Im Herbst und Winter 2024 feiert das Bank Austria Kunstforum Wien mit einer großen Retrospektive das außergewöhnliche Werk Paul Gauguins – die erste in Österreich seit 1960. Die Ausstellung begleitet Gauguin von seinen Anfängen als Postimpressionist bis hin zu seiner Vorreiterrolle als einer der Väter der Moderne und umfasst alle Facetten seines Schaffens: Malerei, Grafik und Skulptur. Dabei wird nicht vergessen, dass die vom Franzosen in der Südsee gesuchte Exotik längst der Kolonialisation zum Opfer gefallen ist.
Österreich | Wien:
Kunstforum
3.10.2024 – 19.1.2025
Gauguin, im Paris der 1860er Jahre als erfolgreicher Banker großgeworden, entschließt sich erst spät für die Bildende Kunst. Gemeinsame erste Ausstellungen mit den Impressionist:innen initiieren eine Karriere voller Hindernisse und Ablehnungen. Sein Kunstwollen ist ausgerichtet auf eine Infragestellung der Tradition und der überkommenen Sehgewohnheiten. Der Künstler zielt mit seinem Werk auf die Entwicklung einer neuen Formensprache, die der Moderne – Abstraktion (→ Abstrakte Kunst), Fauvismus, und Expressionismus den Weg ebnet. Aus der Reduktion in die Fläche, aus der Neubewertung der Farbe in formaler und inhaltlicher Sicht und der Konzentration der Bildsprache auf das Wesentliche entwickelt Gauguin ein Bildkonzept, das auch in der Definition des Bildes bis weit in das 20. Jahrhundert führt – und das Künstler nicht nur seiner Generation vielfältig angeregt hat.
Eng verbunden mit einer Sehnsucht nach Neuem und Fernen, sowohl in Bildsprache als auch Lebensweise, ist er Zeit seines Lebens angefeindet und unverstanden. Heute, unter den Aspekten von postkolonialistischem Diskurs und Sexismus- und Missbrauchs-Debatten, hinterfragt das Kunstforum Figur und Haltung eines Künstlers, dessen formalästhetisch neues und aufregendes Werk uns weiterhin begeistert.
In Zusammenarbeit mit der Albertina zeigt das Kunstforum Wien eine bedeutende Anzahl von Gauguins Druckgrafiken. Insgesamt 77 Drucke schuf der Künstler in seiner rastlosen Phase zwischen Paris und der Südsee. Dieser quantitativ relativ leicht überschaubare Teil eines Werks bildet einen eigenen Kosmos und ist am Kunstmarkt äußerst rar. Als bahnbrechend gelten seine mysteriösen, vom Unfertigen und Rohen lebenden Kompositionen, die der Künstler ab 1889 meist in Holzplatten selbst schnitt und druckte. Die Druckrafiken Gauguins changieren dabei zwischen Reproduktionsgrafik seiner wichtigsten Motive, um diese unter das Volk zu bringen (darunter "Manao Tupapau (Sie denkt an den Geist – Der Geist denkt an sie)", 1894), und eigenständigen Arbeiten. Geld verdiente der Künstler zu seinen Lebzeiten damit kaum. Zu „anders“ sahen Gauguins Holzschnitte im Vergleich zu den bunten Plakatlithographien, künstlerischen Radierungen oder japanisch inspirierten Farbholzschnitten seiner Zeitgenoss:innen aus. Das schreckte wohl die Sammler ab – und macht die Arbeiten heute so wertvoll.
Im hauptraum überrascht das Kunstformum an seiner bedeutendsten Wand diemal nicht mit einem Monumentalformat, sondern mit der sog. „Volpini-Serie“. Das ist Gauguins erste bedeutende Serie an Druckgrafiken, entstanden anlässlich der Weltausstellung in Paris im Jahr 1889. Gemeinsam mit einer Gruppe von Künstlern, darunter Edouard Vuillard, Pierre Bonnard, Maurice Denis und Edvard Munch, stellt er im „Café des Arts“ von Mr. Volpini 17 Gemälde aus und legte seine erste Grafikmappe auf. Zehn schwarzen und eine rostfarbene Zinkografien sind einfarbig auf auffallend zitronengelbem Papier gedruckt und führen Sujets aus der Bretagne, Martinique und Arles zusammen. Obwohl Gauguin Autodidakt war – an manchen Drucken ist daher der Text verkehrt geschrieben – lässt sich eine zunehmende Beherrschung der Technik von Blatt zu Blatt feststellen. Gauguin nutzt eine Reihe von Verfahren, um verschiedene Texturen zu erzeugen und Körnungen des Schwarz zu erzielen. Stilistisch wie motivisch lässt sich die Serie in die gleichzeitig erarbeiteten Gemäldelösungen nahtlos einfügen: Ondulierende Linien beschreiben große Flächen. Die Raumwiedergabe wird zugunsten der Betonung der Flächigkeit zurückgedrängt. Die Modellierung der Körper mit Licht und Schatten tritt in den Hintergrund, wie sich die Objekte auch nicht im Raum überschneiden. Das geheimnisvollste und erstaunlichste Blatt ist die fächerförmige Komposition „Die Dramen des Meeres, Bretagne“, in dem ein Fischerboot samt Insassen den Gewalten der Natur hilflos ausgeliefert ist. Die Wellen scheinen schon nach dem Fischer zu greifen – eine Paraphrase auf Edgar Allan Poes (1809–1849) Gedicht „A Descent into the Maelström“.
Wie sehr sich Gauguins Holzschnitte bereits vier Jahre nach seinen ersten Versuchen von der traditionellen Ästhetik entfernt hatten, zeigen vor allem die „Noa Noa-Suite“ (1893–1894 in Paris) und in der Folge die sog. „Vollard-Suite“ (1896–1900). Während viele Künstler der 1890er Jahre auf die feinen, japanischen Farbholzschnitte oder auf Drucke von spätmittelalterlichen Meistern wie Albrecht Dürer zurückgriffen, wählte Gauguin den Weg des „Wilden“. Seine permanente Suche nach dem Ursprünglichen und seine Abkehr von der Virtuosität des akademischen Malens führten den Künstler nicht nur bis ins Selbstasyl nach Tahiti, sondern auch zur außergewöhnlich rohen Behandlung seiner Druckstöcke und zum subtilen Einsatz der Druckerfarbe.
Die „Noa Noa-Suite“ entstand 1893/94 in Paris und sollte eigentlich den gleichnamigen Text über Gauguins erste Südsee-Reise (1891/92) begleiten. Da das Buchprojekt zu Lebzeiten des Künstlers nicht abgeschlossen wurde, ist die Reihenfolge der zehn Holzschnitte unklar. Obwohl Gauguin mit Hirnholz arbeitete, sind seine Drucke auf einen starken Schwarz-Weiß-Kontrast hin ausgelegt. Noa Noa bedeutet „duftend“, die Bilder hingegen wirken alles andere als leicht. Sie sind erfüllt von düsteren Stimmungen, nächtlichen Begegnungen mit Geistern und den geheimnisvollen Mythen Tahitis. Vielleicht meinte Gauguin mit „Noa Noa“ auch „betörend“ und versuchte in den kleinformatigen Drucken zu zeigen, was ihn an der tahitianischen Kultur so magisch anzog. Die drei Hoch- und sieben Querformate wurden von Hand abgezogen, wobei der Malerkollege Louis Roy die farbigen Drucke mit leuchtendem Gelb und Orangetönen anfertigte. Ob Gauguin mit den, durch die intensive Farbigkeit eher plakativ wirkenden Drucke wirklich zufrieden war, mag in Abrede gestellt werden. Die 1894 gleichzeitig entstandenen Holzschnitte „Oviri (Wild)“ und „Trinkender Fischer bei seiner Piroge“, die nicht Teil der Serie sind, zeigen jedenfalls eine völlig andere Auffassung. Gauguin experimentiert mit dem leicht versetzten Übereinanderdrucken seiner Holzstöcke, so dass ein irisierender Effekt und Unklarheit entsteht. Die Dichte des Schwarz wird nur durch wenige helle Flecke durchbrochen, Farbe spielt eine sehr untergeordnete Rolle.
Für die „Vollard-Suite“ kehrte Paul Gauguin wieder zu kleineren, einfacher gestalteten Holzschnitten in Schwarz (nur selten durch Ocker ergänzt) zurück. Die kaum zu entschlüsselnden Bilder bringen europäische und tahitianische Vorstellungen zusammen: So trifft die „Entführung Europas“ und „Eva“ auf einen „Buddha“ und „Liebt, ihr werdet glücklich sein (Soyez amoureuses, vous serez heureuses)“. Erinnerungen an die Bretagne oder ältere Bildmotive wie „Menschliches Elend (Misères humaines)“ werden genauso verarbeitet wie der aktuelle „Wohnungswechsel“ (1899). Die Bilder zeigen durch Schnittränder und Kerbungen ihre Herkunft vom Holzschnitt und betonen damit die Zwischenstellung der Technik zwischen Grafik und Skulptur. Da Gauguin die Drucke aus Tahiti an den Pariser Verleger und Kunsthändler Ambroise Vollard (1865–1939) zum Verkauf sandte, wird die sehr seltene Serie mit dessen Namen bezeichnet - obwohl der Adressat sie nicht mochte. Wenn Gauguin auch die Südsee - die Natur, ihre Bewohner:innen und ihre Kultur - zu seiner Inspirationsquelle hat werden lassen, so sah er sich doch als europäischer Künstler, der für den Pariser Markt malte und druckte!
Kuratiert von Evelyn Benesch.
Die Ausstellung versammelt über 80 Leihgaben aus großen internationalen Museen und bedeutenden Privatsammlungen.
Herausgegeben von Evelyn Benesch
mit Beiträgen von Evelyn Benesch, Ingried Brugger, Flemming Friborg, Linda Goddard, Simon Kelly
Gestaltet von Kehrer Design (Hannah Feldmeier)
Festeinband, 24 x 29,5 cm
192 Seiten, 182 Farb- und S/W-Abbildungen
ISBN 978-3-96900-165-3 (Deutsch)
Kehrer