Wien | KHM: Michaelina Wautier Erste Historienmalerin des Barock | 2025/26

Michaelina Woutier, Bacchanal, vor 1659, Öl/Leinwand, 270 × 354 cm (Kunsthistorisches Museum Wien, Gemäldegalerie, Inv. Nr. Gemäldegalerie, 3548)
Bis 25. Januar 2026 zeigt das KHM eine Ausstellung zu Michaelina Woutier (auch: Michaelina Wautier). Ihr Hauptwerk, das monumentale „Bacchanal“ (vor 1659), befindet sich in der Sammlung des KHM – und steht im Zentrum der Schau. Die Ausstellung bietet die einmalige Gelegenheit, nahezu das gesamte Werk der Künstlerin auf Augenhöhe mit Zeitgenossen wie Peter Paul Rubens oder Anthonis van Dyck zu entdecken. Denn: Die Barockmalerin steht in der Nachfolge der beiden berühmten flämischen Maler und wurde erst vor ein paar Jahren wiederentdeckt.
Michaelina Wautier
Österreich | Wien: Kunsthistorisches Museum
30.9.2025 – 25.1.2026
- Michaelina Woutier, Kommandant der spanischen Armee, 1653, Öl auf Leinwand, 83,2 x 71 cm (Königliches Museum der schönen Künste Antwerpen)
- Michaelina Woutier, Selbstporträt vor Staffelei, 1640er (Privatsammlung)
Michaelina Wautier im KHM
Über Michaelina Wautier (um 1614–1689 Brüssel) aus Mons (Bergen) ist heute wenig bis nichts Genaues bekannt. Weder sind ihr Geburtsdatum dokumentiert - vermutlich um 1614 - noch ihr Ausbildner überliefert. In der Familie waren Michelle „Michaelina“ und ihr älterer Bruder Charles (Mons 1609–1703 Brüssel) die einzigen Maler, wobei das Netzwerk der fanzösischsprachigen Wautiers weit über die Stadtgrenze hinausgereicht haben muss, wie die Karrieren ihrer Brüder belegen. Die Familie hatte ein beachtliches intellektuelles Netzwerk mit Verbindungen zu den De Merodes – einer der bekanntesten Adelsfamilien der Südlichen Niederlande – und letztendlich auch zum Brüsseler Hof, weshalb Michaelina auch Niederländisch gesprochen haben muss.1 Beziehungen zu den dort ansässigen Jesuiten sind ebenso wahrscheinlich.
Zudem gibt es keinerlei zeitgenössische Kommentare über die Kunst beider Wautiers, die im 18. Jahrhundert völlig in Vergessenheit gerieten. Die Kenntnis zu Michaelina Wautier ist daher ein minutiöses Rekonstruieren und Arbeiten mit Hypothesen, was die belgische Kunsthistorikerin Katlijne Van der Stighelen seit mehreren Jahrzehnten nunmehr höchst erfolgreich umtreibt.
Wahrscheinlich unterrichtete Charles Wautier seine Schwester Michaelina in der Malerei. Die Geschwister waren wohlhaben genug, um sich außerhalb der Gildenregeln zu bewegen,2 und Charles trat erst 1651 der Gilde bei. Michaelina Wautier war das als Frau nicht möglich, da Künstlerinnen erst ab 1700 registriert wurden.3 Aufgrund der Tatsache, dass die Geschwister zusammen wohnten, wird angenommen, dass Michaelina in der Werkstatt ihres Bruders arbeitete bzw. mitarbeitete.4 Ihr frühestes bekanntes Werk ist ein Bildnis von Andrea Cantelmo, einem neapolitanischen Artilleriegeneral im Dienste des spanischen Königs. Zwar ist das Porträt nur in einem Kupferstich überliefert,5 dieser nennt allerdings die selbstbewusste Schöpferin und das Entstehungsdatum 1643. Darauf folgt das „Porträt eines Befehlshabers“ (1646), das koloristisch durch die Kombination aus Rosa und Ockergelb überzeugt. Auf diese frühen Bildnisse folgt 1649 „Die mystische Vermählung der hl. Katharina“, ihr erstes Historiengemälde - eine Sensation die gelungene Komposition wie auch die selbstbewusste Signatur: „Michaelina Wautier hat es erfunden und 1649 gemacht“. Dass sie ein Jahr später das großformatige Selbstporträt als Malerin von sich anfertigte, scheint dann nur ein logischer Schluss.
Erzherzog Leopold Wilhelm, von 1646 bis 1656 Statthalter der Südlichen Niederlande und großer Kunstsammler, sammelte ihre Werke und erwarb sie vermutlich direkt von der Künstlerin. Dank Leopold Wilhelms Sammeltätigkeit besitzt das Kunsthistorische Museum heute den weltweit größten Bestand an Wautiers Gemälden, darunter ihr Hauptwerk, das „Bacchanal“ mit einer großen Anzahl von halbnackten und nackten männlichen Fiugren - ein absolutes Novum für eine Malerin nicht nur der flämischen Barockmalerei.
Zu den vielen Mysterien rund um Michaelina Wautiers Werk und Leben hingegen zählt, dass ihre bisher bekannten Bilder auf die Jahre 1643 bis 1659 datiert sind.6 Damit sind sie in einer Zeitspanne von nur 16 Jahren entstanden, während die Künstlerin nachweislich 1689 im Alter von 75 Jahren verstarb. Charles Wautier war von 1650 bis 1685, also insgesamt 35 Jahre lang als Maler aktiv. Hat Michaelina aufgehört zu malen? Und wenn ja, warum?
Erstmals würdigt Wien Michaelina Wautier in einer Einzelausstellung und ergänzt ihr Werk um Bilder ihres Bruders Charles sowie ihrer berühmtesten Zeitgenossen. Die barocken Heiligenbilder, Porträts und Tronjes (Halbfiguren), aber auch Wautiers Genredarstellungen und eine mythologische Darstellung brauchen den Vergleich nicht zu scheuen. Mit zwei neu zugeschriebenen Stillleben - „Blumengirlande mit einer Libelle“ (1652, Privatsammlung) und „Blumengirlande mit einem Schmetterling“ (1652, Het Noordbrabants Museum, ’s-Hertogenbosch) - ging Wautier sogar über Rubens und Van Dyck hinaus, denn sie rezipierte darin antike Darstellungen und hinterließ der Forschung die spannende Frage, ob die Niederländerin vielleicht sogar nach Italien gereist sein könnte.
- Michaelina Wautier und Gaspar de Crayer, Ausstellungsansicht KHM 2025, Foto: Alexandra Matzner (c) ARTinWORDS
Altarbilder einer Barockmalerin
Das KHM beginnt seine Wautier-Ausstellung mit einem Raum voller Altarbilder und religiöser Sujets. Damit belegt das Wiener Museum eindringlich, dass die Malerin sämtliche, weil eng gesteckte Grenzen weiblicher Kreativität sprengte. In kurzer Abfolg entstand eine Reihe hochqualitativer und gut komponierter Werke, in denen Wautier einige der wichtigsten sakralen Themen des flämischen Barock zeigt. Auffallend ist, dass sich die Malerin vor allem mit weiblichen Heiligen und der Muttergottes auseinandersetzte: „Die mystische Vermählung der hl. Katharina“ (sign. & dat. 1649, Séminaire de Namur), „Die Erziehung Mariens“ (sign. & dat. 1656, Privatsammlung) und „Die Verkündigung“ (Musée du Domaine Royal de Marly, Louveciennes, dépôt de la Ville de Marly-le-Roi) aus dem Jahr 1659 sind allesamt von der Künstlerin singiert und datiert. Für „Zwei Mädchen als hl. Agnes und hl. Dorothea" (um 1655, Königliches Museum für Schöne Künste Antwerpen – Flämische Gemeinschaft, Inv.-Nr. 599) kombinierte Wautier die Gattungen Porträt, Heiligenbildnis und Stillleben. Das Werk der im französischsprachigen Mons geborenen Künstlerin entwickelte sich - nach heutigem Wissenstand - zwischen 1646 und 1659. „Die Verkündigung“ ist Michaelina Wautiers letztes (bekanntest) Gemälde. Der gewandte Umgang mit Raum, Licht, Farbe, Stofflichkeit legt nahe, dass sich nicht um ein Frühwerk handelt. Selbstbewusst zeigt sich Wautier in ihrem um 1650 zu datierenden Selbstproträt mit Pinsel und Palette an der Leinwand sitzend - doch davon später.
Gerlinde Gruber, Kuratorin der Ausstellung, hängt in den großen Saal hochaufragende Altar- und Andachtsbilder: Anthonis van Dycks „Maria mit Kind und den Heiligen Rosalia, Petrus und Paulus“ (1629, KHM), Gaspar de Crayers „Verkündigung“ (1620/30, KHM) und eine nahsichtige, halbfigurige Darstellung der „Hl. Familie mit einem Engel“ (1620/25, M Löwen) von Theodoor van Loon. Alle drei haben die jüngere Kollegin beeinflusst. Wautier verarbeitete die sakrale Kunst ihrer Vorgänger auf individuelle und unterschiedliche Weise. Manche ihrer Werke lassen mehr an van Dyck denken, vor allem wenn sie sich elegant gibt. Andere weisen durch den Einsatz von Hell-Dunkel-Maleri in Richung van Loon und seinem Caravaggismus.
- Michaelina Wautier und Charles Wautier, Ausstellungsansicht KHM 2025, Foto: Alexandra Matzner (c) ARTinWORDS
Mächtige Förderer, feine Herren und ein weit gereister Jesuit
Zu den wichtigsten Förerern Michaelina Wautiers gehörte Etzherzog Leopold Wihlem, Statthalter der südlichen Niederlande. Das „Porträt von Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich“ (um 1652) von David Teniers d. J. aus dem KHM zeigt den Habsburger lebensgroß und mit allen Würden. Gegenüber hängt das Charles Wautier zugeschriebene „Porträt von Jakob II. als Herzog von York“ (1656/60, The Royal Collection / HM King Charles III, Inv.-Nr. RCIN 402572), das den Sohn von König Karl II. von England zeigt und seit 1644 den Herzogstitel innehatte. Der Bruder von Michaelina war mindestens seit 1642 in Brüssel tätig (wie die lokale Zunft 1643 reklamierte), dort allerdings bis 1651 nicht offiziell registriert.7 Dazwischen positionierte die Kuratorin einen schweren halben Reiterharnisch (Küriss) (1619) von Hans Jakob Topf.
Den grkrönten Herren gegenüber hängt ein erstaunlich einfaches Bildnis. Mitte der 1650er Jahre muss Michaelina Woutier (Wautier) zu den bekanntesten Maler:innen Brüssels gezählt haben. Sie schuf im Jahr 1654 das „Porträt des Jesuiten Martino Martini“ (1654, The Klesch Collection). Der aus aus Trient stammende Martini (1614–1661) war eine außergewöhnliche Persönlichkeit: 1640 reiste er als Missionar nach China und verfasste 1654 die historiografische Schrift „De bello Tartarico“, eine Studie samt persönlicher Eindrücke über die Eroberung des Ming-China durch die Mandschuren. Dieses Bevölkerungsgruppe kam aus dem Nordosten, stürzte die Ming-Dynastie und gründete die Qing-Dynastie (1644–1912). Als Delegierter der chinesischen Mission weilte er von 1651 bis 1658 in Europa und hielt sich von Februar bis Juni 1654 in Brüssel auf. Martini wohnte im Jesuitenkloster in der Ruisbroekstraat und somit in unmittelbarer Nachbarschaft zu Hof Erzherzog Leopold Wilhelm.8 Leopold Wihlem war Statthalter der Spanischen Niederlande und Bruder von Kaiser Ferdinand II. Er empfing den Jesuiten noch im Februar und war von dessen Erzählungen so angetan, dass er die Mission in China finanziell unterstützen wollte. Wahrscheinlich war er es, der Michaelina beauftragte, das Porträt von Martino Martini in chinesischer Tracht, im Changshan, zu malen. Mit flotten Pinselzügen und versiertem Einsatz von Helldunkel gelang es ihr, die Stofflichkeit der verschiedenen Textilien haptisch erfahrbar zu machen und die außergewöhnliche Persönlichkeit Martinis im Bild festzuhalten. Chinesische Sommer- und Wintermäntel, der Sommerhut und ein Winterhut eines Beamten am Kaiserhof flankieren das Bildnis, um die Detailtreue der Malerin augenfällig zu dokumentieren.
Michaelina Wautier muss ein höchst anerkannte Porträtistin gewesen sein, wurde ihr Bildnis des spanischen Kommandeurs Andrea Cantelmo doch von Paulus Pontius gestochen. Da der Kupferstecher die Signatur der Malerin getreu übernahm, kann das Porträt von „Andrea Cantelmo“ (1643, Privatsammlung) in Rüstung der Malerin zweifelsfrei zugeschrieben werden. Die Malerin nahm Michaelina als ihren Künstlernamen an, handelt es sich hierbei um die latinisierte Form ihres Vornamens Michelle. Zwischen ihren „Porträt eines Befehlshabers“ (Pierre Wautier?) (um 1660) und dem „Porträt eines Befehlshabers“ (1646, Privatsammlung) wird ein Büffelledermantel (vielleicht 17. Jahrhundert, Centraal Museum, Utrecht) positioniert; Charles Wautiers „Porträt von Jean Baptiste Maurissens, Herold im Dienst von König Karl II. von Spanien“ (1673, Königliches Museum für Schöne Künste Antwerpen) ein Wappenrock für den Wappenkönig-Herold des Herzogtums Geldern (1717, KHM) von Louis Aimé.
Zu den mächtigen Förderern von Charles Wautier gehörte die adelige Familie Arenberg. Im ersten Kabinett zeigt das KHM eine Serie von Porträts, die Charles Wautier gemalt hat und die nicht mehr erhalten ist. Prinzessin Isabella von Arenberg wurde von ihm als Personifikation der Liebe in einem vom zwei Putti gezogenen Triumphwagen dargestellt (um 1650, Rijksmuseum, Amsterdam). Seine Zeichnung wurde als Kupferstich verbreitet.
Sammlungsinventar als Quelle
Erzherzog Leopold Wilhelm gab 1659 ein Inventar für seine Kunstammlung in Auftrag. Darin sind vier Gemälde Michaelina Wautiers genannt, darunter der "Hl. Joachim" (um 1655, KHM, Wien), ein zweiter "Hl. Joachim lesend" und ein "Hl. Joseph" (beide um 1655, KHM, Wien) sowie der "Triumph des Bacchus" (allerdings im Inventar nicht als Michaelina identifiziert). Der Maler David Teniers d. J., Leopold Wilhelms Galeriedirektor in Brüssel, irrte sich in seinem Namensregister und schrieb daher die Bilder einer "Jungfraw Magdalena Woutiers [sic]" zu. Heute ist bekannt, dass es sich hierbei um eine Schwester Michaelinas handelt. Ob es sich um einer Verwechslung oder um ein weiteres malendes Familiemitglied handelt, muss offen bleiben. Da ein Joachim-Bild die Beschriftung "Michelline Wouteers" trug, darf man wohl von einem Fehler ausgehen.
Charakterisierung als Qualitätsmerkmal
Die Gegenüberstellung von Michaelia Wautiers "Junge mit weißem Halstuch" (1650/55, The Kremer Collection) und ihr "Porträt eines Mannes als biblioscher Jakob" (um 1655, Privatsammlung, Alkmaar) mit Anthonis van Dycks Porträt von Nicolas Lanier (um 1628, KHM, Wien) zeigt die hohe malerische Qualität ihrer Bildnisse. Wie bereits bei den Heiligendarstellungen erzählt, beweist die Künstlerin auch anhand des "Jungen mit weißem Halstuch" ihre Fähigkeit der Charakterisierung. Einzig Anthonis van Dyck wird in dieser Zeit eine ähnliche Durchdringung von Menschen, Fähgikeit und Interesse hinter die Rollen und Masken zu blicken.
Michaelina Wautier nutzt ein glatt gemaltes Inkarnat (wie van Dyck), das sich von den virtuoseren Partien absetzt. Das Accessoire des weißen Halstuchs stellt hierbei eine Ausnahme im Kinderporträt des 17. Jahrhunderts dar; den blauen Streifen führte sie in Ultramarin aus, was auf speziellen Kundenwunsch zurückgeführt wird.
Es ist zu hoffen, dass die Forschung in den kommenden Jahren die Identität jenes Mannes gelingt, den Michaelina Wautier im "Porträt eines Mannes als biblioscher Jakob" (um 1655) darstellte. Das goldgemusterte Band lässt vermuten, dass es sich um einen hochstehenden Mann handelt, dessen Vorname vermutlich Jakob war. Die Inschrift an der oberen rechten Ecke des Bildes, "Rachel vaut bien la peine [Rachel ist es absolut wert]", erinnert an die alttestmentarische Geschichte, wonach Jakob 14 Jahre als Hirte arbeitete, um seine verehrte Rachel heiraten zu können.
Charles Wautiers Werkstatt
Der Übergang von den Kabinetten zum letzten großen Ausstellungssaals stellt die Frage nach der Werkstatt von Charles Wautier. Da die Geschwister zusammen in Brüssel lebten, dürften sie sich auch die Werkstatt geteilt haben. Bisher hatte das KHM Charles Wautier als Porträtist vorgestellt, nun folgen einige Historien- und Altarbilder: "Die Wunder des hl. Eligius" (1659, Fabrique d'élise Saint-Servais de Gimnée, Belgien), "Christus unter den Schriftgelehrten" (1655/65, Privatsammlung) und die "Berufung des hl. Matthäus" (1655/65, Privatsammlung).
"Die Wunder des hl. Eligius" von 1659 zeigt den Heiligen als Schutzpatron der Goldschmiede und als Heiler von Kranken (Blindheit, Pest). In Flandern wurde er als Bischof von Tournais und für die Verbreitung des Christentums verehrt. Seit 1651 in der Brüsseler Malerzunft gelistet, sollte Charles noch mehrere Jahrezehnte als Künstler tätig sein, während seine Schwester 1659 ist letztes bekanntes Gemälde signierte und datierte.
Eine Antwort auf die Frage, ob die Künstlerin aufgehört habe zu arbeiten, könnte sein, dass sie als Mitarbeiterin ihres Bruders weitermachte. Vermutlich war sie in seinem Umfeld weiterhin tätig.
Charles Wautiers "Christus unter den Schriftgelehrten" (1655/65, Privatsammlung) ist in Wien nicht im Original gezeigt. Es ähnelt in seiner Komposition Jusepe de Riberas Bild mit gleichem Thema (1630/35) aus dem KHM, das in einer Abbildung aus dem "Theatrum Pictorum" (1660) von David Teniers dem Jüngeren spiegelverkehrt (!) vermittelt wurde. Ursprünglich war das Gemälde etwas kleiner (siehe die Röntgenaufnahme). Die Auseinandersetzung mit Ribera dürfte zur Erweiterung um Figuren beigetragen haben.
Michaelina Wautiers Selbstporträts
Höhepunkt der Ausstellung ist das großformatige Gemälde „Triumph des Bacchus“ aus der Sammlung von Leopold Wilhelm. Im Gegensatz zu den signierten Bildnissen von ihrer Hand weist dieses Werk keine Bezeichnung der Autorin auf. Stattdessen fügte Wautier ihr Porträt an den rechten Rand des Geschehens, indem sie einer Bacchantin ihre eigenen Gesichtszüge verlieh. Diese, so beobachten die Kurator:innen Gerlinde Gruber und Julien Domercq, blickt als Einzige des heidnischen Treibens direkt aus dem Bild.9 Doch nicht nur diese selbstbewusste Geste macht Michaelina Wautier zu einer außergewöhnlichen Künstlerin ihrer Zeit, sondern vor allem die nackten, männlichen Körper in unterschiedlichen Haltungen. Im 17. Jahrhundert sprach man Frauen maximal das Gestalten von Stillleben zu, das Aktstudium - die Basis jeder künstlerischen Ausbildung - war ihnen verwehrt. Wie also kam Michaelina Wautiers zu ihrem Wissen um die menschliche Anatomie? Könnte ihr Bruder Charles etwas damit zu tun haben? Oder hat sich die Künstlerin durch das Kopieren von Druckgrafiken selbst fortgebildet? Immerhin wiederholt ihr Bacchus die Hauptfigur von Jusepe de Riberas Kupferstich „Der trunkene Silen“ (1628).
Rechts neben dem „Bacchus“ hängt das ikonische „Selbstporträt“ (Privatsammlung) der Künstlerin, das um 1650 entstanden sein dürfte. Michaelina Wautier zeigt sich darin als selbstbewusste Künstlerin; sie sitzt vor der Staffelei, auf der eine leere Leinwand steht, und hält Pinsel wie Palette bereit. Das kostbare Gewand macht den sozialen Status der Dargestellten nachvollziehbar und sollte nicht als Atelierbekleidung gelesen werden. Im Dialog mit dieser Selbstdarstellung ist Peter Paul Rubens' „Selbstporträt“ (um 1638, KHM) ausgestellt. Wenige Jahre vor seinem Tod zeigt sich der damals schon zweifach geadelte Künstler als Mitglied der notablen Klasse. Nichts lässt vermuten, dass man es mit einem Malerstar zu tun hat. Rubens hat sein Werkzeug bereits abgelegt und erfreut sich einer herausgehobenen Stellung, während knapp zehn Jahre später seine Kollegin um Anerkennen ringen und sich selbst als Künstlerin inszenieren musste.
- Michaelina Wautier und Peter Paul Rubens, Ausstellungsansicht KHM 2025, Foto: Alexandra Matzner (c) ARTinWORDS
Die Wautiers in Italien?
Zu den ungelösten Fragen dieser Künstlerinnenbiografie zählt, ob Michaelina Wautier möglicherweise in Italien studiert hat. Für eine Italienreise würde die einzige erhaltene Zeichnung der Malerin sprechen, die „Studie einer Büste des Ganymed Medici" (1640/50, Privatsammlung).
Angenommen, dass Michaelina Wautier eine Italienreise unternommen hat, wann könnte diese stattgefunden haben? Die Forschung tendiert heute dazu, dafür die Jahre zwischen 1634/35 und 1640/42 anzusetzen. Michaelina wäre bereits 20 Jahre alt gewesen und hätte gemeinsam mit Charles die Alpen überqueren können. Dies könnte sich - mit aller Vorsicht - aus der Biografie von Charles Qautier ableiten lassen. Michaelinas Bruder bezahlte seine Bürgerabgaben in Mons zuletzt im Jahr 1642 und zwar für die vorangegangenen zwei Jahre, was eine Rückkehr im Jahr 1640 wahrscheinlich macht. War der Bruder, oder waren die Geschwister in dieser Zeit im Ausland? Vielleicht sogar in Italien? Zumindest beschuldigte ihn die Malerzunft von Brüssel, wohin er 1642 übersiedelte, dass er ohne Mitgliedschaft als Maler seine Dienste anbot. Das früheste bekannte Werk Charles Wauters, das „Porträt eines Edelmannes“, datiert aus dem Jahr 1650 und wurde von seinem Schöpfer nur monogrammiert. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass Wautier sein Malerhandwerk im Geheimen ausübte. Wie auch immer. Im Jahr 1651 trat Charles in die Brüsseler Zunft ein und bezahlte Gebühren für die vorangegangenen fünf Jahre. In den Zunftaufzeichnungen wird er als Monsieur und auswärtig ausgebildet bezeichnet, was neuerlich vermuten lässt, dass er zuvor im Ausland gewesen sein könnte.
Seine Schwester war in diesen Jahren bereits nachweislich künstlerisch tätig und singierte bewusst ihre Kompositionen. Die älteste Erwähnung ihres Namens taucht in einem Stich von Paulus Pontius auf, der das Bildnis von Andrea Cantelmo wiederholt und die Jahreszahl 1643 sowie die Inschrift „Michaelina Woutiers pinxit [Michaelina Woutiers hat es gemalt]" anführt.
Was den vermuteten Italienaufenthalt betrifft, findet sich die wichtigste Spur in ihrem Werk in der oben bereits genannten „Studie einer Büste des Ganymed Medici" (1640/50, Privatsammlung). Im KHM vermittelt ein Gipsabguss der „Büste des Ganymed Medici" (1779/1804, Museo de la Real Academia de Bellas Artes de San Fernando, Madrid) das Original aus den Uffizien. Einmal mehr darf man sich die Fragen stellen, ob die Künstlerin das Original gesehen oder nach einer Kopie oder einer unbekannten Zeichnung gearbeitet hat?
Jedenfalls kannte Michaelina Wautier die Antike gut. So verarbeitete sie 1652 in den beiden Blumengirlanden Eindrücke antiker Festons, wie sie an Altären und Aschenurnen zu finden sind. Daneben zeigen die Blumenstillleben den Einfluss des in Antwerpen tätigen Spezialisten für Blumenmalerei, Daniel Seghers, eines Geistlichen des Jesuitenordens. Da die beiden Ölgemälde auf Holztafeln mit dem Brandstempel der Antwerpener Tafelmacher marikiert sind, ist dadurch sowohl Michaelinas Kontakt zu Antwerpen als auch den Jesuiten einmal mehr bestätigt.
Köpfe und Kinder
Michaelina Wautiers Genrebilder könnten auch mit der direkten Kenntnis des Caravaggismus besser erklärt werden als ohne. Ob hierfür der Utrechter Caravaggismus ausreicht, bleibt fraglich (→ Utrechter Caravaggisti im neuen Licht).
1650 arbeitete Michaelina Wautier an der jüngst entdeckten Serie der „Fünf Sinne“ (1650, Boston), die das KHM erstmals in Europa zeigt. Die thematische Bandbreite ihres Werks erstaunt - wie auch die teils humorvolle, immer aber mitfühlende Interpretation der Sinneseindrücke. So hält sich der Geruchssinn die Nase zu, da ein kaputtes Ei einen üblen Geruch verströmt; der Tastsinn kratzt sich am Kopf und betrachtet eine Wunde mit etwas verstörtem Blick. Das Sehen, das Hören und das Schmecken sind weniger auffällig komponiert.
Fazit
In der Ausstellung wird Michaelina Wautiers außergewöhnliche Kunstfertigkeit und der künstlerischen Qualität ihrer Bilder mehr als gerecht. Auch wenn nur wenige biografische Daten gesichert sind, so sprechen ihre Gemälde für sich. Die Malerin auf Augenhöhe mit Zeitgenossen wie Peter Paul Rubens oder Anthonis van Dyck zu zeigen, und die Bilder von Michaelina und Charles Wautier (meist) auf rotem Grund (die Zeitgenössen hängen auf schwarzem Grund) zu hängen, wirkt auf den ersten Blick wie eine vernachlässigbare Krücke. Wäre es nicht spannender zu erraten, welches Bild von einem Mann und welches von DER Frau gemalt wurde? Die sparsam eingesetzten inszenatorischen Gesten in Form von Draperien und Vorhängen inszenieren die Schau wie einen Bühnenauftritt - und lassen vergessen, dass diesmal die Wände des KHM nicht übervoll gehängt sind. Dennoch kann man konstatieren, dass die konzentrierte Präsentation, ihre Dramaturgie und ihre Inszenierung den Werken und ihrer Schöpferin einen würdigen Rahmen für die Neuentdeckung einer spannenden flämischen Barockmalerin bereitstellt.
Die Ausstellung entsteht in Zusammenarbeit mit der Royal Academy of Arts, London → London | Royal Academy of Arts: Michaelina Wautier
Kuratiert von Gerlinde Gruber, Kunsthistorisches Museum, Wien.
- Charles Wautier, Michaelina Wautier und Jacob van Oost, Ausstellungsansicht KHM 2025, Foto: Alexandra Matzner (c) ARTinWORDS
Weitere Beiträge zu Künstlerinnen
Weitere Beiträge zur Kunst des Barock
- Siehe: Sabine van Sprang und Lara de Merode, Michaelina Wautier und das künstlerische Umfeld von Brüssel, in: Michaelina Wautier (Ausst.-Kat. Kunsthistorisches Musuem, Wien, 2025–2026), Wien 2025, S. 89–72,
- Michaelina Wautier 2025, S. 13.
- Wautier 2025, S. 15.
- Wautier 2025, S. 15.
- Katlijne Van der Stighelen nimmt an, dass die auf dem Druck erscheinenden Säulen und zusätzlichen Details im Hintergrund sowie in den Zwickeln vermutlich von dem Kupferstecher Paulus Pontius hinzugefügt wurden, da nichts in Michaelinas Werk darauf hindeutet, dass sie mit einer solchen Szenerie vertraut war. Siehe: Katlijne Van der Stighelen, Michaelinas Stil. Eine brillante Mixtur, in: Wautier 2025, S. 30.
- Katlijne Van der Stighelen, Michaelinas Stil. Eine brillante Mixtur, in: Wautier 2025, S. 30.
- Michaelina Wautier (Ausst.-Kat. KHM 2925), S. 75.
- Siehe: Antwerpen 2018, S. 186–193, hier S. 188, Nr. 8 (Katlijne Van der Stighelen).
- Gerlinde Gruber und Julien Domercq, Michaelina Wautier. Herausforderungen einer Rekonstruktion, in: Michaelina Wautier (Ausst.-Kat. KHM, Wien, 2025–2026), Wien 2025, S. 11–16, hier S. 11.











