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Die Farbigkeit antiker Skulptur Ausstellung "Bunte Götter" im KHM

Sogenannte Chioskore, Farbrekonstruktion, Original: von der Akropolis in Athen (Griechenland), Marmor, um 500 v. Chr., H. 55 cm, Athen, Akropolismuseum, Rekonstruktion: Stiftung Archäologie (Rekonstruktion Brinkmann & Brinkmann) © München, Stiftung Archäologie, Foto: Vinzenz Brinkmann

Sogenannte Chioskore, Farbrekonstruktion, Original: von der Akropolis in Athen (Griechenland), Marmor, um 500 v. Chr., H. 55 cm, Athen, Akropolismuseum, Rekonstruktion: Stiftung Archäologie (Rekonstruktion Brinkmann & Brinkmann) © München, Stiftung Archäologie, Foto: Vinzenz Brinkmann

Die Farbigkeit der antiken Skulptur wird in der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums durch 14 in der gesamten Abteilung verteilte Rekonstruktionen griechischer und römischer Skulpturen thematisiert. Der sog. „Perserreiter“ zeigt das bunte Beinkleid eines Orientalen und verweist mit seiner Farbenpracht auf die Ausstellung, die nicht nur bunte Götter sondern auch historische Figuren und Grabmonumente zeigt. Von der ägyptischen Sammlung kommend, führt die archaische „Grabfigur der Phrasikleia“ in das Thema ein. Etwas weiter trifft man auf den „Perserkampf“ vom sog. „Alexander-Sarkophag“, „Antiope und Theseus“ sowie zwei Rekonstruktionsversuche eines „Porträts des Caligula“. Besonders beeindruckend sind die originalgroßen Rekonstruktionen nach den Skulpturen aus dem Westgiebel des Aphaia-Tempels von Ägina (um 500/490 oder nach 480 v. Chr.): Athena ragt kriegsbereit im Zentrum hoch, die Orakelschlangen an ihrer Aigis bäumen sich im giftigen Grün hoch, während Prinz Paris seine Zugehörigkeit zu den Trojanern durch das eng anliegende Gewand mit buntem Rautenmuster offenlegt. Auch wenn Johann Joachim Winckelmann (1717–1768) bereits die Farbigkeit einiger Funde beschrieb, von Einfachheit und stiller Größe ist hier nichts zu sehen.

Die „Grabfigur der Phrasikleia“ und ihre Bemalung als Bedeutungsträger

Das Original der „Grabfigur der Phrasikleia“ aus Myrrhinous (heute Athener Nationalmuseum) dürfte um 550/540 v.Chr. entstanden sein. Ihr Gewand war ursprünglich mit rotem Ocker bemalt, die Swastikamotive mit Goldocker aufgetragen. Auflagen aus Gold- und Bleizinnfolie wurden verwendet, um vorne am Kleid die geöffneten und hinten die geschlossenen Lotusblüten darzustellen. Das unverheiratet verstorbene Mädchen hält auch eine geschlossene Knospe vor ihrer Brust. Die Lotusblume ist ein Symbol für Geburt und Wiedergeburt, denn sie schließt sich in der Nacht, um unter die Wasseroberfläche abzutauchen, und erscheint erneut am Tag. Gleichzeitig soll die Statue für das ewige Gedächtnis nicht nur des Mädchens, sondern seiner gesamten Familie sorgen.1

Der Direktor des Neuen Akropolis Museums in Athen, Dimitrios Pandermalis, strich anlässlich der Ausstellung in Griechenland heraus, dass die vier Basisfarben der alten Griechen – Weiß, Schwarz, Rot und Ocker – mit den vier Elementen Luft, Wasser, Feuer und Erde in Verbindung gebracht wurden. In der Antike verwiesen Farben auf bestimmte Eigenschaften: Das blonde Haar von Göttern sollte ihre Macht wiederspiegeln. Die bräunliche Hautfarbe von Sportlern und Kriegern betonte ihre athletischen Vorzüge. Demgegenüber hatten Mädchen (Koren) möglichst hellhäutig zu sein, um Grazie und Jugend auszustrahlen.2 Wenn auch die Symbole am Original der „Grabfigur der Phrasikleia“ beispielsweise als eingeritzte Vorzeichnungen noch sichtbar sind, so geht dennoch ohne die Bemalung ein Anteil der Bedeutung verloren. Dies zeigt sich vor allem an der klassischen „Grabstele der Paramythion“3 (um 380/370 v. Chr.), deren reiche Bemalung perspektivische Darstellungen von Tänien (Bändern) zeigt.

Winckelmann, die Artemis aus Pompeji und die Erforschung der Farbigkeit antiker Skulptur

Johann Joachim Winckelmann (1717–1768), der Begründer der wissenschaftlichen Archäologie, beschrieb bereits 1762 die Farbreste an den aktuell gefundenen Marmorskulpturen von Pompeij und Herculaneum. Für ihn spielte dabei eine 1760 in Pompeji gefundene römische Kopie einer archaisierenden Marmorskulptur der Artemis (Ende 1. Jh. v. Chr. − 79 n. Chr.) eine Schlüsselrolle (heute Archäologisches Nationalmuseum, Neapel). Die schreitende Jagdgöttin hat gemalte Gewandborten, bemalte Haare und ein poychromiertes Gesicht. In der zweiten Auflage seiner „Geschichte der Kunst des Alterthums“4, 1776 posthum in Wien publiziert, widmete er dieser Frage sogar einen eigenen Abschnitt. Bis zuletzt blieb diese Statue das Schlüsselwerk, an dem Winckelmann die Frage nach der historischen Einordnung der Skulpturen-Polychromie erörterte. Über ein Zitat aus Platons „Staat“ konnte er den Beleg erbringen, dass das Bemalen von Statuen auch im klassischen Athen etwas ganz Übliches gewesen sein musste.

„So wie jemand, der uns Statuen [andriantas] bemalen anträfe, und uns tadeln wollte, daß wir nicht auf die schönsten Theile der Figur die schönsten Farben setzen, indem die Augen, die das schönste sind, nicht mit Purpur sondern mit schwarzer Farbe bezeichnet seyn würden u.s.w.“5

Im folgenden 19. Jahrhundert, als die Klassische Archäologie als eigenständige Universitätsdisziplin eingeführt wurde, setzte man sich noch intensiv mit der Frage der Farbigkeit der antiken Skulpturen und Tempelbauten auseinander. Das 20. Jahrhundert zog sich hingegen zunehmend aus der Beschäftigung mit der Farbe zurück. Erst Volkmar von Graeve konnte das Forschungsinteresse erneut in diese Bahnen lenken.

Volkmar von Graeve und die Forschung über antike Bemalungen

Vor genau 30 Jahren, 1982, begann unter der Leitung des damaligen Münchener Universitätsdozenten für Klassische Archäologen Volkmar von Graeve6 ein Projekt zur Erforschung der Farbigkeit der griechischen und römischen Marmorskulptur. Neue Untersuchungsmethoden machten auch geringste Spuren ehemaliger Fassungen antiker Figuren erkennbar. Auch heute noch bildet eine visuelle Untersuchung der Oberfläche der Skulptur die Grundlage für erste Aussagen zur Auftragstechnik, zum Schichtenaufbau, aber auch zu den Werten der ursprünglichen Farbtöne. Die Arbeit mit flachem Seitenlicht (Streiflicht) macht feinste Spuren der Vorbereitung des Farbauftrages wie Vorritzungen und Markierungen sowie Verwitterungsspuren verblasster Ornamente und Motive sichtbar. Ergänzt werden diese Ergebnisse durch Untersuchungen mit Fluoreszenz, Lumineszenz und Reflexionstechniken im ultravioletten Licht, aber auch im Infrarotlicht, und naturwissenschaftlichen Untersuchungsmethoden (z.B. Rasterelektronenmikroskopie oder UV-VIS-Absorptionsspektroskopie).

Nachdem anfangs nur gezeichnete Rekonstruktionen dem Fachpublikum vorgestellt worden waren, wurde als erstes der sog. Paris aus dem Westgiebel des äginetischen Aphaiatempels mit synthetischem Marmor dreidimensional umgesetzt. Bereits im 19. Jahrhundert waren graphische und dreidimensionale Rekonstruktionen als Anschauungsobjekte für Forschung und Lehre angefertigt worden. Zu den wichtigsten Architekten, die sich mit der Farbigkeit der antiken Skulptur befassten, zählen heute Gottfried Semper und Charles Garnier. 2003 fand dann die erste Ausstellung mit den Ergebnissen in der Münchener Glyptothek statt, seither tourt die Schau international, wobei die aufwändigen Untersuchungen fortgesetzt und die Zahl der Rekonstruktionen ständig erweitert wurden. Ein zentraler Bestandteil der Wiener Ausstellung ist die Kopie der sog. „Chioskore“7. Das Original aus der Zeit um 500 v. Chr. wurde 1886 auf der Akropolis in Athen gefunden. Die sog. „Peploskore“ ist in zwei Varianten rekonstruiert, die mehr oder weniger zurückhaltenden Farbaufträge incl. einer freien Ergänzung ihres Strahlenkranzes (als Blätter- oder Federkrone zu interpretieren) zeigen.

„Bunte Götter“ im KHM

„Bunte Götter. Die Farbigkeit antiker Skulptur“ wirft ein interessantes – weil farbiges – Licht auf die ausgestellten Originale in Wien. Sie zurückhaltende Weißfärbig vieler antiker Skulpturen ist einzig ihrem Erhaltungszustand geschuldet und nicht einem ästhetischen Willen ihrer Schöpfer. Die Rekonstruktionen in die aktuelle Schausammlung zu integrieren, war demnach auch die denkbar beste Entscheidung, um einen Nachdenkprozess über das alte Bild antiker Bildhauerkunst zu starten. Die 14 Rekonstruktionen ergeben mit der Farbigkeit der historistischen Architektur und den „blassen“ Originalen einen überzeugenden ästhetischen Eindruck. Dass einige Figuren in zwei Ausführungen gezeigt werden, belegt den diskursiven Charakter der Rekonstruktionen auf ehrliche und interessante Weise. Auf weitere Ergebnisse darf man durchaus gespannt sein, sind die meisten Rekonstruktionen nach archaischen Skulpturen angefertigt. Wie jedoch aus den Anmerkungen zu diesem Text leicht ableitbar ist, stammen die spannendsten Informationen weder aus dem Katalog, der eine gute allgemeine Einführung ist, noch aus den wenig erhellenden Objekttexten.

  1. Siehe: Jesper Svenbro: Phrasikleia. An Anthropology of Reading in Ancient Greece, Paris 1988, S. 20-25.
  2. http://www.athensnews.gr/issue/13507/57488.
  3. Das Original befindet sich in der Münchener Glyptothek, Inv.-Nr. 483.
  4. Die erste Auflage wurde 1764 in Dresden herausgegeben.
  5. Johann Joachim Winckelmann: Geschichte der Kunst des Alterthumes, Wien 1776, S. 46.
  6. Volkmar von Graeve 1988 wurde von Graeve auf den Lehrstuhl an die Ruhr-Universität Bochum berufen. Zudem wurde er Geschäftsführender Direktor des dortigen Instituts für Archäologie und Grabungsleiter in Milet. Seit 1992 war von Graeve Fachgutachter der Deutschen Forschungsgemeinschaft, seit 1996 Mitglied der Zentraldirektion des Deutschen Archäologischen Instituts. Quelle: http://de.wikipedia.org/wiki/Volkmar_von_Graeve.
  7. Das Original befindet sich in Athen, Akropolismuseum.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.