätte mit Namen „J. & L. Lobmeyrs Neffe Stefan Rath“. In den folgenden Jahren gelang es ihm, die besten Meistergraveure und Schleifer aus Europa und Übersee zur Mitarbeit zu überzeugen. Besonders bedeutend wurde in dieser Phase die Zusammenarbeit mit Michael Powolny, der seit 1912 als Professor and der Kunstgewerbeschule lehrte.

Für die neue Emailtechnik mit deckenden Farben und gänzlicher Bemalung der Gläser verpflichtete Stefan Rath die Kunstgewerbeschülerin Lott Fink nach Steinschönau. Bereits 1922 zeigten sie erste Ergebnisse auf der „Deutschen Gewerbeschau“ in München. Der Betrieb musste nach der Gründung der Tschechoslowakei neu aufgestellt werden, was allerdings gelang.

 

Durchsichtiges Glas

In den 1920er Jahren wandelte Stefan Rath die Lobmeyr-Gläser einmal mehr. Diesmal standen venezianische Glaser des 16. Jahrhunderts Pate, ging es doch darum, besonders zarte, geblasene Formen erstrahlen zu lassen. Die Form an sich wurde nun zur Trägerin der Ästhetik, während auf Schnitt oder Bemalung möglichst verzichtet wurde.

Oskar Strnad (1879–1935) veränderte durch seine Neuinterpretation das Glas und verlieh ihm eine nahezu schwerelose, elegante Form, deren äußerer Umriss die Aufmerksamkeit des Entwerfers auf sich zu ziehen hatte. Wer einmal ein Glas von Oskar Strnad oder seinem Schüler Oswald Haerdtl in der Hand gehalten hat, weiß, wie wenig Körperlichkeit ein Musselinglas von Lobmeyr haben kann.

 

Art Déco-Ausstellung in Paris 1925

Auf der Kunstgewerbeausstellung 1925 in Paris, die berühmte „Exposition Internationale des Arts-Décoratifs et Industriels Modernes“, war Stefan Rath mit seinen Kreationen äußerst erfolgreich. Lobmeyr wurde der Grand Prix verliehen. Der von Josef Hoffmann geplante österreichische Pavillon präsentierte einen Raum der Forma Lobmeyr, der von Oskar Strnad eingerichtet wurde. Es dominierten die Farben Schwarz, Weiß, Pfauenblau und Gold; die Türen waren mit Hinterglasbildern von Lotte Fink dekoriert. Von ihr stammten auch kobaltblaue Vasen mit weißen, gewischten Emailfiguren. Weitere beteiligte Künstler:innen der Wiener Kunstgewerbeschule waren neben Hoffmann und Strnad, Larisch, Powolny. Die Schule Anton Hanaks war vertreten durch Ena Rottenberg („Welle – Woge“) und die Cizekschule durch O. E. Wagner. Oswald Haerdtl entwarf hauchdünne Musselingläser und Zierglaser mit hohen Balusterstengeln. Vally Wiselthier, Hilda Jesser und Marianne Rath, die Tochter des Firmeninhabers, schufen höchst variantenreiche Kreationen. So experimentierte Marianne Rath mit bergkristallartigen Gefäßen in den Glasfarben seltener Erden. Ziel von Stefan Rath war es, alle Glastechniken zu zeigen, seien es schwere, geschliffene Objekte, moderne Gravierungen, Schwarzlotmalerei und Emailarbeiten.

Die Aufmerksamkeit der Branche war Lobmeyr damit gewiss. Es kauften das Österreichische Museum für Kunst und Industrie, das Metropolitan Museum New York, das Musée des Arts Décoratifs Paris sowie die Museen in Stockholm und Prag. Die Prunkschale „Welle – Woge“ wurde sogar zwei Mal an Private verkauft. Dieser Erfolg konnte mit einem Grand Prix auf der Triennale in Mailand 1933 und auf der Weltausstellung in Paris 1937 auch noch im folgenden Jahrzehnt bestätigt werden.

 

Adolf Loos

Die Zusammenarbeit mit dem Architekten Adolf Loos (1870–1933) gestaltete sich ab 1929 als schwierig. Erst 1931 entwarf Loos sein einziges Trinkservice für J. & L. Lobmeyr: „Trinkservice (TS) 248“, ein Becherservice mit Steindlschliffboden. In seiner Formgebung geht es wohl zurück auf ein Service aus dem Besitz von Napoleon und Oskar Strnads Vorliebe für gerade Formen. Der so genannte „Steindlschliff“ am Boden der Gläser ist der einzige Dekor des „Loos“-Services. Der Architekt hatte sich lebenslang gegen die Einmischung seiner Zunft in Design und Kunsthandwerk verwahrt. Vielleicht hat sich Loos dazu inspiriert gefühlt, weil er ein Speisezimmer für die „Internationale Raumausstellung“ in Köln entwerfen wollte.5 Andere Quellen legen nahe, dass der Architektur ursprünglich Tier- und Blumendekors am Boden anbringen wollte und ihn Rath davon abbrachte.

Adolf Loos sandte im Februar 1931 ein Blatt mit fünf Entwürfen an J. & L. Lobmeyr. Eigentlich zeigt es nur fünf Rechtecke (Querschnitte) mit zylindrischem Hohlkörper im Verhältnis von 1:1 und mit Kreuzmuster an den Böden. Darunter jeweils die Funktion, die einzig über die Größe der Gläser definiert wird, und dass es sich um runde Gläser handeln soll. Weniger ist mehr, muss sich Adolf Loos dabei gedacht haben. Zumindest beweist es die Vorstellungskraft von Stefan Rath, der den Architekten in den folgenden Monaten während des Entwurfsprozesse begleitete und ihn bezüglich technischer Finessen und Kundenwünschen beriet. Das Becherservice wurde ein großer Erfolg.

 

Oswald Haerdtl

Oswald Haerdtl war ein Schüler von Strnad und sollte diesem als Professor an der Kunstgewerbeschule folgen. Stefan Rath erkannte die Begabung des Architekten früh und ließ sich 1925 das Service Nr. 240, genannt „Ambassador“, für die Pariser Art Déco-Ausstellung entwerfen. Das Service mit einer äußerst hohen Champagnerflöte wurde vom Museum of Modern Art in New York erworben. Ergänzend zu dem Service in Musselinglas entwarf Haerdtl auch so genannte „Kugeldosen“. In vier Größen produziert und auch mit Lüsterfarben bemalt, bestechen die runden Formen bis heute.

Neben den Trinkservicen und extravagant hohen Vasenkelchen entwarf Oswald Haerdtl auch Beleuchtungskörper. So zeichnete er für die Pariser Weltausstellung 1937 noch einen fragilen Luster für fünf elektrische Kerzen mit Blattrispengehängen. Für die Präsentation entschied er sich für schwarze Tischplatten, auf denen die Gläser besonders gut zur Geltung kamen.

 

Zweiter Weltkrieg

Stefan Rath zog sich ab 1938, verzweifelt über die politische Entwicklung, immer öfter nach Steinschönau zurück. Um den „Ariergesetzen“ zu entsprechen, übergab er seinem Sohn Hans Harald die alleinige Führung der Firma J. & L. Lobmeyr in Wien. In den folgenden Jahren sollte die Lusterproduktion nahezu das alleinige Einkommen des Betriebs bestreiten.

In Steinschönau arbeitete Stefan Rath gemeinsam mit Lore Vogler an gravierten Gläsern, darunter Darstellungen von Siegfried, Daphne, Prinz Eugen, Merkur, Europa oder die Tierkreiszeichen in poliertem Hochschnitt. Im Februar 1945 brachte der Firmenchef einen Teil des Firmenarchivs, die Privatbibliothek gemeinsam mit etwa 450 „Mustergläsern“ von Wien nach Steinschönau. In der Folge bezog Stefan Rath das Rohglas von Hütten in Karlsbad, Steinschönau, Schützendorf und Blumenbach. Im Jahr 1948 wurde dieser Betrieb verstaatlicht, weshalb die dort befindlichen Dokumente und Quellen in den Besitz der Tschechoslowakei fielen. Rund 30 Kartons mit Papierschnitten des 19. und 20. Jahrhunderts befinden sich deshalb heute im Kunstgewerbemuseum Prag. Der Betrieb florierte, da er mit Staatsaufträgen für internationale Geschenke bedacht wurde.

„Ja, was ist eigentlich Kunst? Ich habe nie den Ehrgeiz gehabt, ein Künstler zu heißen. Mir genügte es, der Leiter eines vorbildlichen Handwerksbetriebes gewesen zu sein, denn vor dem Handwerk habe ich von Jugend auf den größten Respekt gehabt, und ich habe mich für alle Art Handwerk glühend interessiert. Nicht für das ‚Kunst‘-Handwerk, das in den meisten fortgeschrittenen Ländern dieser Erde schon längst verschwunden ist.“6 (Stefan Rath)

 

Hans Harald Rath

1938 übernahm Raths Sohn Hans Harald (2.3.1904–18.11.1968) den Betrieb; er setzte sich vor allem für die Entwicklung zeitgenössischer Repräsentationsbeleuchtung ein. Während der NS-Zeit und des Zweiten Weltkriegs arbeitete J. & L. Lobmeyr für die neuen Machthaber – auch wenn der Seniorchef in Nordböhmen im Exil lebte, da er in der Diktion des NS-Reiches als "Achteljude" galt und keinen Betrieb leiten durfte. Albert Speer höchstpersönlich entwarf die Lüsterkronen für den Empfangssaal am Ende der Großen Galerie in der Neuen Reichskanzlei in Berlin, die Lobmeyr umsetzte.7

Das Kriegsende erlebten Familie und Betrieb in Tirol, von wo aus in der Nachkriegszeit erneut das internationale Renommee wiedergewonnen werden konnte. Über Tirol (Wattens bei Swarovski, Kramsach, Imst, Kufstein) und dann mit einer Hütte in Salzburg hatte Hans Harald Rath in der Nachkriegszeit wieder auf Vorkriegsniveau gebracht. Raths Luster waren gefragt für Barockkirchen (Maria Taferl, 1951; Alserkirche, Wien; Dom von St. Pölten), sie hängen im Großen Musikvereinssaal in Wien und in der Grazer Oper (1950), in Schloss Eggenberg in Graz, im Theater in der Josefstadt (beweglicher Mittelluster), in der Wiener Staatsoper. Gemeinsam mit Carl Witzmann schuf Rath die Beleuchtung für zahlreiche Wiener Kaffeehäuser und Hotels, darunter die Casa Piccola, den Babenbergerhof, das Café de l’Europe, den Heinrichshof, das Ostend, das Hotel Sacher, das Grand Hotel oder das Astoria und viele mehr. Nach Ende des zweiten Weltkriegs folgten das Café Prückel (Architekt Oswald Haerdtl) und die Sofiensäle (Architekt Appel).

Hans Harald Rath hatte kurz bei Professor Adalbert Niemeyer in München Kunstgeschichte studiert; 1924 trat er gemeinsam mit seiner Zwillingsschwester Marianne, die an der Wiener Kunstgewerbeschule studierte, bei Lobmeyr ein. Als erste Bewährungsprobe engagierten sich beide für die Pariser Art Déco-Ausstellung 1925, die zu einem Triumph des österreichischen Glases wurde. Kurz vor seiner Firmenübernahme heiratete Hans Harald Rath die aus England stammende Musikstudentin Janet Constance Street; seine Schwester vermählte sich mit dem Juniorchef der Textilfirma Johann Backhausen & Söhne in Wien.

1946 gründete Hans Harald Rath eine Berufsschule für Glasveredelung in Kramsach und 1949 gemeinsam mit Wilhelm Mahla die Salzburger Cristallglas-GesmbH, die für viele Jahre die Stammhütte Lobmeyrs wurde.

1958 wurde die Firma „Lobmeyr Werkstätte GmbH. Wien“ als Werkstättenbetrieb des Stammhauses eröffnet und produziert neuartige Beleuchtungskörper nach Entwürfen von Hans Harald Rath, der 1966 von ihm produzierte „starbusts“-Kristallluster als österreichisches Staatsgeschenk anlässlich der Eröffnung der Metropolitan Opera nach New York schickte. So belieferte J. & L. Lobmeyr während des Kalten Kriegs die verfeindeten Blöcke gleichermaßen mit funkelnden Lüstern und kunstvoll geschliffenen und gravierten Gläsern.

 

Harald, Peter und Stefan Rath

1968 übernahmen nach seinem Unfalltod am Bahnhof Langenzersdorf die Söhne Harald Christoph (29.6.1938), Peter (20.12.1939) und Stefan (10.4.1943–2008) den Betrieb. Sie führten die internationale Studioglasbewegung in Österreich ein, gründeten ein erstes Glasstudio an der Keramikfachschule in Stoob (Burgenland) und das berühmt gewordene Glasstudio im Franzensbad in Baden. 1973 wurde eine Jubiläumsausstellung im Museum für angewandte Kunst gezeigt und das Stammhaus in der Kärntner Straße erweitert.

1972 wird die Lustererzeugerfirma Zahn übernommen. Sie bauen das Unternehmen aus, erschließen den arabischen und den japanischen Markt und eröffnen die Filiale in Salzburg. Für die Wiederherstellung des Portals – des einzigen erhaltenen gründerzeitlichen Portals in der Kärntner Straße – erhielt Lobmeyr 1994 den ersten Preis des Portalgestaltungswettbewerbs der Jungen Wirtschaft. Die Familiengruft befand sich am St. Marxer Friedhof.

 

Andreas, Leonid und Johannes Rath

Andreas, Leonid und Johannes Rath (seit 2000) erweitern den internationalen Vertrieb und setzen auf intensive Zusammenarbeit mit Designer:innen der neuen Generation.

Beiträge zu Lobmeyr

7. Juni 2023
Josef Hoffmann, Vase, 1913; farbloses Glas, geätzt, Bronzitdekor, Ausführung: eine böhmische Manufaktur für J. & L. Lobmeyr, Wien (© Peter Kainz/MAK)

Wien | MAK: Lobmeyr 200 Jahre schillernde Luxuswelten | 2023

Das MAK widmet dem renommierten Handwerksbetrieb eine Überblicksausstellung, in der kunstvolle Entwürfe von Architekten, exquisit ausgeführte Meisterstücke von Graveuren und Glasmaler:innen neben strahlenden Beleuchtungskörpern für berühmte Gebäude.
24. März 2023
Paul Klee, Rote und weiße Kuppeln, Detail, 1914, Aquarell und Gouache auf Papier, auf Karton, 14,6 x 13,7 cm (Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen, Foto © Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen)

Zürich | Kunsthaus: Re-Orientations. Europa und die islamischen Künste Von 1851 bis heute | 2023

In „Re-Orientations“ treten zum einen historische Werke der islamischen Künste in Dialog mit solchen westlicher bzw. westlich geprägter Künstler:innen der beginnenden Moderne. Zum anderen wird auch zeitgenössische Kunst präsentiert.
17. Januar 2017
Emanuel Josef Margold, Deckelvase, vor 1916; farbloses Kristallglas mit roten Auflagen, Glasschnitt, Ausführung: Carl Schapel, Haida (Nový Bor, CZ) (© MAK/Georg Mayer)

Wiener Glaskunst des Jugendstil und Art Deco Glasdesign von Hoffmann bis Loos

Wiener Glaskunst des Jugendstil und Art Deco wurde vielfach von Architekten gestaltet, die dem Material völlig neue Qualitäten abringen konnten, bzw. sich bisweilen auch an historischen Glasentwürfen orientierten.
  1. Eduard Leisching, Ludwig Lobmeyr, Wien 1925, S. 5.
  2. Zit. n. S. 19.
  3. Zum Programm und zu den Statuten des Museums vgl. Das Kaiserl. Königliche Österreichische Museum für Kunst und Industrie. Festschrift zur Eröffnung des neuen Museumsgebäudes am 4. November 1871, Wien 1871, S. 27–34.
  4. Ulrike Scholda, s.v. Trinkservice Nr. 132 „Kaiserservice“ Lobmeyr, in: Experiment Metropole – 1873: Wien und die Weltausstellung (Ausst.-Kat. Wien Museum Karlsplatz, 15.5.–28.9.2014), Wien 2014, S. 456.
  5. Für weitere Ausführungen siehe den Beitrag von Andreas Vass, Rescuing the Glass Cutter’s Craft. Adolf Loos and the Drinking Service 248 by J. & L. Lobmeyr, in: The Glass of the Architects (Ausst.-Kat. MAK, Wien), Mailand 2016, S. 26–46.
  6. Zit. n. S. 90.
  7. Albert Speer, Die Neue Reichskanzlei, Berlin 1940, S. 80, siehe Abb. S. 74 und 77.