Van Goghs Sonnenblumen entstanden zwischen August 1888 und Januar 1889 in Arles (Südfrankreich): sieben Versionen seines berühmtesten Gemäldes malte Vincent van Gogh rund um seinen Nervenzusammenbruch. Heute sind fünf dieser Werke in Museen auf der ganzen Welt verstreut und konnten seither für keine Ausstellung an einen Ort gebracht werden.1 Am 14. August 2017 werden die „Sonnenblumen” virtuell, genauer: auf Facebook, wiedervereint. Die National Gallery (London), das Van Gogh Museum (Amsterdam), das Philadelphia Museum of Art, die Neue Pinakothek (München) und das Seiji Togo Memorial Sompo Japan Nipponkoa Museum of Art (Tokyo) zeigen in einer einzigartigen Zusammenarbeit ihre Sonnenblumen in einer virtuellen Ausstellung.
National Gallery, London: 18:50 MEZ
Van Gogh Museum, Amsterdam: 19:10 MEZ
Neue Pinakothek, München: 19:30 MEZ
Philadelphia Museum of Art: 19:50 MEZ
Ab 18:50 MEZ (17.50 UK time) senden die Museen hintereinander jeweils 15 Minuten live. Jede der Sessions wird vor dem Originalgemälde stattfinden, gemeinsam lassen sich so Vincent van Goghs Leben und Werk, vor allem aber seine „Sonnenblumen“ erleben. Dabei werden die Bilder Van Goghs in einem fiktiven Ausstellungsraum präsentiert, in dem sich die Besucherinnen und Besucher um 360° drehen können. Willem van Gogh – der Urgroßenkel von Vincents Bruder Theo – erzählt die Geschichte und ergänzt sie um persönliche Erinnerung. Wussten Sie, dass eine Version der „Sonnenblumen“ im Wohnzimmer seiner Großeltern hin? Insgesamt 36 Schattierungen Gelb nutzte Van Gogh für seine Lieblingsblumen.
Die „Sonnenblumen“-Serie datiert aus dem Jahr 1888/89, als Vincent van Gogh Paris verließ, um im Licht von Südfrankreich zu arbeiten und ist eng mit dem Aufenthalt Paul Gauguins in Arles sowie Van Goghs Nervenzusammenbruch verbunden. Vincent van Gogh mietete Anfang Mai 1888 ein Haus in Arles – das „Gelbe Haus“ – und lud Paul Gauguin ein, mit ihm gemeinsam eine Künstlerkolonie zu gründen (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles). Unter dem „Atelier des Südens“ wollte Van Gogh eine Gemeinschaft Gleichgesinnter unter der Führung des weitgereisten Gauguin zusammenbringen. Während sich der Freund jedoch bitten ließ und erst die Reise im Spätherbst antreten konnte, malte Vincent van Gogh eine Serie von Gemälden als Dekoration von Gauguins Schlafzimmer, in denen er Sonnenblumen in Vasen darstellte. Die Bilder waren als Zeichen seiner Freundschaft und Dankbarkeit an Gauguin gedacht, stellten aber auch einen Akt der Unterwürfigkeit an den „Anführer“ Paul Gauguin dar.
„Ich arbeite gerade hart an etwas, male mit Enthusiasmus an einer Marseillaise, die Suppe isst, was dich nicht überraschen wird, wenn du erfährst, dass, woran ich gerade bin, ein Gemälde mit einigen Sonnenblumen ist. Wenn ich diese Idee ausführe, wird es ein Duzend Bilder geben. Das ganze Ding wird eine Sinfonie in Blau und Gelb. Ich arbeite daran jeden Morgen von Sonnenaufgang an, da die Blumen so schnell verwelken. Ich bin nun am vierten Bild mit Sonnenblumen. Das vierte ist ein Strauß mit 14 Blumen… es macht einen einzigartigen Effekt.“2 (Vincent van Gogh an seinen Bruder Theo, August 1888)
Zwischen dem 21. und 26. August 1888 malte Vincent van Gogh zwei erste „Sonnenblumen“ in Südfrankreich: Die früheste Variante zeigt drei Blüten in einer zweifarbig grün glasierten Vase, auf einem brauen Tisch stehend und befindet sich in einer Privatsammlung. Van Goghs zweiter Versuch ist nur in einer schwarz-weiß Fotografie und einem Farbdruck überliefert, da ein japanischer Kriegsverlust. Hierin experimentierte der Holländer mit der Verbindung der zuvor bereits umgesetzten Vase und weiteren Sonnenblumen auf dem Tisch davor. Blumen, Vase und Tisch werden durch eine markante, im Farbdruck rötlich wirkende Kontur vom nachtblauen Hintergrund abgegrenzt. Mit seinen zackigen Formen nahm dieses Sonnenblumen-Bild aber bereits einige Elemente späterer Versionen vorweg.
„… ein Motiv, dessen unvermischtes oder gebrochenes Chromgelb vor verschiedenfarbigen Hintergründen erstrahlen wird – blau, vom blassesten Malachitgrün bin hin zum Königsblau.“ (Vincent van Gogh an Émile Bernard 1888)
Ende August 1888 entstanden die beiden berühmten, größeren Versionen aus der Neuen Pinakothek in München und der National Gallery in London. Das Paar ist als Pendant gedacht, wobei Vincent van Gogh zuerst die „zwölf Sonnenblumen und Knospen“ (zu sehen sind mehr!) in einer gelben Steingutvase vor einem hellen blaugrünen Hintergrund positionierte. In schneller Abfolge danach malte er die Londoner „Sonnenblumen“, die er vor gelbem Hintergrund stelle und alles „ganz in Gelb“ hielt. Die kunsthistorische Bedeutung dieser beiden Werke liegt in der Abkehr Van Goghs von der postimpressionischen Maltechnik begründet: Er begann beide Werke mit den Umrissen und malte Linien. Hintergrund und die wichtigsten Formen hielt er mit dünner Farbe fest. Im zweiten Schritt arbeitete Van Gogh schnelle und mit verschieden dicker Farbe. Dabei scheute er sich auch nicht, Ölfarbe direkt aus der Tube zu verwenden, an anderen Stellen mischte er die Farbtöne nur rudimentär auf der Palette, wodurch marmorierte Pinselstriche entstanden. Zudem dachte sich Vincent van Gogh für jedes Element eine andere Strichführung aus: der Hintergrund ist wie ein Korbmuster gestaltet, der Tisch besteht aus parallelen Strichen, die Blumen arbeitete er mit runden Gesten aus etc.
Farbe erhielt eine besondere symbolische Bedeutung im Werk von Van Gogh: Gelb im Besonderen verwies in seinem Werk auf Wärme und Freundschaft. Der Holländer baute die Blüten mit dicken Pinselstrichen und pastoser Ölfarbe auf. Das imitiert nahezu die Textur der Blütenstände. Die Blumenblätter malte er oft mit nur einem weichen, gelben Pinselstrich.
Bereits im November 1887 organisierte Vincent van Gogh eine Gruppenausstellung in Paris, wo er u. a. „Zwei Sonnenblumen“ (Sommer 1887, Metropolitan Museum, New York) und „Zwei Sonnenblumen“ (Sommer 1887, Kunstmuseum Bern) präsentierte. Die New Yorker Version zeigt bereits den später so wichtig werdenden Kontrast zwischen den gelben Blütenständen und dem blauen Hintergrund. Die Komplementärfarben sollen auf die Jahreszeiten verweisen, wobei Blau-Orange für ihn Sommer bedeutete. Das zweite Sonnenblumen-Bild in Bern ist aus Gelb, Orange und Braun aufgebaut und zeigt die Sonnenblumenköpfe von vorne. Der aus der Bretagne zurückgekehrte Paul Gauguin sah Vincent van Goghs „Zwei Sonnenblumen“ und tauschte beide Studien gegen seine Studie „Am Ufer des Sees auf Martinique [Négresses]“ (Sommer 1887 → Paul Gauguin & Charles Laval in Martinique). Auf Vincents Empfehlung hin besuchte Theo im Dezember 1887 das Atelier von Paul Gauguin, woraus sich eine fruchtbare Zusammenarbeit entwickelte.
Darüber hinaus war Vincent van Gogh in Paris mit japanischer Kunst in Kontakt gekommen und tief beeindruckt von der Einfachheit der Kompositionen und den leuchtenden, flachen Farbfeldern mit breiten Umrisslinien. Van Gogh veranstaltete daher auch eine Schau japanischer Holzschnitte, die er schon in Antwerpen zu sammeln begonnen hatte, und die ihre Wirkung auf seine Künstlerkollegen nicht verfehlten (→ Monet, Gauguin, van Gogh …. Inspiration Japan). Im Vergleich zu anderen Japan-Sammlern wie Claude Monet, wandte sich Vincent van Gogh den späten, farbintensiven Farbholzschnitten zu. Diese beeinflussten sowohl in ihrer dekorativen Wirkung wie ihren ausgefallenen Kompositionen die Stilentwicklung van Goghs und Gauguins. Im Sommer 1887 „kopierte“ er beispielsweise den „Blühenden Pflaumenbaum (nach Hiroshige)“.
Vincent van Gogh und Paul Gauguin arbeiteten im Herbst 1888 neun Wochen zusammen – oder besser nebeneinander, manchmal sogar am gleichen Motiv. Da sich Gauguin in den Jahren zuvor vom Impressionismus ab- und dem Symbolismus zugewandt hatte, ließ er sich von Menschen und Landschaft in Südfrankreich zu visionären Bildern inspirieren. Vincent van Gogh, der in impressionistischer Manier vor den Motiven arbeitete und nicht nach seiner Fantasie, verstand diese Wendung im Werk seines Freundes nicht und fühlte sich verraten. Im Dezember, als die Beziehung mit Gauguin auf der Kippe stand, wandte sich van Gogh erneut dem Thema der Sonnenblume zu. Vielleicht weil er davon ausging, dass Gauguin ein besonderes Faible für dieses Sujet hatte. Während des Winters standen dem Maler jedoch keine Sonnenblumen zur Verfügung. Daher kopierte er Anfang Dezember 1888 ein Sonnenblumenstillleben vom August. Um sich von Gauguin abzusetzen, nutzte van Gogh in diesen Sonnenblumen-Bildern pastose Farben, die er über die gesamte Bildfläche verteilte. Die Oberflächenbehandlung in diesem Sonnenblumen-Bild wirke rauer, direkter als bei seinen Vorgängern im August. Das ist durchaus eine Folge der Jute, auf die Gauguin und Van Gogh arbeiteten.
Zur gleichen Zeit malte Paul Gauguin ein „Porträt Van Gogh, Sonnenblumen malend“ (ca. 1. Dezember 1888), in dem er den Maler mit einem Strauß Sonnenblumen vor der Staffelei als „Sonnenblumenmaler“ einfing. Das Bild ist eine gemalte Kritik an der Arbeitsweise des Holländers, dem er vorwarf, sich zu sehr nach der Natur zu richten. Aus der Perspektive von Gauguin beschäftigte sich Als Vincent van Gogh das fertige Bild sah, fühlte er sich verraten. Monate zuvor hatte Gauguin noch bewundernd ausgerufen: „Ça … c’est … la fleur! [Das … das ist … die Blume!]“
Am 23. Dezember 1888 kam es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen dem verwirrten Vincent van Gogh und Paul Gauguin, nach der sich der Holländer ein Stück seines linken Ohrs abschnitt. Dann ging er in mit dem Ohrläppchen in ein Bordell und schenkte es mit den Worten „Du wirst dich meiner erinnern, das sag‘ ich dir.“ einem Mädchen namens Rachel. Die Polizei lieferte Vincent van Gogh in das örtliche Krankenhaus ein. Zwei Tage später reiste Paul Gauguin wortlos ab und informierte Theo van Gogh mit einem Telegramm. Als Theo am Weihnachtsmorgen in Arles ankam, erfuhr er, dass Vincent seit Tagen Symptome von Verrücktheit zeigte.
Der am 7. Jänner 1889 aus dem Krankenhaus in Arles entlassene Maler griff in den folgenden Monaten immer wieder Motive aus den vergangenen Monaten auf. Als nach seinem Zusammenbruch Gauguin in einem Brief anfragte, ob van Gogh ihm die „Sonnenblumen“ (The National Gallery, London) überlassen würde, weigerte sich dieser. Stattdessen malte van Gogh noch eine weitere Version der Sonnenblumen, um sie Gauguin zu schenken. Der Maler in Arles versuchte wohl dem Geschmack Gauguins zu entsprechen und führte diese Sonnenblumen (vermutlich Philadelphia und Amsterdam, vielleicht aber auch Tokyo) weniger realistisch aus. Vincent van Gogh verzichtete auf natürliches Licht und führte mit kaltem Blau, hellem Rot und Giftgrün künstliche Farbwerte im Zentrum der Blumen ein. Vielleicht wollte er damit seinem (ehemaligen) Freund noch einmal seine Referenz erweisen.
Von den ursprünglich zwölf geplanten Sonnenblumenstillleben im Rahmen seiner Dekorationsidee führte Vincent van Gogh nur vier aus. Von diesen hielt er jedoch nur zwei für gut genug, um sie im Gästezimmer aufzuhängen. Heute sind acht Versionen der Sonnenblumen aus der Phase in Arles bekannt: