Werner Tübke

Wer war Werner Tübke?

Werner Tübke (Schönebeck 30.7.1929–27.5.2004 Leipzig) war ein ostdeutscher Maler des Realismus. Sein bekanntestes Werk ist das Bauernkriegspanorama im thüringischen Bad Frankenhausen. Tübke gehört zusammen mit Bernhard Heisig und Wolfgang Mattheuer zu den Gründer- und Leitfiguren, zugleich Reformern der Leipziger Schule.

Werner Tübkes Werk umfasst ca. 6000 Zeichnungen, 500 Aquarelle, 350 Gemälde und mehr als 200 Druckgrafiken. Zu seinen wichtigsten Arbeiten zählen die „Fünf Kontinente“ (1958), die „Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung“ (1961), „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“ (1965–1967), „Arbeiterklasse und Intelligenz“ (1970–1973), „Der Mensch – Maß aller Dinge“ (1975), aber auch Strandszenen (1967–1971) und Bilder mit sowjetischen und italienischen Motiven, die im Zusammenhang mit seinen Reisen stehen (ab 1961 respektive 1971). Von 1976 bis 1987 beschäftigte sich Werner Tübke mit der „Frühbürgerlichen Revolution in Deutschland“, dem Monumentalbild in Bad Frankenhausen. In den Jahren 1990 bis 1993 schuf er Bühnenentwürfe zum „Freischütz“ und von 1993 bis 1996 den achtteiligen Flügelaltar für St. Salvatoris zu Clausthal-Zellerfeld.

Kindheit & Ausbildung

Werner Tübke wurde am 30. Juli 1929 in eine Kaufmannsfamilie in Schönebeck an der Elbe geboren.

Seine künstlerische Begabung wurde bereits in seiner Schulzeit erkannt. Tübke erhielt ersten Zeichenunterricht zwischen 1939 und 1945  bei dem Magdeburger Künstler Karl Friedrich (1898–1989).

Wegen des Verdachts, Mitglied der militanten NS-Geheimorganisation „Werwolf“ gewesen zu sein, wurde der 16-jährige, schuldlose Werner Tübke 1946 durch das Volkskommissariat für innere Angelegenheiten der UdSSR in mehrmonatige Folterhaft genommen. Diese Erfahrung und die anschließende Schweigepflicht prägten ihn nachhaltig.

Im Jahr 1946/47 besuchte Tübke eine Lehre zum Dekorationsmaler in Schönebeck und besuchte die Meisterschule für das deutsche Handwerk in Magdeburg. Anschließend setzte er seine unterbrochene gymnasiale Ausbildung in Schönebeck fort, die er 1948 mit Abitur abschloss.

Tübke begann im Wintersemester 1948/49 sein Studium an der Akademie für Graphik und Buchkunst – Staatliche Kunsthochschule (HGB) in Leipzig, die sich in diesen kulturpolitisch turbulenten Jahren politikkonform der Doktrin des sozialistischen Realismus anschließt. Er besuchte den Unterricht u.a. bei Elisabeth Voigt und Ernst Hassebrauk. Aufgrund seiner dem Expressionismus nahestehenden Formexperimente wurde Tübke nahegelegt, die Hochschule wieder zu verlassen.

Von 1950 bis 1952 studierte Werner Tübke Kunsterziehung und Psychologie an der Ernst-Moritz-Arndt-Universität in Greifswald.

Lehre in Leipzig

Nach dem Staatsexamen kehrte Werner Tübke wieder nach Leipzig zurück, wo er für zwei Jahre wissenschaftlicher Mitarbeiter der Abteilung Bildende Kunst am Zentralhaus für Laienkunst in Leipzig war (1952–1954); in dieser Funktion verfasste der Künstler vier Lehrtexte, die in der zugehörigen Monatsschrift „Volkskunst“ erschienen, sowie 1954 ein „Methodisches Handbuch“. In der DDR galt ein Kanon (ausgewählter) älterer Kunst als verbindlich, insbesondere die deutsche Renaissance um Albrecht Dürer, aber auch Künstlerinnen und Künstler wie Adolph Menzel, Ludwig Richter oder Käthe Kollwitz. Tübke öffnete selbstbewusst diese Riege der Vorbilder über die Grenzen Deutschlands hinaus:

„Orientieren muss man sich an sinnvolle Wahlverwandtschaft zur nationalen und internationalen Vergangenheit“1 (Werner Tübke, 21.11.1954).

Von September 1955 bis 1957 war Werner Tübke Assistent an der HGB, ab 1956 als Oberassistent beim Grundlagenstudium an der Leipziger Hochschule für Graphik und Buchkunst. Da Tübke öffentlich Zweifel am politischen System äußerte und seine Kunst nicht den engen Vorstellungen der offiziellen Kunstdoktrin folgte, wurde er am 1. August 1957 aus der HGB entlassen.

Bis zu seiner Wiedereinstellung als Oberassistent an der HGB im Dezember 1962 arbeitete Tübke als freiberuflicher Maler, Zeichner und Buchillustrator. Im September 1964 erfolgte seine Berufung zum Dozenten an der HGB in Leipzig. Doch der Maler blieb ein unangepasster Querdenker. 1967/68 betrieb der Senat der HGB die Entlassung Tübkes wegen angeblich schädlichen Einflusses auf den künstlerischen Nachwuchs; erst nach studentischem Protest gab er diesen Plan auf.

Im Jahr 1972 erfolgte die Berufung Werner Tübkes zum Ordentlichen Professor mit Übernahme des Lehrstuhls für Malerei; 1973 ernannte ihn das Kollegium zum Rektor der HGB in Leipzig.

Im Jahr 1974 erfolgte noch di Wahl in den Zentralvorstand des (nun umbenannten) Verbandes Bildender Künstler der DDR (VBK), dem Tübke 1989 als Vizepräsident vorstand.

Werke

Im Jahr 1954 wurde Werner Tübke in den Verband Bildender Künstler Deutschlands aufgenommen. Er erhielt erste Aufträge und Ausstellungsbeteiligungen.

 

Fünf Kontinente

Für den Speisesaal des Leipziger Interhotels Astoria entstand 1958 der Zyklus „Fünf Kontinente“ (1995 abgenommen; heute: Panorama Museum, Bad Frankenhausen).

In diesem Jahr wurde Alfred Kurella (1895–1975), der bis 1963 wichtigste Kulturfunktionär der SED in der DDR, auf Tübke aufmerksam und begann, ihn zu protegieren. Er glaubte, Tübke zu einem politischen Vorbildkünstler formen zu können. Im Jahr 1961 ermöglichte Kurella Tübke eine einjährige Studienreise  durch die Sowjetunion, die für den Künstler zu einem einschneidenden Erlebnis wurde (April 1961–April 1962). Die politische Hoffnung erfüllte Tübke allerdings nie.

 

Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze

Die wichtigen Frühwerke Tübkes sind die „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“ (1965), die in drei Fassungen vorliegen: „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze I“ (Panorama Museum, Bad Frankenhausen, Inv. I B/96), „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze II“ (Kunstmuseum Moritzburg, Halle / Saale) und „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze III“ (Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie, Inv. A IV 581).

Die dritte Fassung des Gemäldes „Lebenserinnerungen des Dr. jur. Schulze“ sowie Werke von Bernhard Heisig und Wolfang Mattheuer erregen auf der „7. Bezirkskunstausstellung“ (BKA) des VBKD in Leipzig heftige Kritik. Die Diskussion biss sich vor allem an der dritten Fassung des „Dr. jur. Schulze“ fest, die Alfred Kurella am 26. Februar 1967 einer offenen Kritik im „Neuen Deutschland“ unterzog. Darin lehnte er Tübkes collagierende und zitierende Methoden scharf ab, vor allem den Versuch, die Bildsprachen von Hieronymus Boschs und Pieter Bruegel der Ältere in den sozialistischen Realismus einzuführen. Die DDR beschnitt die künstlerische Individualität erneut rigoros.

 

Staatsaufträge & internationaler Durchbruch

Tübke erhielt 1968 vom Armeemuseum der DDR in Dresden den Auftrag für das Gemälde „Nationalkomitee Freies Deutschland“ (heute: Staatliche Museen zu Berlin, Nationalgalerie). Zwei Jahre später gewann Tübke den Wettbewerb für das monumentale Wandbild im Rektoratsgebäude der Karl-Marx-Universität Leipzig (1970): „Arbeiterklasse und Intelligenz“ (1973, heute: Hörsaalgebäude der Universität Leipzig).

Nach der 4. Tagung des Zentralkomitees der SED 1971 eröffnet sich unter dem Motto „Weite und Vielfalt“ kulturpolitisch eine größere, auch formale Freiheit, die den bis dahin verschiedentlich kritisierten, metaphorisch aufgeladenen Realismus Tübkes und seine Auseinandersetzung mit der internationalen Kunstgeschichte legitimierte.

Emilio Bertonati organisierte in seiner Galleria del Levante in Mailand die bis 1971 wichtigste Einzelausstellung Tübkes (Juni–September 1971); die Wanderausstellung ermöglichte dem Künstler eine erste Italienreise, begründete seinen internationalen Durchbruch und etablierte ihn in der DDR als anerkannten, nicht länger umstrittenen Künstler. Eine verkleinerte Version der großen Mailänder Schau der Galleria del Levante wurde in ihrer Münchner Dependance in der Villa Stuck gezeigt (1973). Das war die erste Einzelausstellung von Werken Tübkes in der BRD.

Im Auftrag des Ministeriums für Kultur begann Tübke 1974 die Arbeit an dem Gemälde „Der Mensch – Maß aller Dinge“ für den Palast der Republik in Ost-Berlin; das Thema wählte er selbst (1995 demontiert; heute: Deutsches Historisches Museum, Berlin).

 

Bauernkriegspanorama

1973/74 war im Zentralkomitee der SED die Idee aufgekommen, auf dem Schlachtberg bei Bad Frankenhausen eine Gedenkstätte für den Deutschen Bauernkrieg zu errichten. Man dachte anfangs an ein Schlachtengemälde, um zur 450-Jahrfeier 1975 an die Schlacht der aufständischen Bauern unter Führung des Reformators Thomas Müntzer gegen hessisch-braunschweigische und sächsische Fürstenheere vom Mai 1525 zu erinnern. Dem marxistischen Geschichtsverständnis entsprechend galt es, diesem Höhepunkt der „frühbürgerlichen Revolution“ ein Denkmal zu setzen, da sich hier, wenn auch vorerst vergebens, zum ersten Mal jenes Klassenverständnis geregt habe, dem die DDR als „Arbeiter- und Bauernstaat“ ihre Existenz verdankte.

Im Jahr 1976 unterschrieb Tübke den Vertrag mit dem Ministerium für Kultur der DDR, für die zum 450. Jahrestag des deutschen Bauernkrieges auf dem Schlachtberg zu Frankenhausen geplante nationale Gedenkstätte ein Panoramagemälde zu Bauernkrieg und Reformation zu malen. Der Künstler begann seine aufwendige Recherche-, Planungs- und Vorbereitungsphase für das monumentale Rundbild „Frühbürgerliche Revolution in Deutschland“. In seinen Vorstudien erkundet Werner Tübke den Alltag im Spätmittelalter und der Frühen Neuzeit. Knapp 150 Zeichnungen, ein Dutzend Lithografien und 10 Gemälde entstanden, darunter die 1:10-Fassung des Panoramagemäldes für Bad Frankenhausen (1979–1981, fünf Tafeln je 139 x 244 cm, Staatliche Museen zu Berlin). Durch die Orientierung Tübkes an Gemälden, Holzschnitten und Kupferstichen aus dem 15. und 16. Jahrhundert wollte er seinen Darstellungen ein hohes Maß an historischer Authentizität verleihen.

Ab 1983 führte Werner Tübke das Bauernkriegspanorama mit einer Größe von 1722 m² und mehr als 3.000 Figuren aus; ; damit zählt es zu den größten Panoramen der Welt. Im Jahr 1987 stellte Tübke es in Bad Frankenhausen fertig. Tübke entfaltet ein symbolisches Welttheater, in dem die Schlacht von Bad Frankenhausen als Episode und Kristallisationspunkt in ein allgemein menschliches und insofern kosmisches Kreislaufdrama eingebettet ist.2

Die Eröffnung der Gedenkstätte fand am 14. September 1989 statt. Das Bauernkriegspanorama zählt zu den Hauptwerken des Künstlers. Tübke erhielt dafür den Nationalpreis I. Klasse der DDR. Nur zwei Monate später fiel die Berliner Mauer.

 

Internationaler Erfolg

Tübke nahm an der „documenta 6“ (1977) in Kassel teil und konnte Anfang der 1980er Jahre erste Preise entgegennehmen (1982 Nationalpreis I. Klasse der DDR, Mitgliedschaft der Königlichen Akademie der Künste Schwedens; 1983 Mitgliedschft der Akademie der Künste der DDR).

Am 28. Oktober 1986 erfolgte die Ausschreibung für ein Monumentalgemälde in der Paulskirche durch den Magistrat der Stadt Frankfurt am Main: Angefragt wurden die Künstler Johannes Grützke, Bernhard Heisig, Alfred Hrdlicka, Jörg Immendorff, A. R. Penck, Gerhard Richter und Werner Tübke. Tübke sagte aufgrund der noch nicht abgeschlossenen Arbeit am Panoramagemälde ab.

 

Tübke und die Deutsche Einheit

Noch im Sommer 1990 hatte ein polemisches Interview des Malers Georg Baselitz in der Kunstzeitschrift „art“ eine öffentliche und teils wenig sachlich geführte Debatte über Kunst in der (Noch-)DDR entfacht, mit der stellvertretend gesellschaftliche Hoffnungen und Enttäuschungen in Bezug auf die Wiedervereinigung verhandelt wurden. Auch Tübkes Werke unterlagen in diesem deutsch-deutschen Bilderstreit immer wieder der Verurteilung als Staatskunst und damit als Nichtkunst. „1989 in Deutschland, 1991 im Osten“, fasste Werner Tübke am 16. September 1991 für sich die ohnehin schwierige Standortbestimmung nach dem Ende der DDR zusammen.

Für die Bonner Inszenierung von Carl Maria von Webers romantischer Oper „Der Freischütz“ (1821) entwarf Tübke von 1990 bis 1993 Bühnenbilder und Kostüme; die Premiere fand am 28. Februar 1993 statt.

Zwischen 1993 und 1996 schuf Werner Tübke den achtteiligen Flügelaltar für die Kirche St. Salvatoris in Clausthal-Zellerfeld, der am 13. April 1997 eingeweiht wurde.

Nach schwerer Krankheit wandte sich Tübke 2003 vor allem der Zeichnung zu.

Auszeichnungen

  • 1987: Nationalpreis I. Klasse der DDR.
  • 1985: Ehrendoktor der Universität Leipzig
  • 1983–1992: Mitglied der Akademie der Künste der DDR
  • 1982: Nationalpreis I. Klasse der DDR.
  • 1982: Mitglied der Königlichen Akademie der Künste Schwedens
  • 1973: Ernennung zum Rektor der HGB in Leipzig
  • 1973: Goldmedaille der 3. Internationalen Grafikbiennale von Florenz
  • 1972: Berufung zum Professor

Tod

Werner Tübke starb am 27. Mai 2004 in Leipzig. Er wurde auf dem Leipziger Südfriedhof beigesetzt.