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Jasper Johns: Flag, Map, 0 through 9 u.v.m. „Something Resembling Truth” in der Royal Academy of Arts

Jasper Johns, Flag, 1958, Enkaustik auf Leinwand, 105.1 x 154.9 cm (Privatsammlung © Jasper Johns / VAGA, New York / DACS, London 2017. Photo: Jamie Stukenberg © The Wildenstein Plattner Institute, 2017)

Jasper Johns, Flag, 1958, Enkaustik auf Leinwand, 105.1 x 154.9 cm (Privatsammlung © Jasper Johns / VAGA, New York / DACS, London 2017. Photo: Jamie Stukenberg © The Wildenstein Plattner Institute, 2017)

Jasper Johns (* 1930) ist als Maler von Nummern, Fahnen, Zielscheiben, Landkarten und Glühbirnen in die Kunstgeschichte eingegangen. Mit diesen bekannten und leicht zugänglichen Motiven hatte er ab 1955 eine neue Ikonografie etabliert und den Abstrakten Expressionismus in Richtung Pop Art erweitert. Eine weitere epochale Strategie war John’s verfremdende Aneignung (Appropriation) von Dingen und Symbolen. Mit Hilfe einer komplexen Textur veränderte er beispielsweise die Darstellung der amerikanischen Flagge in ein expressives Kunstwerk. Der heute in Connecticut arbeitende Johns geht noch immer mit Neugier und Experimentierfreude ans Werk.

„One hopes for something resembling truth, some sense of life, even of grace, to flicker, at least, in the work.“ (Jasper Johns 2006)

0 through 9

Mitte der 1950er Jahre begann Jasper Johns bekannte Motive wie Nummern, Flaggen, Landkarten und Zielscheiben zu malen. Diese „Sujets“ ermöglichten ihm einen „Raum, um auf einer anderen Ebene zu arbeiten“. Anstelle auf Figur, Geschichte und Kompositionen achten zu müssten, könnte er sich auf das Material und den Prozess des Malens genauso wie die Mechanismen der Wahrnehmung konzentrieren.

Für die ersten gemalten Nummern 1955 arbeitete Jasper Johns mit kommerziellen Schablonen. Es war deren Standardisierung und Unpersönlichkeit, die ihm daran gefielen. Anfangs malte er nur einzelne Ziffern, doch im Laufe der Zeit wurden die Kompositionen komplexer. Ab 1959 kombinierte Johns die Ziffern 0 bis 9 miteinander, d.h. malte sie übereinander. 1960/61 führte Jasper Johns elf Gemälde mit übereinander gelagerten Nummern aus, alle tragen den Titel „0 through 9“, also „0 bis 9“ und/oder „0 bis 9“. Damit bezeichnete Johns seine Werke nicht nur als Aufzählung von Ziffern, sondern auch den Wahrnehmungsprozess, d.h. die Nummern durch die darüberliegenden erkennen zu können. Die expressive Malerweise Johns‘, sein Farbeinsatz verunmöglicht jedoch alle Ziffern genau sehen zu können.

„I prefer work that appears to come out of a changing focus – not just one relationship or even a number of them but constantly changing and shifting relationships to things in terms of focus. Often, however, one is very single-minded and pursues one particular point; often one is blind to the fact that there is another way to see what is there.“ (Jasper Johns)

Landkarten

1960 malte Jasper Johns seine erste Landkarte auf ein kleines Diagramm der USA, das ihn Robert Rauschenberg gegeben hatte. In den folgenden Jahren experimentierte Johns mit Varianten des Landkarten-Motivs, darunter einige monumentale Formate. Dafür setzte er enkaustische Farben ein. Das in Wachs gelöste Pigment ließ sich in durchsichtigen Schichten über die Leinwände streichen, ohne das darunterliegende Papier und die collagierten Stofffetzen gänzlich zu verdecken.

Savarin

Während der 1960er Jahre verarbeitete Jasper Johns Objekte aus seinem Atelier, Abdrucke und Abgüsse in seinen Werken. Während dieser Zeit begann er sich auch mit Druckgrafik zu beschäftigen.

Zu den berühmtesten Werken Johns‘ zählen seine Darstellungen mit dem Titel „Savarin“. Die Serie begann 1960 mit einem Naturabguss von der Savarin-Kaffeebüchse, in der Johns seine Pinsel im Atelier aufbewahrte. Die so genannte „Painted Bronze“ erinnert an die Readymades von Marcel Duchamp, den Jasper Johns sehr bewunderte. Siebzehn Jahre später gestaltete er ein Poster für die Ankündigung seiner Ausstellung im Whitney Museum of American Art. Die Lithoplatten setzte der Maler 1981 noch einmal ein, um neue Varianten der Lithografie zu machen. Diesmal signierte er sie mit E.M., was für den berühmten symbolistischen Maler und Druckgrafiker Edvard Munch steht. In Anlehnung an dessen Selbstbildnis, in dem er sein Gesicht über einen skelettierten Arm (vielleicht seinen eigenen?) schweben ließ, arbeitete aus Jasper Johns mit diesem Motiv. Er platzierte an den unteren Blattrand einen Hand- bzw. einen Armabdruck. Die mit Pinseln gefüllte Savarin-Dose mutiert so zum Bildnis des Malers Johns und ersetzte dessen Kopf.

Abstraktion der 1970er

Die übereinander gelagerten Symbole, oft mit expressivem, gestischem Pinselduktus ausgeführt, verflüssigten sich in den Siebzigern zu abstrakten Mustern, deren Basis in der Kreuzschraffur liegt.

Vergänglichkeit der 1980er

Das Jahrzehnt von AIDS und Golfkrieg I verarbeitete Jasper Johns in neuen figurativen Bilden, in denen er sich mit Wahrnehmung, Erinnerung, Sexualität und Vergänglichkeit beschäftigte. Er integrierte immer öfter Motive von Matthias Grünewald, Pablo Picasso und Edvard Munch in seine Werke. Die Arbeiten der 1990er Jahre zeigen eine zunehmende Komplexität an Themen und Bezügen, was er in den frühen 2000ern wieder zugunsten einer konzeptuelleren Herangehensweise in der „Catenary“-Serie reduzierte.

Catenary

Jasper Johns war 2000 von der National Gallery London eingeladen an der Ausstellung „Encounters: New Art from Old“ eingeladen. Neben 25 anderen Künstlerinnen und Künstlern beschäftigte sich Johns durch ein Werk aus der Sammlungsausstellung. Jasper Johns wählte das Gemälde „Die Exekution von Maximilian“ (1867/68) des französischen Malers Edouard Manet.

Manet hatte sich in seinem modernen Historiengemälde mit einem zeitgenössischen Ereignis auseinandergesetzt: 1867 war Kaiser Maximilian I. durch ein Erschießungskommando ermordet worden. Der jüngere Bruder des österreichischen Kaisers Franz Joseph I. war 1864 von Kaiser Napoleon III. in Mexiko installiert worden. Als dieser jedoch die französischen Truppen wieder zurückzog, wurde der Österreicher von Republikanern hingerichtet. Genau diese Szene malte Edouard Manet, wobei das Gemälde vom Salon 1869 zurückgewiesen wurde. Vermutlich wurde das Bild erst nach dem Tod von Manet in Segmente zerschnitten, die heute in verschiedenen Sammlungen verwahrt werden. Edgar Degas, mit dem Manet eine schwierige Freundschaft verbunden hatte, konnte vier Teile wieder zusammenbringen und rekonstruierte im Jahr 1896 das Gemälde, indem er die erhaltenen Teile auf eine größere Leinwand klebte. Die National Gallery in London erwarb das Kunstwerk aus der Nachlassauktion von Edgar Degas 1918.

Jasper Johns bezieht sich in seinem Gemälde und einer Zeichnung auf Manets Werk und nannte es „Catenary (Manet-Degas)“. Er deutet die vier wiedergefundenen Fragmente an, die Beschriftung nennt Manet, Degas und Johns sowie das Wort „Catenary“, das Kettenlinie bedeutet. Darunter verstehen Mathematiker eine durchhängende Kurve zwischen zwei Punkten. In Johns‘ Gemälde verbindet der Faden einerseits die beiden disparaten Seiten des geretteten Gemäldes wie die Namen der drei Maler.

Die Royal Academy zeigt neben Catenary „5 Postcards” (2013, Privatsammlung) und „Regrets” (2013, Privatsammlung).

Jasper Johns: Something Resembling Truth

Jasper John ist ein Mitglied der Royal Academy wie Anish Kapoor, David HockneyAnselm Kiefer und Ai Weiwei, die in den letzten Jahren Einzelausstellungen erhalten haben.

Über 150 Werke des über 60 Jahre andauernden Werks von Jasper Johns, darunter enkaustische Gemälde, Skulpturen, Zeichnungen und Drucke, ikonische Arbeiten der 1960er Jahre aber auch Bilder der letzten Jahre sollen Kontinuitäten und Brüche in der Royal Academy aufzeigen.

Highlights der Ausstellung: „Something Resembling Truth”: “Flag” (1958, Privatsammlung); “Painted Bronze” (1960, Privatsammlung), “Painting with Two Balls” (1960, Philadelphia Museum of Art); “0 Through 9” (1961, Privatsammlung); “Target” (1961, The Art Institute of Chicago); “Decoy” (1971, Privatsammlung); “Between the Clock and the Bed” (1981, National Gallery of Art, Washington); “Dancers on a Plane” (1980/1, Tate); “Ventriloquist” (1983, Museum of Fine Arts, Houston); “Summer” (1985, Museum of Modern Art, New York); “Bridge” (1997, Privatsammlung).

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.