Drama im Kerzenschein – dafür waren und sind die Caravaggisti aus den Niederlanden, Frankreich, Spanien und Italien berühmt. Das Centraal Museum in Utrecht und ab April 2019 die Alte Pinakothek in München konzentrieren sich auf drei Maler aus Utrecht und vergessen dabei nicht, auf die internationale Szene im Rom der 1610er und 1620er Jahre hinzuweisen. Dirck van Baburen, Hendrick ter Brugghen und Gerard van Honthorst studierten die Werke Caravaggios und ihrer Zeitgenossen in Rom, erlangten dort bereits Ruhm und brachten das Wissen um Nachtszenen, künstlichen Kerzenschein, dramatisches Komponieren, barocken Pathos mit nach Utrecht.
Niederlande | Utrecht: Centraal Museum
16.12.2018 – 24.3.2019
Deutschland | München: Bayerische Staatsgemäldesammlungen, Alte Pinakothek
17.4.2019 – 21.7.2019
Bereits 1604 empfahl Karel van Mander angehenden Künstlern nach Rom zu reisen. Vor allem die Bilder von Michelangelo Merisi da Caravaggio, kurz Caravaggio, hatten es dem Kunsttheoretiker und -historiografen angetan. Sie wären „außerordentliche Dinge“ und jeder sollte Caravaggios Technik studieren. Caravaggios „Grablegung“ (1602/03, Vatikanische Museen) für Girolamo Vittrice in der Chiesa Nuova wurde von den Zeitgenossen als das wichtigste Werk des Barockmalers angesehen. Peter Paul Rubens kopierte die Komposition (→ Peter Paul Rubens. Kraft der Verwandlung). Dirck van Baburen orientierte sich in seiner „Grablegung“ (1617) für die Cappella della Pietà in San Pietro in Montorio eindeutig an der grundlegenden Idee. Kaum mehr als 40 Gemälde sind von dem jung verstorbenen Baburen erhalten, die „Grablegung“ zählt zu seinen bedeutendsten Bildern, wurde von ihm wiederholt. Die zweite Fassung befindet sich im Centraal Museum, Utrecht. Jetzt hängen sie Seite an Seite mit Caravaggios „Grablegung“, ergänzt noch durch eine höchst artifizielle aber genauso von Caravaggio inspirierte Interpretation von Nicolas Tournier. Der Vergleich überzeugt, dass Vorbild und Nachbilder nie in einer reinen Nachahmung, sondern in komplexen Beziehungen von Aufnahme und Umdeutung stehen. Die jeweilige Neuformulierung hing von Ausbildung, Herkunft und persönlichen Vorlieben der Künstler ab; der internationale Caravaggismus war deutlich kreativer als vielleicht bislang angenommen.
Wenn auch die Utrechter Caravaggisti – Dirck van Baburen, Hendrick ter Brugghen und der berühmte Gerard van Honthorst – Caravaggio nicht mehr in Rom antrafen, so war der außergewöhnliche Maler doch über seine Altar- und Galeriebilder in der Ewigen Stadt weiterhin präsent. Die von ihm ausgestatteten Kapellen wurden zu wahren Pilgerstätten für Kunststudenten. Eine 1616 datierte Zeichnung von Gerard van Honthorst neben einer Werkstatt-Kopie von Caravaggios „Kreuzigung Petri“ (1602/05) aus der Cerasi-Kapelle in Santa Maria del Popolo eröffnet das Thema. Dem Utrechter ging es nicht um eine Kopie des berühmten Gemäldes, hat er doch die angenagelte Hand und den Kreuzesbalken deutlicher sichtbar und überzeugend schmerzhaft gestaltet. Sich an Caravaggio zu schulen, bedeutete nicht, ihn sklavisch nachzuahmen, sondern von ihm zu lernen und in die eigene Bildsprache zu transponieren.
So verwandelt Gerard van Honthorst die dramatische Beleuchtung Caravaggios in ein allgemeines Dunkel, das er geschickt mittels einzelner Kerzen erhellt. Hauptwerke Honthorsts wie „Die Befreiung Petri aus dem Kerker“ (um 1616/18 aus der Gemäldegalerie, Berlin) und „Christus vor dem Hohepriester“ (um 1617, The National Gallery, London) zeigen ihn als subtilen Schilderer von Lichteffekten. Optik, genauer die Erkenntnis, wie sich Licht im Raum diffus ausbreitet, spielt in seinen Werken eine genauso bedeutende Rolle wie faltige, sonnengegerbte Haut bei Hendrick ter Brugghen und wenig idealisierter Physiognomien von Dirck van Baburen.
Und doch ist es nicht nur Caravaggio, dem die Maler nachzueifern suchten! In Rom traf sich im frühen 17. Jahrhundert ganz Europa und wetteiferte um die Gunst von Auftraggebern und wichtige Ausstattungsprojekte. Nicht weniger als 2.700 Künstler waren in der Stadt registriert, davon waren 572 ausländische Maler, Bildhauer und Architekten - darunter Jusepe de Ribera, Nicolas Tournier, Nicolas Régnier, Giovanni Serodine, Gerard Seghers, Valentine de Boulogne, Simon Vouet, Theodoor Rombouts
Die Reise nach Rom war gefährlich, und in der Fremde wurde so manch aufstrebender Maler zum Verlorenen Sohn, mahnte Karel van Mander zur Vorsicht. Falsche Freunde, Alkohol und Freudenhäuser würden sie vom rechten Weg allzu leicht ablenken. Nun, die Utrechter wussten wohl beides miteinander zu vereinen. Gewaltvolle Szenen aus Altem und Neuem Testament, David und Judith mit abgeschlagenen Köpfen, der von Pfeilen durchsiebte hl. Sebastian am Baum hängend, der ungläubige Thomas die Seitenwunde mit seinem Finger durchfurchend, der tote Christus in Grab getragen. Ergänzt wird die sakrale Sphäre durch Genreszenen der liederlichen Art: Gruppen beim nächtlichen Saufgelage mit käuflichen Damen. Ein Student, der sich vom Lernen so sehr hat ablenken lassen, dass die Kupplerin im Hintergrund schon einen Säugling in ihren Armen hält – und so weiter und so fort.
Dass dieser Lebenswandel weit verbreitet und die Utrechter nicht von Arbeit und Erfolg abhielt, zeigt ein Blick auf die Biografien von Honthorst und Baburen. Gerard van Honthorst wurde wegen des Tragens eines Schwertes im Haus einer Prostituierten inhaftiert – wohlgemerkt für das nicht Ablegen seines Statussymbols im Innenraum. Baburen war als einziger Maler aus Utrecht Mitglied der renommierte Accademia di San Luca und der Gruppe niederländischer „Expats“, die sich Bentvueghels nannten. Hier verdiente er sich den Spitznamen „Bier vliech [Bierfliege]“.
Man könnte fast glauben, die Caravaggisti und ihre katholischen Auftraggeber hätten ihre wahre Freude am Unmoralischen, Gewalttätigen, an Ausschweifungen und drastischen Erzählungen. Die Holzhammer-Methode wird einzig durch die Dunkelheit gemildert und die Entscheidung, möglichst wenig Blut au den Wunden strömen zu lassen. Trotz des großen Realismus, der den Caravaggisti nachgesagt wird. Artemisia Gentileschi, die Judith das Haupt des Holofernes abschlagen und dabei das Blut über die ganze Leinwand spritzen lässt, ist in der Schau nicht vertreten. Ihr Vater Orazio Gentileschi hat sich noch einer reduzierteren Dramatik verschrieben.
Liesbeth M. Helmus (Utrecht) und Bernd Ebert (München), die beiden Kuratoren der Ausstellung, entschieden sich den zeitlichen Rahmen auf 1600 bis 1630 zu beschränken und das Hauptaugenmerk auf die drei Utrechter Maler zu legen. Dennoch sind mit Jusepe de Ribera bis Valentin de Boulogne einige der wichtigsten Caravaggisti in der Ausstellung vertreten. Die Werke werden nach ikonografischen Themen gehängt. Beispielsweise die phänomenale „Befreiung Petri” von Gerard van Honthorst neben der nahsichtigen Interpretation des Themas von Hendrick ter Brugghen aus dem Mauritshuis in Den Haag und der überraschenden weiteren desselben Künstlers Fassung aus dem Staatlichen Museum Schwerin. Dieser Zugang ermöglicht, die unterschiedlichen stilistischen Herangehensweisen und thematischen Deutungen nachzuvollziehen. So konnte das religiöse Bild im Barock auch zunehmend als künstlerische Leistung die Galerien wohlhabender Sammler erobern.
Die neuerliche Beschäftigung mit den Künstlern weist die Utrechter als wissbegierig Lernende aus, die auch in der Ferne nicht auf ihre Wurzeln vergaßen. Ihr Status als „Nachfolger“ ist zugunsten des konzentrierten Weiterentwickelns von Caravaggios Ideen abzulehnen. Was Michelangelo Merisi da Caravaggio anstieß, fiel offensichtlich auf fruchtbaren Boden – wenn auch nach 1630 ein neuer Barockklassizismus auch die Niederlande die dramatischen Kompositionen des frühen Barock vergessen ließen. In den 1620ern schuf vor allem Baburen mit Musikern als Halbfiguren ein neues Thema; Hendrick ter Brugghens „Verkündigung“ (1629, Stadsmuseum De Hofstadt, Diest) ist eines der wenigen meditativen, freundlichen Bilder in der Ausstellung und bildet in Utrecht den Abschluss.
Der im HIRMER Verlag erschienene Katalog zu den Utrechter Caravaggisti überzeugt durch genaue Analysen jedes einzelnen Werks und einführenden Beiträgen zum Leben und Arbeiten im Rom nach Caravaggio.