Die Ausstellung "Déjà-vu? Die Kunst der Wiederholung von Dürer bis YouTube" im Kerber Verlag. Das gemeinsam von der Staatlichen Kunsthalle und der Staatlichen Hochschule für Gestaltung in Karlsruhe organisierte Vorhaben widmet sich dem Kopieren und Rezipieren, von Kupferstichen nach Albrecht Dürer bis „The Eye of God – Recreating Andreas Gursky“ von Florian Freier (2009). Eine Fotoarbeit von Yinka Shonibare MBE ziert das Cover, versinnbildlicht sie doch die zeitgenössische, kritische Auseinandersetzung mit Vorbildern ideal. Der britische Künstler reinszeniert den berühmten Druck von Francisco de Goya (1746–1828) „Der Schlaf der Vernunft gebiert Ungeheuer“ (1797/98), indem er den schlafenden Protagonisten durch ein dunkelhäutiges Modell und die ihn umgebenden Ungeheuer mit ausgestopften Tieren ersetzt.
Deutschland | Karlsruhe: Staatlichen Kunsthalle Karlsruhe
21.4. – 5.8.2012
Shonibare setzt sich oft mit Werken des 18. und 19. Jahrhunderts auseinander, thematisiert die Verbindungen von Muße und Macht, Ausnutzung und Handel, europäischem Kolonialismus und afrikanischer Identität. Er verwendet die Goya-Radierung als eine Ikone der Aufklärung als wiedererkennbare Basis und verändert den Titel im zeitgenössischen Sinn: „Les songes de la raison produsent – ils des monstres en Asie?“ Dass die Reinszenierung mit einer Neubewertung des Inhalts einhergeht, ist charakteristisch für den Umgang aktueller Kunstschaffender mit ihren Vorbildern, wie aus dem Katalog deutlich hervorgeht.
Ausgangspunkt für den historischen Überblick über das Kopieren in den letzten 500 Jahren war die Beobachtung, dass zu Beginn des neuen Jahrtausends aufgrund der Digitalisierung das Copy-Paste-Verhalten und Fragen rund um Copyright und Weiterverwendung einen neuen Höhepunkt erreicht hat. Galt in der Moderne das vermeintlich Neue als Zeichen von Qualität, wurde spätestens mit der Appropriation Art Mitte der 1970er dieses Urteil infrage gestellt. Seither scheint der Damm gebrochen, vornehmlich in der jüngeren Kunst finden sich spannende Positionen, die sich mit älteren Werken kreativ auseinandersetzen.
Der Aufsatzteil führt elf kunsthistorische Beiträge und einen Beitrag zur Rechtslage zusammen, wobei deutlich Wert darauf gelegt wurde, die Geschichtlichkeit des Kopierens seit Dürer aufzuzeigen. Ariane Mensger streicht heraus, dass sich um 1500 die Bewertung von Original und Kopie maßgeblich änderte. Albrecht Dürer versuchte, seine Werke bereits rechtlich zu schützen – was ihm wohl wenig geholfen hat, wie die abgebildeten vielen Dürer-Repliken im Katalog belegen. In dem Maß, in dem jedoch Persönlichkeit, Individualität, Erfindung und künstlerische Handschaft geschätzt wurden, wurde das Kopieren zu einer minderen Tätigkeit. Dass dennoch über Jahrhunderte fleißig reproduziert wurde, hatte mit der Herausbildung von Sammlungen und dem Stellenwert von verehrten Vorbildern in der Künstlerausbildung zu tun. Die Kopie der Moderne unterscheidet sich von älteren dadurch, dass es sich um freie Interpretationen handelt, in der die Hommage und die Aktualität eine neue Verbindung eingehen.
Agnes Tieze beleuchtet in ihrem Beitrag zur flämischen Barockmalerei hauptsächlich das Werk von Peter Paul Rubens. Seine Kopien nach Tizian (zum Privatgebrauch) stehen den Werkstattrepliken und druckgrafischen Wiederholungen für den allgemeinen Markt gegenüber. Henry Keazor analysiert das kritische Verhältnis von Nicolas Poussin zum Kopieren. Der französische Maler hatte zwar nichts Grundsätzliches dagegen, warnte aber vor der Nachlässigkeit der Kopisten: Diese könne den Ruf der Vorlage deutlich schmälern! Poussin schlug seinem Förderer Paul Fréart de Chantelou ein re-produktives Kopieren seiner Sieben-Sakramente-Serie vor, wobei der Künstler seine Originale noch einmal zu verbessern gedachte. Darauf, dass das Kopieren von berühmten Werken auch zur Ausbildung des Kanons der Kunstgeschichte beitrug, weist Bärbel Küster in ihrem Text hin.
Im 19. Jahrhundert, so Martina Dlugaiczyk, löste der sog. Holbein-Streit (1871) eine neue Diskussion um das Kopieren aus. Man sprach aber dennoch von „Originalkopie“ und nobilitierte damit das Werk und den Kopisten. Sammlungen wie jene des Grafen Schack in München präsentierten zeitgenössische Originale und Kopien nebeneinander. Eine höhere Verfügbarkeit von wichtigen Werken ermöglichte auch die Reproduktionsgrafik und die Fotografie, was Juliane Betz chronologisch zusammenführt. Den Weg in die Moderne weist Alexander Eiling, wenn er herausarbeitet, dass die Skizze der meisterhaft ausgeführten Kopie zunehmend vorgezogen wurde. Sie galt im 19. Jahrhundert als Analyse der Bildidee und Interpretation gleichermaßen. Einem „Spezialfall“ sucht Gerd Roos auf die Schliche zu kommen: Er sucht den roten Faden durch „das Labyrinth von Giorgio de Chirico" (→ Giorgio de Chirico), der seine eigenen Werke über die Jahrzehnte hinweg 100-fach kopiert und aber 1946/47 mit einer „bottega“ gearbeitet hat.
Das schwierige Verhältnis von Marcel Duchamps „(un)wiederholbaren Readymades“ stellt Lars Blunck auf unterhaltsame Weise dar: Er lässt in einem fiktiven Gespräch, geführt im Musée Imaginaire d`Art Moderne, sämtliche Repliken und Wiederholungen von Duchamps „Flaschentrockner“ auftreten (→ Picasso/Duchamp). Wenn die Kopie schlussendlich zum Original wird, so Christoph Zuschlag, dann handelt es sich ab 1977 um kritisch-subversive und dekonstruierende Aneignungen. Arbeiten von Elaine Sturtevant und Sherrie Levine stehen stellvertretend für ein neues Verständnis der Kopie, hinterfragen sie doch mit unterschiedlichen ästhetischen Verfahren, Konzepten und Zielen den Kanon, den Originalitätsanspruch der Moderne, die (Über)Bewertung der Künstlersubjekts und den Warencharakter der Kunst. In der zeitgenössischen Kunst, schreibt Wolfgang Ullrich, hätten sich überhaupt „Rituale der Wiederholung“ herausgebildet. Es geht diesen Künstlern nicht um Provokation und Verweigerung, sondern um Aktualisierung, Steigerung, Wettbewerb, Verbesserungen.
Die kurzen Texte führen gut zu den wichtigsten historischen Entwicklungen rund um das Kopieren hin. Die 108 ausgestellten Werke werden chronologisch präsentiert, die Originale und ihre Kopien in gemeinsamen Erklärungen abgehandelt. Überraschungen sind sicherlich die Altmeisterkopien berühmter Künstler der Moderne wie Edouard Manets Kopie nach einem Porträt von Philipp IV. nach Diego Velázquez, Anselm Feuerbachs „Assunta“(nach Tizian), Lovis Corinth arbeitet nach Frans Hals und Vincent van Gogh nach Eugène Delacroix.
Interessant sind auch die kreativen Reinszenierungen, Parodien und Reflexionen jüngerer Kunstschaffender: Florian Freier zeigt auf Youtube, wie er Andreas Gurskys berühmtes Bild von der Rennstrecke in Bahrain mit Hilfe von Google Earth photoshopt. Gavin Turk spielt Filmaufnahmen von Jackson Pollock nach, während Klaus Mosettig die Dripp-Paintings in minutiöser Strichtechnik nachzeichnet. Auslöserin für diese „Rituale der Wiederholung“ ist Elaine Sturtevant mit ihren „Warhol Flowers“ (1969/70), für die sie sogar die originalen Siebdruckplatten von Warhol zur Verfügung gestellt bekommen hatte. Ein guter Überblick – und v.a. spannende Kunstwerke quer durch 500 Jahre Kunstgeschichte!
Link: http://www.youtube.com/watch?feature=player_detailpage&v=FGeWfMsxI4Q
Ariane Mensger (Hg.)
Vorworte von P. Müller-Tamm/W. Ullrich, Grußwort von H. Burda;
mit Beiträgen von J. Betz, L. Blunck, M. Dlugaiczyk, T. Dreier, A. Eiling, H. Keazor, B. Küster, A. Mensger, G. Roos, A. Tietze, W. Ullrich, Ch. Zuschlag
24 × 30 cm, 324 Seiten,
204 farbige und 96 s/w Abbildungen,
Klappbroschur
ISBN: 978-3-86678-676-9 (dt)
Kerber Verlag