Wer ist Lillie Plummer Bliss? Erstmals widmet das MoMA seiner wichtigsten Spenderin eine Einzelausstellung, denn ohne Lillie P. Bliss gäbe es das Museum nicht – und wäre zumindest zwei kapitale Werke ärmer. Nach vielen Jahren des energischen Einsatzes für Klassische Moderne in New York gründete Bliss 1929 zusammen mit Abby Aldrich Rockefeller und Mary Quinn Sullivan das Museum of Modern Art. Ihr Vermächtnis ermöglichte dem MoMA außerdem, Vincent van Goghs „Sternennacht“ und Pablo Picassos „Les Desmoiselles d’Avignon“ zu erwerben!
USA | New York: MoMA
17.11.2024 – 29.3.2025
Lillie Plummer Bliss (Boston 11.4.1864–12.3.1941 Now York) war fasziniert vom Werk der Künstlern der Klassischen Moderne (→ Klassische Moderne); die New Yorker Mäzenin trug deshalb eine bemerkenswerte Sammlung von Gemälden und Arbeiten auf Papier von Paul Cézanne, Georges Seurat und Pablo Picasso und vielen anderen zusammen.Damit - wie auch durch ihr Mäzenatentum - veränderte sie die Museumslandschaft an der Ostküste mit weitreichenden Folgen!
In den ersten Jahrzehnten des 20. Jahrhunderts war die Förderung moderner Kunst in den Vereinigten Staaten kaum ein populäres Anliegen. Ein Großteil der Öffentlichkeit sowie des Kunstestablishments hielten moderne Kunst für lächerlich oder sogar gefährlich. Trotz dieser Angriffe war Bliss eine leidenschaftliche Verteidigerin der Werke von Künstlern wie Odilon Redon und Paul Gauguin, die, in ihren Worten, „etwas zu sagen haben, das es wert ist, gesagt zu werden, und für sich nur die Freiheit beanspruchen, es auf ihre eigene Weise auszudrücken.“
Anfang des 20. Jahrhunderts wird Bliss’ einzigartiger Beitrag zur Geschichte der modernen Kunst in den USA immer noch nicht ausreichend gewürdigt. Dies erklärt sich teilweise durch die Maßnahmen, die sie zum Schutz ihrer Privatsphäre ergriff: Am Ende ihres Lebens bat Bliss darum, all ihre persönlichen Aufzeichnungen zu verbrennen. Ihr außergewöhnliches Vermächtnis hingegen blieb bestehen. Diese Ausstellung im MoMA beleuchtet erstmals die Person Lillie Bliss anhand von Archivdokumenten aus dem ersten Jahrzehnt des MoMA – ergänzt um die Kunstwerken, die sie liebte.
Lillie Plummer Bliss war die Tochter von Cornelius Newton Bliss, der von 1897 bis 1899 das Amt des Innenministers der Vereinigten Staaten innehatte. Zu den frühesten Begegnungen mit moderner Kunst gehörten Ausstellungsbesuche im Union League Club of New York, wo ihr Vater Mitglied und von 1902 bis 1906 als Präsident war. Der Club zeigte wiederholt Werke lebender Künstler, darunter 34 Werke von Claude Monet (1891). Nach dem Tode des Vaters 1911 lebte die unverheiratete Bliss mit ihrer Mutter in einer Wohnung in der 37. Straße in Manhattan.
Im Jahr 1909, im Alter von 45 Jahren, begann Lillie Plummer Bliss mit dem Aufbau einer Sammlung von Gemälden, Zeichnungen und Drucken europäischer und amerikanischer moderner Künstler. Anfangs orientierte sie sich an Arthur B. Davies und Walt Kuhn. Mit zunehmender Leidenschaft und Expertise übernahm sie eine aktive Rolle bei der Förderung der künstlerischen Avantgarde.
Im Jahr 1913 leistete Bliss eine entscheidende finanzielle Unterstützung für die bahnbrechende „Armory Show“. Sie wurde größtenteils von Arthur B. Davies organisiert und machte dem amerikanischen Publikum europäische moderne Kunst bekannt. Sechs Wochen vor Beginn der „Armory“ Show erwarb Bliss in der New Yorker Filiale der Galerie Paul Durand Ruel zwei Landschaftsbilder von Pierre-Auguste Renoir und von Edgar Degas ein Gemälde und ein Pastell. Diese Bilder lieh sie zur „Armory Show“. Aus der Ausstellung kaufte sie zahlreiche Kunstwerke an, darunter „Schweigen“ sowie „Roger und Angelica“ von Odilon Redon. Aus den persönlichen Begegnungen mit in der Ausstellung vertretenen Künstlern entwickelten sich teils langandauernde Freundschaften. Dies betraf beispielsweise Maler wie Charles Sheeler, Charles Prendergast und Maurice Prendergast, deren Arbeiten sie ebenfalls ankaufte.
Lillie P. Bliss’ Kunstsammlung wurde in den 1920er Jahren intensiver – zu Beginn des Jahrzehnts konzentrierte sie sich auf den Erwerb von Werken von Paul Cézanne, was sie, fasziniert von den Zeichnungen von Georges Seurats (→ Georges Seurat, Erfinder des Pointillismus), aufgab. Ungeachtete des öffentlichen Drucks setzte sie sich auch für das Werk von Paul Gauguin ein. Von 1924 bis 1929 reiste die Sammlerin jährlich einmal nach Europa, um sich über die neuesten künstlerischen Entwicklungen – vor allem in Frankreich – zu informieren. Ankäufe für ihre Sammlung tätigte sie hingegen fast ausnahmslos über New Yorker Kunsthändler, beziehungsweise über die New Yorker Filialen europäischer Galerien.
Nach dem Tod von Arthur B. Davies im Oktober 1928 fanden zu seinem Gedenken mehrere Ausstellungen statt, für die Lillie P. Bliss zahlreiche Kunstwerke zur Verfügung stellte. Bei der Versteigerung seiner Kunstsammlung gehörte Bliss ebenso wie Abby Aldrich Rockefeller zu den Käuferinnen. Bei beiden reifte die Idee, eine Institution zu gründen, die sich in New York der Ausstellung moderner Kunst widmen sollte. Ausschlaggebend war die Weigerung des Metropolitan Museum of Art, Kunst des späten 19. Jahrhunderts und Werke zeitgenössischer Künstler auszustellen.
Bliss’ wachsende Überzeugung, dass New York ein Museum als Heimstätte für moderne Kunst brauchte, führte Ende Mai 1929 zur Gründung des MoMA gemeinsam mit Abby Aldrich Rockefeller und Mary Quinn Sullivan. Der Kunstsammler A. Conger Goodyear übernahm den Vorsitz, Lillie P. Bliss wurde seine Stellvertreterin und Abby Aldrich Rockefeller fungierte als Schatzmeisterin. Welche Rolle dabei die Gründung des Guggenheim Museum hatte (→ Guggenheim Museum: Solomon R. Guggenheim & ungegenständliche Kunst), scheint bis dato noch nicht aufgearbeitet, wird zumindest in der MoMA-Ausstellung nicht erzählt.
Am 7. November 1929, nur wenige Tage nach dem Börsencrash, öffnete das MoMA seine Türen in gemieteten Büroräumen in der 730 Fifth Avenue (an der südwestlichen Ecke der Fifty-Seventh Street). Die erste Ausstellung war Cézanne, Gauguin, Seurat und Vincent van Gogh gewidmet. Lillie Bliss war eine der größten Leihgeberinnen für die Ausstellung, obwohl sie anonym bleiben wollte. Sie und ihre Mitbegründerinnen hatten sich erfolgreich für eine Eröffnungsausstellung mit Werken dieser bahnbrechenden französischen Künstler eingesetzt, obwohl ihre männlichen Kollegen eine Ausstellung mit amerikanischen Künstlern bevorzugten. Die Position der Gründerinnen wurde durch begeisterte Besucherscharen bestätigt, deren Zahl die Erwartungen bei weitem übertraf.
Kurz bevor Lillie P. Bliss am 12. März 1931 im Alter von 66 Jahren ihrer Krebserkrankung erlag, vermachte sie einen Großteil ihrer Kunstsammlung dem MoMA. Bis dahin war das Museum in erster Linie ein Ort zur Präsentation temporärer Ausstellungen gewesen. Ihr visionäres Vermächtnis etablierte das MoMA Angang der 1930er Jahre offiziell als Sammelinstitution und veränderte den Lauf seiner Geschichte für immer. Bliss machte die Schenkung davon abhängig, dass das Museum innerhalb von drei Jahren finanzielle Stabilität nachweisen konnte. Das Potenzial des Vermächtnisses war klar; ein Journalist nannte es einen „Kern, um den herum man aufbauen kann“ und eine „fortdauernde, lebendige Antwort an die Zweifler“.
Ein paar Monate nach Bliss’ Tod organisierte das MoMA eine Gedenkausstellung, die hauptsächlich aus Gemälden europäischer Künstler des 19. und 20. Jahrhunderts präsentierte. Es wurden auch Werke gezeigt, die sie anderen Museen geschenkt hatte, darunter byzantinische Tafeln, die für das Metropolitan Museum of Art bestimmt waren.
Obwohl das MoMA nicht die eine Million Dollar aufbringen konnte, die Bliss’ Nachlassverwalter festgelegt hatten, stimmten sie der endgültigen Schenkung trotzdem zu, da die Große Depression zu diesem Zeitpunkt ihren Höhepunkt erreichte. Das Museum feierte das mit einer Festausstellung in seinem neuen Zuhause, einem Brownstone-Gebäude der Familie Rockefeller am aktuellen Standort des MoMA.
Bliss’ Testament erlaubte den Verkauf von Werken aus ihrer Sammlung, um neue Anschaffungen zu finanzieren. So wurde Ende der 1930er Jahre Degas' „Reiter vor Hügellandschaft“ für 18.000 Dollar verkauft, um mit dem Erlös und weiteren 10.000 Dollar Picassos „Les Demoiselles d’Avignon“ (1907) zu erwerben. Im Jahr 1941 ermöglichte der Verkauf von drei weiteren Werken aus der Sammlung Bliss den Erwerb von Vincent van Goghs „Sternennacht“ (1889, → Vincent van Gogh: Die Sternennacht). Das Lillie P. Bliss Vermächtnis brachte dem MoMA u.a. Constantin Brâncușis „Das Neugeborene“ (1920) und Salvador Dalís „Retrospektive Büste einer Frau „(1933).