Remedios Varo
Wer war Remedios Varo?
Remedios Varo (Anglès 16.12.1908–8.10.1963 Mexiko-Stadt) war eine spanisch-mexikanische Malerin des Surrealismus. Ausgebildet in Madrid, zog sie 1932 nach Barcelona und weiter nach Paris, wo Varo Mitglied der Gruppe der Surrealist:innen wurde und sich dem Okkultismus öffnete. Nach ihrer Flucht nach Mexiko konnte sie erst in den 1950er Jahren wieder als freischaffende Künstlerin tätig sein. In den Gemälden der folgenden Jahre verband sie Traum, Wissenschaft, Okkultes mit Realitätsschilderungen, die sie in minutiös gearbeiteten Bildern realisierte.
Kindheit
María de los Remedios Alicia Rodriga Varo y Uranga wurde am 16. Dezember 1908 in Anglès geboren, einer kleinen Stadt in der Provinz Girona in Katalonien (Spanien). Remedios wurde zu Ehren der Virgen de los Remedios („Jungfrau der Heilmittel“) als „Heilmittel“ für den Tod einer älteren Schwester benannt. Sie hatte zwei überlebende Geschwister: einen älteren Bruder namens Rodrigo und einen jüngeren Bruder namens Luis. Ihre Mutter, Ignacia Uranga y Bergareche, wurde in Argentinien als Tochter baskischer Eltern geboren, und ihr Vater, Rodrigo Varo y Zajalvo, stammte aus Córdoba in Andalusien.
Als Varo ein kleines Kind war, zog ihre Familie häufig in Spanien und Nordafrika um, da ihr Vater als Wasserbauingenieur den Arbeitsort wechselte. Während ihr Vater ein etwas agnostischer Liberaler war, der Esperanto studierte, war ihre Mutter eine gläubige Katholikin und meldete sie im Alter von acht Jahren in eine strenge Klosterschule ein. Varos Vater förderte ihre künstlerischen Unternehmungen, nahm sie mit in Museen und ließ sie seine Diagramme sorgfältig abschreiben. Während der Schulzeit war Varo etwas rebellisch. Sie las Autoren wie Alexandre Dumas, Jules Verne und Edgar Allan Poe sowie mystische Literatur und östliche spirituelle Werke. Als Teenager interessierte sie sich für Träume und schrieb Geschichten mit fantastischen Themen, die sie später in ihrer Kunst verarbeiten sollte.
Ausbildung
1924 schrieb sich Remedios Varo an der renommierten Real Academia de Bellas Artes de San Fernando in Madrid ein, einer Kunstakademie, die für ihre strenge und anspruchsvolle Ausbildung bekannt war. Neben den Pflichtkursen belegte sie im Wahlfach wissenschaftliches Zeichnen. Einer ihrer Lehrer war der realistische Maler Manuel Benedito, von dem sie Techniken der Ölmalerei erlernte. Ein Großteil der von Remedios Varo zwischen 1926 und 1935 geschaffenen Arbeiten, insbesondere ihre akademischen Gemälde, ist verloren gegangen. Es ist nicht bekannt, was mit diesen Kunstwerken geschah.
In den 1920er Jahren wurde die surrealistische Bewegung in der Madrider Kunstszene immer beliebter; in der Stadt lebten avantgardistische Intellektuelle und Künstler wie Federico García Lorca, Luis Buñuel, Rafael Alberti und Salvador Dalí. Varo fühlte sich zum Surrealen hingezogen und fand Inspiration in den Werken von Hieronymus Bosch, Francisco de Goya und El Greco im Museo del Prado.
Werke
Remedios Varo schloss 1930 die Akademie ab. Kurz darauf heiratete sie ihren ehemaligen Klassenkameraden Gerardo Lizárraga in San Sebastián. Lizárraga war ebenfalls ein Surrealist, der sowohl in der bildenden Kunst als auch im Film tätig war. Er war außerdem Anarchist. Das Paar lebte in Barcelona. Dort lernte Rermedios Varo die Maler der Avantgarde kennen und wurde Mitglied der vom Surrealismus beeinflussten Gruppe „Grupo Logicofobista“.
Salvador Dalís Werk gehörte zu den wichtigen Impulsgebern in dieser Phase von Remedios Varos Karriere. Im Gegensatz zu seinem Einsatz von Figuren sind ihre Darstellungen von Träumen, Tagträumen und Symbolen einzig der Fantasie verpflichtet, voller Witz und Geheimnis. Varos surreale Traum-Gestalten heben sich in jedem Gemälde vor dem Hintergrund deutlich ab. Die Natur, die Alchemie, das Übernatürliche und die Frau als Quelle des Feingefühls sind die Hauptthemen der Künstlerin. Remedios Varo nutzte hauptsächlich Ei-Tempera in altmeisterlicher Technik mit feiner Pinselführung auf selbst vorbereiteten Tafeln.
Nach einem Ausbruch von Gewalt in Madrid infolge der Gründung der Zweiten Spanischen Republik zogen Varo und Lizárraga nach Paris. In Paris schrieb sich Varo an der Académie de la Grande Chaumière ein; allerdings brach sie das Studium schnell ab, da sie erkannte, dass sie nicht innerhalb der formalen Bildung bleiben wollte. Mit Gelegenheitsjobs und dem Engagement in der Pariser Kunstszene blieb das Paar ein Jahr in der Stadt, bevor es 1932 wieder nach Barcelona zurückkehrte.
Anfang der 1930er Jahre war Barcelona zum liberalen und avantgardistischen künstlerischen Zentrum Spaniens geworden, mehr als Madrid. Kurz nach ihrer Ankunft begann Remedios Varo eine romantische Beziehung mit dem Künstlerkollegen Esteban Francés, lebte jedoch weiterhin bei Lizárraga; Das war die erste von mehreren offenen Beziehungen, die sie führen würde. Während ihres Aufenthalts in Barcelona arbeiteten Varo und Lizárraga für eine Werbeagentur. Varo wurde Teil eines Kreises weiterer avantgardistischer Künstler, darunter José Luis Florit und Óscar Domínguez, und kam mit Francés in Kontakt mit den französischen Surrealisten. Während sie sich ein Atelier auf der Plaça de Lesseps mit Francés teilte, begann Varo erste Kunstwerke zu schaffen. Die Arbeiten aus der Mitte der 1930er Jahre zeigen ihre Vertrautheit mit spanischen und französischen Bildern des Surrealistismus. Varo spielte oft mit ihren Freunden das beliebte surrealistische Spiel cadavre exquis und schickte diese Werke an den Künstler und Freund Marcel Jean zur Verbreitung in Paris.
Bis zum Sommer 1935 hatten sich die Spannungen und Gewalt, die Varo und Lizárraga dazu gebracht hatten, Madrid zu verlassen, in ganz Spanien ausgebreitet. Der Spanische Bürgerkrieg begann im folgenden Jahr. Varos Bruder Luis trat in die Franco-Armee ein und starb kurz darauf an Typhus. Remedios Varo war schockiert. In dieser Phase stellte Domínguez Varo den französischen surrealistischen Dichter Benjamin Péret vor, der im August 1936 nach Barcelona gekommen war, um sich freiwillig bei der republikanischen Fraktion zu melden. Péret war äußerst politisch aktiv, war Mitglied der trotzkistischen POUM und entschieden antiklerikal. Varo und Péret begannen bald eine romantische Beziehung, und er widmete Remdios Varo seinen Band „Je sublime“ (1936, Liebesdichte).
Paris und der Surrealismus
Als Péret 1937 beschloss, nach Paris zurückzukehren, schloss sich Varo ihm an. Francés folgte bald darauf und konkurrierte mit Péret um Varos Zuneigung. Durch Péret lernte Varo den inneren Kreis der Surrealist:innen kennen, darunter André Breton, Max Ernst, Victor Brauner, Joan Miró, Wolfgang Paalen und Leonora Carrington. Varo fühlte sich bei surrealistischen Treffen von Breton – und Péret – eingeschüchtert, da die beiden eine Atmosphäre förderten, die André Thirion mit einer „Aufnahmeprüfung“ verglich. Remedios Varo betrachtete den Surrealismus als einen
„expressiven Ruheplatz innerhalb der Grenzen des Kubismus und als eine Art, das Unkommunizierbare zu kommunizieren“.
Ende der 1930er Jahre begann Varo sich jünger zu machen und ihr Geburtsjahr als 1913 anzugeben (statt 1908, Reisepass und Grabinschrift). Es ist möglich, dass die Künstlerin besser in das surrealistische Ideal der Femme-Enfant passen wollte: eine unverdorbene, kindliche Frau, die intuitiv mit dem Unterbewusstsein verbunden ist.1 In der Zeit von 1937 bis 1939 experimentierte Remedios Varo mit neuen Techniken und Ideen; sie fand Inspiration in den Werken ihrer Freunde Dalí, Ernst, Paalen, Brauner und René Magritte. Obwohl sie nie formell Mitglied der surrealistischen Gruppe war, nahm Varo dennoch an der London „International Surrealist Exhibition“ von 1936 und den anschließenden „International Surrealist Exhibitions“ in Tokio, Paris, Mexiko-Stadt und New York teil. Ihre Werke wurden auch häufig in surrealistischen Zeitschriften, darunter „Minotaure“, veröffentlicht.
Während ihres Aufenthalts in Paris mit Péret führte Varo das verarmte und bohemienhafte Leben, das typisch für Künstler und Künstlerinnen jener Zeit ist. Beide arbeiteten in zahlreichen Gelegenheitsjobs; Varo und Domínguez griffen in besonders mittellosen Situationen auf die Fälschung von Giorgio de Chirico-Gemälden zurück. Während die Malerin mit Péret zusammenlebte, ging sie eine Liebesbeziehung mit Victor Brauner ein, und ihre Werke dieser Zeit wurden stark von ihm beeinflusst.
„Remedios scheint sich nie auf eine einzige Ausdrucksform zu beschränken. Denn ihre Werkzeuge des Malers und des Schriftstellers sind vereint darin, unsere visuellen und intellektuellen Bräuche zu zerschlagen.“
Dennoch klassifizieren sie die meisten als surrealistische Künstlerin, da ihre Werke viele Merkmale der surrealistischen Praxis zeigen. Ihre Arbeit zeigt ein befreiendes Selbstbild und weckt ein Gefühl von Überweltlichkeit, das so charakteristisch für die surrealistische Bewegung ist. Ein Wissenschaftler stellt fest, dass Varos Praxis des automatischen Schreibens direkt mit der der der Surrealisten korreliert.
Zweiter Weltkrieg: Internierung und Flucht
1939 beanspruchten die Nationalisten den Sieg in Spanien, und Francisco Franco erlaubte jedem, der mit den Republikanern in Verbindung stand, die Einreise ins Land. Varo war deshalb dauerhaft die Rückreise in ihre Heimat verwehrt und von ihrer Familie isoliert. Das hat sie tief getroffen und war ihr Leben lang eine Quelle von Schmerz und Reue.
Im Juli 1939 begann die französische Regierung mit der Evakuierung von Paris, und im September begann offiziell der Zweite Weltkrieg. Remedios Varo und ihr Kreis blieben in der Stadt, die in den ersten acht Monaten des Krieges kaum feindliche Aktionen erlebte – abgesehen von einem Zustrom ausländischer Flüchtlinge aus anderen Teilen Europas. In einem zunehmend feindlichen Umfeld riskierte Remedios Varo als ausländische Staatsangehörige eine Abschiebung. Ihre Verbindung zum Kommunisten Péret brachte sie weiter in Gefahr, da er Anfang 1940 wegen seines politischen Engagements inhaftiert wurde. Auch Varo wurde irgendwann 1940 wegen ihrer Beziehung zu Péret inhaftiert. Sie sprach nie über diese Erfahrung; Die Länge und der Ort ihrer Internierung sowie die Bedingungen, denen sie ausgesetzt war, sind unbekannt. Laut Berichten von Freunden hatte es jedoch eine starke Wirkung auf sie.
Während Remedios Varo einen Dokumentarfilm über französische Internierungslager des ungarischen Fotojournalisten Emerico Weisz sah, erkannte sie zufällig ihren Ehemann Gerardo Lizárraga. Die Künstlerin hatten den Kontakt verloren, als sie Spanien verließ, und Lizárraga für die Republikaner kämpfte. Nachdem die Nationalisten gewonnen hatten, floh er nach Frankreich und wurde inhaftiert. In der Folge bestachen Varo und ihr Netzwerk erfolgreich die Behörden und sicherten damit die Freilassung von Lizárraga.
Am 14. Juni 1940 marschierten die Nazis in Paris ein und brachten Remedios Varo in unmittelbare Gefahr. Sie floh zusammen mit Millionen anderer Pariser:innen in den unbesetzten Süden Frankreichs. Domínguez bestand darauf, dass sie seinen Platz in einem Auto in Richtung Süden bekam, der sie in das Küstendorf Canet-Plage brachte. Anfangs wohnte sie bei Jacques Hérold und mehreren anderen Flüchtlingen, zog aber bald bei Victor Brauner ein. Bis August 1940 hatte sie Canet-Plage wieder verlassen, war nach Marseille gegangen und hatte Péret wiedergefunden.
Obwohl unbesetzt, war Marseille nicht sicher, da die Gestapo in der Stadt präsent war. Varo und Péret fanden Zuflucht bei Varian Frys Organisation Emergency Rescue Committee, die die Flucht von Künstlern und Intellektuellen aus dem Kriegseuropa nach Amerika förderte. Im Laufe der Zeit gelangte ein Großteil von Varos Kreis nach Marseille, wo sie ihre begrenzten Mittel untereinander teilten und sich abends in Cafés trafen.
Die Lage in Marseille verschlechterte sich 1940 und 1941, und das Rettungskomitee erkannte Pérets und Varos unmittelbare Notwendigkeit, den Vichy-Behörden zu entkommen. Da Péret aufgrund seiner kommunistischen Überzeugung die Einreise in die Vereinigten Staaten verweigert wurde, wandten sie sich Mexiko zu, das 1940 Amnestie für spanische Flüchtlinge erklärt hatte. Das Rettungskomitee beantragte die Finanzierung ihrer Reise nach Mexiko und fand Platz für das Paar auf dem Linienschiff Serpa Pinto, das von Casablanca abfuhr. Auf unbekannten Wegen erreichten Varo und Péret in Casablanca und bestiegen das Schiff, das mit anderen Flüchtlingen überfüllt war.
Mexiko
Remedios Varo erreichte Ende 1941 in Mexiko-Stadt, als Teil einer großen Migration spanischer Intellektueller und Künstler:innen. Die mexikanische Regierung unter Lázaro Cárdenas gewährte spanischen Flüchtlingen Asyl, automatische Staatsbürgerschaft und wenigen Beschäftigungseinschränkungen. Die europäischen Emigrant:innen trugen daher wesentlich zur Wirtschaft und Kultur Mexikos bei. Varo und Péret zogen es vor, mit anderen Europäer:innen zu verkehren, darunter die alten Freunde Lizárraga und Francés. Ebenfalls in ihrem Kreis bewegten sich Gunther Gerzso, Kati Horna, Emerico Weisz, Dorothy Hood, Luis Buñuel, César Moro, Wolfgang Paalen und Alice Rahon. Leonora Carrington, die Varo zuvor in Paris kennengelernt hatte, wurde Varos engste Freundin.
Mit der Entdeckung des präkolumbianischen Dorfes Tlatilco (um 1200-800 v.u.Z.) Anfang der 1940er Jahre begann Remedios Varo, präkolumbianische Artefakte zu sammeln, die sie im Laufe der Zeit zu einer große Sammlung entwickelte. Der Einfluss indigener mexikanischer Kultur auf ihre Kunst war jedoch begrenzt, und sie griff während ihres gesamten Werks überwiegend aus europäischen Quellen zurück.
Varo und Péret mieteten gemeinsam eine Wohnung im Viertel Colonia San Rafael, die Varo mit Kunstwerken und Gegenständen dekorierte. Die Künstlerin hielt ihre Werke für magisch. Sie kümmerte sich auch um mehrere Vögel und streunende Katzen. Das Künstlerpaar war jedoch völlig verarmt; Varo und Péret verdienten Geld mit verschiedene Gelegenheitsjobs, unter anderem für Marc Chagall, und schufen Illustrationen für Bayer-Anzeigen. In den frühen 1940er Jahren konzentrierte sich Remedios Varo auf das Schreiben als kreatives Ventil und schuf nur wenige Gemälde.
Im Jahr 1947 wollte Péret nach Frankreich zurückkehren, während Varo in Mexiko bleiben wollte, das sie zu diesem Zeitpunkt als ihre Heimat betrachtete. Péret verließ daraufhin seine Freundin. Danach begann Varo eine Beziehung mit einem französischen Piloten und Mitflüchtling namens Jean Nicolle. Sie zogen zunächst zusammen mit Horna in das Viertel Colonia Roma; später zogen sie in Lizárragas vorherige Wohnung.
Kurz darauf schloss sie sich mit Nicolle einer französischen wissenschaftlichen Expedition nach Venezuela an. Dort besuchte sie ihre Mutter und ihren Bruder Rodrigo, einen Epidemiologen, die in der Zwischenzeit ebenfalls geflohen waren. In Caracas und Maracay untersuchte Varo Mücken mit dem Mikroskop und machte Zeichnungen von ihnen für eine Kampagne des Gesundheitsministeriums gegen Malaria. Da die Künstlerin Schwierigkeiten hatte, Mittel für die Rückreise zu erhalten, kehrte sie erst 1949 nach Mexiko-Stadt zurück.
Die Figuren in Varos Kunstwerken ähneln ihr selbst, mit herzförmigen Gesichtern, langen Nasen und mandelförmigen Augen. Ein Großteil ihrer Arbeit hat eine autobiografische Natur: Ihr Triptychon von 1960/61 spiegelt ihre Zeit als Schülerin an einer restriktiven Klosterschule wider.2 Ihre Gemälde, die oft Reisen und Begegnungen mit fremden Menschen zeigen, spiegeln auch die häufigen Reisen ihrer Kindheit und ihre traumatischen Erfahrungen von Exil und Krieg wider.
1952 heiratete Remedios Varo den österreichischen Flüchtling Walter Gruen und beendete ihre Arbeit als kommerzielle Grafikdesignerin zugunsten ihrer freien Kunst. Die Arbeiten aus den 50er und 60er Jahren gelten als Varos wichtigste und reife Gemälde.
Remedios Varo war sehr mit der Natur verbunden und glaubte, dass es eine starke Verbindung zwischen der Welt von Pflanzen, Mensch, Tier und Mechanik gab. Ihr Glaube an mystische Kräfte zeigt sich in ihrer phantasievollen Ikonografie. Varo war sich der Bedeutung von Biologie, Chemie, Physik und Botanik bewusst und war der Meinung, dass sie sich mit anderen Lebensbereichen vermischen sollten. Ihre Faszination für Wissenschaft, einschließlich Einsteins Relativitätstheorie und darwinistischer Evolution, wurde von Bewunderern ihrer Kunst bemerkt. In Remedios Varos Bild „Himmlischer Brei“3 (1958, Colección FEMSA) zeigt sich ein Aspekt der Empfindsamkeit für Natur und Kosmos. Eine Frau ist direkt an einem kosmischen Drama beteiligt, da sich ihr Atelier im Weltraum befindet, wo sie sich um eine Mondsichel in einem Käfig kümmert. Der Bildtitel legt nahe, dass der Mond mit himmlischem Brei gefüttert wird. Vermutlich wollte die Künstlerin zum Ausdruck bringen, dass Mensch und Universum gemeinsam für die Gesundheit und das Wohlbefinden des Ganzen verantwortlich sind. Dieses Thema behandelt Varo in vielen ihrer Gemälde: Der Mensch und die materielle Welt werden dabei als voneinander abhängig dargestellt. Indem die Frau in diesem Gemälde dem Mond hilft, kümmert sie sich also auch um ihre eigenen Bedürfnisse.4
Während ihrer Lebzeit fanden nur zwei Einzelausstellungen in der Galería Diana und in der Galería Juan Martín statt, darunter ihre erste Einzelausstellung 1955/56. Remedios Varo feierte Kritikererfolg und verkaufte ihre Werke. Da Varo für die Ausführung ihrer Werke viel Zeit benötigte, richtete sie eine Warteliste für Käufer:innen ein. Ihre zweite und letzte Einzelausstellung fand 1962 in der Galería Juan Martín statt; Alle ausgestellten Gemälde wurden verkauft.
Varo malte 1963 ihr letztes Bild mit dem Titel „Naturaleza muerta resucitando [Stillleben im Wandel / Erwachendes Stillleben]“ (Art Institute of Chicago). Darin verwandelt sie die Stille eines traditionellen Stilllebens in eine übernatürliche Szene. In einem gotischen Turm beginnt ein Tisch für acht Personen zu schweben. Darüber kreisen Äpfel, Pfirsiche, Granatäpfel und Erdbeeren wie Planeten in einem Sonnensystem. Das Entstehen neuen Lebens ist ein wiederkehrendes Thema in Varos Werk der 1960er Jahre. Hier scheint nicht nur der sprießende Sämling, sondern auch der Stoff selbst zum Leben erwacht zu sein. Alles fließt in den Strudel, bis auf vier Mücken, die misstrauisch zusehen, wie die Früchte aufeinanderprallen.
Beziehung zu Leonora Carrington und Kati Horna
Remedios Varo hatte Leonora Carrington während der 1930er Jahre in Paris kennengelernt, als die Britin mit Max Ernst zusammenlebte. In Mexiko-Stadt trafen die Künstlerinnen einander wieder; nun verband sie eine lebenslange Freundschaft. Carrington und Varo teilten das Interesse an Okkultismus und Magie und fanden Inspiration in den Volkspraktiken Mexikos.
Obwohl Kati Horna die beiden anderen erst in Mexiko-Stadt traf, war sie bereits mit den Werken von Varo und Carrington vertraut, da sie einige Gemälde von Edward James, einem britischen Dichter und Förderer der surrealistischen Bewegung, geschenkt bekommen hatte. In ihrer neuen Heimat gingen Remedios Varo, Leonora Carrington und Kati Horna eine Freundschaft ein, die ihr Leben und ihre Arbeit enorm beeinflussen sollte. Sie lebten nebeneinander im Stadtteil Colonia Roma in Mexiko-Stadt.
Die drei Künstlerinnen nahmen an den Treffen der Anhänger der russischen Mystiker Peter Ouspensky und George Gurdjieff teil. Sie ließen sich von Gurdjieffs Studie zur Evolution des Bewusstseins und Ouspenskys Idee der Möglichkeit der vierdimensionalen Malerei inspirieren. Obwohl sie stark von den Ideen der russischen Mystiker beeinflusst waren, verspotteten die Frauen oft die Praktiken und das Verhalten der Mitglieder des Kreises. Wegen ihres Interesses an Okkultismus und spirituellen Praktiken wurde das Trio manchmal als „die drei Hexen“ bezeichnet.
Nachdem sie Freundinnen geworden waren, begannen Varo und Carrington, gemeinsam zu schreiben: „El santo cuerpo grasoso“ und (unvollendete) „Lady Milagra“ (nicht veröffentlicht). Mit einer Technik, die der Cadavre Exquis ähnelt, schrieben sie abwechselnd kleine Textabschnitte und setzten diese zusammen. Darüber hinaus griffen sie oft auf dieselben Inspirationsquellen zurück und verwendeten dieselben Themen in ihren Gemälden.
Katholizismus – Animismus – Okkultismus
Obwohl Varo den Katholizismus kritisierte, wurde ihr Werk von der Religion beeinflusst. Sie unterschied sich von anderen Surrealist:innen durch ihre ständige Verwendung von Religion in ihren Werken. Sie wandte sich auch an eine Vielzahl mystischer und hermetischer Traditionen, sowohl westliche als auch nicht-westliche, um Einfluss zu gewinnen. Sie wurde von ihrem Glauben an Magie und Animismus, den Glauben an die beseelte Natur, beeinflusst.
Mit gleichem Interesse wandte sie sich den Ideen von Carl Gustav Jung zu wie den Theorien von George Gurdjieff, P. D. Ouspensky, Helena Blavatsky (Theosophie), Meister Eckhart und den Sufis, und war ebenso fasziniert von der Legende des Heiligen Grals wie von heiliger Geometrie, Hexerei, Alchemie und dem „I Ging“. Varo beschrieb ihre Überzeugungen über ihre eigenen Hexereikräfte in einem Brief an den englischen Autor Gerald Gardner:
„Persönlich glaube ich nicht, dass ich mit besonderen Kräften ausgestattet bin, sondern vielmehr mit der Fähigkeit, Ursache und Wirkung schnell zu erkennen, und das jenseits der üblichen Grenzen der allgemeinen Logik.“
1938 und 1939 schloss sich Varo ihren engsten Gefährt:innen an, um die vierte Dimension zu erforschen. Gemeinsam mit Frances, Roberto Matta und Gordon Onslow Ford stützte sie einen Großteil ihrer Studien auf Ouspenskys Buch „Tertium Organum. A Key To the Enigmas of The World“5 und „Illustrated anthology of sorcery, magic and alchemy“ (1929, mit insgesamt 376 Abbildungen) von Grillot de Givry und „The History of Magic and the Occult“6 (1948) von Kurt Seligmann waren im surrealistischen Kreis Bretons hoch geschätzt. Sie sah in jedem dieser Fälle einen Weg zur Selbsterkenntnis und zur Transformation des Bewusstseins.
Maltechniken
Remedios Varo nutzte viele vorbereitende Zeichnungen in Graphit auf Papier zur Planung ihrer Gemälde. Darüber hinaus gibt es auch viele eigenständige Zeichnungen, die unabhängig von der Malerei entstanden sind. Bevor Varo ein Gemälde anfing, schuf sie mehrere Skizzen und eine finale Zeichnung auf Masonit-Platte oder Leinwand. Ab Mitte der 1950er Jahre verwendete Varo typischerweise die glatte Seite von Hartbrett, die sie mit Gesso beschichtete und dann abschliff, um eine gleichmäßige Oberfläche für das Bild zu schaffen. Anschließend kratzte Remedios Varos unregelmäßige, aber feine Linien über das gesamte Brett, um eine Textur zu erzeugen. Vielleicht hat sie dafür die Quarzkristalle verwendet, die sie auf ihrer Staffelei aufbewahrte. Anschließend übertrug sie die Skizze auf ihre vorbereitete Malfläche.
Beim Malen führte Varo häufig den gesamten Hintergrund aus, bevor sie die Figuren oder andere markanten Elemente ergänzte. Sie arbeitete in vielen Farbschichten und nutzte verschiedene im Surrealismus beliebte Texturierungstechniken wie Punktierung, Schraffuren, Tupfen, Decalcomanie und Soufflage, um atmosphärische Effekte zu erzeugen. Remedios Varo vollendete ein Gemälde, indem sie Details mit feinen Pinseln und Sgraffito-Technik ergänzte, wobei sie die Farbe zart bis zur Gesso-Schicht abkratzte.
Weitere Techniken von Remedios Varos sind Grattage, Abschubben, Spritzen, Schwämmen, Trocknen von gesammelter Farbe und das Einlegen von Perlmutt. Sie signierte ihre Gemälde oft in Sgraffito-Technik und lackierte ihre Gemälde mit einem hellen Dammarharz-Lack, den sie wahrscheinlich selbst angefertigt hat.
Schriften
Remedios Varo schrieb zahlreiche surrealistische Geschichten, Briefe, Traumerzählungen und andere Texte, hauptsächlich in Kompositionsnotizbüchern. Viele ihrer Schriften enthalten ähnliche Motive wie ihre Gemälde. Die meisten ihrer Schriften waren unbetitelt und undatiert und stammen aus Notizbücher, die wahrscheinlich in der Mitte der 1950er bis Anfang der 1960er Jahre gefüllt wurden.7 Varos Ehemann Walter Gruen bewahrte ein Archiv ihrer Schriften auf, das bis nach ihrem Tod 1963 größtenteils unveröffentlicht und privat blieb.
Im Jahr 1965 wurde ihr pseudo-anthropologisches Werk „On Homo rodans“ (1959), ein Begleittext zu ihrer Skulptur „Homo rodans“, als Faksimile gedruckt und 1970 neu aufgelegt. Varos Schriften erregten wenig Beachtung in der Wissenschaft, bis 1997 eine Sammlung ihrer Werke veröffentlicht wurde. In der Folge wurde ihr schriftliches Werk hauptsächlich im Vergleich mit ihren Gemälden analysiert. Wie ihre Gemälde war auch ihr Schreiben von der Psychoanalyse beeinflusst. Sie schrieb mehrere Briefe an fiktive Psychiater und Psychoanalytiker, die sowohl reale biografische Details als auch Fantasien einbezogen. Gruen spendete 2018 ihr persönliches Archiv mit Unterlagen sowie weiteren Besitztümern dem Museo de Arte Moderno.
Analyse von Varos Kunstwerken
Die Forschung zu Varos Werk konzentriert sich hauptsächlich auf ihre Erfahrungen von Exil und Reisen, ihre esoterischen und philosophischen Einflüsse oder ihre Rolle als Frau in der surrealistischen Bewegung. Die mexikanische Philosophin Juliana González, eine Freundin von Varo, schreibt, dass ein Element des „romantischen Optimismus“ in ihrer Kunst Varo von der breiteren surrealistischen Bewegung unterscheidet.
Später in ihrer Karriere entwickelten sich ihre Figuren zu ihren emblematischen androgynen Figuren mit herzförmigen Gesichtern, großen mandelförmigen Augen und den Quilin-Nasen, die ihre eigenen Merkmale repräsentieren. Varo stellte sich oft durch diese Schlüsselmerkmale in ihren Gemälden dar, unabhängig vom Geschlecht der Figur.
„Varo neigt dazu, persönliche Konflikte nicht auf der Leinwand auszuspielen, sondern stellt sich in verschiedenen Rollen in surrealen Traumlandschaften dar.“
„Varo selbst ist die Alchemistin oder Entdeckerin. Indem sie diese Figuren erschafft, definiert sie ihre Identität.“
Viele von Varos Werken zeigen Tiere, hauptsächlich Katzen und Vögel. Varo stellte auch häufig hybride Kreaturen dar, die Katzen, Eulen oder Frauen kombinierten. Katzen spielen vielfältige Rollen in Varos Kunst; manchmal sind sie Beobachter, Überbringer von Symbolik oder „Familiars“. Eine kleine Minderheit ihrer Gemälde zeigt Katzen als zentrales Motiv; Im Allgemeinen nehmen Katzen eine kollaborative Rolle in der Szene ein. In Varos Werk stehen Vögel meist für Vorstellungskraft und spirituelle Erleuchtung; in einigen Gemälden wie „Schöpfung der Vögel“ (1958) und „Die Begegnung“ (1962) repräsentieren Eulen-Mensch-Hybriden Weisheit.
Varos Arbeit konzentriert sich außerdem auf die Psychoanalyse und deren Rolle in Gesellschaft und weiblicher Handlungsfähigkeit. In der Rede zu „Woman leaving the Psychoanalyst“ (1961) erklärt einer von Varos Biografen:
„Varo widerlegt nicht nur die Idee eines korrekten Prozesses der mentalen Heilung, sondern verharmlost auch die Natur dieses Prozesses, indem sie das Unmögliche darstellt: eine physische und wörtliche Entlassung des Vaters, des Ordens und in lacanschen Begriffen den offiziellen Eintritt in die Kultur: verbale Sprache.“
Feministische Analyse
Die surrealistische Bewegung war, wie die breitere intellektuelle Kultur jener Zeit, von Männern dominiert, die oft frauenfeindliche Ansichten hatten und Frauen an den Rand drängten. Varo betrachtete ihr eigenes Werk nicht als feministisch, obwohl ihre Gemälde durch eine feministische Linse interpretiert wurden. Laut der Kunsthistorikerin Deborah Haynes unterwanderte Varo mit ihren mehrdeutig geschlechtsspezifischen Gemälden die typisch patriarchalischen Einstellungen der Surrealisten.
Tod
Remedios Varo starb am 8. Oktober 1963 in Mexiko-Stadt an einem Herzinfarkt.
André Breton, der sich selbst als „Vater“ oder Hohepriester des Surrealismus sah, schloss Frauen grundsätzlich vom Surrealismus aus, doch nach ihrem Tod verband er die Malerin „für immer mit den Reihen des internationalen Surrealismus“.
Ausstellungen und Erbe
Die mexikanische Regierung erklärte 2001 Remedio Varos Bilder von offiziell zum „nationalen Kulturgut“. Gruen stiftete 39 ihrer Werke dem "Museo de Arte Moderno" in Mexiko-Stadt als Dank dafür, dass die beiden in Mexiko eine zweite Heimat hatten finden können. Die Gemälde sind als Dauerausstellung im Saal „Xavier Villaurrutia“ des Museums zu besichtigen. Ihre Nichte, Beatriz Varo Jiménez, erhob Anspruch auf sie, doch 2006 wurden sie endgültig der mexikanischen Regierung zugesprochen.
- 1964: Retrospektive im Nationalmuseum für moderne Kunst im Palacio de Bellas Artes
- 1971: Retrospektive im Museo de Arte Moderno in Mexiko-Stadt, die damals die höchste Besucherzahl in der Geschichte des Museums anzog.
- 1983:
- 1994:
- 2000: Mehr als fünfzig ihrer Werke wurden in einer Retrospektive im National Museum of Women in the Arts in Washington, DC, gezeigt.
- 2023: Das Art Institute of Chicago veranstaltete eine Ausstellung von Remedio Varos Werken – die erste ihrer Werke seit 20 Jahren in den USA, wobei die Hälfte der Werke erstmals in den USA gezeigt wurde.
