Wiesbaden | Wiesbaden Museum: Die Blauen Reiterinnen

Natalja Gontscharowa, Badende, Detail, um 1910, Öl auf Leinwand, 94,5 x 114,5 cm (Museum Wiesbaden, erworben mit Unterstützung der Hessischen Kulturstiftung, Verein zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V. sowie der Landeshauptstadt Wiesbaden)
Die Künstlervereinigung „Der Blaue Reiter“ war ein Kreis unterschiedlichster Persönlichkeiten, die im Bereich der ästhetischen Theorie, Malerei, Grafik, Literatur und Musik visionäre Leistungen erbracht haben. Bis heute weitgehend unerforscht blieb jedoch der große Anteil einzelner Künstlerinnen im Umfeld des „Blauen Reiter“ an der Entwicklung der Moderne, die Strategien und Netzwerke, die sie sich zurechtlegten, um ein Leben als selbstständige Künstlerin führen zu können, sowie die Identität der mitunter völlig vergessenen Künstlerinnen, deren Lebensläufe sich kaum mehr rekonstruieren lassen.
Wer sind „Die Blauen Reiterinnen“?
Mit den beiden Ausstellungen, die 1911 und 1912 organisiert wurden, sowie dem im Jahr 1912 herausgegebenen Almanach steht „Der Blaue Reiter” für eine Subjektivierung in der Kunst, die Befreiung der Farbe vom Gegenstand sowie die Idee der Gleichwertigkeit künstlerischer Ausdrucksformen unterschiedlicher Epochen, Gattungen und Regionen. Damit ist „Der Blaue Reiter” Teil der internationalen Avantgardebewegungen vor dem Ersten Weltkrieg. Obwohl einige der Künstlerinnen bei der ersten Ausstellung eigene Werke zeigten, erinnerte sich Wassily Kandinsky:
„Der Blaue Reiter – das waren zwei: Franz Marc und ich.“1 (Wassily Kandinsky, 1935)
Bisher wurde vor allem die Geschichte der beteiligten Maler erzählt, doch auf ihre kunsthandwerklich tätigen Ehefrauen, ihre malenden Kolleginnen und ihre internationalen, weiblichen Gäste wurde „vergessen“.2 Nahezu völlig unerforscht blieb bis 2024/25 der große Anteil der einzelnen Künstlerinnen im Umfeld des „Blauen Reiter“ an der Entwicklung der Moderne. Die Themen der Ausstellung „Die Blauen Reiterinnen“ kreisen deshalb um folgende Fragestellungen: Welche Strategien und Netzwerke legten sich „Die Blauen Reiterinnen“ zurecht, um trotz des damals vorherrschenden gesellschaftlichen Normen ein Leben als selbstständige Künstlerin führen zu können? Wer waren überhaupt all die mitunter völlig vergessenen Künstlerinnen, deren Lebensläufen sich heute kaum mehr rekonstruieren lassen?
„Um jedoch außerhalb der Welt des Stils etwas zu sein, muss man mit einer Sprache reden, die noch niemand gesprochen hat.“ (Marianne von Werefkin)
- Natalja Gontscharowa, Badende, um 1910, Öl auf Leinwand, 94,5 x 114,5 cm (Museum Wiesbaden, erworben mit Unterstützung der Hessischen Kulturstiftung, Verein zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V. sowie der Landeshauptstadt Wiesbaden)
Netzwerkerinnen des „Blauen Reiter“
„Hochverehrte Prinzessin, vieladeliger wilder Junge, süße Malerin, wann darf ich kommen — ich träume von der Süßigkeit Ihrer Bilder. (Der Prinz von Theben) Else Lasker-Schüler (Der blauen Reiterreiterin Freundin.)“ (Else Lasker-Schüler an Marianne von Werefkin, 1913)
Zu den „Blauen Reiterinnen“ zählen Erma Bossi, Sonia Delaunay-Terk, Emmi Dresler, Elisabeth Epstein, Elisabeth Erdmann-Macke, Natalja Gontscharowa, Else Lasker-Schüler, Maria Franck-Marc, Olga Meerson, Gabriele Münter, Carla Pohle und Marianne von Werefkin. Einige von ihnen waren mit einflussreichen Avantgardisten liiert oder verheirateta, andere kannten sich vom Kunststudium oder über Ausstellungen. So war Gabriele Münter zuerst eine Schülerin, ein sogenanntes „Malweib“, und dann die Lebensgefährtin von Wassily Kandinsky. Marianne von Werefkin steckte ihre eigene Berufung als Malerin zurück, um jene von Alexej von Jawlensky zu fördern. Beide Künstlerinnen investierten sowohl Herzblut als auch Finanzmittel in ihre Männer, die sie allerdings verließen. Gesellschaftlich anerkannter waren da schon Maria Franck-Marc, die Frau von Franz Marc, und Elisabeth Erdmann-Macke, die Frau von August Macke.
In ihrem Salon in der Giselastraße 25 legte Marianne von Werefkin, die in St. Petersburg zur Malerin ausgebildet worden war, mit ihrer Arbeit an einer Theorie der neuen Kunst und ihrem weitreichenden Netzwerk den Grundstein für den „Blauen Reiter”. Sie dachte über neue künstlerische Ausdrucksmöglichkeiten jenseits tradierter, an Kunstakademien gelehrter Bildsprachen nach. Ihre Motive und Malweise sind um emotionale und atmosphärische Unmittelbarkeit bemüht und nicht um eine detaillierte Wiedergabe der Wirklichkeit, die sie letztlich als oberflächlich empfand.
Wie erst jüngst in München betont wurde, war Elisabeth Epstein die wichtige Verbindung der Vereinigung nach Paris. Über sie lud „Der Blaue Reiter“ eine der führenden Avantgardistinnen der frühen 1910er Jahre ein: Sonia Delaunay-Terk. Natalia Gontscharowa kam über Kandinsky zur Münchner Gruppe. Emmi Dresler wurde im Mai 1909 von Gabriele Münter oder Wassily Kandinsky zu den Ausstellungen der „Neuen Künstlervereinigung München“ (NKVM) eingeladen. Dresler zählte zu den ersten Schülerinnen von Wassily Kandinsky und war mit Münter befreundet. Olga Meerson stammte wie Kandinsky aus Russland und studierte mit ihm in München und später in Paris bei Henri Matisse.
Ab 1912 erweiterte Else Lasker-Schüler das Netzwerk der Künstler:innengruppe, als sie Franz Marc und seine Ehefrau in Berlin kennenlernte. Zur selben Zeit entwarf sie das Bild ihres modernen, genderfluiden Alter Egos, des Prinzen Jussuf von Theben. Die Marcs verwandelte sie in ihren Halbbruder Ruben und seine Schwester Marei. Mit ihrem exzentrischen Outfit machte die Berlinerin Furore bei einem Besuch in Sindelsdorf und München, wo sie Künstler:innen aus dem Kreis des „Blauen Reiter“ traf. Bis 1916 führte sie einen gemalten Brief- und Kartenwechsel mit Franz Marc, der in die Kunstgeschichte einging.
Die Ausstellung zeigt erstmals, welchen Einfluss Frauen auf die Kunst des „Blauen Reiter“ und die Entwicklung des Frühexpressionismus in Deutschland hatten.
Die Ausstellung ist eine Kooperation des Museums Wiesbaden mit dem Paula Modersohn-Becker Museum in Bremen, der Städtischen Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München sowie der Fondazione Marianne Werefkin in Ascona/CH.
„Die Blauen Reiterinnen“ in Wiesbaden 2026/27
Während bisher die Künstler im Rampenlicht standen, werden 2026/27 in Wiesbaden die Künstlerinnen vor den Vorhang gebeten. In den letzten Jahren konnte nachgewiesen werden, dass vor allem Marianne von Werefkin und Elisabeth Epstein wesentlichen Anteil an der Entstehung der neuen Bildsprache des „Blauen Reiter“ hatten. Sie können deshalb zu Recht als „geistige Mütter“ der Bewegung bezeichnet werden. Kurzum: Weder der Almanach „Der Blaue Reiter“ noch die beiden Ausstellungen wären ohne die tatkräftige Mitarbeit von Gabriele Münter, Maria Franck-Marc, Marianne von Werefkin und Elisabeth Epstein möglich gewesen.3
Bilder
- Gabriele Münter, Bildnis Marianne von Werefkin, 1909 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Gabriele Münter Stiftung 1957 © VG Bild-Kunst, Bonn 2025)
- Erma Bossi, Bildnis Marianne von Werefkin, um 1910 (Städtische Galerie im Lenbachhaus und Kunstbau München, Dauerleihgabe der Gabriele Münter- und Johannes Eichner-Stiftung, München)
- Natalja Gontscharowa, Badende, um 1910, Öl auf Leinwand, 94,5 x 114,5 cm (Museum Wiesbaden, erworben mit Unterstützung der Hessischen Kulturstiftung, Verein zur Förderung der bildenden Kunst in Wiesbaden e.V. sowie der Landeshauptstadt Wiesbaden)
Die Blauen Reiterinnen
Deutschland | Wiesbaden:
Wiesbaden Museum
23.10.2026 – 21.2.2027

