Elger Esser (* 1967) stellt für das Landesmuseum Linz seine erste museale Präsentation zusammen. Der Titel „Aetas“ (lat. Zeitalter) beschreibt die Faszination des Fotokünstlers für die Zeit, die in seinen Aufnahmen mehrfach stehengeblieben zu sein scheint. Zum einen konstruiert er in seiner jüngsten, für Esser charakteristischer Weise in über zehn Jahren entstandenen, jüngsten Serie „Combray“ eine Stadt, die nur zwischen zwei Buchdeckeln existiert.
Österreich / Linz: Landesgalerie
28.1.2017 – 23.4.2017
Der in Stuttgart geborene Künstler wandelt auf den Sprachspuren von Proust, so wie dieser in seiner „Recherche“ die reiche Bildwelt der europäischen Kunstgeschichte verarbeitete: von Giotto di Bondones Arenakapelle, über Rembrandt van Rijns „Nachtwache“ zu El Grecos „Das Begräbnis des Grafen Orgaz, aber auch den französischen Malern des 19. Jahrhunderts - David, Eugène Delacroix, Edouard Manet, Pierre-Auguste Renoir, Claude Monet reichen die zahlreichen Anspielungen, Analogien, Metaphern und Symbole Prousts. In „Auf der Suche nach der verlorenen Zeit“ denkt der Erzähler in Bildern, sucht jene glücklichen Tage im alten, nun verlorenen Combray. Bilder stehen für Gefühle, für Erinnerung, für Ewigkeit, schlussendlich für den Sinn – und das Dorf Combray für eine glückliche Kindheit.
„Durch die Kunst nur vermögen wir aus uns herauszutreten und uns bewusst zu werden, wie ein anderer das Universum sieht, das für ihn nicht das gleiche ist wie für uns und dessen Landschaften uns sonst ebenso unbekannt geblieben wären wie die, die es möglicherweise auf dem Mond gibt. Dank der Kunst sehen wir nicht nur eine einzige Welt, nämlich die unsere, sondern eine Vielzahl von Welten; so viele wahre Künstler es gibt, so viele Welten stehen uns offen: eine von der anderen stärker verschieden als jene, die im Universum kreisen, senden sie uns Jahrhunderte noch, nachdem der Fokus erloschen ist, von dem es ausging, ob er nun Rembrandt oder Jan Vermeer hieß, ihr spezifisches Licht.“ (Marcel Proust, Auf der Suche nach der verlorenen Zeit, Bd. 7: Die wiedergefundene Zeit)
Ein Frankreich vor der Modernisierung, inszeniert Elger Esser in seiner über 200-teiligen Fotoserie „Combray“: ein fiktives Dorf mit mittelalterlichen Kirchen, romantischen Flussläufen, unberührter Vegetation, einigen weißen Pferden – aber keinen Menschen, keinen Autos, keiner Industrie. Zudem setzt der Fotokünstler die Aufnahmen im Edeldruckverfahren der Heliogravüre um. Dazu wird das Negativ fotomechanisch in einen Tiefdruck umgesetzt, der feinste Graubabstufungen erlaubt. Langzeitbelichtungen bringen ein Spiel zwischen Schärfe und Unschärfe in die Kompositionen. Stillstehendes wird so sichtbar, Bewegtes verschwindet.
Dass Esser sich innerhalb der Serie mit Monets Garten in Giverny beschäftigte, führt die Frage nach der gemalten Zeit im Impressionismus in die Überlegungen ein. Dem festgehaltenen Effekt, dem Moment hielt Claude Monet die im Atelier konstruierten Großformate des Seerosenteichs entgegen. Über den Impressionismus hinausgehen, wie Monet es seit den 1880er Jahren immer häufiger gemacht hatte. Wiederkehren und in Serien zu arbeiten, waren die wichtigsten Methoden des Malers geworden, jeden Tag wiederkehren, um die gleiche Stimmung, den gleichen Sonnenstand, die gleiche Farbharmonie wiederzufinden und auf die Leinwand zu bannen. Veränderungen, das moderne Leben, das die Impressionisten anfangs so offen umarmt hatten, aber auch Bewegung blendete der berühmte Maler aus Giverny sukzessive und kategorisch aus.
Elger Esser hält das ländliche Frankreich fest, Veduten, Architekturen, Landstriche, die schon vor 100 Jahren und mehr so ausgesehen haben wie auf seinen Fotografien der letzten Jahre. Kaum zu glauben, dass es solche Gegenden noch gibt. So entstehen Bilder voller Poesie, in denen sich Esser über Fragen der Zeit, der Erinnerung, des Verlustes und des Scheiterns Gedanken macht. Dass er sich gerade an Prousts Lebenswerk reibt, lässt sich ja vielleicht auch als Selbstreflexion über seinen Status als Künstler, was Elger Esser bislang erreicht hat, auffassen. Eine gewisse Wehmut schwingt in den Bildern mit, eine Sehnsucht nach Stille, nach unberührter Natur, mit der der Mensch eins sein kann. Elger Esser kehrt Prousts Bildbeschreibungen in eine fotografierte Ekphrasis um und findet das Erdachte in erfundenen Landschaften.
1967 geboren in Stuttgart
1969–1986 Elger Esser wuchs in Rom auf.
1986 Rückkehr nach Deutschland
1991–1997 Studium an der Kunstakademie Düsseldorf bei Prof. Bernd und Hilla Becher
1996 Meisterschüler der Becher-Klasse → Die Düsseldorfer Photoschule
1997 Elger Esser schloss sein Studium mit dem Akademiebrief ab.
1998 DAAD-Reisestipendium „Italien“ Förderpreis Bildende Kunst der Stadt Düsseldorf
2008 Gastprofessur für Fotografie an der Folkwang Schule Essen
2006 Serien „Ansichten“ (2004–2006), „Wreks“ (2006)
2006–2009 Professur für Fotografie an der Hochschule für Gestaltung Karlsruhe
2010 Esser wurde der Rheinische Kunstpreis verliehen; Serie „Giverny“ (2010)
2011 Serie „Ägypten“
2012 Erhielt ein Stipendium Hanse-Wissenschaftskolleg (HWK), Institute for Advanced Study, Delmenhorst; Serie „Undinen“ (2012)
2013 Serie „Ninfa“ (2013)
2015 Serie „Landschaften“ (1999–2015)
2016 Elger Esser gewann den Oskar-Schlemmer-Preis (19.2.), dem Großen Staatspreis für Bildende Kunst Baden-Württemberg. Serie „Combray“ (2005–2016)
Der Fotokünstler lebt und arbeitet in Düsseldorf.