Frida Kahlo, Amrita Sher-Gil und Irma Stern werden zum ersten Mal gemeinsam in einer Ausstellung präsentiert! Die Joburg Contemporary Art Foundation (JCAF) zeigt noch bis 22. Februar 2023 einen interessant gestalteten Dialog zwischen der Mexikanerin, der Inderin aus Österreich-Ungarn und der Südafrikanerin mit deutschen Wurzeln. Als Töchter von Immigrant:innen teilen sie Erfahrungen von Anderssein und Internationalität. Alle drei haben in Europa ihre Kunstausbildung erhalten bzw. sich an ihren Formen orientiert. Und alle drei sind dem globalen Süden zuzurechnen. Je ein bedeutendes Selbstporträt oder Porträt wird in der JCAF von Porträtfotografien von den Künstlerinnen begleitet. Sie machen nachvollziehbar, wie Kahlo, Sher-Gil und Stern ihre Identitäten als doppelte konstruierten, als (indigene) Frauen und als Pionierinnen der Moderne.
Südafrika | Johannesburg:
Joburg Contemporary Art Foundation
25.10.2022 – 22.2.2023
Alle drei waren zwischen 1930 und 1941 künstlerisch tätig und erlebten das Ende des Kolonialismus und das Aufkommen des Nationalismus in Mexiko, Indien, Südafrika und im Kongo. Dies lässt die Frage aufkommen, wie die Malerinnen auf die sich radikal verändernde Welt reagierten und in ihren Werken verarbeiteten. Identitätskonstruktion anhand von Kahlo, Sher-Gil und Stern zu analysieren, scheint ein besonders fruchtbares Unterfangen, haben alle drei doch Erfahrungen mit Alterität und Migration, mit Marginalisierung als Künstlerinnen. Umso fruchtbarer ist deshalb der Vergleich der Identitätskonstruktion dreier so unterschiedlicher Persönlichkeiten.
Frida Kahlo (1907–1954) wurde als Magdalena Carmen Frida y Calderón in Coyocoán, Mexiko-Stadt (Mexiko), als Tochter eines eingewanderten deutschen Vaters, Wilhelm (Guillermo) Kahlo, und einer spanisch-mexikanischen indigenen Mutter, Matilde Calderón, geboren. Amrita Sher-Gil (1913–1941) kam in Budapest, Österreich-Ungarn (heute: Ungarn), als Tochter eines aristokratischen Sikh-Inders, Umrao Singh Sher-Gil, und einer ungarisch-jüdischen Mutter, Marie Antoinette Gottesmann, zur Welt. Die jüdischen Eltern der im Schweizer-Reneke (ehem. Transvaal) geborenen Irma Stern (1894–1966) sind aus dem Deutschen Kaiserreich ins heutige Südafrika ausgewandert.
Frida Kahlo „korrigierte“ ihr Geburtsdatum auf 1910, um sich als Anhängerin und Bürgerin des „neuen Mexiko“ zu framen – auch wenn sie eigentlich im Jahr 1907 zur Welt gekommen war. In ihrem Werk thematisiert sie nahezu ausschließlich ihren geschundenen Körper, ihr Frausein und ihre Traumata. Allerdings nutzte sie ihre Kleidung, um sich als Tehuana zum Symbol des postrevolutionären Mexiko zu stilisieren.1 Mit Tehuana-Kostüm, bestickten Huipils (Blusen) der Oaxaca und Monobraue blickt Frida bis heute aus ihren 55 gemalten Selbstbildnissen und fotografierten Porträts – mit andauerndem Erfolg!
Kahlos betonte mexikanische Identität, die als „Mexicanidad“ bezeichnet wird, ist durchdrungen von präkolumbianischen kulturellen Referenzen und Symbolen. Damit reagierte die Künstlerin zum einen mit der Neubewertung indigener und vergangener Traditionen positiv auf die nationalistische Ideologie des postrevolutionären Mexikos. Zum anderen erfand sie durch Selbstbeobachtung die moderne Mestizin, indem sie die der Azteken oder Zapoteken und die mexikanischen Volkskunst beschwor.2 Kahlos berühmtes „Selbstbildnis mit Kolibri und Dornenkette“ (1940) entstand nach der Scheidung von Rivera und der Trennung von Nickolas Muray, der die legendären Porträtaufnahmen geschossen hat. Die Künstlerin zeigt sich zwischen christlichem und aztekischem Erbe (Dornenkette / Affe als Symbol der Fruchtbarkeit), zwischen Natur und modernem Frausein (Katze und Klammeraffe namens Fulang Chang / Selbstporträt).
„Ich kann nur in Indien malen. Europa gehört Picasso, Matisse, Braque und den anderen. Indien gehört nur mir.“3 (Amrita Sher-Gil in einem Brief an ihren Vater, 1934)
Für Amrita Sher-Gil stellte sich die historische Lage vermutlich noch komplexer dar. Sie stammte aus einer indischen Adelsfamilie, wurde in Ungarn geboren und studierte in Paris. Die angehende Künstlerin besuchte die europäischen Hauptstädte und war besonders fasziniert, als sie 1933 Werke von Paul Gauguin in der National Gallery in London sah. Gaugins postimpressionistischer Stil beeinflusste sie stark und das Wissen, dass er zu den pazifischen Inseln gereist war, um neue Farben und Texturen zu entdecken, verstärkten die Anziehungskraft Indiens.4
Als Sher-Gil volljährig wurde, gab es „in Indien mehrere gleichzeitige Bemühungen, eine alternative, historisch gültige Moderne zu etablieren. Obwohl die Malerin davon nichts wusste, leistete Sher-Gil ihren entscheidenden Beitrag, indem sie das Problem der Repräsentation des ‚Anderen' in Bezug auf Ethnizität, Klasse und Geschlecht und damit in einen nationalen Kontext stellte.“5 Sher-Gil mischte europäische und indische Traditionen, indem sie neue Aspekte in die indische Moderne einführte und das Persönliche und Intime in den Vordergrund stellte.
Wie im oben angeführten Zitat deutlich wird, fühlte sie sich den männlichen Heroen der frühen 1930er Jahre – Pablo Picasso, Henri Matisse, Georges Braque – nicht gewachsen. Was, so mag man ergänzen, könnte sie der langen europäischen Moderne noch geben? Nun Paris bot ihr mit den vielen internationalen Kunststudent:innen, von denen stellvertretend die Brasilianerin Tarsila do Amaral genannt werden soll, eine Lösung. Nach einer langen Reise durch Indien besann sich Sher-Gil darauf, dass ihre „künstlerische Mission“ darin bestand, „das Leben der Inder und insbesondere der armen Inder bildhaft zu interpretieren, diese stillen Bilder unendlicher Unterwerfung und Geduld zu malen.“6 Damit wandte sich die Künstlerin einer sozialpolitischen Fragestellung zu, die bis heute die vom Kastenwesen geprägte indische Lebenswelt prägt. Ihr berühmtes Gemälde „Drei Mädchen“ (1935) zeigt ihre Nichten im Haus ihrer Großeltern in Amritsar: Beant, Narwair und Gurbhajan Kaur. In einem Zeitraum von zwei bis drei Wochen schuf Sher-Gil ein Bild von scheinbar nachdenklichen, bescheidenen jungen Frauen. Doch zeigt uns die Malerin ihre Verwandten in einer sozial erwünschten Pose. Wie Amrita Sher-Gil selbst betonte, sollen Linien, Farben und Komposition die Gefühlsebene unterstreichen.7 Seither werden ihre Bilder als ambivalent gedeutet, Sher-Gils Modelle können gleichzeitig nebeneinander sitzen und dennoch voneinander isoliert sein.8 Häufig wird betont, dass die Malerin ihre eigene Melancholie in die Bilder gelegt hätte. Als sie 1941 vermutlich an einer Bauchfellentzündung starb, war sie erst 28 Jahre alt.9
Südafrika stand im gleichen Zeitraum unter Kolonialherrschaft Großbritanniens (ehem. Kapkolonie). Samuel Stern, der Vater der Malerin, wurde während des Zweiten Burenkriegs (1899–1902) von den Briten inhaftiert. Während ihres Studiums in Berlin lernte sie den deutschen Expressionismus kennen und wurde ein aktives Mitglied der Novembergruppe (→ Expressionismus). Einige Jahre später kehrte Irma Stern in das provinzielle Kapstadt zurück. Als jüdische Frau fühlte sie sich in Südafrika als Außenseiterin.
Irma Sterns Porträts von überwiegend schwarzen Personen fallen im Allgemeinen in zwei Kategorien: Porträts von Menschen in ihrem kulturellen und sozialen Umfeld in Kapstadt und Porträts von Menschen, die ihr während ihrer Reisen nach Sansibar (1939–1945) und in den Kongo (1942–1955) begegneten.10 Damit spiegelt ihr Werk die kulturelle, soziale und religiöse Vielfalt Zentral- und Ostafrikas wider. So sehr sich die Malerin mit ihren Modellen auseinandersetzte, ein Selbstporträt schuf sie nie.
„Watussi Frau in Rot“ (1946) wurde etwa zur Zeit von Sterns zweiter Reise in den Kongo und nach Ruanda gemalt. Es ist ein Porträt einer jungen, rot gekleideten Frau vor einem sattgelben Hintergrund. Erst jüngst konnte festgestellt werden, dass Sterns Bildnis in den politischen Veränderungen der 1940er Jahre eingebettet sind: Die auf dem Gemälde dargestellte, junge Frau ist Prinzessin Emma Bakayishonga, Schwester von König Mutara III. Rudahigwa (1911–1959), der auf dem Gebiet von Ruanda-Urundi regierte.11 Ihr Status wird durch die Glasperlenkette um ihren Hals angezeigt. König Leopold von Belgien entmachtete die Watussi-Dynastie (heute: Tutsi), als er den Kongo kolonialisierte. Formell blieben die Notablen jedoch als Würdenträger bestehen. So beschreibt Irma Stern nicht nur das von ihre bewunderte Aussehen der königlichen Familie und deren symbolträchtige Kleidung, sondern auch, dass die Adeligen weder gehen noch arbeiten mussten.
Kahlo, Sher-Gil und Stern konstruierten ein Selbst, indem sie sich imaginär mit indigenen Frauen identifizierten. Ausgehend von den Vorstellungen und Konzepten ihrer Urpsrungskulturen schufen sie moderne, weil hybride Identitäten vor dem Hintergrund neuer Nationalismen, die sich auf drei Kontinenten im globalen Süden entwickeln. Sie waren keine Künstlerinnen, die durch direkte politische Kommentare oder Aktivismus auf ihre Umwelt reagierten. Stattdessen versuchten sie, ihre persönlichen Erfahrungen als Repräsentation politischer Realitäten einzusezen. Verschiedene Identitäten als Ehefrauen und Geliebte, Künstlerinnen und Außenseiterinnen halfen ihnen, das rein Persönliche auf eine allgemeine Ebene zu heben.
Die Ausstellung in der JCAF, Johannesburg, besticht durch die präzise Setzung der Werke in einem architektonisch definierten Raum. Jeder Malerin wird eine Farbe zugesprochen, jeder Werkblock ist von architektonischen Versatzstücken gerahmt, der an traditionelle Formen aus Mexiko, Indien und Südafrika angelehnt ist. Das Selbstporträt Kahlos und die beiden Porträts von Sher-Gil und Stern hängen in eigenen Räumen. Sitzmöglichkeiten laden dazu ein, sich vor ihnen niederzulassen. Intensive Wandfarben stimmen auf die Bildnisse ein. Ausstellungsansichten (ohne Besucher:innen) zeigen, dass Clive Kellner (Kurator) und Ausstellungsarchitekt hier eine geschlossene, fast meditative Situation herstellen wollen.
In der Einleitung werden die Identitätskonstruktionen der drei Protagonistinnen auf grauen Wänden vorgestellt: Schwarz-Weiß-Fotografien zeigen Frida Kahlo in ihren berühmten mexikanischen Kleidern, Nickolas Murays Aufnahmen kreierten die Ikone. Mit bewusst gewählter Kleidung - in Südafrika sind von ihr getragene Huipil Triqui (Bluse) und ein Zagalejo (Unterrock) zu sehen - inszenierte Frida sich als Meztikin und Mexikanerin.
Amrita Sher-Gils adelige Abstammung wird durch die Fotos ihres Vaters rasch deutlich. Er nahm die Jugendliche um 1930 in Paris während ihres Studiums in herrschaftlichem Ambiente auf. Auch für Sher-Gil war Kleidung ein Ausdrucksmedium: Nach ihrer Rückkehr nach Indien entschied sich die Malerin, Sari zu tragen. Sie bereiste das Land und dokumentierte das Leben auf den Straßen (und nicht in den Palästen), während Sher-Gil zunehmend indische Miniatur- und Höhlenmalerei entdeckte.
Irma Stern hielt sich vermutlich selbst für nicht attraktiv oder interessant genug, um sich zu porträtieren. Deshalb wird häufig angenommen, dass sie sich in ihren Modellen wiedergefunden hätte. Exponate aus dem Kongo und Ruanda, darunter ein Karyatiden-Hocker des Meisters von Buli, ergänzen das königliche Porträt der Südafrikanerin mit deutschen Wurzeln.
Kuratiert von Clive Kellner. Die JCAF ist ein akademisches Forschungsinstitut, eine Plattform für museale Ausstellungen und ein innovatives Technologielabor.