Amedeo Modigliani, Junge Frau in Hemd, Detail, 1918 (Albertina, Wien, Sammlung Batliner)
Amedeo Modigliani (1884–1920) ist als Maler, Zeichner und Bildhauer einer der wichtigsten Künstler des frühen 20. Jahrhunderts. Anlässlich der 100. Wiederkehr seines Todestags 2020 widmet die Albertina dem Künstler der Klassischen Moderne eine umfangreiche und überzeugende Ausstellung (→ Klassische Moderne), in der er den Vergleich mit Pablo Picasso nicht zu scheuen braucht.
Modigliani – Picasso. Revolution des Primitivismus
Österreich | Wien: Albertina 17.9.2021 – 9.1.2022
Amedeo Modigliani kam Anfang 1906 nach Paris (→ Amedeo Modigliani: Biografie), als Pablo Picasso gerade in Auseinandersetzung mit iberischer und afrikanischer Plastik an „Les Demoiselles d’Avignon“ zu arbeiten begann (→ Afrikanische Kunst). Dieses Werk zog unmittelbare Folgen nach sich: Es machte Picasso berühmt, bereitete dem Kubismus den Weg und beeindruckte Modigliani nachhaltig. Wahrscheinlicht durfte der Italiener das Gemälde vorab besichtigen, wenn man der Picasso-Freundin Fernand Olivier Glauben schenken darf.
Zwischen Picasso und dem noch unbekannten Modigliani entwickelte sich eine wechselseitige Bewunderung, in deren Zentrum die gemeinsame Auseinandersetzung mit dem sogenannten „Primitivismus“ stand (zum Primitivismus siehe Picasso war ein Afrikaner!). Modigliani beschäftigte sich offensichtlich mit den Masken der Baule, die an der Elfenbeinküste leben; Picasso hingegen schätzte die Werke der Fang im heutigen Gabun. Modigliani fühlte sich von den gelängten, schmalen Gesichtern angezogen, der Symmetrie der geometrischen Gesichtszüge, den kleinen Mündern, den keilförmigen Nasen – auch wenn sich dafür keine schriftlichen Dokumente erhalten haben. Die dialogische Präsentation von Werken aus Subsahara-Afrika mit jenen von Picasso und Modigliani führt die formale Ähnlichkeit vor Augen.
Ebenso entwickelte Modigliani im schöpferischen Austausch mit Constantin Brâncuşi ein gemeinsames Schaffen im Geiste der sogenannten „primitiven“ Kunst. Constantin Brâncuşi (1876–1957) suchte die Essenz eines Themas in einer subtilen Abstraktion und einer Wendung von der Plastik zur Skulptur, die ohne die Kenntnis traditioneller afrikanischer Kunst nicht erklärbar ist. Die Albertina zeigt eine erste Version der berühmten Plastik „Mademoiselle Pogány“ (1913) und mehrere Fotografien des Künstlers von dieser Skulptur. Allein schon dafür lohnt der Besuch der Ausstellung! Die in dieser Zeit des intensiven Dialoges entstandenen Werke Modiglianis und Brâncuşis bestechen durch ihre gemeinsame künstlerische Vision.
Amedeo Modigliani, Junge Frau in Hemd, 1918 (Albertina, Wien, Sammlung Batliner)
Neben den bereits genannten Künstlern Picasso und Brâncuşi umspannt der Dialog noch André Derain, dessen Weg zum Kubismus durch ein großformatiges Gemälde unterstrichen wird. Modiglianis Begeisterung für die Kunst der sogenannten Primitiven, prähistorischer außereuropäischer Kulturen, darunter etwa 5000 Jahre alte Skulpturen der Kykladen, werden in der Albertina in der ersten Hälfte der Ausstellung in den Mittelpunkt gestellt. Seit seiner Ankunft in Paris wollte Modigliani Bildhauer werden. Vermutlich stoppte ihn seine Lungenerkrankung, sodass er 1914 diesen Traum - selbst und direkt in Stein zu arbeiten - aufgeben musste. Wieder zur Malerei zurückgekehrt, übertrug der Italiener die in der Skulptur gefundenen und entwickelten Formlösungen auf die Leinwand. Seine Porträts und berühmt gewordenen Frauenakte übernehmen die gelängten Proportionen, die schmalen Gesichter und keilförmigen Nasen, die leeren Augen.
Der Maler wurde zum Porträtisten der Pariser Avantgarde-Szene, die kurz nach 1914 den Namen École de Paris, Schule von Paris, erhielt. Modigliani zeigt seine Freunde Chaim Soutine, Diego Rivera, Max Jacob, Moise Kisling in beeindruckend einfachen Kompositionen, tonalen Farben und mit Modiglianis charakteristischer Gesichtsauffassung. Dass der Künstler Ende des Ersten Weltkriegs in eine "klassische Phase" eintrat und sich - auch in Auseinandersetzung mit seiner eigenen Vaterschaft - erstmals auch Kinder als Modelle wählte. Die Bildnisse der Frauen wurden modischer und romantischer. Als Modigliani im Alter von nur 35 Jahren an einer tuberkuläsen Meningitis verstarb, hatte er in knapp 15 Jahren ein spannendes Werk geschaffen, mit denen er unterschiedlichste Stränge der kunsthistorischen Traditionen zusammenführte. Der Dialog mit Picasso ist klug gewählt, um Modigliani als bedeutenden, den Kubismus ablehnenden Künstler im Paris der 1910er Jahre zu etablieren und das Narrativ der "Einzelposition" zurückzudrängen.
Das Ausstellung untersucht Georges Kars (Jiří Karpeles), Othon Coubines (Otakar Coubine) und François Maurice Eberls (Frantisek Zdenek) Position in der Pariser Kunstszene der 1920er und 1930er Jahre - im Vergleich mit berühmten vertrwter:innen der École de Paris wie Modigliani, Orloff, Soutine.
26. April 2024
Veröffentlicht von Alexandra Matznervon 26. April 2024
Die Ausstellung zeigt rund 100 Gemälde und Papierarbeiten des Italieners und stellt ihnen Werke aus dem Pariser Umfeld, von Gustav Klimt, Egon Schiele oder Ernst Ludwig Kirchner gegenüber. Erstaunliche Parallelen werden sichtbar, genauso wie die Außergewöhnlichkeit von Modiglianis Kunst.
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Gründerin von ARTinWORDS
* 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.
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