Unter dem Titel „Fürstenglanz. Die Macht der Pracht“ zeigt das Belvedere im Winterpalais des bedeutenden Sammlers und Mäzens Prinz Eugen von Savoyen die Entwicklung des so genannten Galeriewerks (→ Winterpalais des Prinzen Eugen von Savoyen). Darunter versteht man die Publikation einer Gemäldesammlung. Beginnend mit dem „Theatrum Pictorium“ (1660 Brüssel) bis zu den begehrten Faksimile-Drucken des Ehepaars Prestel führt Kurator Tobias G. Natter die wichtigsten Galeriewerke samt Porträts der fürstlichen Sammler zusammen und stellt die Reproduktionen wichtigen Originalen gegenüber.
Österreich | Wien:
Belvedere, Winterpalais
18.3. – 26.6.2016
Mit diesen Prachtbüchern wollten die Fürsten Europas Macht, Reichtum, Bedeutung der Kunstsammlung und nicht zuletzt Kunstgeschmack beweisen. Die zwischen der Mitte des 17. Jahrhunderts bis 1800 publizierten Bücher und Druckgrafiken beinhalten nicht nur die wichtigsten Gemälde aus barocken Galerien und Sammlungen, sondern auch die Geschichte der Kunstrezeption, die Entwicklung einer Öffentlichkeit (eines Publikums), schlussendlich die beginnende Wertschätzung der Zeichnung. Im Winterpalais werden daher nicht nur die wichtigsten Galeriewerke von 1650 bis 1800 ausgestellt, sondern mit ihnen auch die Erfindung des Kunstbuches vor dem Ausstellungskatalog als „opulenter Augenschmaus“ (Tobias G. Natter).
Galeriewerke verraten grundsätzliche Aspekte im Umgang mit Kunst in Europa seit Mitte des 17. Jahrhunderts. Die Bücher erlauben das virtuelle Reisen der Werke. „Fürstenglanz. Die Macht der Pracht“ spricht generelle Fragenstellungen an, die bis heute nichts an Aktualität eingebüßt haben:
Galeriewerke sind Prunkbände mit großformatigen Reproduktionen, Vorsatzpapieren, Ledereinbänden mit Goldprägungen. Das Medium Buch ist ein Transportmittel, um das Kunstwerk als Meisterwerk zu präsentieren. Gleichzeitig sind diese Bücher Zusammenfassungen von (oder auch Kommentare auf) fürstlichen Sammlungen. Sie dokumentieren deren Bestände als grafische Sammlung und zeigen den Stand der Reproduktionsgrafik. Die zunehmende Menge an Texten zu Künstlern und ihren Werken ist ein Weg zur Erfindung der Kunstgeschichte als Wissenschaft. Galeriewerke bringen Text und Bild zusammen, was diese Prachtbände zu Vorläufern des Ausstellungskatalogs macht.
Die Kreise der Galeriewerke waren ursprünglich eng gesetzt. Erfunden wurden sie als Diplomatengeschenke, deren Abnehmerkreis sich – auch aufgrund der horrenden Produktionskosten – zunehmend verbreitet hat. Auch wenn der Herrscher eine Fixabnahme garantierte, die er als wertvolle Geschenke für Familie, Verwandtschaft, Diplomaten einsetzte, war mit ihrer Produktion unternehmerisches Risiko verbunden.
Ende des 18. Jahrhunderts hatten sich Aufklärung und Bildungsbürgertum durchgesetzt. Gleichzeitig verdrängten Handbücher (Vademecum = Begleitbüchlein) für den Liebhaber und Gelehrten das Galeriewerk. Das Vademecum wurde in großer Auflage aber ohne Bilder herausgegeben. Zu den wichtigsten zählt zweifellos Christian von Mechels (1737−1817) 1783 verfasstes „Verzeichniß der Gemälde der Kaiserlich Königlichen Bilder Gallerie in Wien“. Mechel bezeichnete als Ziel der Abhandlung, anhand der entwicklungsgeschichtlichen Aufstellung im „Kunsttempel“ eine „sichtbare Geschichte der Kunst“ für „aufmerksame Liebhaber“ anzubieten.1 Wie in einer Art Inhaltsverzeichnis widmet sich der Autor der Aufzählung der Säle und ihrer wichtigsten Exponate, bevor er jeden einzelnen Saal genau beschreibt. Die Kurztexte geben Aufschluss über die ausführenden Künstler, die Themen der Werke, Material und Maße der Gemälde sowie Größe der Figuren. Unter der Regentschaft von Maria Theresia (1717−1780) und Joseph II. (1741−1790, reg. 1765−1790) war die Wiener Galerie von einem fürstlichen Repräsentationsraum zu einer Bildungseinrichtung und 1775/76 auf Befehl von Maria Theresia ins Obere Belvedere transferiert worden.2
Mit zunehmender Wertschätzung der Zeichnung als direktes Zeugnis einer Künstlerhand und Dokument des Werkprozesses wurde diese nicht nur zum Sammlungsgegenstand, sondern auch zur Vorlage für Reproduktionsstiche. Gleichzeitig entwickelte sich das Wissen über Kunst von Kennerschaft zur Wissenschaft, deren primäre Methode der Bildvergleich – von Abbildungen – wurde. Dazu wurden ab der Mitte des 18. Jahrhunderts auch vermehrt Zeichnungen herangezogen: Zeichnungen und Gemälde wurden nun in Farbe reproduziert. Die Drucke von Johann Gottlieb und Catharina Prestel aus den Jahren 1770 bis 1780 sind bereits extrem aufwändige Faksimile-Drucke, die auch private Sammlungen und altdeutsche Zeichenkunst reproduzieren.
„Sie [die Zeichnungen, Anm. Autorin] enthalten die ersten Gedanken eines Malers, den ersten Entwurf seiner feurigen Einbildungskraft, seinen Stil, seinen Geist und seine Art zu denken.“ 3 (Antoine-Joseph Dézallier d’Argenville, 1767.)
Johann Wolfgang von Goethe, der Dézallier d’Argenvilles Abhandlung auf Deutsch gelesen hatte, besaß nicht nur das „Theatrum Pictorium“ von Teniers, sondern auch Kunstbände von Stefano Mulinari und einzelne, weil kostbare Blätter des Ehepaars Prestel.4 Um 1730 hatte Comte de Caylus im „Recueil d’Estampes“ durch die Kombination von Radierung und Farbholzschnitt einen neuen Standard in der Wiedergabe von Arbeiten auf Papier erreicht. In der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts erfanden Johann Gottlieb und Maria Catharina Prestel das Faksimile.
Erzherzog Leopold Wilhelm von Österreich (1614–1662) war Statthalter der habsburgischen Niederlande sowie ein leidenschaftlicher Kunstsammler5. Gemeinsam mit seinem Hofmaler David Teniers d. J. (1610–1690) wurde er zum Begründer des Galeriewerks.6 Um die Fülle und den Reichtum der habsburgischen Sammlung zu visualisieren, um Herrscherlob zu betreiben und Leopold Wilhelm als „Kunst-Helden“7 zu inszenieren,8 entwickelte Teniers zwei neue Veröffentlichungsformen: Galeriebild und Galeriewerk. Der Hofmaler malte insgesamt elf Galeriebilder als fiktive Einblicke in die außergewöhnlich reich bestückte Galerie des Statthalters, die einige Gemälde am Boden stehend und perspektivisch verkürzt zeigen.9 Dabei handelt es sich um keine einfachen Reproduktionen bzw. Dokumentationen von herrschenden Verhältnissen, sondern hochkomplexe Zusammenstellungen mit vielfältigem Bedeutungshorizonten. Jedes Galeriegemälde wurde an einen Hof in Europa verschickt.
Teniers malte nicht nur Galeriegemälde, sondern verbreitete die Sammlung Erzherzog Leopold Wilhelms erstmals in Buchform. Das 1660 in Brüssel herausgegebene „Theatrum Pictorium“ gilt als der „erste gedruckte und bebilderte Katalog einer Gemäldesammlung in Europa“10. Erzherzog Leopold Wilhelm verschenkte Dedikationsexemplare in Latein, Französisch, Niederländisch und Spanisch mit Wappenexlibris an Adelshäuser. Anstelle der Beschreibung der Objekte, wie es in Inventaren üblich war, traten repräsentative Abbildungen11. Das Bildnis von David Teniers, gemalt von Peter Thys I und gestochen von Lucas Vorsterman II, zeigt den Hofmaler mit jener goldenen Kette, die dieser vom Erzherzog als Anerkennung seiner Leistungen erhalten hatte.12
Der Arbeitsbeginn am „Theatrum Pictorium“ kann auf 1654/55 datiert werden, denn bereits 1656 wurde die Sammlung nach Wien überstellt. Als Vorlagen für die Drucke kopierte David Teniers d. J. 120 Gemälde13 in kleinem Format in Öl. In der Ausstellung kann man Palma il Giovanes „Salome mit dem Haupt Johannes des Täufers“ (um 1599, KHM) mit der Kopie von Teniers (um 1650/56, KHM) vergleichen. Diese Werke ermöglichten den 14 Radierern in Brüssel an den Reproduktionen für das Galeriewerk weiterzuarbeiten, obwohl die Originale 1657 nach Wien versandt worden waren.14
Das „Theatrum Pictorium“ beinhaltet erstmals ausschließlich Reproduktionen nach italienischen Gemälden15, die grob nach Regionen und Chronologie geordnet wurden.16 Teniers bevorzugte mit seiner Auswahl die Meister des 16. Jahrhunderts - vor allem Raffael, Bellini, Michelangelo Buonarroti, Leonardo da Vinci. Die Radierungen zeigen, wie es für Reproduktionsstiche üblich ist, die Werke fast alle spiegelverkehrt und sind mit dem Namen des Malers (links) als auch Stechers (rechts) ausgewiesen. Die Maßangaben dazwischen ermöglichen, die auf den Buchseiten verkleinerten und in ihren Größen vereinheitlichten Werke in ein reales Verhältnis zu übersetzen. Sechs besonders geschätzte Werke - wie „Diana und Callisto“ von Tizian - wurden auf Doppelseiten abgebildet. Mit Ausnahme des Vorworts von Teniers und eines unbezeichneten Briefes enthält das „Theatrum pictorium“ keine Deutung der Kunstwerke oder auch Künstlerbiografien. Der Prachtband überzeugt durch die großformatigen Reproduktionen und die großen Namen der italienischen Kunstgeschichte.
König Ludwig XIV. (1638–1715, reg. ab 1643) setzte 1677 neue Maßstäbe in Sache höfischer Repräsentation, indem er seine Residenz auf das ehemalige Jagdschloss Versailles verlegte und ein Galeriewerk der königlichen Gemäldesammlung publizieren ließ. In Erweiterung zu Teniers Initialwerk wuchs das Propagandaprojekt von einem einbändigen Galeriewerk auf insgesamt 23 Teilbände an (von Skulpturen bis zu Tapisserien, königliche Schlösser und Gärten), die bis in die 1720er Jahre erhältlich waren. Der im Winterpalais als Büste präsentierte Finanzminister Jean-Baptiste Colbert (1619–1683) initiierte die Publikation, die anfangs als Auszeichnung an Höflinge, hohe Verwaltungsbeamte, Diplomaten, Hofkünstler und Meinungsmacher („homme de lettres“) verschenkt wurde. Analog zu den höfischen Porträts – wie etwa jener Typus von Hyazinthe Rigaud „Ludwig XIV. im Krönungsgewand“ (um 1701–1712) – sollten die Prachtbücher den Glanz des französischen Sonnenkönigs international verbreiten helfen. Gleichzeitig entsprachen sie Colberts Vorstellung von der systematischen Erfassung, Kontrolle und enzyklopädischen Veröffentlichung der Werke und wissenschaftlichen Leistungen durch den Staat. Erste Kupferstichplatten entstanden bereits kurz nach 1648, seit Anfang 1667 wurden Kunstwerke konsequent erschlossen.
Waren die Sammelbände des französischen Kultur- und Geisteslebens anfangs als diskrete Freundschaftsgaben kostenlos abgegeben worden, so änderte Colbert aufgrund der hohen Produktionskosten ab 1678 den Plan. Der Hof entnahm einzig seine 500 bis 600 königlichen Freiexemplare. Nun wurden die Punkstücke zum niedrigen Preis von elf bzw. neun Livres an Kunstliebhaber und Sammler von Druckgrafik veräußert. Da sich die Gemäldereproduktionen vergleichsweise größerer Beliebtheit erfreuten, wurden diese Drucke auch einzeln aufgelegt.
Der Louvre konnte sich für die Ausstellungsdauer u. a. von Guido Renis „Der hl. Franziskus meditierend“ (um 1630/31) trennen, der von Gilles Rousselet für die „Tableaux du Cabinet du Roi“ (1677/79) gestochen worden ist. Im Gegensatz zu Teniers „Theatrum“ sind die Stiche des französischen Galeriewerks seitenrichtig ausgeführt. Der meditierende Heilige mit dem himmelnden Blick kniet vor einer düsteren Landschaft, die im Stich deutlicher als unwegsame Schlucht auszumachen ist. Der Kupferstecher übersetzte Licht- und Schattenwirkungen in eine wabenartige Überlagerung von Linien und Kreuzschraffur, was die charakteristische Wirkung und die Klarheit von Kupferstichen ausmacht. Die hohe Qualität der französischen Kupferstiche ist an diesem Beispiel zweifellos erkennbar.
Der Kammermaler und Hofkupferstecher Anton Joseph von Prenner (1698–1761) veröffentlichte zwischen 1728 und 1733 vier Bände des „Theatrum artis pictoriae quo tabulae dipictae quae in Caesarea Vindobonensi Pinacotheca servantur“, in dem insgesamt 156 Gemäldereproduktionen und vier Ansichten der Galerieräume versammelt sind. Anlass für das Galeriewerk waren wohl die Neuordnung der Sammlung im ersten Stock der Stallburg sowie die Neueinrichtung durch Claude Le Fort du Plessy (1691–1757). Seit 1716 war Graf Ludwig Joseph Gundacker von Althan (1665–1747) als kaiserlicher Generalbaudirektor auch für die Neuaufstellung der kaiserlichen Kunstsammlungen verantwortlich. Der Maler, kaiserliche Rat und Direktor der Antikenschatzkammer Claude Le Fort du Plessy (1691–1757) ließ die Galerieräume zwischen 1718 und 1727 vertäfeln17 und Bilder beschneiden, um symmetrische, farbig und thematisch harmonische Hängungen rund um ein zentrales Historiengemälde zu arrangieren.18 Am 15. April 1728 wurde die kaiserliche Galerie eröffnet und konnte von Reisenden und Standespersonen gegen ein Entgeld von zwölf Gulden besichtigt werden.19
Die Veröffentlichung der kaiserlichen Sammlung war unter den Erben von Erzherzog Leopold Wilhelm ins Stocken geraten.20 Zwischen 1720 und 1733 erschienen drei Bände des Storffer’schen Inventars. Das Einzelstück ist in Leder gebunden, mit Goldbeschlägen geschmückt und mit feinen Gouachen auf Pergament ausgestattet. Die Blätter zeigen die Wandabfolge der kaiserlichen Galerie in der Stallburg mit 818 Gemälden, Raritäten und Skulpturen.21 Höhepunkt von Präsentation und Inventar ist der Raum Kaiser Karls VI., wo Francesco Solimenas Gemälde „Gundacker Graf Althan überreicht Kaiser Karl VI. das Inventar der kaiserlichen Gemäldegalerie“ (1728) hing.22 In der Ausstellung ist ein Bozzetto des großformatigen Porträts zu sehen.
Anton Joseph von Prenner plante wohl in ausgewählten Werken den Bestand der kaiserlichen Sammlung in 30 Bänden mit je 40 ganzseitigen Radierungen zu dokumentieren. Insgesamt wurden vom „Theatrum artis pictoriae“ jedoch nur vier Bände realisiert (1728, 1729, 1731, 1733). Nach der Würdigung von Kaiser Karl VI. durch Graf Althan folgen vier Ansichten der Galerieräume, die den Eintritt in die Galerie symbolisch und bildlich nachvollziehen. Der Grundriss wird mit dem geöffneten, schmiedeeisernen Tor zur Galerie kombiniert, das die Porträts der Herausgeber Franz von Stampart und Anton von Prenner flankieren. Auf dem zweiten Blatt folgt Fama, die ein von Sonnenstrahlen umgebenes Medaillonporträt von Kaiser Karl VI. präsentiert, und zur Widmung hinunterblickt. Der erste Einblick auf eine Galeriewand zeigt ein einzelnes Gemälde mit einem uralten Ehepaar aus dem Banat. Dem Kuriosum folgt die Eingangstür in die Galerie, rund um die Porträts und figürliche Szenen in streng spiegelsymmetrischer Manier versammelt sind. Die Bilder haben reich geschnitzte Rahmen und sind so dicht gehängt, dass sie aneinanderstoßen. Hier wird bereits deutlich, dass nicht nur Kunstwerke reproduziert wurden, sondern auch die neue Innenausstattung mit abgetreppten, reich verzierten Pilastern sowie Bandlwerk beeindrucken soll. Ein Blick aus dem Fenster zeigt den Kirchturm von St. Michael, wodurch die Galerie im Hofburgbezirk verortet wird.
Insgesamt 156 Radierungen in vier Bänden geben die Gemälde der Galeriezimmer seitenverkehrt wieder. Die Drucke wirken wenig detailiert und summarisch, manchmal sind sogar wichtige Partien des Gemäldes „entstellt“.23 Nach welchen Kriterien die Auswahl der Gemälde getroffen wurde, liegt im Dunkeln. Im Gegensatz zu Crozats und Mariettes „Recueil d’Estampes“ sind nicht nur 74 Maler sämtlicher Schulen vertreten, sondern auch erstmals die altdeutsche Malerei (Lucas Cranach, Hans Holbein, Christoph Amberger). So wie an den Galeriewänden vornehmlich kompositionelle Analogien als Ordnungskriterien dienten, so weist auch das „Theatrum artis pictoriae“ keinen kunstwissenschaftlichen Zugang auf. Weder waren eine Einteilung nach nationalen Schulen noch nach Entwicklungslinien angestrebt. Die epochale Leistung von Prenner und Stampart ist daher, die altdeutsche Schule erstmals zu würdigen.
Der so genannte „Prodromus“ von 1735 gab, wie sein Titel ankündigt, einen Vorgeschmack auf die noch fehlenden Bände24 des „Theatrum artis pictroiae“, er blieb jedoch ohne Nachfolge. Der „Prodromus“ ist das erste umfassende Bildkompendium der kaiserlichen Gemäldegalerie, quasi ein Kurzführer ohne Text.25 Dass Prenner und Stampart dabei auf die volle Unterstützung des Hofes zählen konnten, belegt die Mitarbeit einiger Adeliger: Neben Prenner radierten Graf Leopold Windischgrätz (Blatt 9), die Grafen Anton und Johann Nepomuk Csáky (Blätter 11 und 13), Maria Barbara Lemperg (Blatt 12).26
Da die Herausgeber eine Zusammenfassung der schon erschienenen wie einen Ausblick auf die erst in Planung befindlichen Bände anstrebten,27 beginnt der Prodromus mit der Wiederholung der bereits bekannten Tafeln mit Grundriss und Galerieansichten. Ein Novum findet sich auf Tafel 7, die insgesamt sechs Einblicke in Galerieräume versammelt. Erneut ist es die Inneneinrichtung von Claude Le Fort du Plessy (1691–1757), die in Zusammenspiel mit der reichen kaiserlichen Sammlung besticht. Dem vorangestellten Motto entsprechend, steht der kunstsinnige Mäzen am Beginn des Sammlungskatalogs und in der Galerie mit Solimenas Gemälde am Ende der Präsentation. Ähnlich der barocken Hängung in der Stallburg stellen Prenner und Stampart die Gemälde auf 28 mosaikartigen Bilderwänden zusammen. Dabei finden je 40 radierte Miniaturen auf einer Tafel Platz. So wurde der Inhalt der noch fehlenden Bände auf je einem Blatt komprimiert. Die Radierungen der 24 Tafeln geben kursorisch 960 Gemälde von 230 Malern wieder. Weitere vier Seiten zeigen 228 Plastiken, Reliefs, Gemmen und Medaillen sowie ein Gedicht von Johann Christoph Gottsched („Belobtes Alterthum…“), in dem dieser das Aufblühen der Kunst durch die Nachahmung der „Alten“ besingt. Zu den wichtigen Neuerungen des Kompendiums zählt die seitenrichtige Wiedergabe der Gemälde ab Tafel 8. Das Subskriptionsstichwerk konnte jedermann für den Preis von 15 Gulden einen übernationalen Wirkungskreis entfaltete.28
James Stanley, 10th Earl of Derby (1664–1735/36), gehört zu den wenig bekannten englischen Sammlern von Gemälden, Büchern und Drucken des 18. Jahrhunderts. Ein Standesporträt von Godfrey Kneller zeigt den ambitionierten Earl in lebensgroßer Halbfigur und Rüstung.29 Mit der Publikation seiner Galerie 1729/30 beschritt James Stanley einen Weg, der in Kontinentaleuropa gängig war, in England jedoch kaum genutzt wurde. Obwohl englische Sammler herausragende Kollektionen zusammentrugen, waren sie an der Herausgabe von Galeriewerken kaum interessiert.30 Im Jahr 1729 veröffentlichte Hamlet Winstanley (1698–1756) zwanzig Drucke nach Gemälden von Alten Meistern aus Knowsley Hall, der Sommerresidenz des Earl of Derby. Der Maler und Kunstagent war der wichtigste Berater von James Stanley bei Kunstankäufen und vermittelte Gemälde von bzw. Kopien nach Tizian, Annibale Carracci und Carlo Maratta. Weiters kaufte er antike Skulpturen oder ein Album mit Zeichnungen von Raffael und Michelangelo. Die bedeutendste Erwerbung Winstanleys aus heutiger Perspektive war Rembrandts „Belisars Fest“ (1635, heute: The National Gallery, London → Der späte Rembrandt). Wenn es auch nicht in die „Gallery of the Pictures of the Earl of Derby“ aufgenommen wurde, so erinnerte doch Thomas Wright in seinem Inventar von 1729, dass es 125 Pfund kostete. Allerdings vermerkte er auch, dass Landschaften von Nicolas Poussin den dreifachen Preis erzielten.
Hamlet Winstanley versammelte in der „Gallery of the Pictures of the Earl of Derby“ die berühmtesten Künstler der italienischen und flämisch-holländischen Barockmalerei, wobei er sich auf Historiengemälde konzentrierte. Die Beschriftungen weisen links Künstler und Größen der Werke aus, rechts ist Hamlet Winstanley als Stecher angeführt, und in der Mitte stehen Bildtitel sowie die Besitzanzeige des Earl of Derby. Von diesen Werken sind noch zwei in Familienbesitz. Als die „Allegorie von Kunst und Wissenschaften“ um 1728 gestochen wurde, schrieb sie Winstanley den so wichtigen Antwerpener Malern Anthonis van Dyck und Frans Synders zu. Heute wird sie als Werk von Thomas Willeboirts Bosschaert, Paul de Vos und Jan Wildens angesehen.
Der „Alte Bettler“ (1640) des spanischen Malers Jusepe de Ribera (1591[?]–1652) wurde von Winstanley in Rom für 15 Pfund gekauft, galt als Selbstporträt des Künstlers und hing in Lord Derbys Ankleidezimmer. Mit dieser Erwerbung setzte sich Sir James Stanley – genauso wie Premierminister Sir Robert Walpole (1676–1745) – über den gängigen Geschmack in England hinweg, hatte doch John Dryden mit seiner Übersetzung von Charles Alphonse du Fresnoys „The Art of Painting“ (1695) ein höchst widersprüchliches Bild des neapolitanischen Barockkünstlers gezeichnet: „Lo Spagnoletto“ sei zwar, so Dryden nach du Fresnoy, ein perfekter Zeichner, für seine Farbgebung berühmt und „wunderbar ernsthaft in der Nachfolge der Natur; aber genauso bösartig [ill-natur’d] in der Wahl seiner Sujets wie in seinem Verhalten [behaviour] gegenüber dem armen Domenichino, indem er generell etwas sehr Entsetzliches und Schreckliches in seinen Stücken hat [generally something very terrible and frightful in his pieces]“ .
„Nichts ist ausgelassen worden, nichts verändert worden. Die Zeichnungen, ob mit Feder oder Kreide, sind im Geiste der Originale radiert worden.“31 (Pierre Crozat)
Derart hymnisch pries Pierre Crozat (1665–1740) sein Projekt „Recueil d’Estampes“. Damit gelang dem Bankier, Musikliebhaber und Sammler gemeinsam mit dem Kunsthändler und -experten Pierre-Jean Mariette (1694–1774) die Erfindung des Kunstbuchs32 im heutigen Sinne, nämlich die Verbindung von kunstwissenschaftlichem Text mit Reproduktionen von Kunstwerken aus verschiedenen Sammlungen. Die „schönsten Gemälde Frankreichs“ fand Crozat in den Sammlungen von Ludwig XV. und Philipp II., dem Duc d’Orléans (1674–1723), sowie in seiner eigenen. Der Anspruch, ein umfassendes Überblickswerk über alle Schulen und bedeutenden Gemälde in Frankreich zu liefern, musste am Umfang scheitern, dennoch war die Vorbildwirkung des „Recueil d’Estampes“ enorm. Galeriewerke wie jenes des König August III. von Polen „Recueil de la Galerie Royale de Dresde“ (1753–1757) wären ohne die französische Vorarbeit kaum denkbar.
Pierre Crozat förderte Künstler, darunter Antoine Watteau und Rosalba Carriera, veranstaltete regelmäßig Konzerte in seinem Pariser Hôtel und stand mit internationalen Sammlern in Briefkontakt.33 Seine ab den frühen 1680er-Jahren aufgebaute Kunstsammlung galt als drittwichtigste in Frankreich und umfasste rund 19.000 Zeichnungen und 500 Gemälde.34 Wie seine Vorgänger sah auch Crozat in der italienischen Malerei und innerhalb dieser in Raffael mit der römischen Schule den Höhepunkt künstlerischer Entwicklung. Im Konzept für den „Recueil d’Estampes“ ordnete er erstmals zweieinhalb Jahrhunderte italienischer Malerei chronologisch unter Berücksichtigung von Lehrer- und Schülerverhältnissen und ergänzte die Geschichte der Malerei durch Zeichnungen. Die Überzeugung, dass Zeichnungen wichtige Quellen für das Kunststudium seien, verdankte Crozat deren Neubewertung durch Roger de Piles’ (1637–1709) Abregé de la vie des peintres.35
Im Jahr 1721 erweiterte Philipp II. seine Sammlung um 123 Gemälde aus dem Besitz von Christina von Schweden. Vermutlich gab dieser Ankauf den Anstoß für das publizistische Großprojekt.36 1724 waren bereits 76 Stiche fertiggestellt, obwohl nach dem Ableben Philipps im Jahr 1723 Crozat selbst das Projekt mit 80 000 Livres vorfinanzieren musste.37 Mithilfe einer Subskription wollte Pierre Crozat die Herausgabe der Bände bezahlen. Zudem schrieb er an europäische Sammler und Kenner wie den Herzog von Devonshire, um sie für die Publikationen schon vorab zu begeistern. Falls wichtige Werke einzelner Künstler in Frankreich fehlten, wollte Crozat sie durch Reproduktionen aus internationalen Sammlungen ergänzen. Mit dieser Idee erhielt ein Galeriewerk erstmals eine kunsthistorische Ausrichtung.
Die Subskriptionsanzeige von 1728 kündigte bereits 120 Stiche nach 98 Gemälden und 22 Zeichnungen der römischen Schule einschließlich einer Beschreibung an. Der Preis belief sich auf 160 Livres, wovon die Hälfe sofort zu bezahlen war. Mariette kündigte für September die Lieferung der ersten sechzig Drucke an, die restlichen sollten im März 1729 folgen. Von der Qualität der Drucke konnten sich Interessenten im Hôtel Crozat überzeugen, wo auch die Stecher arbeiteten. Die Drucke wurden in der Imprimerie Royale ausgeführt und in einer Auflage von achthundert Stück herausgebracht. Einhundert Stück waren für den König und zweihundert für Crozat reserviert.38
Bis heute wird die hohe Qualität des Galeriewerks von 1729 gewürdigt, dessen Reproduktionen sowohl als Kupferstiche als auch als Radierungen und mehrfarbige Holzschnitte ausgeführt sind.39 Der umfassend gebildete Amateur Anne-Claude-Philippe, Comte de Caylus (1692–1765) schuf einige der gelungensten Reproduktionen nach Zeichnungen, in denen er sogar Pentimenti und Sammlerstempel nachahmte und damit den Weg in Richtung Faksimile ebnete. Während für die Gemäldereproduktionen Kupferstiche angefertigt wurden, kombinierte der Comte de Caylus Radierungen mit Holzschnitt-Tonplatten40: In der Radierung empfand er die Linien nach, mit den Tonplatten wurden Lavierungen und Höhungen imitiert. Die neue Bedeutung der Zeichnung lag in der Aufladung durch Kunstkenner begründet: Das Studium der Arbeiten auf Papier, so auch der Comte de Caylus, offenbare den Werkprozess.41
Den durchschlagenden Erfolg des „Recueil d’Estampes“ Mitte des 18. Jahrhunderts erlebte Crozat nicht mehr. Bis zu seinem Tod 1740 konnten nur noch 42 weitere Stiche der venezianischen und lombardischen Schule vollendet werden. Sämtliche Platten wurden von Mariette, Hippolyte-Louis Guérin und Jean-Baptiste Coignard aus Crozats Nachlass erworben.42 Der Kunstkenner Pierre-Jean Mariette gliederte die insgesamt 182 Reproduktionen in zwei gleich starke Bände und gab sie 1742 heraus. Zudem erarbeitete er Künstlerbiografien, Provenienzen, beschrieb Stileigenheiten und machte auf Basis von Bildvergleichen Zuschreibungen. Erstmals hatten europäische Kunstliebhaber und Connaisseure eine Zusammenstellung der wichtigsten Werke zur Hand, die etwa für Perugino auch den Weg von der Zeichnung zum Gemälde nachvollzog. Die herausragende Stellung des „Recueil“ innerhalb der Galeriewerke basiert auf der Verbindung von origineller technischer Umsetzung und der Betreuung der Publikation durch einen ausgewiesenen Kunstkenner.
Der Kurfürst von Sachsen und König von Polen August III. (1696–1763, reg. 1733) ließ sich 1714 wie Ludwig XIV. vom französischen Hofmaler Hyacinthe Rigaud (1659–1743) porträtieren und seine Gemäldesammlung in einem Galeriewerk verewigen. In zwei Bänden fasst das „Recueil d’Estampes d’apres les célèbres Tableaux de la Galerie Royale de Dresde“ einhundert Kupferstiche und damit die Höhepunkte der Sammlertätigkeit des Fürsten in einer Auflage von 600 Exemplaren zusammen. Verantwortlich für das Projekt waren Heinrich Graf von Brühl und Carl Heinrich von Heineken, die dafür ein komplexes System von Kupferstechern in Paris und Dresden sowie der dafür eingerichteten Druckerei in Schloss Altdöbern entwickelten. Der kostspielige Werdegang des „Recueil de la Galerie Royale de Dresde“ lässt sich anhand der erhaltenen Dokumente nachvollziehen: Die Gemälde wurden in Dresden von Zeichnern kopiert und diese Kopien zu Kupferstechern in Paris gesandt. Die Pariser setzten die Kupferstichplatten um und sandten ihrerseits Probedrucke nach Dresden, die vom König persönlich abgenommen wurden. Erst wenn August III. sein Placet gab, wurden die Kupferplatten in Dresden gedruckt.
Interessanterweise kauften die Kunden nur die Druckbögen und konnten sie nach eigenem Geschmack binden lassen, während die königlichen Freiexemplare (Fixabnahme) vom Hofbuchbinder in rotem oder dunkelblauem Maroquinleder gebunden wurden. Erstaunlicherweise ist Raffaels „Sixtinische Madonna“ (→ Raffael: Sixtinische Madonna) im „Recueil“ nicht vertreten, während die berühmte Sammlung an Correggio Gemälden mit vier Reproduktion am Beginn der Publikation steht (vgl. zur Sammlungsgeschichte Rembrandt - Tizian - Bellotto).
Kurfürst Johann Wilhelm (um 1690–1716) trug in den 25 Jahren vor seinem Tod eine der bedeutendsten Sammlungen des Reiches zusammen. Zu Beginn des 19. Jahrhunderts wurde sie nach München vor Napoleon in Sicherheit gebracht, wo sie auch heute noch die Basis der Alten Pinakothek bildet. Die außergewöhnliche Stellung der Düsseldorfer Sammlung innerhalb der europäischen Galerien verdankt sie ihrem reichen Bestand an flämischen und holländischen Werken. Vor allem die Meisterwerke von Peter Paul Rubens bezeugen das neuerwachte Interesse spätbarocker Sammler für die flämisch-holländische Barockmalerei.
Für Wien ist das Düsseldorfer Galeriewerk von hoher Bedeutung, weil es von dem Schweizer Verleger und Kupferstecher Christian von Mechel betreut wurde, der unter Joseph II. die Neuaufstellung der kaiserlichen Sammlung im Oberen Belvedere besorgte. Das Galeriewerk zeigt erneut ganze Wandabwicklungen im Querformat. Auch die Qualität der Stiche überzeugt, zudem ergänzen Einzelbeschreibungen auf Höhe des zeitgenössischen Diskurses die Reproduktionen der 358 Gemälde.
Als der international erfolgreiche englische Verleger John Boydell (1720–1804) im Jahr 1788 zwei Bände des „Set of Prints“ herausbrachte, befand sich die Sammlung des ersten Premierministers von England, Sir Robert Walpole (1676–1745), bereits nicht mehr in England. Schon im Frühjahr 1779 hatte dessen Enkel George Walpole, 3rd Earl of Orford (1730–1791), die Sammlung von 204 Gemälden an Zarin Katharina II. veräußert.43 Der Verkauf hatte eine landesweite Debatte über den Wert der Sammlung, ihre Bedeutung im europäischen Kontext und ihr Potenzial als Anschauungsmaterial für englische Künstler ausgelöst. Obwohl die öffentliche Diskussion sogar das Parlament erreichte, verhinderte der kolportierte Preis von 40.550 Pfund den prestigeträchtigen Ankauf durch Krone und Parlament.44 Das Galeriewerk von 1788 stellte eine Sammlung vor, die als solche nicht mehr existierte, und mutierte zu einem nationalen Gedächtnisort. Auch wenn Zarin Katharina I. als nunmehrige Besitzerin im „Set of Prints“ zu würdigen war, stand die Leistung Robert Walpoles als Sammler für die Bedeutung des Heimatlandes als Kunstort.
Die Stärke der Walpole-Sammlung war ihre Internationalität, denn jede europäische Schule war vertreten.45 Im Jahr 1747 veröffentlichte der jüngste Sohn des Sammlers, Horace Walpole (1717–1797)46 unter dem Titel „Aedes Walpolianae“ ein Inventar mit Kupferstichen, Schabkunstblättern und Beschreibungen der wichtigsten Gemälde. Diese wurden in Houghton Hall, der Sommerresidenz in Norfolk, in der eine eigene Galerie mit Tageslicht errichtet wurde, sowie in der Downing Street 10 in London aufbewahrt.
Die Herausgabe des „Set of Prints“ (1788) verantwortete John Boydell auf eigenes Risiko. Der englische Kupferstichmarkt war in der zweiten Hälfte des 18. Jahrhunderts stark gewachsen, und Boydell war mit über 4 400 veröffentlichten Blättern einer der führenden Verleger des Landes.47 Als 1773 erste Gerüchte über den bevorstehenden Verkauf der Sammlung die Runde machten, begann sich Boydell mit dieser auseinanderzusetzen.48 Innerhalb von vier Jahren schickte er Zeichner nach Houghton Hall, die vor den Originalen arbeiteten und Vorlagen für insgesamt 129 Mezzotintodrucke in zwei Bänden anfertigten.49 Boydell erinnerte neun Jahre nach dem Verkauf der Walpole-Sammlung mit dem Set of Prints an den verlorenen Kunstschatz und würdigte zugleich die kapitale Erwerbung der russischen Herrscherin. Als neuer Besitzerin gebührte Katharina II., dass sie im ersten Band in der Widmung geehrt und ihr Porträt in diesen eingebunden wurde; im zweiten Band fügte Boydell das Bildnis von Robert Walpole als Frontispitz ein. Listen von Abbildungen in Französisch und Englisch, 28 Pläne, Einblicke, Kaminstücke, Deckenaufblicke nach den Originalplänen von Isaac Ware sowie ein Reprint der „Aedes Walpolianae“ ließen Houghton Hall im alten Glanz wiederauferstehen. Zarin Katharina II. bedankte sich bei John Boydell, der ihr eine in rotes Leder gebundene Ausgabe übersandt hatte, mit einer Schnupftabakdose.50
Das umfangreichste Galeriewerk des 18. Jahrhunderts entstand in Paris. Louis-Philippe (1725–1785) ernannte den Kupferstecher Jacques Couché (1750 oder 1759 – vor 1836) zum Graveur du Cabinet.51 Als Philippe Égalité (1747–1793) 1784 das Erbe seines Vaters antrat, trennte er sich sukzessive von der höchst bedeutenden Sammlung, die schon Pierre Crozat zur Herausgabe des „Recueil d’Estampes“ inspiriert hatte. Wie sein Kollege Boydell empfand auch Couché den Verkauf als nationalen Verlust. Bis 1791 konnte der Kupferstecher noch 369 Vorlagen aus einer Gesamtheit von etwa 500 Gemälden anfertigen lassen.52 Die zwischen 1786 und 1808 erschienenen Lieferungen konnten mithilfe eines Verzeichnisses in drei Bänden chronologisch und nach Schulen geordnet werden.53 Obwohl in der Sammlung vertreten, interessierte sich weder Couché noch der Kunstschriftsteller Abbé Louis-Abel Bonafou de Fontenai (1736–1806) für die altniederländische und die deutsche Malerei des 15. und 16. Jahrhunderts. Beide standen für die klassizistische Kunsttheorie in der Tradition der französischen Akademie und gegen Naturnachahmung. Gemeinsam erarbeiteten sie in der „Galerie du Palais-Royal“ eine Geschichte der Malerei und ergänzten den Bilderkanon mit einem kunsthistorischen Diskurs in der Nachfolge Pierre-Jean Mariettes. Während in früheren Galeriewerken Bilder und Stilgeschichte getrennt voneinander behandelt wurden, rahmte Couché Bild und Wort und verband sie so untrennbar miteinander.
Stefano Mulinari (1741–1790) zählte zu den profiliertesten Druckgrafikern seiner Zeit. Ihm wurden 170 Zeichnungen aus den Uffizien anvertraut, die er in „Disegni originali d’eccellenti pittori esistenti nella Real Galleria di Firenze“ (Florenz 1774) für Erzherzog Leopold von der Toskana didaktisch aufbereitete.54 Drei Jahre später vereinte er fünfzig Zeichnungen aus der Sammlung von Leopoldo de’ Medici, die im Gabinetto dei Disgeni der Uffizien bereits öffentlich zugänglich gemacht worden waren,55 zur „Istoria Pratica“ (1778–1780). Das hier ausgestellte Exemplar stammt aus einem Jesuitenkolleg in Lyon. Für die Reproduktionen der Blätter mit meist christlicher Ikonografie kombinierte Mulinari Aquatinta mit Radierung, die er einfarbig, aber in verschiedenen Helligkeitsabstufungen druckte, weshalb noch nicht von einem Faksimile gesprochen werden kann.56 Mulinari ergänzte die Namen der Zeichner mit deren Lebensdaten und reihte Lehrer und Schüler hintereinander. Auf diese Weise erzählt die „Istoria Pratica“ anhand von herausragenden Arbeiten auf Papier die Kunstgeschichte von Cimabue bis ins frühe 16. Jahrhundert. Seit dem Erscheinen der „Viten“ von Giorgio Vasari galt Cimabue als der „Erfinder“ der italienischen Malerei. Der spätere Lehrer von Giotto di Bondone habe sich als Erster von der byzantinischen Manier ab- und dem Naturstudium zugewandt.57
Die bahnbrechende Arbeit von Mulinari könnte der Ausgangspunkt von Johann Gottlieb Prestels (1739–1808) Experimenten gewesen sein, da sich der Künstler aus Nürnberg zwischen 1760 und 1769 in Italien aufgehalten hat.58 Gemeinsam mit seiner Frau Maria Katharina Prestel (geb. Höll, 1747–1794) schuf er ab 1769 drei epochale Galerie- und Mappenwerke: das „Praunsche Kabinett“ (Nürnberg 1776–1780), das „Schmidtsche Kabinett“ (Nürnberg 1779–1782) und das „Kleine Kabinett“ (Frankfurt 1782–1785). Trotz der künstlerischen Erfolge hielt sich der verlegerisch-finanzielle Ertrag in Grenzen und machte einen Umzug von Nürnberg in die Messestadt Frankfurt notwendig.59 Nach der einvernehmlichen Trennung des Paars im Jahr 1786 zog Maria Catharina nach London, wo sie 1794 in hohem Ansehen 46-jährig verstarb.
Maria Catharina war mit 21 Drucken am Subskriptionswerk „Kleines Kabinett“ federführend beteiligt.60 Das im Winterpalais gezeigte „Kleine Kabinett“ ist das einzige erhaltene in originaler Montierung. Die Prestels reproduzierten Zeichnungen der „besten Maler Italiens, Deutschlands und der Niederlande“ aus acht „berühmten Kabinetten“.61 Unter den Faksimiles befinden sich erstmals Werke von Martin Schongauer, Albrecht Dürer, Albrecht Altdorfer und altniederländischen Meistern. Für die Imitation von Lavierungen, Höhungen, aber auch Papiertönen und Linien kombinierten die Prestels feinkörnige Aquatinta mit Kaltnadelradierungen. Ihre experimentell entwickelten Methoden, die Rezepte für Ätzmittel und das mehrteilige Druckverfahren blieben gut geschützte Familiengeheimnisse. Johann Gottlieb und Maria Catharina Prestel konnten damit alle Techniken – von Kreide-, Feder- bis zu Silberstiftzeichnung – augentäuschend imitieren. Die Reproduktionen sollten den Anschein von Originalzeichnungen berühmter Künstler erwecken. Zudem kopierten das Ehepaar Prestel auch Risse, schnitten die Druckränder weg, klebten die Blätter auf Untersatzkartons, signierten und beschrifteten auf den Rückseiten.
Das außergewöhnlichste Faksimile aus dem „Kleinen Kabinett“ ist „Die Wahrheit triumphiert über den Neid“ aus dem Besitz von Paulus Praun II. (1548–1616). Das Original von Jacopo Ligozzi (1547–1627), das sich heute in der Albertina befindet, wurde als Blatt Nr. 24 seitenverkehrt und etwas kontrastreicher wiedergegeben. Es geht über die Augentäuschung hinaus, denn eigentlich war das Ansinnen der Prestels, ihren Anteil an der Arbeit möglichst zu verschleiern. Dieser Druck überstieg den „leidlichen Preiß“62, den Goethe für seine Raffael-Faksimiles bezahlte, denn die Höhungen sind in Gold aufgedruckt und verleihen dem Blatt einen exklusiven Charakter.
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