JR

Wer ist JR?

JR, kurz für Juste Ridicule, (* 22.2.1983 in Paris) ist ein französischer Street-Art Künstler der Gegenwart (→ Zeitgenössische Kunst). Er beklebt Gebäude, ja ganze Straßenviertel, mit Schwarz-Weiß-Fotografien von Menschen. Seine sozialkritischen Arbeiten sind auf der ganzen Welt gefragt. JR zählt seit den 2010er Jahren zu den populärsten Künstlern, lenkt er doch die Aufmerksamkeit auf altbekannte Brennpunkte, indem er die dort ansässigen Menschen im gigantischen Maßstab zu den Protagonisten seiner Werke macht. In den letzten Jahren hat er zudem die Möglichkeit erhalten, berühmte Gebäude, darunter die Pyramide vor dem Louvre, den Eiffelturm, den Palazzo Strozzi in Florenz, mit einem Trompe-l’Œil Pasting für kurze Zeit neue Elemente hinzuzufügen.

„Ich denke, das war – zumindest für mich – der Grund, warum ich mich entschieden habe, Künstler zu werden. Ich wollte selbst bestimmen, was ich fotografiere und wie ich es zeige.“1 (JR)

Kindheit

JR wurde am 22. Februar 1983 in einem Vorort von Paris geboren. Er bezeichnete sich selbst als Franzose mit Migrationshintergrund, seine Großeltern waren aus Afrika zugewandert.

Anfänge

Im Jahr 1996 begann JR im Alter von 13 Jahren als Graffiti-Tagger unter dem Namen Face 3 zu seinen Namen auf Dächer und in Tunnel zu taggen.

Als er 2000 eine alte Kamera in der Pariser U-Bahn-Station Charles de Gaulle – Étoile fand, begann JR Schwarz-Weiß-Aufnahmen seiner Freunde beim Taggen zu machen. An der Schule belegte der Fünzehnjährige einen Fotografiekurs, wo er lernte, die Aufnahmen im Fotolabor zu entwickeln.

„Ich hatte das Glück, Leute zu kennen, die in Sachen Graffiti viel besser waren als ich. Deshalb beschloss ich eines Tages, mir die Kamera zu schnappen, um die Szene zu dokumentieren […] – festzuhalten, wie es sich anfühlt, mitten in einem Tunnel seinen Namen zu schreiben, während Züge vorbeifahren, während Leute am Gleis auf ihren Zug warten. […] Ich wusste nichts über Fotografie. Mir war nur klar, okay, das ist ein starker Blitz, mit dem kann ich den ganzen Tunnel ausleuchten. Und ich wusste, dass ich über jeden Bildausschnitt nachdenken musste.“ 2 (JR)

Expo 2 Rue

Ab 2001 präsentierte JR seine Fotografien erstmals öffentlich, indem er sie in der Métro und an Wänden in Paris als fortlaufende Ausstellung im urbanen Raum klebte. JR entdeckte die Straße als seine „Expo 2 Rue“, seine „Straßen-Ausstellung“.

„Später nutzte ich auch leere Wände in der Stadt oder auch Bauzäune, auf die ich meine Fotos klebte. Da sie aber echt klein waren, nahm man sie kaum wahr – obwohl sie schwarz-weiß waren, also ganz anders als Werbung. Manchmal klebte ich vier aneinander, um ein größeres Bild zu bekommen, aber größer ging es damals nicht. Also nutzte ich das, was ich am besten kannte: die Spraydose, rahmte die Fotos rot ein, verband sie miteinander und schrieb ‚Straßen-Ausstellung‘ daran, auf Französisch ‚Expo 2 Rue‘.“3 (JR)

Werke im öffentlichen Raum

Portrait of a Generation (2004–2006)

JRs erstes Plakatprojekt mit Großformaten im öffentlichen Raum war „Portrait of a Generation“. Gemeinsam mit seinem Freund Ladj Ly nahm JR ein Kurzvideo mit dem Titel „Clichés de Ghetto“ auf. Außerdem dokumentierte er seine Arbeitsweise und seine bisherigen Projekte, die er 2005 unter dem Titel „Carnet de Rue“ als erste eigene Publikation veröffentlichte. Es handelt sich um eine fotografische Erzählung der Street-Art-Bewegung, die sich mit Arbeiten verschiedener Künstler:innen befasst, darunter Blu, Zevs, Banksy, Shepard Fairey, Bäst und FAILE.

Ein Porträt seine Freundes Ladj Ly im Viertel Les Bosquets in Montfermeil makriert den Beginn der Serie und des künstlerischen Werks von JR. Der Franzose hält eine Kamera wie eine Waffe, im Hintergrund laufen Kinder vorbei. Mit Hilfe einer Maschine für Architekturpläne gelang es JR, seine Fotografien überlebensgroß auszudrucken. Die in Streifen zerlegten Bilder mussten am Gebäude abgerollt und aufgeklebt werden. Diese illegale Aktion dauerte ein paar Nächte; danach versuchte der Bürgermeister JR ausfindig zu machen, um ihn zu strafen. Seither trägt JR eine schwarze Sonnenbrille und einen Hut.

Im November 2005 brachen Unruhen in den Außenbezirken von Paris aus. In den Nachrichten über die Krawalle in Montfermeil entdeckte JR im Hintergrund eines seiner in der Hochhaussiedlung Les Bosquets aufgehängten Plakate. Anstatt für eine große Agentur Fotos von randalierenden Jugendlichen zu schießen, entschied er sich Künstler zu werden und seine eigenen Bilder zu machen. JR nahm das Projekt „Portrait of a Generation“ wieder auf. Er porträtierte junge Menschen aus den Banlieues Clichy-sous-Bois und Montfermeil mit einem 28-mm-Objektiv in kurzer Distanz. Die Bilder pastete er in bürgerlich geprägten Stadtbezirken von Paris. Die Porträts sind bewusst in karikierender Form aufgenommen, scheinbar um dem medial überzeichneten Bild von Jugendlichen in den „Problembezirken“ zu entsprechen. Wichtig ist JR, dass er im Text unter jedem gepasteten Bild, den Namen, das Alter und die Nummer des Gebäudes, in dem die Person lebte, offenlegte. Damit erhielten die Menschen aus dem Banlieus eine Persönlichkeit.

JR plakatierte „Portrait of a Generation“ 2006 an den Außenwänden der Maison Européenne de la Photographie in Paris und des Espace des Blancs Manteaux. Außerdem erhielt er die Einladung, die Werbeflächen rund um das Hôtel de Ville in Paris mit Bildern von „Portrait of a Generation“ zu plakatieren.

Mit dem Projekt, das sozial benachteiligte Menschen ein Gesicht und einen Namen gab, wurde JR rasch in Paris bekannt. Die Milk Gallery in Saskatoon, Kanada, lud JR in diesem Jahr zu einer ersten Teilnahme an einer Gruppenausstellung ein. Die „Sidewalk Gallery“ stellte 2006 „Portrait of a Generation“ in der 11 Spring Street, New York, aus.

„Kunst soll Fragen aufwerfen, nicht Antworten geben.“4 (JR)

Face 2 Face (2006/07)

Für das Projekt „Face 2 Face“ reiste JR 2006 zum ersten Mal ins Ausland. Gemeinsam mit seinem Freund Marco Berrebi fuhr er nach Israel und in die palästinensischen Autonomiegebiete. Dort fotografierte er jeweils zwei Personen, die der gleichen Tätigkeit nachgingen, um sie Seite an Seite zu pasten. Die miteinander verfeindeten Seiten machten bereitwillig mit. In Gesprächen stellte sich schnell die Frage, welche Person aus welchem Land stammte. JR gelang es sogar, die Grenzmauer zu bekleben. Gérard Maximin führte bei der Dokumentation „Faces“ über das Projekt „Face 2 Face“ Regie.

JR wurde eingeladen, Bilder aus „Face 2 Face“ an der Fassade des Arsenale-Hauptgebäudes im Rahmen der „52. Biennale von Venedig“ (2007) zu zeigen. Als er in diesem Jahr zurückkehrte, um den Beteiligten das Buch zu überreichen, das er zum Projekte gemacht hatte, lernte er, dass die Besitzer:innen der Mauern sehr viele Gespräch geführt hatten:

„Das war der Moment, in dem mir klar wurde, dass die Menschen, die neben den Porträts wohnten, die Wortführer dieses Projekts waren. Sie mussten dazu bereit sein, jeden Tag darüber zu sprechen.“5 (JR)

Women Are Heroes (2008–2014)

JR begann das Projekt „Women Are Heroes“ mit einer Aktion in der Favela Morro da Providência, Rio de Janeiro (2008/09). Der Künstler hatte einen Bericht im Fernsehen gesehen und sich begonnen für diese Favela im Zentrum der Stadt neben dem Hauptbahnhof zu interessieren. Ein Freund klärte ihn darüber auf, dass es die älteste Favela Brasiliens sein und von dort das Drogenkartell „Rotes Kommando“ stammte. Niemand würde hineinkommen, da das Kartell alles kontrollierte. Eine Frau namens Rosiete lud JR ein, sie in der Favela zu besuchen, wodurch er Mauricio kennenlernte. Der zeigte sich von der Visualisierung des Projektes so begeistert, dass er die in den Häusern wohnenden Menschen fragte, ob sie mitmachen wollten. Nach einem Tag hatten JR die Zustimmung von knapp Dreiviertel der Beteiligten erhalten. Über Rosiete erreichte JR die Frauen der Favela, um sie außerhalb zu porträtieren und ihre Geschichten zu hören. Nachdem JR mit seinen Freunden die große Treppe beklebt hatte, erlaubten ihm die Drogenbosse mit dem Projekt weiterzumachen. Sie brauchten 24 Tage, um die Favela zu bekleben. Als sie damit fertig waren, verließ JR Brasilien. Die Geschichte zum Projekt, ihre Geschichte, erzählten die Frauen der Presse und allen Interessierten selbst.

„In diesem Moment wurde mir klar, dass Kunst in einer Favela wirklich eine Wirkung haben kann, eine spürbare und konkrete Wirkung, […] auch wenn man bis heute in keiner dieser Favelas in Frieden leben kann.“6 (JR)

JR kehrte 2009 nach Brasilien zurück, um „Women Are Heroes“-Bilder am „Arcos da Lapa“-Monument in Rio de Janeiro anzubringen. Die Casa França Brasil zeigte Installationen mit Videos des Projekts und organisierte ein Eröffnungsevent mit den Teilnehmenden aus der Favela. Eröffnung des Kulturzentrums Casa Amarela in Rio, das unter anderem Fotografiekurse für Kinder und Rechtsberatung für Erwachsene in der Morro da Providência anbietet, wo auch die erste „Women Are Heroes-Aktion“ stattfand.

Kibera

Es folgten weitere Projektstationen in Freetown und Bo (Sierra Leone), in Monrovia (Liberia, 2008), Kiberia (Kenia, 2009) und im Sudan. „Women Are Heroes“-Aktionen in Jaipur, Indien, während des Holi-Fests, und in Phnom Penh, Kambodscha, folgten (2009). Obschon JR erkannte, dass die Frauen diese Gesellschaften zusammenhielten, waren es doch immer die Männer, die er um Erlaubnis fragen musste, ob er seine Bilder pasten durfte. In Kenia brachten ihn die Bewohner:innen auf die Idee mit Plastikplanen zu arbeiten, da er die Porträts auf Dächer montieren wollte. So half er den Bewohner:innen zusätzlich, indem er ihre Dächer abdichtete.

2009 schuf er Planen mit aufgedruckten Fotografien der Augen und Gesichter von Frauen aus dem Kibera-Slum für 2000 m² Dachfläche. Nach einer weiteren „Women Are Heroes“-Aktion in Kibera im Jahr 2010 kehrte JR nochmals 2013 dorthin zurück: Zum Schutz vor dem Regen wurden erneut 2000 m² Vinyl mit Fotografien der Gesichter von Frauen aus Kibera bedruckt und auf Dächern angebracht.

Die erste Ausstellung von „Women Are Heroes“ erfolgte noch 2008 im öffentlichen Raum in Brüssel. Die Einzelausstellung „28 Millimeters: Women” in The Outsiders Gallery, London. Mit seinem Lieblingsprojekt war JR an der Gruppenausstellung „Street Art“ in der Tate Modern, London, beteiligt. Er zeigte ein großformatiges Plakat an der Fassade des Museums und weiteren über die Stadt verteilten Aktionen. Der Pavillon de l’Arsenal in Paris lud JR 2009 ein, eine Ausstellung mit großformatigen Bildern des „Women Are Heroes“-Projekts am Ufer der Île Saint-Louis und an der Pont Louis-Philippe zu realisieren.

Die Premiere des Films „Women Are Heroes“ fand während der „Woche der Kritik“ des Filmfestivals in Cannes statt (2010). Der Dokumentarfilm kam 2011 in die Kinos.

Le Havre

Im Jahr 2014 organisierte JR eine „Women Are Heroes“-Aktion im Hafen von Le Havre: 2600 Papierbahnen wurden mit der Hilfe der Hafenarbeiter auf Schiffscontainer plakatiert. Auf ein 263 Meter langes Schiff verladen, das von Le Havre nach Malaysia auslief, formierten sich die Container zu einem Augenpaar. Guillaume Cagniard drehte den Film „Rivages“ über JRs Plakataktion auf dem Containerschiff in Le Havre.

The Wrinkles of the City (2008–2015)

Im Jahr 2008 begann JR das Projekt „The Wrinkles of the City” in Cartagena, Spanien. Er setzte sich mit dem Alter auseinander, den Falten von Menschen und alternden Städten.

Im Rahmen der Shanghai Biennale 2010 führte JR das Projekt „The Wrinkles of the City“ in Zusammenarbeit mit der Galerie Danysz durch. Parallel dazu plakatierte JR illegal Fotografien in China.

„The Wrinkles of the City”-Aktion in Los Angeles (2011) und anlässlich der „11. Biennale von Havanna“ in Zusammenarbeit mit dem kubanisch-amerikanischen Künstler José Parlá (2012). JR und José Parlá kehrten 2013 nach Havanna zurück, um Bücher an die Teilnehmer:innen der „The Wrinkles of the City“-Aktion zu verteilen. Der Film „The Wrinkles of the City, Havana” unter der Regie von JR und José Parlá wurde im Centro Cultural Cinematográfico Fresa y Chocolate gezeigt. JR veröffentlichte eine iPad-App sowie ein „The Wrinkles of the City, Los Angeles“-iBook für iPad auf Englisch, Spanisch und Französisch. „The Wrinkles of the City”-Aktion in Berlin. Die Bryce Wolkowitz Gallery, New York, stellte „The Wrinkles of the City, La Habana” aus.

2015 fand eine „The Wrinkles of the City“-Aktion in Istanbul statt.

Unframed

Teilnahme am Festival „Images“ im schweizerischen Vevey mit dem vom Musée de l’Elysée de Lausanne koproduzierten Projekt „Unframed“ (2010).

2012 organisierte JR eine „Unframed“-Aktion in Washington, D. C., unter Verwendung eines Fotos aus der Zeit der Bürgerrechtsbewegung Ende der 1960er-Jahre.

„Unframed“-Aktion im Viertel Belle de Mai in Marseille2013. JR bat die Anwohner:innen, Aufnahmen aus ihren privaten Fotoalben für ein monumentales Kunstwerk an den Mauern des Quartiers beizusteuern. „Unframed“-Aktion in Atlanta. Um des 50. Jahrestags des Marsches auf Washington zu gedenken, plakatierte JR Fotos aus der Bürgerrechtszeit in jener Gegend, in der Martin Luther King aufgewachsen war.

Gleichzeitig zu seiner Einzelausstellung im Museum Frieder Burda führte JR eine „Unframed“-Aktion in Baden-Baden zum Thema der deutsch-französischen Geschichte unter Verwendung historischer Bilder aus privaten Fotoalben aus.

JR führte 2014 eine „Unframed“-Aktion in dem verlassenen Krankenhaus an der Südseite von Ellis Island, New York, durch, wo zwischen 1892 und 1954 Millionen von Immigrant:innen ankamen. Der Kurzfilm „Ellis“, gedreht auf Ellis Island mit Robert De Niro, erschien 2015.

Inside Out (seit 2011)

JR erhielt 2011 die Auszeichnung mit dem TED Prize, der mit $100.000.- dotiert ist. JR war der bis dato jüngste Preisträger, der erste Franzose und erste Künstler, der die Auszeichnung erhielt. Der TED Prize ermöglichte ihm, „einen Wunsch zu äußern, um die Welt zu verändern“. Mit dem Preisgeld initiierte JR das internationale, partizipative Kunstprojekt „Inside Out“, bei dem Menschen auf der ganzen Welt Porträts aufnehmen und plakatieren können, um eine Idee, ein Projekt oder eine Aktion zu unterstützen und ihre Erfahrungen zu teilen. Die erste „Inside Out“-Aktion fand in Tunesien unmittelbar nach dem Arabischen Frühling statt.

JR installierte 2011 einen „Inside Out“-Fotoautomaten mit dem Titel „Paris–Delhi–Bombay” im Centre Pompidou, Paris, einen weiteren im Foyer der Galerie Manarat Al Saadiyat, Abu Dhabi, anlässlich der Eröffnung der Ausstellung „Emirati Expressions“. „Inside Out“-Fotoautomaten wurden an mehreren Orten in Israel und in den palästinensischen Autonomiegebieten aufgestellt, darunter Tel Aviv, Ramallah, Bethlehem und Nablus.

Ein Jahr nach seiner Auszeichnung mit dem TED Prize berichtete JR in einem „TED Talk“ über das, was sich seither bei „Inside Out“ getan hat (2012). In diesem Jahr fand eine „Inside Out”-Aktion im „High Line”-Park in New York statt. JR reiste nach Nordkorea, wo er die Feierlichkeiten anlässlich des 100. Geburtstags von Kim Il-sung fotografierte. Installation eines „Inside Out“-Fotoautomaten im Rahmen des Festivals „Images“ in Vevey, Schweiz. „Inside Out“-Projekt auf der Connaught-Road-Fußgängerbrücke im Stadtzentrum von Hongkong. Im Jahr 2012 fand auch eine internationale „Inside Out“-Aktion zu Themen rund um den Klimawandel. Mehr als 4000 Poster wurden in 17 Städten auf der ganzen Welt plakatiert.

2012 startete JR ein Projekt in der nordöstlichen Region Japans, die von dem Erdbeben, dem Tsunami und der Nuklearkatastrophe von Fukushima betroffen war. JR überließ einen „Inside Out“-Foto-Truck einer Gruppe japanischer Künstler:innen, darunter Takao Shiraishi.

Der Dokumentarfilm „Inside Out: The People’s Art Project”, unter der Regie von Alastair Siddons, feierte 2013 auf dem Tribeca Film Festival in New York Premiere.
Ein „Inside Out”-Foto-Truck machte 2013 Station am Times Square in New York. Es nahmen 6000 Menschen an der Aktion teil. Jeden Abend wurde während des „Midnight Moment“ ein dreiminütiger Film auf fast allen Bildschirmen des Times Square abgespielt. Zwei „Inside Out“-Foto-Trucks tourten im Sommer durch die USA, um Menschen zu fotografieren, die eine Reform der Einwanderungsrichtlinien fordern oder selbst zu den elf Millionen illegalen Immigrant:innen des Landes gehören.

Der erste europäische „Inside Out“-Foto-Truck fuhr anlässlich der „Unseen Photo Fair“ ebenfalls 2013 durch Amsterdam. Rund 1800 Plakate wurden gedruckt und in der Stadt plakatiert. Der „Inside Out“-Foto-Truck wurde am Somerset House in London sowie vor dem Palais de Tokyo und der Bibliothèque Nationale de France in Paris installiert.

Der „Inside Out“-Foto-Truck reiste 2014 für zwei Monate durch Shanghai; Plakataktionen wurden in der ganzen Stadt durchgeführt. „Inside Out“-Installation „Au Panthéon!“ im Panthéon, Paris.

„Inside Out“-Foto-Trucks tourten 2017 durch die USA und widmeten sich in mit „Inside Out Education“ und „Inside Out Dreamers“ betitelten Projekten Themen wie Bildung und Immigration. Ein Jahr darauf tourte ein „Inside Out“-Foto-Truck unter dem Titel „Inside Out / Vote“ durch die USA, um Menschen zu motivieren, sich für die Zwischenwahlen registrieren zu lassen.

Murals

Chroniques de Clichy-Montfermeil (2017)

Für dieses erste monumentale Wandbild in seinem Werk ließ sich JR von Diego Riveras mexikanischen Wandbildern inspirieren, in denen unterschiedlichste Menschen und Typen zu dichten Kompositionen zusammengefügt sind. JR fotografierte in Clichy-Montfermeil 850 Menschen, die er dann ausgedruckt und ausgeschnitten hat, um sie zusammenzufügen. Die Erstpräsentation fand im Palais de Tokyo statt. Präsident François Hollande setzte sich für die dauerhaft Installierung in Clichy-Montfermeil ein.

The Gun Chronicles: A Story of America (2018)

Das zweite Wandbild entstand in Zusammenarbeit mit dem „Time“-Magazine. JR wählte das Thema der Waffengewalt in den Vereinigten Staaten, der leichte Zugang zu schweren Waffen. Nacheinander besuchte er beide Seiten der Debatte und ließ 250 Menschen gleichsam bildhaft an einem gemeinsamen Tisch Platz nehmen, um ihre Argumente auszutauschen: die Mutter von Mike Brown bis zum Jäger, der US-amerikanische Schusswaffen-Verband NRA, die CIA, Repräsentant:innen der US-Regierung und von Stadtverwaltungen, Leute von ‚Black Lives Matter‘ und von ‚Black Guns Matter‘.

„The Gun Chronicles: A Story of America“ ist wohl als Wandbild wie auch als Video ausgearbeitet worden. Die Interviews mit den Beteiligten sind über eine APP aufrufbar. Damit zeigt JR die Komplexität der Debatte und bringt die Debattierenden zu einem Bild zusammen, das einen historisch wichtigen Moment in der Geschichte der USA markiert.

„The Gun Chronicles: A Story of America“ wurde 2018 auf dem Cover des „Time“-Magazin veröffentlicht. Als Video-Wandbild wurde es in der Galerie Pace in New York sowie in zwölf Museen in den USA gezeigt.

The Chronicles of San Francisco (2018) & The Chronicles of New York City (2019)

Wie kann man das Bild einer ganzen Stadt einfangen? JR wollte die Menschen nicht casten und fuhr deshalb mit einem voll ausgestatteten Truck durch die Stadt, von einem Viertel zum nächsten.

„Ich glaube, wir haben mehr als 1200 Leute fotografiert. Einen Monat lang waren wir mit einem riesigen Truck unterwegs, in dem alles untergebracht war: ein ganzes Studio mit Kameras, Greenscreen und Computern, um direkt mit dem Zusammensetzen des Bildes beginnen zu können, noch während wir unterwegs waren.“

Alle Beteiligten konnten selbst entscheiden, wie sie sich zeigen wollten. Das San Francisco Museum of Modern Art lud den Künstler ein, das Werk in der Galerie auszustellen. Eineinhalb Jahre Arbeit steckt in der Komposition. Die Geschichten der Menschen lassen sich über eine App nachvollziehen.

Seit 2011 lebt JR in New York City; 2019 widmete er der Stadt und ihren Bewohner:innen ein Mural. Das war für den Franzosen nicht nur die Möglichkeit, die Stadt besser kennenzulernen, sondern auch mit den New Yorker:innen ins Gespräch zu kommen. JR wollte in dem Monumentalbild die Vielfalt der Stadt und ihre Energie zeigen.

JR und das Ballett

Les Bosquets

Monumentale Installation im Lincoln Center anlässlich der „Art Series“ des New York City Ballet: Eine Aufnahme der Tänzer:innen der Kompanie, die sich zu einem riesenhaften Auge formieren, wurde auf den Boden gepastet; weitere Plakate an der Fassade des Lincoln Center. „Les Bosquets“, ein in Zusammenarbeit mit dem New York City Ballet entstandenes Ballettstück mit Musik von Woodkid, feierte im Lincoln Center während der „XXIst Century Week“ Premiere. Der Kurzfilm „Les Bosquets“, in dem Balletttänzer:innen des Pariser Opernballetts mitwirkten, wurde 2015 im Rahmen des Tribeca Film Festival in New York uraufgeführt.

Brise-Lames

Das in Zusammenarbeit mit dem Choreografen Damien Jalet entstandene Ballettstück „Brise-Lames“ wurde 2020 in der Opéra national de Paris uraufgeführt; JR gestaltete Bühnenbild und Kostüme.

Politischer Aktivismus

  • 2014: JR nahm am Marsch gegen Polizeigewalt in New York teil: JRs Plakate wurden bei dem Marsch vorangetragen. Sie fügten sich zum Augenpaar von Eric Garner, der von einem Polizeibeamten in den Würgegriff genommen worden und dabei erstickt war.
  • 2015: JRs Plakate mit den Augen der Charlie-Hebdo-Mitarbeiter:innen, die bei dem Anschlag am 11. Januar getötet worden waren, wurden beim „Je suis Charlie“-Marsch in Paris vorneweg getragen.
  • 2015: Während der Klimakonferenz „COP21“, die an mehreren Orten in Paris stattfand, gestalteten JR und Darren Aronofsky „The Standing March“, eine Großprojektion im öffentlichen Raum.
  • 2017: JR installierte „Kikito“, ein riesiges Plakat, auf einem Baugerüst am US-mexikanischen Grenzzaun in Tecate (September) und Organisation eines grenzübergreifenden Picknicks zum Abschluss des Projekts, an dem sogar die Grenzbeamten teilnahmen (8.10.). Das Bild montierte er auf der mexikanischen Seite, die Fotos wurden von der amerikanischen aufgenommen. JR fotografierte das Baby der Hausbesitzerin, wie es sich an seinem Kinderbett festhielt.
  • 19.3.2018: Installation anlässlich der Eröffnung von „Refettorio Paris“, einer auf Initiative von Chefkoch Massimo Bottura in der Krypta der Kirche La Madeleine eingerichteten Gemeinschaftsküche, unter Beteiligung von Künstler:innen, Designer:innen sowie Küchenchef:innen.
  • 2018: In Zusammenarbeit mit Jeffrey Deitch entstand „So Close“, eine monumentale Arbeit über Flüchtlinge, die in der Armory Show, New York, präsentiert wurde.
  • 3.10.2018: Berlin Anlässlich des Tags der deutschen Einheit am 3. Oktober richtete JR eine Giant-Installation am Brandenburger Tor in Berlin ein.
  • 2019: JR besuchte zum ersten Mal das Hochsicherheitsgefängnis von Tehachapi. Im Folgejahr pastete das Werk „Mountain“ an die Gefängnismauern.
  • 2022: JR reiste in die Ukraine. In Lemberg (Lwiw) entfalteten Hunderte Menschen JRs 45 Meter lange Aufnahme der fünfjährigen Valeriia. Das „Time-Magazin“ veröffentlichte ein Foto der Aktion auf dem Cover. Im Rahmen der Ausstellung „This is Ukraine: Defending Freedom“ wurde „Valeriia“ auf der Biennale von Venedig und auch während seiner Einzelausstellung in der Kunsthalle München gezeigt.

Museale Ausstellungen & Pastings

JR stellt seit Jahren in renommierten Galerien weltweit aus. Im Jahr 2013 organisierte das Watari Museum of Contemporary Art in Tokio „JR“, die erste museale Retrospektive des Künstlers. Ein Plakat an der Fassade des Museums zeigte Einwohner:innen aus dem Nordosten Japans, wo im März 2011 der Tsunami gewütet hatte.

Seine erste Einzelausstellung in den USA eröffnete ebenfalls 2013 im Contemporary Arts Center in Cincinnati. Im Jahr 2014 war die Retrospektive „JR“ im Museum Frieder Burda zu sehen.

Die Ausstellungen „Close-Up Shanghai – A Project by JR“, eine weitere große Retrospektive des Künstlers, eröffnete 2014 in der Power Station of Art in Shanghai.

2015 eröffnete JR die Ausstellung „JR“ parallel zur Art Basel in Hong Kong sowie „Uprising“, eine Einzelausstellung im Centro de Arte Contemporáneo in Málaga. JR war der „Monumental Artist“ der Nuit Blanche in Toronto. Im Folgejahr war JR „Artist in Residence“ bei den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro. Er realisierte Kunstwerke im Rahmen der Projekte „Giants“ und „Inside Out“.

Zu seinen größten Erfolgen darf sicher gerechnet werden, dass JR vom Louvre eingeladen wurde, das illusionistische Werk „JR au Louvre“, ein Trompe-l’Œil, auf die Pyramide des Louvre in Paris zu pasten (besser auf den Platz rund um die Pyramide). Gleichzeitig widmete ihm das Centre Pompidou in Paris eine Einzelausstellung mit dem Titel „You Are Here“. Ein Jahr später organisierte das Palais de Tokyo in Paris mit „Chroniques de Clichy-Montfermeil“ eine weitere Einzelausstellung des Künstlers. Anlässlich des 30. Jahrestags der Errichtung der Pyramide vor dem Pariser Louvre wurde das Trompe-l’Œil „JR au Louvre & Le secret de la grande pyramide“ installiert (1.4.2019).

Seither laden ihn kunsthistorisch wichtige Institutionen ein, ihre Fassaden zu bespielen: „La Ferita“ an der Fassade des Palazzo Strozzi in Florenz (19.3.–22.8.2021); „Punto di Fuga“ an der Fassade des Palazzo Farnese in Rom (ab 21.7. 2021); „Le Falaises du Trocadéro“ vor dem Eiffelturm in Paris (19.5.–17.6.2021); Installation „Greetings from Giza“ an der Chephren-Pyramide im ägyptischen Gizeh (21.10.–17.11.2021). Daraus entstand JRs erstes NFT-Projekt.

JR als Filmemacher

JR führte 2015 gemeinsam mit Agnès Varda Regie bei dem Film „Visages Villages [Augenblicke: Gesichter einer Reise]“. Der Film wurde als beste Dokumentation mit dem L’Œil d’Or auf dem Filmfestival in Cannes ausgezeichnet und 2018 in der Kategorie „Bester Dokumentarspielfilm“ für einen Oscar nominiert.

JR drehte ebenfalls 2015 mit Ladj Ly den Spielfilm „Chroniques de Clichy-Montfermeil“ über die Entstehung des gleichnamigen Wandgemäldes. JR arbeitete mit den Musikern Arcade Fire, U2, M und Ibeyi zusammen. Es entstanden unter anderem Plattencover und Videos.

Der Film „Paper and Glue“ feierte Premiere beim Tribeca Film Festival (19.6.2021), und der Film „Omelia Contadina“ wurde 2020 bei den Internationalen Filmfestspielen von Venedig erstmals gezeigt.

Literatur zu JR

  • JR: Chronicles (Ausst.-Kat. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung (Kunsthalle München), 26.8.2022–15.1.2023), München 2022.

Beiträge zu JR

JR, Migrants, Mayra, Picnic across the Border, Tecate, Mexico–U.S.A., 2017, Installationsansicht. Wheat-paste Poster auf Tisch © JR-ART.NET
Die Kunsthalle München zeigt die bisher größte Retrospektive des französischen Künstlers JR (*1983) in Deutschland. Seine Ausstellungsorte sind eigentlich die Straßen dieser Welt. Dort erregt er auch Aufmerksamkeit bei jenen, die sonst keine Museen besuchen.
  1. Zit. n. JR: Chronicles (Ausst.-Kat. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung (Kunsthalle München), 26.8.2022–15.1.2023), München 2022, S. 47.
  2. Zit. n. JR, in: JR (Ausst.-Kat. Kunsthalle der Hypo-Kulturstiftung (Kunsthalle München), 26.8.2022–15.1.2023), München 2022, S. 34.
  3. Zit. n. Ebenda, S. 34.
  4. Zit. n. Ebenda, S. 90.
  5. Zit. n. ebenda, S. 65.
  6. Zit. n. Ebenda, S. 85.