Pierre Soulages (24.12.1919-25.10.2022) ist ein französischer Maler und Grafiker, der als ein Pionier der Abstrakten Malerei im Nachkriegsfrankreich gilt (→ Abstrakter Expressionismus | Informel). Seit den späten 1940er Jahren baut der Autodidakt seine abstrakten Gemälde aus schwarzen Balken auf. Soulages arbeitet mit breiten, kraftvollen Pinselstrichen auf großen Leinwänden und mit einer begrenzten Palette von Schwarz und Braun. Er bezeichnet seine charakteristischen, kräftigen Pinselstriche vor hellem Hintergrund als Outrenoir, als „jenseits von Schwarz“. Ab Mitte der 1950er Jahre war sein Werk mehr in New York als in Paris zu sehen; allerdings wurde er in beiden Städten einflussreich. Seit 1979 malt Soulages mit Besen und Rakeln sowie Pinseln, fügte Textur und Oberfläche in die bildliche Erzählung ein und moduliert mit schwarzen Strukturen das Licht. Das Werk des französischen Malers ist quantitativ überschaubar: etwas mehr als 1500 Gemälde (Stand 2013) und 49 Radierungen.
„Meine innige Passion für Schwarz ist wie eine Liebe, und die lässt sich unmöglich erklären.“1 (Pierre Soulages)
Pierre Soulages lebt und arbeitet in Paris und Sète.
Pierre Soulages wurde am 24. Dezember 1919 in der südfranzösischen Stadt Rodez in der Rue Combarel 4 als Sohn eines Kutschenbauers geboren. Im Alter von fünf Jahren verstarb Soulages‘ Vater. Er wuchs bei seiner Mutter und einer älteren Schwester auf, die seine künstlerische Begabung früh förderten. Ein Besuch der romanischen Klosterkirche Sainte-Foy in Conques (11. Jhdt.), nahe Rodez 1931 oder 1932, wurde für Soulages zum entscheidenden „Schock“. Daraufhin begann Pierre Soulages 1934 zu malen.
Im September 1938 brach Pierre Soulages nach Paris auf, um Unterricht im Atelier von René Jaudon zu nehmen. Besuch der Museen Louvre, Orangerie, Petit Palais. Er besuchte die Pablo Picasso- und die Paul Cézanne-Ausstellungen in der Galerie Paul Rosenberg (Februar und März 1939). Pierre Soulages wurde in die École nationale des beaux-arts (Paris) aufgenommen. Er war jedoch enttäuscht darüber, was er dort sah, und kehrte im April nach Rodez zurück.
Nach seinem Abitur wurde Pierre Soulages im Juni 1940 in die Armee einberufen und nach Bordeaux geschickt, dann in die Chantiers de la Jeunesse [Pflichtarbeitslager für Jugendliche] in Nyons. Anfang des Jahres 1941 wurde er aus dem Kriegsdienst entlassen. Soulages zog nach Montpellier, wo er u.a. das Musée Fabre besuchte, um sich auf die Prüfung zur Ausbildung als Zeichenlehrer vorzubereiten. Zu den Einflüssen aus seiner Umgebung zählten die Höhle von Altamira, die bemeißelten Statuenmenhire aus dem Musée Fenaille in seiner Geburtsstadt Rodez, die romanische Architektur der Klosterkirche von Conques. In der Geschichte der Kunst schätzt er besonders den Malduktus von Rembrandt van Rijn, die Gemälde von Piet Mondrian, die Stärke von Gustave Courbet. Soulages schrieb sich an der École des Beaux-Arts in Montpellier ein, wo er im ‘41 m Frühjahr Colette Llaurens kennenlernte, die er im Oktober 1942 heiratete – in Schwarz, um Mitternacht.
Um dem Zwangsarbeitsdienst in Deutschland (STO) zu entgehen, fertigte Pierre Soulages Ende 1942 falsche Papiere an und konnte deshalb bis 1943 als Verwalter auf dem Weingut Mas de La Valsiere bei Montpellier untertauchen. Soulages lernte in der Nachbarschaft den in der Tuilerie de Massane lebenden Schriftsteller Joseph Delteil kennen. Wahrscheinlich Anfang 1943 stellte ihm Delteil Sonia Delaunay vor (→ Sonia Delaunay. Malerei, Design und Mode).
Kurz vor der Befreiung 1944 eingezogen, wurde Pierre Soulages im Juni nach Toulouse versetzt, wo er Jean Cassou kennenlernte. Nach seiner Entlassung kehrte er Ende 1944 als Winzer nach La Valsiere zurück. Im Winter 1945 wandte sich Soulages wieder hauptsächlich dem Malen zu.
Im März 1946 ließ sich Soulages in Courbevoie nieder, wo er sich ein Atelier einrichtete.Der Maler pflegte Umgang mit dem Maler Francis Bott, der ihn mit den Künstlern Henri Goetz, Christine Boumeester und Édouard Jaguer bekannt machte. Außerdem lernte er Alexander Calder kennen. Der Herbstsalon lehnte das von ihm eingesandte Werk ab. Im November 1946 wandte er sich endgültig der ungegenständlichen Malerei zu. Dabei spürte er gegenüber der gestischen Abstraktion (Informel, im Gegensatz zur Konkreten Kunst als „heiß“ bezeichnet) eine gewisse Scheu. Der Strich verwies seiner Meinung nach zu sehr auf die Vergangenheit, d.h. auf die Geste des Farbauftrags. Er suchte hingegen eine Malerei zu entwerfen, die sich in einem Zuge erfassen lässt, ohne dass die Formen die Bewegung, die sie entstehen lässt, nachzuzeichnen scheinen. Deshalb trug er die Farbe (Nuss-Beize) mit groben Malerpinseln auf Papier auf.
„Nussbeize hat eine dunkle und warme Tönung, eine Art elementare Kraft, die mir gefällt. Durch sie lassen sich auf natürliche Weise Transparenzen und Opazitäten mit einer schönen Resonanz erzielen. Dies kam mir um so gelegener, als sie ein gewöhnlicher und günstiger Werkstoff ist.“2 (Pierre Soulages)
Der Geldmangel brachte Soulages dazu, ungewöhnliche Materialien zu verwenden wie Walnussbeize (ab 1947), die er in seiner Kindheit entdeckt hatte. Die Nussbeize-Bilder erfüllten den Anspruch des Künstlers, in ihrer Gesamtheit zu wirken. Im Jahr 1947 stellte Pierre Soulages im Salon des surindépendants aus, wo er Roberta González und Hans Hartung traf, mit denen er sich anfreundete. Francis Picabia bezeichnete eines seiner Bilder als „das beste Gemälde des Salons“. Zog in die Rue Schoelcher im 14. Pariser Bezirk.
„Ich habe Linien kombiniert, die sich dem Betrachter als eine große Form zeigen […] und eines Tages wurde mir klar, dass die Zeichnungen an chinesische Zeichen erinnern könnten.“3
Im Jahr 1948 lernte Pierre Soulages das Malerpaar Marie Raymond und Fred Klein (und deren Sohn Yves Klein) sowie den Maler Jean-Michel Atlan kennen. Er nahm am III. Salon des Réalités nouvelles teil, wo ihn der deutsche Nervenarzt und Kunstliebhaber Ottomar Domnick entdeckte. Domnick war ein Verfechter der abstrakten Kunst und zeigte ihn als jüngsten Teilnehmer auf der „Großen Ausstellung französischer abstrakter Malerei“ in Stuttgart. Von November 1948 bis Juli 1949 war Soulages neben Francis Bott, Félix Del Marle, César Domela, Hans Hartung, Auguste Herbin, František Kupka, Jean Piaubert, Gérard Ernest Schneider und Jean Villeri in insgesamt sieben Stationen in Deutschland zu sehen. In seinem Künstlerstatement betonte der 28-jährige Soulages seine Vorstellung von Malerei als „ein organisiertes Ganzes“ und beschrieb sie als ein „Ensemble von Beziehungen zwischen Formen“ bar jeglicher Bedeutung.4 In Deutschland entdeckten Künstler wie u. a. Horst Egon Kalinowski, Karl Otto Götz, Carl Buchheister, H.A.P. Grieshaber, Rupprecht Geiger, Fred Thieler, Hann Trier, Fritz Winter und Willi Baumeister das Werk des Pariser Malers. Aber auch österreichische Kunstschaffende besuchten ihn in Paris, darunter Monsignore Mauer mit u. a. Arnulf Rainer; Markus Prachensky suchte erst um 1957 oder 1958 Soulages auf. Das Plakatmotiv war eine Malerei auf Papier, die es auf diesem Weg auch in die USA schaffte und so die New Yorker Schule beeinflusste. Daraufhin besuchte James Johnson Sweeney Soulages‘ Atelier und erste Galeristinnen und Galeristen wurden auf ihn aufmerksam: Otto Stangl in München, Lydia Conti und Louis Carré in Paris, Samuel Kootz in New York. Vor allem Kootz vermittelte bis Mitte der 1950er Jahre Soulages‘ Werke in nordamerikanische Privatsammlungen und Museen.
Gemeinsam mit Jean Fautrier und Hans Hartung näherte sich Pierre Soulages in Paris der Abstraktion an, die er 1946 endgültig zu seiner Ausdrucksweise machte. Am 9. Januar 1950 legte Soulages die Nomenklatur seiner Werke fest. Seither werden die Werktitel wie folgt erstellt: Technik Maße, Datum.
Etwa gleichzeitig entwickelten New Yorker Künstler den Abstrakten Expressionismus (z. B. Franz Kline, Jackson Pollock), diese ungegenständliche Form der Abstraktion wird in Frankreich und Deutschland als Informel bezeichnet. Zu den Einflüssen auf die Kunst Pierre Soulages‘ zählen vorgeschichtliche, keltische und romanische Kunstwerke in der Nähe seines Elternhauses. Charakteristische Elemente von Pierre Soulages‘ Malerei sind der Einsatz der Farben Weiß und Schwarz, vor allem die schwarzen, kalligrafischen Formen.
Das Ziel von Pierre Soulage war eine Malerei, die autonom ist und nichts abbildet. So sollen seine großformatigen Gemälde auch nicht Soulages‘ Gefühlszustände widerspiegeln, sondern sind überlegt aufgebaute Kompositionen. Von den kalligrafisch anmutenden Zeichensetzungen reduzierte sich Pierre Soulages in den 1950er Jahren auf verdichtete und noch stärker reduzierte Flächen. Er verwendete weiße, rötliche, gelbliche oder bläuliche Hintergrundflächen, die er dann mit Schwarz abdeckte. Indem Pierre Soulages anschließend die schwarze Schicht abschabte bzw. sie verjüngte, scheinen die Hintergrundfarben wieder hervor. Dabei war ihm der langsame, kontrollierte Gestus wichtig, um nicht in den Automatismus zu rutschen. Indem er Kompositionen mehrfach aufnahm, lieferte er den Beweis, dass sie keineswegs spontan entstanden – auch wenn es sich um Experimente handelt.
Vor allem das Strukturieren der Farbe Schwarz auf dem Bildträger zählt zu den Methoden in Soulages‘ Werkprozess. Dafür setzt er teils ungewöhnliche Werkzeuge ein, darunter grobe Bürsten, Besen, Rakel, Spachtel und Holzstangen. Mit Hilfe von sogenannten lames, das sind Gummistücke zwischen zwei Holzscheiben, streicht er die Farbe über die Oberfläche und kann auch Rillen entstehen lassen. Die unter dem Schwarz aufgetragene Buntfarbe wird durch diesen Prozess wieder freigelegt und hebt sich kontrastreich vom flächigen Dunkel ab. Inspiration für diese gestische Abstraktion waren mythologische Zeichen (Runen) auf Denkmälern aus keltischer Zeit. Allerdings verneint Soulages jede Transzendenz.
Im Jahr 1948 entdeckten Hans Hartung und Francis Picabia den Künstler in Paris (→ Francis Picabia: Unser Kopf ist rund), und er schloss Freundschaft mit dem chinesischen Künstler Zao Wou-Ki. Ein Jahr später hatte Soulages seine erste Einzelausstellung in der Galerie Lydia Conti in Paris, wo ihn Roger Vailland entdeckte, der ihm anbot, das Bühnenbild für sein Stück „Héloïse et Abélard“ zu gestalten. Zwischen 1949 und 1952 arbeitete Pierre Soulages als Bühnenbildner für das Théâtre de l’Athénée (1951: „Le Mystère d’Abraham“ von Fernand Chavannes, choreografiert von Janine Charrat).
Seinen Durchbruch feierte Pierre Soulages, als er auf den ersten drei Ausstellungen der documenta vertreten war: documenta I (1955), documenta II (1959) und documenta III (1964). Bereits 1954 besuchten Alfred H. Barr Jr. und Nelson Rockefeller das Atelier von Pierre Soulages. Im November 1957 reisten Colette und Pierre Soulages erstmalig nach New York. Sie begegneten zahlreichen amerikanischen Künstlerinnen und Künstlern, die Galaabende für ihn organisierten: William Baziotes, Herbert Ferber, Helen Frankenthaler, Adolph Gottlieb, Philip Guston, Hans Hofmann, Frederick Kiesler, Franz Kline, Ibram Lassaw, Louise Nevelson und Mark Tobey sowie Robert Motherwell und Mark Rothko, mit denen er sich anfreundete. Anschließend durchquerte Soulages Amerika und reiste weiter nach Japan, wo er im Januar 1958 den Preis der Biennale von Tokio in Empfang nahm, der ihm im Jahr zuvor zuerkannt worden war, und Hubert Juin veröffentlichte die erste Monografie des Malers. Bis Mitte der 1960er Jahre zählte Soulages zu den bedeutendsten, zeitgenössischen Künstlern, hatte er doch eine ganze Generation an Abstrakten Expressionisten beeinflusst.
Eine Umfrage der Zeitschrift „Arts“ ermittelte 1965 die zehn wichtigsten seit 1945 hervorgetretenen Künstler unter 50 Jahren. Es waren, in dieser Reihenfolge, Robert Rauschenberg, Jean Tinguely, Pierre Soulages, Georges Mathieu, Yves Klein, Friedensreich Hundertwasser, Bernard Buffet, Paul Guiramand, François Arnal und César.
Pierre Soulages starb am 25. Oktober 2022 im Alter von 102 Jahren in Nimes.
In Hinblick auf die Gründung des Musée Soulages in Rodez erhielt der Gemeindeverband Grand Rodez in den Jahren zwischen 2005 und 2007 von Pierre und Colette Soulages eine außerordentliche Schenkung von 500 Arbeiten. In den folgenden Jahren erweiterte der Künstler seine Donation auf aktuell 250 Gemälde und 250 Dokumente (2012: 14 Gemälde, 2014: 500 Werke). Nach Abschluss des Wettbewerbs wurde 2008 die Planung des Musée Soulages in Rodez dem spanischen Architekturbüro RCR Arquitectes (Rafael Aranda, Carme Pigem und Ramón Vilalta) übertragen. Im Jahr 2017 erhielten die Architekten für das Museum den Pritzker Architecture Prize verliehen.
Am 20. Oktober 2010 legte der Künstler den Grundstein für das Musée Soulages. Benoît Decron war im Mai 2009 bereits die Leitung des Musée Soulages übertragen worden. Der Gemeindeverband Grand Rodez erwarb 2011 noch das Geburtshaus des Künstlers (in der rue Combarel 4).
Am 31. Mai 2014 wurde das Musée Soulages in Rodez in Anwesenheit des Künstlers und des Präsidenten der Französischen Republik, François Hollande, eingeweiht. Präsentiert wurden dabei die aus den Schenkungen von Pierre und Colette Soulages gebildeten ständigen Sammlungen sowie die Ausstellung „Outrenoir en Europe. Musées et fondations“ zu Soulages’ Werken. In den folgenden Jahren schenkten Pierre und Colette Soulages dem Musée Soulages immer wieder Werke.