In Urbino sieht man, wie sich der junge Künstler Raffael zu einem Hauptvertreter der Hochrenaissance (→ Renaissance) entwickelte. Und auch wie seine Kunst in Rom auf Künstler aus Urbino Einfluss nahm. Kurz bevor Raffael 2020 startet, stellt die Nationalgalerie der Marken das Werden aber auch die Auswirkungen ihres berühmtesten Sprosses vor.
Italien | Urbino: Galleria Nazionale delle Marche
Palazzo Ducale di Urbino
3.10.2019–19.1.2020
Es geht den Kuratorinnen in Urbino, wie sie in der Presseaussendung betonen, um die Beziehungen Raffaels mit einer Gruppe von Künstlern, die in Urbino arbeiteten. Der künstlerische Dialog und die kreative Auseinandersetzung mit ihren Werken ermöglichten Raffael, sich zu einem modernen Maler zu entwickeln. Auch noch während seines denkwürdigen Aufenthalts in Rom veränderte Raffael den Stil seiner Malerei.
Der Hof von Urbino zählte um 1500 zu den bedeutendsten Kunststätten Italiens. Hier arbeitete Raffaels Vater, Giovanni Santi (1435–1494), als Hofmaler und Dichter. Von grundlegender Bedeutung für die Entwicklung Raffaels war Pietro Perugino (1446–1524), der im benachbarten Perugino zuhause war. Perugino war vermutlich Raffaels erster bedeutender Lehrer. Zumindest schloss Raffael an das Vorbild Peruginos an, sodass in früheren Jahrzehnten von einer Lehrer-Schüler-Beziehung ausgegangen wurde. Die Ausstellung in Urbino setzt mit neueren Netzwerktheorien ein und zeigt das künstlerische Umfeld von Raffael, ohne Perugino allein als prägende Kraft heranzuziehen. Stattdessen macht man aus der Not der kostbaren Leihgaben Raffaels eine Tugend und stellt den Meister aus Urbino seinen Zeitgenossen und Freunden gegenüber.
Zu diesen zählen Maler der älteren Generation – Timoteo Viti (1469–1523) und Girolamo Genga (um 1476–1551). Sie schufen große Altäre, in denen sich Erzählfreude und Schilderung von Affekten Hand in Hand mit ambitionierten Posen finden. Von ihnen könnte Raffael angestoßen worden sein, um 1505 in der „Pala Baglione“, die eine Grablegung Christi zeigt, ein Geschehen zum Bildgegenstand zu machen, während das gesamte 15. Jahrhundert hindurch die thronende Madonna mit Heiligen (Sacra Conversazione) das beliebteste Sujet darstellte.
Die Genese seiner Kunst, allen voran der lieblichen Madonnen, steht im Fokus der Präsentation. Dafür trennt sich die National Gallery in London sogar von ihrer superben „Madonna Aldobrandini“ und die Eremitage von der miniaturhaft kleinen „Madonna Conestabile“.
Spätestens mit der Berufung Raffaels nach Rom und seinen durchschlagenden Erfolgen als Hofmaler der Päpste wurde seine Kunst als vorbildhaft für die nachfolgende Generation angesehen. Die für Papst Leo X. gestalteten Stanzen nehmen die Entwicklung der Renaissancemalerei in Mittelitalien vorweg. So finden sich erste Tendenzen zur gedrehten Figur, die als figura serpentinata im Manierismus eine große Rolle spielen wird, und einer Betonung der Affektdarstellung.
Auf Raffael folgten in Urbino Maler wie Raffaellino del Colle und Giulio Romano nach. Giulio Romano wurde der Schüler und wichtigste Nachfolger von Raffael. Seine Fresken im Palazzo del Te in Mantua führten Prinzipien Raffaels während der 1520er Jahre weiter.
Kuratiert von Barbara Agosti und Silvia Ginzburg.
Direktion: Peter Aufreiter