Vermeer: Werke

Hier findest du alle Werke Jan Vermeers, des berühmten niederländischen Barockmalers aus Delft.

Jan Vermeer, auch Johannes Vermeer van Delft (Delft 31.10.1632–1675), gehört zu den berühmtesten Malern des niederländischen Barock. Mit seinen einfühlsamen Schilderungen des (scheinbar) Alltäglichen, mit seinen Bildern von Frauen und Mädchen, die er in zartes Licht tauchte, und die meist geheimnisvoll stille Tätigkeiten ausüben, prägte er die Vorstellung von der bürgerlichen Welt des Goldenen Zeitalters (17. Jahrhundert) .

Sein schmales Werk umfasst nur 37 Gemälde, da Jan Vermeer vermutlich nur bis zu zwei Werke pro Jahr schuf (→ Jan Vermeer: Biografie). Die meisten seiner Werke - insgesamt 21 Gemälde - erwarb Vermeers vermögender Förderer und Freund Pieter van Ruyven. Heute ist der Barockmaler berühmt für seine sorgsam beleuchteten, stillen Genreszenen, die meist Frauen bei der Verrichtung von alltäglichen Tätigkeiten zeigen. Weiters sind zwei Stadtansichten bekannt.

Vermeer: Ausstellungen 2023
Vermeer: Ausstellung 2021

Bilder Vermeers

Christus im Haus von Maria und Martha

  • Christus im Haus von Maria und Martha, um 1654−1655, Öl auf Leinwand, 158,5 × 141,5 cm, signiert links unten auf dem Hocker: IvMeer. (IvM ligiert) (Edinburgh, National Galleries of Scotland, Inv.-Nr. NG 1670; Schenkung der Söhne von W. A. Coats im Gedenken an ihren Vater 1927)

„Christus im Haus von Maria und Martha“ ist mit Sicherheit das größte und eines der frühesten erhaltenen Gemälde von Vermeer. Es ist auch sein einziges bekanntes Werk zu einem biblischen Thema. Lukas 10: 38–42 erzählt von Christus, der mit seinen Jüngern reist und im Haus von Martha und ihrer Schwester Maria willkommen geheißen wird. Als Martha ihn bedient, sitzt ihre Schwester untätig zu Füßen Christi. Martha beschwert sie sich bei Jesus, er solle ihre Schwester anweisen, ihr zu helfen. Stattdessen lobt er Maria für ihre Bereitschaft, zuzuhören. Die Hand Christi, die sich gegen das weiße Tischtuch abhebt, zeigt auf Maria, um ihr die Botschaft zu vermitteln, dass die spirituelle Welt wichtiger ist als die materielle Welt.

Über die Provenienz dieses Werkes bis ins 19. Jahrhundert ist nichts bekannt. Als es in einer englischen Privatsammlung entdeckt wurde, galt es als ein Gemälde Raffaels. Erst während einer Reinigung im Jahr 1901 wurde die Signatur entdeckt. Heute gehört es zu einer kleinen Gruppe sehr früher Werke des Malers aus Delft, die zeigen, wie er mit verschiedenen Techniken experimentierte und Einflüsse der niederländischen und flämischen Kunst miteinander verband, darunter von den Utrechter Cravaggisten Hendrick ter Brugghen und Dirck van Baburen, von Christiaen van Couwenbergh, Jan Steen und Otto van Veen. Malweise und Kolorit erinnern an flämische Künstler wie Anthonis van Dyck, Jacob Jordaens und Thomas Willeboirts Bosschaert.

Am 20. April 1653 heiratete Jan Vermeer Catharina Bolnes, die jüngste Tochter einer wohlhabenden Katholikin in Delft. Das junge Paar zog bald bei der Mutter der Braut, Maria Thins, ein. Angesichts seiner Größe ist es wahrscheinlich, dass „Christus im Haus von Maria und Martha“ eine Auftragsarbeit war. Vermeer könnte das Bild entweder für die Jesuitenkirche oder die katholische Mädchenschule gemalt haben, die beide am Oude Langen dijk in direkter Nachbarschaft des Hauses von Maria Thins lagen, oder aber für eine Einzelperson, vielleicht einen Bewohner des sogenannten Papenhoek (Papisteneck) in Delft oder seine Schwiegermutter.

Die drei Figuren sind durch Gesten und Blicke eng miteinander verbunden. In mancher Hinsicht erscheint dieses frühe Gemälde etwas unbeholfen (vor allem die Raumkonstruktion wird bis heute kontrovers diskutiert). Niedriger Blickpunkt und monumentale Dreiergruppe könnten darauf hinweisen, dass es hoch - vielleicht über einem Kamin - hängen sollte. Doch in einigen Passagen nimmt es die Qualitäten von Vermeers reifem Werk vorweg. Das Lichtspiel auf unterschiedlichen Oberflächen wie dem Brotlaib oder den Stoffen ist sehr fein beobachtet. Sogar die statuenhafte Figur von Martha mit ihren niedergeschlagenen Augen erscheint wie eine Vorläuferin der beschäftigten Frauen, die Vermeers spätere Innenräume bewohnen.

Nach der Entdeckung der Signatur im Jahr 1901 wurde sie von Kunsthändlern in London an William Allan Coats, einen Direktor einer Garnfabrik in Paisley, verkauft. Coats hatte eine bemerkenswerte Sammlung alter Meister und Kunst des 19. Jahrhunderts zusammengetragen, von der ein Großteil über den berühmten Glasgower Kunsthändler Alexander Reid erworben worden war. Bei seinem Tod im Jahr 1926 verkauften seine Söhne Thomas H. und Major J. Coats die Sammlung; den Vermeer schenkten sie in Erinnerung an ihren Vater der Scottish National Gallery in Edinburgh.

Vermeer malte noch ein weiteres Bild mit einem biblischen Motiv: „Ein Grabbesuch“ war 1657 im Inventar des Amsterdamer Kunsthändlers Johannes de Renialme aufgelistet und muss daher in oder vor jenem Jahr entstanden sein. Das Bild ist verschollen, und es ist davon weder eine Beschreibung noch eine Kopie bekannt.

Die Heilige Praxedis

  • Die Heilige Praxedis, 1655, Öl auf Leinwand, 101,6 × 82,6 cm, signiert links unten: Meer 1655 (Kufu Company Inc., Dauerleihgabe an das National Museum of Western Art, Tokio, Inv.-Nr. DEP.2014–0001)

Die römischen Heiligen Praxedis und ihre Schwester Pudentiana lebten im 2. Jahrhundert und kümmerten sich um die Leichname christlicher Märtyrer. Vermeer zeigt die gottesfürchtige Frau - und vielleicht auch ihre Schwester hinten rechts -, als sie Blut aufwischt und aufbewahrt. Es handelt sich um das einzige bekannte niederländische Gemälde des 17. Jahrhunderts von dieser Heiligen. Vermutlich auch deshalb kopierte Vermeer das Bild des Florentiner Künstlers Felice Ficherelli. Indem er die Heilige Praxedis in ihre Aufgabe vertieft zeigt, nahm der Maler jene stille Hingabe voraus, die seine späteren Bilder so berühmt gemacht haben. Die weibliche Figur ist ganz in sich versunken und nimmt keinerlei Kontakt mit ihrer Umgebung oder gar dem Publikum auf. Das Gesicht der Heiligen weist Ähnlichkeiten mit dem der jungen Frau in „Schlafendes Mädchen“ auf.

Die Zuschreibung des Gemäldes an Vermeer wird seit 1969 heftig diskutier. Heute wird die Signatur als integraler Bestandteil des Werks angesehen. Die außergewöhnliche Themenwahl dürfte auf Vermeers Nähe zum Jesuitenorden zurückzuführen sein, und/oder sein (mutmaßlicher) Übertritt zum Katholizismus.

Diana und ihre Nymphen

  • Diana und ihre Nymphen, um 1655–1656, Öl auf Leinwand, 97,8 × 104,6 cm, signiert links unten auf dem Stein zwischen Hund und Distel: JVMeer (VM ligiert) (Den Haag, Mauritshuis, Inv.-Nr. 406)

Diana, die man an ihrem Diadem mit der Mondsichel erkennen kann, ist von mehreren Nymphen umgeben, von denen eine ihr die Füße wäscht. Das Motiv aus der griechisch-römischen Mythologie war im Barock sehr beliebt. Wahrscheinlich ließ sich Vermeer von zeitgenössischen Gemälden wie „Diana und ihren Nymphen“ von Jacob van Loo inspirieren, der ebenfalls das pastorale Motiv der Rast an einem angenehmen Ort darstellte. Farbig schließt das Bild an „Christus im Haus von Maria und Martha“ an, während die Unschärfe in den Konturen auf „Bei der Kupplerin“ vorausweist. Daher wird das Gemälde zwischen diesen beiden Arbeiten eingeordnet und um 1655/56 datiert.

Vermeer malte noch ein weiteres Gemälde mit mythologischem Sujet: „Jupiter, Venus und Merkur“, vermutlich zur selben Zeit entstanden, wurde 1761 in Delft zum Verkauf angeboten. Das Bild ist jedoch verschollen. Da sich 1652/53 ein Gemälde von Jacob Jordaens mit diesem seltenen Motiv in einer Delfter Sammlung befand, könnte Vermeer sich mit dem flämischen Barockmaler auseinandergesetzt haben.

Bei der Kupplerin

  • Bei der Kupplerin, 1656 datiert, Öl auf Leinwand, 143 × 130 cm, signiert links unten: ivMeer./1656 (ivM ligiert) (Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gal.-Nr. 1335)

Das Gemälde „Bei der Kupplerin“ ist datiert und signiert, womit es einen ersten konkreten Hinweis auf die Entwicklung Vermeers gibt. Das Genrebild leitet vom thematisch vielfältigen Frühkwerk Vermeers zu seiner Hauptbeschäftigung mit Alltagsszenen über. Sein überraschend großes Format gehört noch der frühen Periode an, während Komposition und Malweise beide Phasen miteinander verbinden.

Ein Mann in Rot legt besitzergreifend seine Hand auf die Brust einer gelbgekleideten Frau. Sie lächelt und nimmt die ihr angebotene, funkelnde Münze an. Die Kupplerin, resp. Zuhälterin, in Schwarz lauert im Hintergrund auf ihren Anteil. Auf der linken Seite wendet sich ein junger Mann aus dem Bild heraus und grinst. Mit der rechten Hand hält er den Hals einer Zister, mit der linken hebt er ein Bierglas, als wolle er mit jemandem anstoßen. Diese Figur ist als ein Selbstbildnis Vermeers in altmodischer Kostümierung interpretiert worden.1 Da nicht überliefert ist, wie Vermeer aussah, lässt sich diese Behauptung nicht verifizieren. Erstmals nutzt der Maler jedoch eine Figur, die sich aus der Komposition herauswendet und Kontakt mit dem Publikum aufnimmt.

Vermeer holte sich für diese Komposition Inspiration von Bordellszenen der 1620er Jahre. Die Utrechter Caravaggisten wie van Baburen und Jan van Bijlert oder deren Delfter Nachfolger van Couwenbergh malten eine Reihe von „fröhlichen Szenen“, wie die Darstellungen käuflicher Liebe gerne genannt wurden. Dass der junge Maler noch Probleme bei der Ausführung hatte, zeigt nicht nur die inkongruente Raumdarstellung, sondern auch die Veränderungen in den Röntgenaufnahmen. Vor allem die Figur des Freiers überarbeitete Vermeer grundlegend während des Malprozesses. Das Gesicht des Freiers war ursprünglich komplett beleuchtet, und seine Augen waren auf die junge Frau gerichtet. Vermeer fügte den Hut hinzu, legte einen Schatten auf das Gesicht. Vermeer ließ den Freier auf die Münze schauen und übermalte eine zweite Münze in der Hand der Sexarbeiterin.

Farbwahl und die Malweise deuten bereits auf das reife Werk Vermeers voraus. Die Malerei wechselt zwischen Unschärfe in Konturen und Gesichtern und klarem Realismus, was etwa den Weinkrug herausstechen lässt. Zunehmend wird Vermeers Interesse an Optik und die Wirkung von Licht sichtbar. Im Gegensatz dazu interessierte er sich zu diesem Zeitpunkt noch nicht für perspektivische Raumdarstellungen.2

Ab etwa 1656 ging der Delfter künstlerisch neue Wege, indem er sich von der großformatigen Historienmalerei ab- und der Genremalerei in intimeren Formaten zuwandte. Kurz nach der Entstehung dieses Bildes freundete sich Vermeer mit dem Sammler Pieter Claesz van Ruijven und dessen Frau Maria de Knuijt an. Das Paar wurde möglicherweise sein Mäzen.3 bereits 1653 hatte Vermeer Gerard ter Borch kennengelernt, und Pieter de Hooch, der ebenfalls in Delft wohnte, spezialisierte sich ab 1654/55 auf häusliche Szenen.

Schlafendes Mädchen

  • Schlafendes Mädchen, um 1656–1657, Öl auf Leinwand, 87,6 × 76,5 cm, signiert links oben, über dem Kopf des Mädchens: I Vmeer (Vm ligiert) (New York, The Metropolitan Museum of Art, Acc.-Nr. 14.40.611; bequest of Benjamin Altman)

Eine junge Frau sitzt mit aufgestütztem Kopf schlummernd an einem mit einem Orientteppich bedeckten Tisch. Über ihrem dunkelroten, seidig schimmernden Gewand trägt sie ein Schultertuch [kam doek], das zum Schutz der Kleidung beim Kämmen diente, aber auch sonst tagsüber getragen wurde.4 Das schlafende Mädchen trägt Perlenschmuck und ein großes, schwarzes Schönheitspflaster an ihrer Schläfe, eine sogenannte „Mouche“.5 Ein noch halb gefülltes venezianisches Glas erklärt das Schlummern der jungen Frau. Auf dem Tisch stellt Vermeer ein opulentes Stillleben zusammen: ein Teppich, Porzellanschalen mit Früchten, teilweise bedeckt von Tüchern, ein silberner Löffel, vorne ein Messer mit verziertem Griff, ein umgestürzter Römer und eine weiße Kanne. Technische Untersuchungen des Gemäldes haben gezeigt, dass Vermeer zunächst einen Mann mit Hut im Durchblick zum hinteren Raum darstellen wollte, der von einem Hund in der Türöffnung beobachtet wird; jetzt befindet sich dort Spiegel im schwarzen Rahmen.6 Indem Vermeer diese Figur übermalte, unterdrückte er die Anekdote zugunsten einer intimen Schilderung.

Das Eck eines Gemäldes über der Schlafenden könnte einen moralischen Fingerzeig für die zeitgenössischen Betrachter:innen beinhalten: Vermeer zeigt einen breitbeinig stehenden Amor mit einer Maske, der an die Darstellung der „Inconcussa“ fide in Otto Vaenius' Emblembuch „Amorum emblemata“ (1608) erinnert. Dieses Emblem illustriert eine Festellung Ciceros: „In Amore nihil fictum, nihil simulatum, & quidquid in eo est, idem verum & voluntarium est. [In der Liebe ist nichts gefälscht, nichts vorgetäuscht, und was auch immer darin ist, das gleiche ist wahr und freiwillig.]“ Anspruch und Realität sind in diesem Haushalt vermutlich nicht deckungsgleich.

„Schlafendes Mädchen“ ist Johannes Vermeers erste Darstellung eines Innenraums, in dem er eine private Szene positioniert. Vorbildhaft dürften die Werke Nicolaes Maes', ein Schüler Rembrandts in Dordrecht, gewesen sein. So finden sich auch in Maes' Werk schlafende Frauen und Türen im Hintergrund. Berühmt wurde der Barockmaler allerdings für lauschende Dienstmägde. Die Veränderung, die Vermeer im Arbeitsprozess an diesem Bild vornahm, markiert die Abkehr des Delfter Malers von seinem Zeitgenossen.

„Schlafendes Mädchen“ dürfte nur wenige Monate nach der Vollendung von „Bei der Kupplerin“ entstanden sein. Wie auch schon für dieses Werk angemerkt, beruht auch „Schlafendes Mädchen“ nicht auf einer nachvollziehbaren Raumkonstruktion. Stattdessen bevorzugt Vermeer statische, meist horizontale und vertikale Flächenfüllungen. Einzig der schräg gestellte Sessel und die Teppichfalten führen in die Tiefe. Die Suggestion von Raum entsteht so durch die Fragmentierung seiner Teile und erfordert willige Betrachter:innen.

Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster

  • Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster, um 1657–1658, Öl auf Leinwand, 83 × 64,5 cm, signiert rechts unten auf der Wand: J Meer, (Fragment) (Dresden, Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, Gal.-Nr. 1336)

Jan Vermeer: Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster

Das Bild zeigt ein Mädchen, das bei offenem Fenster einen Brief liest. Die letzte Restaurierung des Gemäldes offenbarte hinter der Protagonistin ein Bild-im-Bild an der Wand. Dadurch erscheint der Raum wieder gefüllter und ähnelt deutlich jener Raumkonzeption, die Vermeer im „Schlafenden Mädchen“ angewandt hat. Nun ist das Gemälde mit dem Amorknaben und den zwei am Boden liegenden Masken deutlich zu sehen. In seiner erhobenen Hand, die im Gemälde Vermeers von dem Vorhang verdeckt ist, hält Amor den Ring des Gyges empor. Dieser konnte der Sage nach seinen Träger unsichtbar machen. Doch wahre Liebe, so die barocke Emblemantik, habe dieses Spiel nicht nötig. Damit dürfte Vermeer klar unterstrichen haben, dass die junge Erwachsenen einen Liebesbrief in ihren Händen hält.

Die junge Dame ist zwischen Tisch Raumecke, offenem Fenster, Spanischem Stuhl mit geschnitzten Löwenköpfen und rotem Vorhang sowie einem illusionistisch gemalten, grünen Vorhang rechts (vor dem Bild) wie eingezwängt. Der Tisch ist so in die Fläche eingespannt, dass seine vordere Kante unmittelbar über dem unteren Bildrand erscheint. Das Stillleben aus Teppich, chinesischer Porzellanschale und runden Früchten (Äpfel, Pfirsiche, Pflaumen), das Vermeer darauf platziert, lädt zum genauen Hinsehen ein. Leuchtende Farbpunkte in Rot, Blau, Gelb, Schwarz und Weiß tanzen auf dem Noppenflor des türkischen Medaillon-Uschak Teppichs. In seiner Gesamtheit erinnert es an die Stillleben des in Amsterdam tätigen Willem Kalf.7 Vielleicht spielt Vermeer mit Vorhang und Früchtestillleben auf die antike Wettstreit zwischen Zeuxis und Parrhasios an. Parrhasios konnte mit seinen gemalten Trauben Vögel täuschen, während Zeuxis einen so realistisch gemalten Vorhang zustande brachte, dass ihn sein Konkurrent wegziehen wollte.

Der schwere, grüne Vorhang wird nicht vom innerbildlichen Licht erhellt, sondern blitzt durch die Beleuchtung aus unserer Welt auf. Das abrupte Ende der ebenfalls gemalten Vorhangstange könnte ursprünglich durch einen bemalten Bilderrahmen aufgefangen worden sein.

Der Soldat und das lachende Mädchen

  • Der Soldat und das lachende Mädchen, um 1657−1658, Öl auf Leinwand, 50,5 × 46 cm (New York, The Frick Collection, Inv.-Nr. 1911.1.127)

„Der Soldat und das lachende Mädchen“ ist das erste Gemälde Vermeers, dessen Raumkonzeption er mit einer einfachen Methode erstellte. Der Maler stach mit einer Nadel in den Fluchtpunkt und knüpfte daran einen pigmentierten Faden zur Kennzeichnung der Fluchtlinien. Diese Vorgangsweise wurde vermutlich von Pieter de Hooch in seinen Bildern der Jahre 1654 bis 1660/61 entwickelt und von Vermeer übernommen.

Eine Karte der Provinzen Holland und Westfriesland von Willem Jansz Blaeu findet sich in dem Gemälde „Der Soldat und das lachende Mädchen“ (wie auch in „Briefleserin in Blau“).

Die Milchmagd | Das Milchmädchen

  • Die Milchmagd | Das Milchmädchen, um 1658–1659, Öl auf Leinwand, 45,5 × 41 cm (Amsterdam, Rijksmuseum, Inv.-Nr. SK-A-2344; erworben mit Unterstützung der Vereniging Rembrandt)

Vermeer zeigt eine Milchmagd vor einer weißgekälkten Wand, die gerade damit beschäftigt ist, Milch aus einem Tonkrug in eine Schüssel zu gießen.Das viele Brot dürfte darauf hinweisen, dass die Magd Brotbrei herstellt, indem sie das trockene Brot in Milch einweicht. Manchmal wurde das Rezept mit Bier ergänzt, worauf blaue Westerwälder Krug hindeuten könnte.

Wie schon zuvor positioniert der Maler die Protagonistin vor einer Raumecke und unter einem geschlossenen Fenster. Der Fluchtpunkt befindet sich knapp über der Hand des Milchmädchens, mit der sie den Krug hält. Damit wählte Vermeer eine Horizontlinie, die deutlich unterhalb ihres Kopfes liegt, als ob die Betrachtenden vor der Figur sitzen und nicht stehen. Dadurch ergibt sich eine leichte Untersicht, die wesentlich zum Eindruck der Monumentalität der Magd beiträgt.

Die junge Frau ist ein einfaches, aber farbintensives Kleid mit gelbem Wams aus dünnem Leder und grünen Überärmeln [morsmouwen], tiefblauer Schürze über rotem Rock gehüllt. Das hell beleuchtete Weiß der Haube und das Gelb, Grün und Blau der Kleidung heben sich wirkungsvoll von der dunkler verschatteten Wand ab. Die vom Tageslicht erhellte Hand hingegen wird von einer dunkleren Schattenzone hinterfangen. Um die Figur noch deutlicher vom Hintergrund zu trennen, fügte Vermeer eine helle bzw. dunkle Schattenkontur hinzu. Besonders auffallend ist die etwas zu hell gehaltene Fläche zwischen dem ausschenkenden Arm und der Schürze. Indem Vermeer dort die Wandfarbe heller stehen ließ, setzt sich das Motiv besser vom Hintergrund ab.
Dies war eine bewusste Entscheidung des Künstlers. Technische Untersuchungen haben jüngst gezeigt, dass er in der rechten Bildhälfte zunächst auf Kopfhöhe der Magd ein Brett mit mehreren angehängten Kannen gemalt hatte und hinter ihr einen großen, mit Tüchern bedeckten Korb (vielleicht ein Feuerkorb).8

Mit der „Milchmagd“ hat Vermeer eine Bildform gefunden, in der er eine überzeugende Raum- und Lichtdarstellung mit einer Betonung auf eine Frauenfigur in einer stillen und konzentrierten Handlung verbinden konnte. Die Lichtpunkte in Vermeers Bild sind besonders auffallend.

Die kleine Straße | Ansicht von Häusern in Delft

  • Die kleine Straße | Ansicht von Häusern in Delft, um 1657–1658, Öl auf Leinwand, 54,3 × 44 cm, signiert links unten unter dem Fenster: I Vmeer (Vm ligiert) (Amsterdam, Rijksmuseum, Inv.-Nr. SK-A-2860; Schenkung von H. W. A. Deterding, London)

Die Individualität Vermeers als Landschaftsmaler erschließt sich, wenn man seine Stadtansichten mit jenen seiner Zeitgenossen vergleicht: Pieter Saenredam, Jan Abrahamsz Beerstraten und später Jan van der Heyden und Gerrit Berckheyde. Vermeer schloss sich nicht an die Darstellungsmethoden seiner Kollen an, sondern entwickelte eine völlig eigenständige Interpretation des Stadtbildes. Bereits der Bildtitel Die kleine Straße macht deutlich, dass der Eindruck von Stille und Beschaulichkeit entsteht. Nicht die Geschäftigkeit des Handelsstadt und des Produktionsstandortes wird gewürdigt, sondern ein altes, verwittertes Haus. Möglicherweise könnte es noch Spuren der Explosion von 1654 aufweisen.

Die größte Nähe zeigt das Bild zu Genrebildern von Pieter de Hooch oder Jan Steen, ohne allerdings das Gebäude als Kulisse für die anekdotische Schilderung einer Alltagszene zu nutzen. Bei Vermeer bringen einige Staffagefiguren Leben in die Szene: eine handarbeitende Frau in der Tür und eine Frau vor einem Waschtrog und einem Besen im Hof sowie spielende Kinder auf dem Gehsteig. Statt eine (moralisierende) Geschichte zu erzählen, macht Vermeer in dem Bild das Haus selbst zum Gegenstand seines Gemäldes (als einziges im 17. Jahrhundert!). Der Detailrealismus Vermeers ist dabei so groß, dass er die Fensterläden korrekt außen grün und innen rot streicht. Auch der Gehsteig ist erhöht und gepflastert wiedergegeben, genauso wie es die Stadtverwaltung den Eigentümer:innen vorschrieb. Vom Wassertrog im Hof läuft eine Rinne in den Bildvordergrund; das glitzernde Wasser (Regenwasser oder Abwasser, Schmutz) wurde auf diese Weise in die Gracht abgeleitet.

Wo fand Vermeer das Vorbild für „Die kleine Straße“? Seit 1950 vertraten einige Kunsthistoriker:innen, Pieter Swillens folgend, die Ansicht, dass Vermeer das Bürgerhaus an der Voldersgracht gefunden habe.9 Aktuell wird die Recherche von Frans Grijzenhout debattiert, wonach Vermeer eine Stelle in der Vlamingstraat malte. Auf Basis des sogenannten Kaigeldregisters, in dem ab 1666 die Breite der Häuser verzeichnet wurde, konnte er die Häuser aufgrund ihrer Breite lokalisieren. Das nahe den heutigen Hausnummern 40−42 liegende Gebäude befand sich in den ärmeren Vierteln von Delft. Allerdings lebte Vermeers Tante Ariaentgen Claes van der Minne, eine Halbschwester seines Vaters, in diesem Haus.10

Heute sind von Jan Vermeer nur mehr zwei Stadtansichten bekannt. Ein Auktionskatalog aus dem 17. Jahrhundert dokumentiert jedoch noch eine dritte Komposition mit „einer Ansicht einiger Häuser“. Dieses Bild ist allerdings verschollen.

Ansicht von Delft

  • Ansicht von Delft, um 1660–1661, Öl auf Leinwand, 96,5 × 115,7 cm, signiert links unten auf dem Boot: IVM (ligiert) (Den Haag, Mauritshuis, Inv.-Nr. 92)

Für die Ansicht von Delft näherte sich der Künstler von Südwesten der Stadt. Er zeigt die Südwestecke von Delft, wo er die Zerstörung der Stadt durch den „Delfter Donnerschlag“ im Oktober 1654 ausblenden konnte. Die Explosion in einem Pulvermagazin tötete Hunderte von Einwohner:innen, darunter Carel Fabritius, und zerstörte einen Großteil der Stadt, vor allem im Norden und Osten. Im Gegensatz zu seinen Vorgängern und Zeitgenossen stellte Vermeer in der Ansicht von Delft nicht ein breites Panorama der Stadt aus großer Entfernung dar, in dem er die wichtigsten Bauwerke möglichst prominent und detailliert zeigte. Indem Vermeer Delft von Südwesten ins Bild rückt, gelingt ihm wenige Jahre nach dem Unglück eine repräsentative Ansicht, ohne die Zerstörung zu thematisieren. Die Nieuwe Kerk ist in der Ferne zu sehen (vorne rechts), die Oude Kerk lässt sich hingegen weniger gut und das Rathaus gar nicht erkennen. Die lachsfarbenen Dächer gehören zum Arsenal und die Türme der Oude Kerk bzw. die Brauerei „De Papegaey“ liegen im Schatten der dunklen Wolke. Statt einer hell ausgeleuchteten Szenerie rückt Vermeer die Stadttoren Schiedamse Poort links der Mitte und Rotterdamse Poort mit seinen Zwillingstürmen ganz rechts ins Zentrum seines Interesses. Der Vordergrund zeigt den „Kolk“, den Hauptzugang zur Stadt. Hier liefen Segelschiffe und Lastkähne ein und aus. Die Eingänge in die Stadt liegen allerdings im Schatten, während das Stadtzentrum hell aufleuchtet. Das von Osten scheinende Licht entspricht einer Zeit früh am Morgen, was die Uhr am Schiedamse Poort bestätigt, die eine Zeit zwischen sieben Uhr und halb acht anzeigt.11

Im Vordergrund links malte Vermeer einige modisch gekleidete Figuren neben einer vertäuten Treckschute. Im Hafen am gegenüberliegenden Ufer liegen mehrere Treckschuten, einige Frachtschiffe und auf der rechten Seite bei der Schiffswerft zwei Heringsbüsen, die gerade repariert werden. Dennoch darf man nicht davon ausgehen, dass es sich um eine fotografisch korrekte Wiedergabe der Stadt handelt, sondern um eine barocke Komposition, welche künstlerische Freiheit und Interpretation des Gesehenen zulässt. Vermeer nahm sich einige künstlerische Freiheit in Bezug auf Proportionen, Farbe und Licht. Samuel van Hoogstraten fasste diese Herangehensweise in seiner „Inleyding tot de hooge schoole der schilder-konst [Einführung in die Hohe Schule der Malkunst]“ (1678) so zusammen:

„Ein vollkommenes Gemälde ist wie ein Spiegel der Natur, der die Dinge, die nicht sind, vortäuscht und auf eine ge-stattete, vergnügliche und löbliche Weise betrügt.“12

Die „Ansicht von Delft“ besteht fast zur Hälfte aus Himmel und zu einem Viertel aus Wasser. Kleine Farbtupfer suggerieren auf raffinierte Weise die Reflexion des Sonnenlichts. Die Wiedergabe von Oberflächen und Lichttupfen zählt zu den Hauptcharakteristika von Vermeers Kunst: Das Wasser in der „Ansicht von Delft“ gab er in feinen Pinselstrichen wieder, während er das Sonnenlicht auf dem Turm der Nieuwe Kerk in pastosem Bleizinngelb auftupfte.

Das Glas Wein | Herr und Dame beim Wein

  • Herr und Dame beim Wein, bekannt als Das Glas Wein, um 1659–1661, Öl auf Leinwand, 67,7 × 79,6 cm (Berlin, Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Inv.-Nr. 912C)

Die Beziehung zwischen diesem Mann und der Dame scheint mysteriös: Während sie ihr Gesicht in einem Weinglas vergraben hat, ruht seine Hand auf dem Weinkrug, bereit ihr nachzuschenken. Möchte er die junge Frau betrunken machen, um sie anschließend zu verführen? Der schwarze Hut und der Umhang könnten darauf hindeuten, dass er ein Besucher ist, der gerade gekommen ist. Die in leuchtend roten Satin gekleidete Frau dürfte kurz zuvor noch musiziert haben, liegen doch Notenbücher am Tisch und eine Cister auf dem Spanischen Stuhl.

Um 1660 beschäftigte sich der Maler mit sorgfältig inszenierten Verführungsszenen mit modisch gekleideten jungen Paaren in eleganten Interieurs, ohne die Umstände jedoch zu präzisieren. Neben „Das Glas Wein“ zeigen noch „Die unterbrochene Musikstunde" und „Das Mädchen mit dem Weinglas" eine vergleichbare Szenerie eines modisch gekleideten Besuchers im amourösen Spiel mit einer Dame. „Das Glas Wein“ dürfte als erstes dieses Dreiergruppe entstanden sein. Kurz zuvor hatte Pieter de Hooch sich mit ähnlichen Kompositionen beschäftigt, wobei auch de Hooch naturgetreue Abbildungen zeitgenössischer Innenräume anstrebte. Ein weiterer Ideengeber war Gerard ter Borch, dessen Trägerinnen von schillernden Satinkleidern ebensolch raffinierte Genreszene bevölkern.

Der Innenraum wird von einem Perserteppich auf dem Tisch, einem Gemälde im vergoldeten Rahmen an der rückwärtigen Wand und einen Fußboden mit orangefarbenen und blaugrünen Fliesen bestimmt. Das göffnete Bleiglasfenster zeigt ein Familienwappen13, wobei die weibliche Figur mit den flatternden Bändern als Personifikation der Sittsamkeit (miß)gedeutet wurde. Das Bild-im-Bild zeigt eine Landschaft mit Wasserfall in der Art des Allaert van Everdingen, gerahmt in einem vergoldeten Rahmen im Ohrmuschelstil.

Mit vielen kleinen, sorgfältig angeordneten Farbpunkten erweckt Vermeer die Illusion von Lichtreflexen.

Das Mädchen mit dem Weinglas

  • Das Mädchen mit dem Weinglas, um 1659–1661, Öl auf Leinwand, 77,5 × 66,7 cm, signiert rechts unten auf dem Fenster: IVMeer (IVM ligiert) (Braunschweig, Herzog Anton Ulrich-Museum, Inv.-Nr. GG 316)

In dem Bild „Das Mädchen mit dem Weinglas“ überreicht ein galanter Herr der rot gekleideten Protagonistin gerade das titelgebende Weinglas. Ein weiterer Mann sitzt am Tisch und schläft seinen Rausch aus. Die kostbare Silberschale mit Zitronen oder Orangen auf dem blauen Tischtuch könnten die Reste einer Mahlzeit sein. Außergewöhnlich ist, dass das Mädchen aus dem Bild herausblickt und lächelt. Das Zeigen eines derart offenen Lächelns mit entblößten Zähnen war im 17. Jahrhundert ungewöhnlich und dürfte Assoziationen mit unangemessenem Verhalten hervorgerufen haben. Und doch: Einmal mehr bleibt die Szene in ihrer Bedeutung unbestimmt.

An der Wand hängt ein Porträt, eingefasst in einen dunklen Rahmen mit Goldrand. Die Kleidung des Porträtierten lässt eine Datierung um 1630 plausibel erscheinen. Zwischen Bildnis und Genreszene ergibt sich so ein zeitlicher Abstand von etwa 30 Jahren. Dadurch entsteht der Eindruck, als ob jemand aus der vorangegangenen Generation zuschaut, wie die Jugend in Luxus schwelgt und sich amüsiert.14

Den Fußboden mit orangefarbenen und blaugrünen Fliesen nutzte Vermeer bereits für das etwas früher entstandene Bild „Das Weinglas“. Damit orientierte sich der Maler an einem üblichen Bodenbelag in Wohnhäusern des 17. Jahrhunderts in den Niederlanden (der später auftauchende schwarz-weiße Marmorboden ist kostspieliger und vornehmer). Vermeer nutzte das Muster der Fliesen, um die Tiefenwirkung zu betonen. Die zugrundeliegende Perspektivkonstruktion erzeugt eine optimale räumliche Illusion, wenn das Bild aus nächster Nähe - aus etwa 110 cm Entfernung - betrachtet wird.15

„Mädchen mit dem Weinglas“ ist Variante der amurösen Beziehungen, bei der Alkohol und Tabak (Papier) offenbar bereits Wirkung zeitigt. Es ist gleich groß wie „Das Weinglas“, wobei Vermeer „Mädchen mit dem Weinglas“ als Hochformat gestaltet hat, was in der niederländischen Genremalerei ab den späten 1650er Jahren zunehmend üblich wurde. Da das Bild etwas glatter gemalt ist und Vermeer das Licht gleichmäßiger wiedergibt, dürfte es etwas später entstanden sein. Es wird eine Datierung in die frühen 1660er Jahre vorgeschlagen.

Die unterbrochene Musikstunde

  • Die unterbrochene Musikstunde, um 1659−1661, Öl auf Leinwand, 39,4 × 44,5 cm (New York, The Frick Collection, Acc.-Nr. 1901.1.125)

Für die Musikstunde hat sich die junge Frau eine bequeme Hausjacke mit geraden Ärmeln angezogen, ein Kleidungsstück, in dem Vermeer seine Frauen ab den frühen 1660er Jahren häufig zeigte.16 Auf dem Tisch liegen eine Cister und ein aufgeschlagenes Notenbuch. Vielleicht hat die Frau es bei der Ankunft des Musiklehrers (?) beiseitegelegt? Der Mann hält das Papier in ihren Händen mit einer Hand fest, wobei unklar ist, ob er es ihr gerade gibt oder wegnimmt. Das Blatt fungiert als verbindendes Motiv. Das ist eine einfallsreiche Anleihe von Frans van Mieris’ Gemälde „Das Necken des Schoßhunds“. Und doch wird die Musikschülerin abgelenkt und blickt aus dem Bild heraus.17 Hinter dem Paar hängt ein Bild von Amor an der Wand, vielleicht ein verschollenes Werk von Caesar van Everdingen.18 Der Weinkrug aus Delfter Fayence und das gefüllte Weinglas auf dem Tisch lassen vermuten, dass auch hier Alkohol im Spiel ist.

„Die unterbrochene Musikstunde“ muss einige Jahre später gemalt worden sein als bislang angenommen, da die Leinwand von demselben präparierten Stoffballen stammt wie die „Junge Frau mit Wasserkanne“, deren Entstehung nicht vor 1662 datiert wird.19 Daraus ergibt sich, dass Vermeer in diesem Bild eine Synthese der beiden vorangegangenen Weinglas-Gemälde unternimmt und die Bilderzählung in eine neue Richtung weiterentwickelt. Bildbestimmende Elemente wie das Bleiglasfenster und den Fliesenboden ließ er weg. Die Beziehung zwischen Verehrer resp. Musiklehrer und junger Dame wird intensiviert. Durch die Einführung der Alltagskleidung erhält das Bild eine noch privatere Atmosphäre. Dennoch bleibt Vermeer in einer luxuriösen, eleganten Welt voller unbeschwerter Vergnügungen. Die Geschlechterrollen sind eindeutig verteilt: Der Mann kommt von außen in die häusliche Welt der Frau. Der Blick in die Außenwelt wird vom Maler allerdings nie gewährt!

Junge Frau mit Wasserkanne

  • Junge Frau mit Wasserkanne, um 1662−1664, Öl auf Leinwand, 45,7 × 40,6 cm (New York, The Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 89.15.21; Marquand Collection, Schenkung von Henry G. Marquand, 1889)

Eine junge Frau öffnet oder schließt ein Fenster am linken Bildrand. Rechts steht ein Tisch, bedeckt mit einem türkischen Teppich, auf dem eine vergoldeten Silberkanne und das dazugehörige Wasserbecken sowie eine Schmuckschatulle mit einer kaum sichtbaren Perlenkette stehen. Auf der metallenen Oberfläche der Kanne reflektieren sie die umgebenden Farben Blau, Ocker, Rot und Grau. Auch die weiße Haube und das Schultertuch sind subtil in bläuliche Schatten getaucht. An der rückwärtigen Wand der Jungen Frau mit Wasserkanne fügte Vermeer die Karte der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen von Claes Jansz Visscher ein. Ursprünglich sollte sie ganz hinter dem Kopf der Frau hängen sollen, doch während des Malvorgangs änderte der Künstler sein Konzept und reduzierte sie auf das Stück rechts.

In der katholischen Andachtsliteratur der Zeit wird die tugendhafte Reinheit der Seele propagiert. Dazu verwenden die Autoren die Begriffe der Sauberkeit und Reinheit als Metaphern. Die junge Frau steht zwischen Fensterscheibe und Kanne, wodurch sie gleichsam zwischen Objekten positioniert ist, die im Barock mit Reinheit verbunden wurden.

Vermeer, so zeigt sich Gregor J. M. Weber überzeugt, muss sich in den Jahren 1662 bis 1664 intensiv mit jesuitätischer Frömmigkeit beschäftigt haben.20 Schon seit einigen Jahren war der Maler Nachbar der Jesuitenstation auf dem Oude Langendijk, sodass er dort für alle kirchlichen Belange seiner katholischen Familie stets Ansprechpartner gehabt haben muss. Dazu gehörte auch Zugang zu deren Andachtsliteratur.21

Briefleserin in Blau

  • Briefleserin in Blau, um 1662–1664, Öl auf Leinwand, 46,5 × 39 cm (Amsterdam, Rijksmuseum, Inv.-Nr. SK-C-251; Leihgabe der Gemeinde Amsterdam (Vermächtnis A. van der Hoop))

Die in Blau gekleidete Briefleserin steht im Profil mitten in einem Raum. Sie hält mit beiden Händen einen Brief vor ihrer Brust. Knickspuren verraten, dass es kein neuer Text ist, sondern dass der Brief an die Dame geschickt worden war. Ein Tisch und zwei Stühle stehen vor und neben ihr. Auf dem Tisch liegen ein geöffnetes Kästchen, ein dunkles Tuch, eine Perlenkette und ein Bogen Papier. Vielleicht hat sie den Brief aus dem Kästchen genommen? An der Wand hinter der Briefleserin hängt eine gedruckte Karte der Provinzen Holland und Westfriesland von Willem Jansz aus dem Jahr 1621 (wie auch in „Der Soldat und das lachende Mädchen“ und „Liebesbrief“). Wenn auch alle Objekte in diesem Bild aus anderen Werken Vermeers vertraut sind, so taucht die blaue Jacke mit den Schleifen, eine beddejak, nur in dieser Komposition auf. Da es sich hierbei um ein Kleidungsstück handelt, das vornehme Damen im Bett trugen, und die Kleidung insgesamt sehr weit wirkt, ist viel über eine mögliche Schwangerschaft der Protagonistin anchgedacht worden.22

Das Thema einer brieflesenden Frau hatte Vermeer bereits in „Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster“ (um 1657−1658) in sein Werk eingeführt. Der Maßstab der Figuren ist gleich, nur wählte Vermeer im jüngeren Bild eine kleinere Leinwand, etwa von der Größe des „Milchmädchens“, und er reduzierte dazu die Motive zu einer – auf den ersten Blick – schlichteren Komposition. Der engere Bildausschnitt fokussiert deutlicher auf die weibliche Person und ihr Tun. Einzig die Landkarte verweist auf die äußere Welt. Fenster ist keines mehr zu sehen, auch wenn die Lichtführung von links einfallendes Tageslicht suggeriert. Auch das Bild-im-Bild ist verschwunden. Das Kolorit wirkt gedämpft. Im Vergleich zum „Milchmädchen“ setzte Vermeer eine verfeinerte Malweise ein, das heißt, er nutzte den körnigen Farbauftrag nicht mehr, sondern malte glatter und mit sanften Übergängen der Töne. Auf die Lichtpunkte (Pointillé) verzichtet er dabei nicht gänzlich, allerdings setzt er sie sparsamer ein (z.B. auf der Landkarte). Damit erzielt Vermeer eine stärkere Innerlichkeit seiner Briefleserin, die mit einer geistigen Tätigkeit beschäftigt ist.

Die Musikstunde | Dame und Herr am Virginal

  • Die Musikstunde | Dame und Herr am Virginal, um 1662–1664, Öl auf Leinwand, 73,3 × 64,5 cm, Signiert unten auf dem Rahmen des Gemäldes: IVMeer (IVM ligiert) (London, Royal Collection Trust, Inv.-Nr. RCIN 405346; The Royal Collection, His Majesty King Charles III)

In einem Raum mit Balkendecke, Fensterwand links und Schwarz-Weißem-Marmorfußboden findet eine Musikstunde am Virginal statt. Die Musikerin steht vor ihrem Instrument, während der Lehrer ihr Tun beobachtet. Ein Spiegel vor und über der Musikerin lässt erkennen, dass sie den Mann gerade ansieht. Eine Viola da Gamba liegt am Fußboden. Der Schriftzug auf der Innenseite des Instrumentendeckels lässt sich als „musica letitiae co[mes] medicina dolor[um]“ - „Musik ist die Begleiterin des Glücks und Medizin für den Schmerz“ - übersetzen.

Das große, schwarz gerahmte Gemälde ist zwar nicht vollständig gezeigt aber identifizierbar. Es gibt ein erhaltenes Gemälde aus der Werkstatt von Dirck van Baburen wieder, das sich seit der Eheschließung im Haus von Vermeers Familie befand: „Cimon und Pero (Caritas Romana)“ (um 1622−1624, Privatsammlung).

Vermeer konzipierte die Raumdarstellung mit Perspektivlinien, die sich im linken Ärmel der Musikerin kreuzen. Dadurch wirkt die Szene, als ob man sitzend am Unterricht teilnimmt. Der kürzere Abstand zu den Musiker:innen führt zur stärkeren Draufsicht auf den Marmorplatten.

Das Konzert

  • Das Konzert, um 1662–1664, Öl auf Leinwand, 72,5 × 64,7 cm, signiert unten auf dem Rahmen des rechten Gemäldes: IVMeer (IVM ligiert) (Boston, Isabella Stewart Gardner Museum, Inv.-Nr. P21w27) - gestohlen 1990

Vermeer rückt die Gruppe der Musizierenden tief in den Raum hinein, so dass sie klein im Hintergrund erscheint, während das Zimmer dadurch größer und weiträumiger wirkt. Ein großes Cembalo mit aufgeklapptem Deckel steht an der hellen Rückwand. Eine junge Frau spielt im Sitzen. Sie trägt ein kostbares silbernes Seidengewand und eine gelbe, mit schwarzen Bändern abgesetzte Jacke, die von einigen Gemälden Vermeers bekannt ist. Vor dem Instrument nimmt ein Mann auf einem Stuhl mit auffallend orangeroter Rückenlehne Platz. Er ist zur Wand gedreht, so dass nur sein Rücken zu sehen ist. Aber er hält ein Lauteninstrument in der Hand, eine Theorbe mit zusätzlichen frei schwingenden Saiten (wie der Hals mit den Stimmwirbeln erkennen lässt). Auffällig ist die breite, militärische Schärpe des Mannes, an der sein Degen hängt. Ebenfalls noch vor dem Cembalo steht rechts eine Sängerin, die auf ein Papier in ihrer Hand schaut, während sie die andere Hand erhoben hält. Das Trio musiziert in größter Konzentration miteinander. Im Gegensatz zu einigen zeitgenössischen Darstellungen von Musiker:innen wirkt Vermeers Interpretation still und leise.

Der Wohlstand des Hauses wird durch die Schwarz-Weißen-Marmorplatten am Boden deutlich. Der schwere Tisch mit einem osmanischen Usak-Teppich und zwei zur Seite gelegte Instrumente ergänzen den Eindruck von Reichtum: Auf dem Tisch liegt in perfekter optischer Verkürzung eine Cister, und rechts neben dem Tisch ruht eine Viola da Gamba. Zwei große Gemälde an der Rückwand runden das Interieur ab: eine Baumlandschaft in der Art des Jacob van Ruisdael (Schule) und ein noch erhaltenes Gemälde von Dirck van Baburen, „Die Kupplerin“ (1622, Boston, Museum of Fine Arts).23 Die Landschaften sowohl an der Wand als auch am Cembalodeckel bringen Natur in den Innenraum.

Da das Gemälde 1990 aus dem Isabella Steward Gardner Museum gestohlen wurde, sind Aussagen über die Farben nur schwer zu treffen. Vor einiger Zeit hat Factum Arte eine Rekonstruktion des Bildes versucht (→ SKY Arts HD und Factum Arte: Das Geheimnis der verlorenen Meisterwerke).

Die Lautenspielerin

  • Die Lautenspielerin, um 1662−1664, Öl auf Leinwand, 51,4 × 45,7 cm (New York, The Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 25.110.24; bequest of Collis S. Huntington, 1900)

Junge Dame mit Perlenhalsband

  • Junge Dame mit Perlenhalsband, um 1662−1664, Öl auf Leinwand, 56,1 × 47,4 cm, signiert an der Seite der Tischplatte: IVMeer (IVM ligiert) (Berlin, Gemäldegalerie der Staatlichen Museen zu Berlin, Preußischer Kulturbesitz, Inv.-Nr. 912B)

Vermeer zeigt eine Dame in ihrem Ankleidezimmer: Sie trägt eine elegante goldgelbe Jacke mit Fellbesatz (vielleicht Hermelin), am Ohr eine große Perle und im Haar rote Schleifen.24 Das Perlenhalsband vervollständigt ihren Aufputz. Auf dem Tisch stehen noch Kamm, Puderquaste und ein Wasserbecken, das vom blauen zusammengeschobenen Tischtuch fast ganz verdeckt wird. Eine kostbare, wohl chinesische blauweiß dekorierte Deckelvase steht links im Schatten.

Mit Spiegel, Perlenketten, Puderquasten (und Parfüms) finden sich in diesem Bild viele Elemente, welche in der zeitgenössischen Moralliteratur als „weltlich“, das heißt eitel, irdisch und daher veränglich, verschrien wurden. Statt sich um Äußerlichkeiten zu kümmern, sollten die Menschen sich um inneren Tugenden, das Seelenheil, sorgen. Um die Lichtregie in dem Werk zu steigern, übermalte Vermeer eine Landkarte im Hintergrund, genauso wie eine Laute oder Cister im Bildvordergrund. Dies kann sowohl formal (Beruhigung der Komposition) als auch inhaltlich (Zuspitzung der Bedeutung) interpretiert werden.

Frau mit Waage

  • Frau mit Waage, um 1662−1664, Öl auf Leinwand, 39,7 × 35,5 cm (Washington D.C., National Gallery of Art, Widener Collection, Inv.-Nr. 1942.9.97)

Wie schon für „Junge Frau mit Perlenhalsband“ beschrieben, zielt auch „Frau mit Waage“ auf einen moralisierenden Inhalt ab. Die vornehm gekleidete Dame steht nun in einem verdunkelten Raum. Vor ihr steht ein Tisch, ein Spiegel hängt an der Wand. Auf dem Tisch liegt eine geöffnete Schmuckschatulle, ihr Inhalt - Gold- und Perlenketten sowie goldene und silberne Münzen - sind auf der Tischplaate verstreut. In der Hand hält die Frau eine zierliche Waage zur Bestimmung kleiner Gewichte. Ruhig wartet sie, bis die Waagschalen sich ausbalanciert haben.

Dieser Moment der Reflexion erhält durch das Gemälde hinter ihr eine besondere Bedeutung: Zu sehen ist eine Darstellung des Jüngsten Gerichts eines unbekannten Malers aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Während in dem Bild-im-Bild der Erzengel Michael die Seelen wägt, kontrolliert die Frau im Vordergrund ihre weltlichen Schätze. Gregor J. M. Weber schlägt jüngst vor, dieses Werk im Kontext der jesuitischen Andachtsliteratur zu sehen. Er führt vor allem die Schrift „Het masker vande wereldt afgetrocken [Die Maske von der Welt abgezogen,]“ des Jesuitenpaters Adriaen Poirters von 1646 an. Die Waage dient also nur vordergründig der Bestimmung des Gewichts. Sie steht auch für die Ausgeglichenheit selbst, während der Schmuck die irdische, vergängliche Welt widerspiegelt. Die Dunkelheit des Raumes lässt sich ebenfalls positiv als Ambiente für göttlichen Beistand und göttliches Licht (im Gegensatz dazu die Blindheit bei strahlendem Sonnenlicht) interpretieren.

In den ersten Jahren befand sich das Gemälde in einem verschließbaren Kästchen. Es ähnelte nach dem Öffnen der Flügel wohl auch einem Flügelaltar in den katholischen Kirchen.

Briefschreiberin in Gelb

  • Briefschreiberin in Gelb, um 1664−1667, Öl auf Leinwand, 45 × 39,9 cm, signiert auf dem Gemälderahmen im Hintergrund: IVMeer (IVM ligiert) (Washington D.C., National Gallery of Art, Inv.-Nr. 1962.10.1; Schenkung von Harry Waldron Havemeyer und Horace Havemeyer Jr., im Gedenken an ihren Vater Horace Havemeyer)

Dame und Dienstmagd

  • Dame und Dienstmagd, um 1664−1667, Öl auf Leinwand, 90,2 × 78,7 cm (New York, The Frick Collection, Inv.-Nr. 1919.1.126)

Untersuchungen im New Yorker Metropolitan Museum of Art haben ergeben, dass der Delfter Meister in diesem Bild hinter den Frauen zunächst einen detaillierten Wandteppich mit mindestens vier großen Figuren dargestellt hatte, der den Wandteppichen in „Mädchen mit Flöte“ und „Mädchen mit rotem Hut“ ähnelte. Doch während des Malprozesses ersetzte der Maler das farbenfrohe Motiv durch eine dunkle Kulisse mit einem dunkelgrünen, gerafften Vorhang in der rechten Bildhälfte, was zu einer stärkeren Betonung der Interaktion zwischen den beiden Frauen führte.25

Mädchen mit Flöte

  • Mädchen mit Flöte, um 1664−1667, Öl auf Holz, 20 × 17,8 cm (Washington D.C., National Gallery of Art, Widener Collection, Inv.-Nr. 1942.9.98)

Das Mädchen hält die titelgebende Flöte nahezu versteckt zwischen sich und der Tischplatte, auf die sie sich aufstützt. Sie sitzt uns direkt gegenüber auf einem Spanischen Stuhl mit vergoldetem Löwenkopf, der links neben ihrer Schulter aufblitzt. Vermeer verlebendigt die Komposition, indem er die Haltung des Mädchens an der aufsteigenden Diagonale orientiert. Dadurch wirkt sich leger sitzend oder gerade in einem Bewegungsmoment fixiert. Der kegelförmige Hut, über den ein grau-weiß-schwarz gestreifter Stoff gespannt ist, erinnert an chinesische Vorbilder aus geflochtenem Bambus. Entgegen Vermeers Gewohnheit fällt das Licht von rechts vorne ein. Lichtreflexen blitzen an den schweren Perlen und am leicht geöffneten Mund auf, während der Hintergrund mit gedeckten, dunklen Farben gehalten ist. Das Halbdunkel spielt hier eine größere Rolle als in vielen anderen Gemälden Vermeers.

Zwischen 1664 und 1667 arbeitete Jan Vermeer an einer kleinen Gruppe von Gemälden, auf denen Mädchen aus nächster Nähe dargestellt sind und direkt aus den Bildern schauen: „Mädchen mit Flöte“, „Mädchen mit rotem Hut“, „Das Mädchen mit dem Perlenohrring“ und „Mädchen mit einem Schleier“. Die Lebendigkeit dieser Bildnisse legt nahe, dass der Maler mit Modellen gearbeitet hat - ohne jedoch klassische Porträts damit zu intendieren. Jüngst wurde darauf hingewiesen, dass Vermeer mit diesen Gemälden an die niederländische Tradition der Tronjen, das sind Charakterköpfe und Fantasieporträts von Figuren in fiktiven Kostümen, anknüpfte. Er selbst besaß laut Nachlassinventar sieben Tronjen, unter anderem von Carel Fabritius und Samuel van Hoogstraten.

Im Gegensatz zu früheren Bildern, in denen Vermeer den Schatten Hellblau malte, gestaltete er ihn hier erstmals mit Grüner Erde, ein farbschwachse, graugrünes Erdprigment, das in Italien weit verbreitet aber in den Niederlanden nicht eingesetzt wurde. Vermeer nutzte es in mehreren seiner späteren Gemälde im Inkarnat seiner Figuren.
„Mädchen mit Flöte“ ist neben „Mädchen mit rotem Hut“ das einzige Werk Vermeers auf Holz. Dies führte in der Vergangenheit zu Zweifeln an der Eigenhändigkeit dieser Arbeiten. Doch wird dies mit dem verweis auf das Nachlassverzeichnis, in dem neben zehn Leinwänden noch sechs Holztafeln zur Bemalung aufgezählt werden, zurückgewiesen und die beiden Bilder als Gemälde Vermeers anerkannt.

Neueste Untersuchungen in Washington könnten darauf hinweisen, dass „Mädchen mit Flöte“ ein eigenhändiges Werk Jan Vermeers sein könnte. Zwar verstand der Maler oder die Malerin das Konzept von Vermeers Malweise, doch fanden die Foscher:innen einige wenig überzeugende, nachlässigere, qualitativ nicht befriedigende  Elemente (wie beispielsweise viele Pinselhaare in der Malfarbe, eine ungewöhnlich grobe oberste Grundschicht mit sichtbaren Pinselzügen, einfacher modellierte Glanzlichter, Einsatz von groben Pigmenten in den obersten Farbschichten und dickerer Farbauftrag). Dies eröffnete die Frage nach einem Lehrling oder Mitarbeiter in der Werkstatt Vermeers. Allerdings sind einige dieser Charakteristika auch in dem Gemälde „Der Liebesbrief“ nachweisbar. Die Kuratoren der Vermeer-Ausstellung im Rijksmuseum halten 2023 an der Autorschaft Vermeers fest und sehen in „Mädchen mit Flöte“ eine experimentelle Studie, welche den anderen drei bekannten Tronien vorausging.26

Mädchen mit rotem Hut

  • Mädchen mit rotem Hut, um 1664−1667, Öl auf Holz, 22,8 × 18 cm (Washington D.C., National Gallery of Art, Andrew W. Mellon Collection, Inv.-Nr. 1937.1.53)

Eine junge Frau mit ausladendem, rotem Hut blickt unverfroren über ihre rechte Schulter aus dem Bild. Vermeer scheint mehr Interesse für das auffallende Kleidungsstück als die Person gehabt zu haben. Mit seiner gebürsteten Krempe und dem beleuchteten oberen Rand ist der Hut ein absoluter Hingucker - und einzigartig im Werk des Delfter Malers. Vergleiche mit Werken von Rembrandt und seinem Schüler Ferdinand Bol wurden bereits angestellt, um „Mädchen mit rotem Hut“ zu kontextualisieren.

Ein Infrarot-Falschfarbenbild belegt, dass Vermeer für das Bild „Mädchen mit rotem Hut“ eine kleine, bereits mit einer Tronie oder dem Porträt eines Mannes bemalte Tafel weiterverwendete. Für seine Darstellung drehte er das Bild um 180 Grad und übermalte die Komposition. Vielleicht handelt es sich bei diesem kleinformatigen Bild - es ist nur 22,8 × 18 cm gr0ß - um ein Experiment des Barockmalers. Sicher ist, dass sich daran die beiden etwa fünfmal so großen Bilder „Mädchen mit dem Perlenohrring“ und „Mädchen mit einem Schleier“ anschlossen.

Das Mädchen mit dem Perlenohrring

  • Das Mädchen mit dem Perlenohrring, um 1664−1667 Öl auf Leinwand, 44,5 × 39 cm, signiert links oben: IVMeer (IVM ligiert) (Den Haag, Mauritshuis, Inv.-Nr. 670; Legat von Arnoldus Andries des Tombe, Den Haag, 1903)

Das Mädchen mit dem Perlenohrring ist in eine ockergrüne Jacke mit plissiertem Ärmeleinsatz gekleidet, die in der niederländischen Republik für die erste Hälfte der 1660er Jahre weit verbreitet war.27 Ein turbanartiger Kopfputz in Gelb und Hellblau bedeckt das Haupt. Der Künstler dreht das Mädchen ins Profil nach links und zeigt ihr Gesicht im Dreiviertelporträt. Der Mode ihrer Zeit entsprechend, hat die junge Frau rasierte Augenbrauen. Der großen, aufblitzenden Perler verdankt das Bild seinen modernen Namen. Oben links malte Vermeer ein scharfes Glanzlicht, während er am unteren Rand der Perle das weichgezeichnete Spiegelbild des weißen Kragens des Mädchens wiedergab.

„Mehr noch als bei irgendeinem anderen VERMEER könnte man sagen, dass sie aus dem Staub zerstampfter Perlen zusammengeschmolzen scheint,”28

formulierte der niederländische Maler und Kunstkritiker Jan Veth 1908. Allerdings wäre die beeindruckende Größe der Tropfenperle, die Vermeer in „Dame und Dienstmagd” als auch „Mädchen mit dem Perlenohrring” darstellte, astronomisch teuer und für den Maler unerschwinglich gewesen.29 Daher ist es wahrscheinlich, dass es sich hierbei um Glasperlenimitate handelte, die damals hauptsächlich bei venezianischen Glasbläsern gekauft wurden.30

Mädchen mit einem Schleier

  • Mädchen mit einem Schleier, um 1664−1667, Öl auf Leinwand, 44,5 × 40 cm, signiert links oben: IVM (ligiert) (New York, The Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 1979.396.1; Schenkung von Mr. Und Mrs. Charles Wrightsman, im Gedenken an Theodore Rousseau Jr.)

Die Spitzenklöpplerin

  • Die Spitzenklöpplerin, um 1666–1668, Öl auf Leinwand, 24,5 × 21 cm, signiert rechts oben: IVMeer (IVM ligiert) (Paris, Musée du Louvre, Dépôt du Musée des Arts Décoratifs, Inv.-Nr. MI 1448)

Eine junge Frau gebeugt sich über ihre textile Arbeit. Ihre gelbe Jacke mit dem hochgeschlossenen Spitzenkragen hebt sich nicht nur gekonnt vor dem lichtgrauen Hintergrund ab, sondern macht auch deutlich, dass sie keine Dienstmagd ist. Die Frisur mit Korkenzieherlocken unterstreicht ihren sozialen Status. Beide Hände der Frau liegen auf dem Klöppelkissen; mit ihrer linken Hand hält sie zwei Klöppel, während weitere Klöppel an Fäden vom hellblauen Kissen herunterhängen. Neben ihr auf dem Tisch liegt ein dunkelblaues, aufklappbares Nähkissen mit Troddeln an den Ecken. Es dient zum Aufbewahren der benötigten Utensilien für die Handarbeit. Aus seinem Inneren quellen weiße und rote Nähfäden heraus. Ein hellgelbes Buch mit blauen Schließbändern vervollständigt den Nähtisch.

Die Spitzenklöpplerin benutzt eine rosafarbene Mustervorlage, den sogenannten Klöppelbrief. Dessen Zeichnung gibt die Position der Stecknadeln an, die zur Fixierung der Handarbeit dienen. Nach einem komplexen System werden einzelne Fäden durch Kreuzen und Drehen der Klöppel zu Spitze verflochten. Vermeer zeigt hier ein durchaus modernes Gestell für diese Arbeit, dessen Arbeitsfläche in der Höhe verstellbar ist und integrierte Schubladen aufweist.31 Klöppeln per se stand im Goldenen Zeitalter für Fleiß, Gelehrigkeit und generell für die häuslichen Tugenden der Frau.32

Indem Vermeer die Spitzenklöpplerin als Brustbild wiedergibt, löste er sich von der zeitgenössischen Bildtradition. Einmal mehr unterstreicht der enge Bildausschnitt die Intimität der Szene. Die junge Frau geht ganz in ihrem Handwerk auf und ist gänzlich vertieft in ihr Tun. Indem der Maler Unschärfe incl. Schlieren und Lasuren in sein Bild einführt, betont er sein Studium der Optik. Wie die Klöpplerin sollen offenbar die Betrachter:innen sich auf die Fäden am Kissen konzentrieren, alles andere verschwimmt. Wenn auch der Einsatz einer Camera obscura durch Vermeer strittig ist (es ist keine in seinem Nachlass erwähnt), so könnte der Maler manche dieser optischen Effekte mithilfe eines solchen Apparats studiert haben.

Die Malkunst

  • Die Malkunst, um 1666−1668, Öl auf Leinwand, 120 × 100 cm, signiert in der Mitte auf der Karte, neben Clios Kragen: IverMeer MDCLXVI(II?) (die Jahreszahl ist nur mithilfe von Infrarotreflektografie zu sehen) (Wien, Kunsthistorisches Museum, Gemäldegalerie, Inv.-Nr. 9128)

Vermeer. Die Malkunst

Der zurückgezogene Verdüre-Tapisserie-Vorhang gibt den Blick frei auf den Maler und sein Modell im Atelier. Der Maler sitzt auf einem Schemel mit dem Rücken zum Publikum; sein Modell blickt in Richtung eines unsichtbaren Fensters. Schwarz-weißer Marmorfußboden, Messingleuchter und farbige Landkarte entstammen keinem zeitgenössischen niederländischen Künstleratelier. An der rückwärtigen Wand der Malkunst fügte Vermeer die Karte der Republik der Sieben Vereinigten Provinzen von Claes Jansz Visscher ein. Das gesamte Bild ist eine Allegorie der Malerei.

„Die Malkunst“ ist der originale Werktitel, da dieser in archivalischen Akten überliefert ist. Vermeer malte dieses Bild im Alter von etwa 35 Jahren. Vermutlich entstand „Die Malkunst“ als Demonstrationsstück ohne Auftraggeber:innen. Deshalb verblieb es bis zum Tod des Künstlers in dessen Atelier. Nur wenige Tage vor dem Abfassen von Vermeers Nachlassinventar am 29. Februar 1676 übertrug die Künstlerwitwe, Catharina Bolnes, das Ge-mälde in das Eigentum ihrer Mutter Maria Thins. Auf diese Weise wollte sie es vor der Pfändung durch ihre Gläubiger bewahren. Dieser Kniff gelang nicht, wurde das Gemälde doch am 15. März 1677 bei einer Auktion in Delft versteigert.33

Der deutsche Kunsthistoriker Gustav Friedrich Waagen und der französische Kunstkritiker Théophile Thoré entdeckten Vermeer in den 1860er Jahren etwa gleichzeitig.34 Zu ihren Leistungen gehörte, dass sie die damals am Schemel lesbare Signatur „Pieter de Hooch“ als später Ergänzung und Fälschung entlarvten. Die Originalsignatur Vermeers „I Ver-Meer“ befindet sich auf dem unteren Einfassungsstreifen der Landkarte; sie war von einer dunklen Malschicht überdeckt worden. Jüngere Untersuchungen haben gezeigt, dass es mit MD-CLXVI(II?)“, je nach Lesart 1666 oder wahrscheinlicher 1668, datiert ist.35

Der Astronom

  • Der Astronom, 1668, Öl auf Leinwand, 51 × 45 cm, signiert in der Mitte auf dem Schrank: IVMeer/ MDCLXVIII (IVM ligiert) (Paris, Musée du Louvre, Inv.-Nr. R. F. 1983-28)

Die Gemälde „Der Astronom“ und „Der Geograf“ sind Pendants, wobei vermutlich „Der Geograf“ links von „Der Astronom“ hängen sollte. In den Bildern machte Vermeer zum einzigen Mal einen Mann und auch einen aktiv tätigen Wissenschaftler zum Protagonisten eines Bildes. Wie schon in den zehn Jahren zuvor nutzte der Delfter Maler den Bildaufbau mit einem Fenster links und einer Ecke des Studierzimmers. Das Gemälde im Hintergrund des Astronomen zeigt die Auffindung des Mosesknaben in einer Darstellung von Peter Lely.

Astronom und Geograf, beide mit braunem, schulterlangen Haar sowie in einen Hausmantel aus blauer Seide [Japonse rok], breiten Forschung, Karten und Modellen die Welt in der Begrenztheit des Zimmers aus. Habitus und Kleidung weisen die beiden als Weltmänner aus. Beide teilen sich auch ihr Arbeitsmaterial, den Himmelsglobus und dem Erdglobus aus dem Verlag des Amsterdamer Kartografen Jodocus Hondius. Diese waren 1618 in posthumer, zweiter Auflage in einer Doppeledition herausgegeben worden. Die Unterschiede betreffen ihre weiteren Werkzeuge: Astrolabium, himmlische Planisphäre sowie eine Publikation des Mathematikers Adriaen Metius von 1621 für den Astronomen; Stechzirkel, Pergamentkarte und geschlossenes Buch für den Geografen. Symbolisiert ersterer die Weltbeobachtung und das Sammeln von Daten, so steht der zweite für den Nachdenkprozess und das Erstellen von Karten.

Die Tätigkeit von Astronom und Geograf war für den wirtschaftlichen Aufschwung der Niederlande unerlässlich: Die Vermessung der Welt bildete die Voraussetzung für die Produktion von Globen und Atlanten, Land-, See- und Himmelskarten. Die expandierende Handels- und Kolonialmacht nutzte dieses kartografische Material intensiv, weshalb es auch von interessierten Laien gesammelt wurde. Doch wurden die Wissenschaftler nicht von allen nur positiv gesehen, galt gottesfürchtigen Menschen die Suche nach Gesetzmäßigkeiten in der Natur als Selbstüberschätzung. Die Auffindung des Mosesknaben dürfte dahingegen die Erkenntnissuche mit dem Streben nach Gotteserkenntnis in Zusammenhang bringen, werden die Forscher doch durch die göttliche Eingebung geleitet.

Der Geograf

  • Der Geograf, 1669, Öl auf Leinwand, 51,6 × 45,4 cm, signiert in der Mitte auf dem Schrank: Meer; rechts oben: I. Ver Meer MDCLXVIIII (Frankfurt am Main, Städel Museum, Inv.-Nr. 1149)

Der Liebesbrief

  • Der Liebesbrief, um 1669–1670, Öl auf Leinwand, 44 × 38,5 cm, signiert links auf der Wand: IVMeer (IVM ligiert) (Amsterdam, Rijksmuseum, Inv.-Nr. SK-A-1595; erworben mit Unterstützung der Vereniging Rembrandt)

Eine Dienstmagd unterbricht das Cisterspiel ihrer Dame, um ihr einen (titelgebenden) Liebesbrief zu überreichen. Die Adressatin scheint überrascht und blickt die Überbringerin vielleicht unsicher, fragend oder sogar ängstlich an. Die einfach gekleidete Dienerin lächelt und könnte damit ihre Dame bestärken.

Dieses späte Werk von Vermeer ist besonders reizvoll, da es die Szene in die Ferne rückt. Man blickt auf die geheime Nachricht aus einem Nebenzimmer. Vermeer zieht den Vorhang gleichsam weg und gibt den Blick auf das Theater frei. Indem der Maler jeweils etwa ein Drittel der Bildfläche links und rechts abdunkelt, wirkt die Kompositon fast wie ein Triptychon. Der ausgeleuchtete Raum wird von dunklen Wänden gerahmt: Links ist gerade noch ein Stück der Landkarte der Provinzen Holland und Westfriesland zu erkennen, und rechts taucht ein Stuhl auf, auf dem einige Notenblätter liegen. Ein Besen und zwei Pantoffeln im Vordergrund versperren fast den Weg zu den beiden Frauen; weitere Objekte des täglichen Gebrauchs - ein Nähkissen und ein Korb - schränken ihren Bewegungsradius ein und definieren Hausarbeit zu ihren täglichen Pflichten.

Die Bilder im Bild werden erneut als emotionale Echokammern der Bewohnerin gedeutet. Zum einen findet sich eine Landschaft mit einem einsamen Wanderer und ein Seestück mit Schiff. Beide abgenildeten Gemälde können als Metaphern für einen in der Ferne weilenden Liebhaber gedeutet werden.

Allegorie des katholischen Glaubens

  • Allegorie des katholischen Glaubens, um 1670−1674, Öl auf Leinwand, 114,3 × 88,9 cm (New York, The Metropolitan Museum of Art, Inv.-Nr. 32.100.18; Friedsam Collection, bequest of Michael Friedsam, 1931)

In  einem für Vermeer charakteristischen Raum sitzt etwas erhöht eine weibliche Figur, die Personifikation des katholischen Glaubens. Sie greift sich ans Herz und stützt sich auf einen Altar, darauf Messkelch, aufgeschlagenes Buch, Dornenkrone und ein Kruzifixus. Ihren rechten Fuß hat sie auf einem Erdglobus abgestellt. Hinter der Personifikation hängt ein großformatiges Gemälde einer Kreuzigung. Vor ihr liegt ein angebissener Apfel und eine Schlange wird von einem Stein erschlagen. Der zur Seite gezogene, figural geschmückte Vorhang (Teppich) blinkt im Licht, das außerhalb des Bildes liegt. Es wäre möglich, dass Vermeer hier einen Mann vor einem Dromedar zeigt, was als Verweis auf die heiligen drei Könige gedeutet werden könnte.36

Die Ikonografie der Szene lässt sich anhand von Personifikation und Beiwerk als Allegorie des katholischen Glaubens identifizieren. Die Motive entnahm Vermeer der niederländischen Ausgabe der „Iconologia“ von Cesare Ripa (1644).37 Der Stein im Vordergrund steht für Christus, der in Form eines Steins die Schlange zerschmettert, weshalb diese wohl den Apfel als Symbol der Erbsünde fallengelassen hat.

Das am wenigsten auffallende Motiv ist die von der Decke hängende, transparente, aber spiegelnde Glaskugel. Diese entnahm Vermeer der 1636 in Ant-werpen publizierten „Emblemata sacra de fide, spe, charitate“ des Jesuiten Guilielmus Hesius.38 Dort findet sich das Motto „Capit quod non capit [Sie erfasst, was sie nicht erfassen kann]“ in Form eines Kindes (der Seele), die eine Glaskugel betrachtet, auf deren Oberfläche sich die Welt spiegelt.

Stehende Virginalspielerin

  • Stehende Virginalspielerin, um 1670−1672, Öl auf Leinwand, 51,7 × 45,2 cm, signiert über dem Virginal: IVMeer (IVM ligiert) (London, The National Gallery, Inv.-Nr. NG 1383; erworben 1892)

In diesem koloristisch subtilen Werk zeigt Vermeer eine Dame, die stehend ein Virginal bespielt. sie dreht sich nach rechts und blickt über ihre Schulter aus dem Bild. Ein Stuhl führt - stark angeschnitten (Stichwort fotografischer Blick) - in die Komposition ein. Das Virginal steht in die Tiefe fluchtend und stark verkürzt vor der Musikerin, die Landschaftsdarstellung auf dem geöffneten Deckel führt ebenso in die Tiefe. Gegenüber öffnen Fenster den Raum, so dass weiches Licht in das Zimmer fällt. Hinter der Dame hängen zwei Gemälde an der Wand: Einmal mehr der Amorknabe mit Masken und Pfeilen, der bereits aus früheren Werken Vermeers bekannt ist, und eine in schwerem, goldenem Rahmen präsentierte Landschaft, die an Werke von Pieter Anthonisz van Groenewegen erinnern. Die perspektivisch scharf gezeichneten Delfter Fliesen am unteren Wandfries zeigen eher abstrakte Formen als erkennbare Motive, die Adern in den Marmorfliesen auf dem Fußboden sind nur schemenhaft angedeutet.

„Stehende Virginalspielerin“ und „Sitzende Virginalspielerin“ könnten Pendants gewesen sein; sie haben bis auf wenige Millimeter das nahezu identliste Format. Beide Damen spielen ein Virginal und drehen sich nach links und rechts.

Das Gemälde befand sich im 19. Jahrhundert in Besitz des französischen Kunstkritikers Théophile Thoré, dem die Wiederentdeckung Jan Vermeers zu Recht zugeschrieben wird. Eine kürzlich wiederentdeckte Fotografie von 1869 zeigt die „Stehende Virginalspielerin“ an der Wand hängen.

Sitzende Virginalspielerin

  • Sitzende Virginalspielerin, um 1670−1672, Öl auf Leinwand, 51,5 × 45,5 cm, signiert in der Mitte rechts: IVMeer (IVM ligiert) (London, The National Gallery, Inv.-Nr. NG 2568; Salting Bequest, 1910)

Die Virginalspielerin sitzt bei geschlossenen Fensterläden im Halbdunkeln und dreht sich aus dem Bild heraus. Das Virginal steht an der durchfensterten Wand, wodurch die Sitzende nach links gedreht ist. Ein Vorhang hängt links und gibt den Blick auf die musikalische Aktivität frei, eine Basgambe führt ebenfalls in die Szene ein. Der Marmorfußboden und die Fliesen erinnern an frühere Vermeer-Gemälde.

Ein noch erhaltenes Gemälde von Dirck van Baburen, „Die Kupplerin“ (1622, Boston, Museum of Fine Arts) ist im Hintergrund an die Wand gehängt.39 Dieses Gemälde, oder zumindest eine Version davon, war im Besitz von Vermeers Schwiegermutter Maria Thins. Der Zusammenhang zwischen Hauptszene und Bildthema ist strittig und wird heute vor allem als Gegensatz gedeutet: Der käuflichen Liebe im Hintergrund wird die reine Liebe der wohlhabend gekleideten Dame im Vordergrund gegenübergestellt.

Briefschreiberin und Dienstmagd

  • Briefschreiberin und Dienstmagd, um 1670−1672, Öl auf Leinwand, 71,1 × 60,5 cm, signiert unter dem Arm der schreibenden Frau: IVMeer (IVM ligiert) (Dublin, National Gallery of Ireland, Inv.-Nr. NGI.4535)

Die Gitarrenspielerin

  • Die Gitarrenspielerin, um 1670−1672, Öl auf Leinwand, 51,4 × 45 cm (London, Kenwood, The Iveagh Bequest, English Heritage, Inv.-Nr. IBK 962)

Die Landschaft im Hintergrund ist eine Kopie von Pieter Jansz van Aschs „Landschaft mit Jägern vor offenem Gatter“ (um 1670, unbekannte Verwahrung).

Frau am Virginal

  • Frau am Virginal, um 1670−1672, Öl auf Leinwand, 25,5 × 20,1 cm (New York, The Leiden Collection, Inv.-Nr. JVe-100)

Eine Frau sitzt am Virginal und bespielt ein Instrument, das offenbar unter einem Fenster steht. Letztes ist nicht sichtbar, aber das Licht fällt sanft von links oben auf die abschließende, weiße Wand. Die Damen mit kostbarer Korkenzieher-Frisur, roten Schleifen und seidig schimmerndem Satinkleid wirkt jugendlich. Das gelbe Tuch, das sie über ihre Schultern geworfen hat, fügte Vermeer während des Entstehungsprozesses des Bildes ein.40

Seitdem das Bild 1963 im Rijksmuseum untersucht worde ist, gilt das Bild als authentisch.41 Naturwissenschaftliche Untersuchungen in den letzten Jahren haben ergeben, dass die verwendeten Pigmente und Malmethoden mit den anderen späten Gemälden Vermeers übereinstimmen, darunter der Einsatz von Grüner Erde für die Schattenzonen des Gesichts.42 Zudem wurde es auf Leinwand gemalt, das Vermeer für „Die Spitzenklöpplerin“ verwendete.43 Aufgrund der starken stilistischen Übereinstimmung gilt das Werk heute als authentisch - und vielleicht das letzte Bild des Malers aus Delft.

  1. Arthur K. Wheelock Jr., Jan Vermeer, New York 1981, S. 70; W. A. Liedtke, Vermeer. The Complete Paintings, Antwerpen 2008, S. 27. Zum Kostüm siehe M. de Winkel, The Interpretation of Dress in Vermeer’s Paintings, in: Ivan Gaskell und Michiel Jonker (Hg.), Vermeer Studies (Studies in the History of Art, 55, Center for Advanced Study in the Visual Arts, Symposium Papers, 33), Washington/New Haven/London 1998, S. 327–339, S. 334.
  2. Christian Tico Seiffert, in: Vermeer (Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 2023), Stuttgart 2023, S. 126–135.
  3. John Michael Montias, Vermeer and His Milieu. A Web of Social History, Princeton 1989, S. 246–257; Johannes Vermeer, hg. v. Arthur K. Wheelock Jr. (Ausst.-Kat. Washington, National Gallery of Art; Den Haag, Mauritshuis) 1995, S. 22–23.
  4. B. M. du Mortier, Costumes in Gabriel Metsu’s Paintings. Mode and Manners in the Mid-Seventeenth Century, in: Gabriel Metsu, hg. v. A. E. Waiboer u. a. (Ausst.-Kat. National Gallery of Ireland, Dublin; Rijksmuseum, Amsterdam; National Gallery of Art, Washington, 2010), S. 127–153, S. 128−131.
  5. Das dunkle Pflaster ließ die Haut im Kontrast heller erscheinen, was dem barocken Schönheitsideal entsprach. Meist wurde gleichzeitig mit weißem Puder [blanket sel] für den Teint und Rouge für die Wangen nachgeholfen. Zudem ermöglichte die „Mouche“ auch Narben zu verdecken. In Delft war 1655 die Pest ausgebrochen.
  6. H. von Sonnenburg, Technical Comments, The Metropolitan Museum of Art Bulletin 31 (1973), Nr. 4, unpag., Abb. 95; Kat. New York 2007, S. 868−877, Abb. 250, 251; Walter A. Liedtke, Vermeer. The Complete Paintings, Antwerpen 2008, S. 68, Abb. 4b.
  7. Siehe die Beschreibung in: Uta Neidhardt, Zusammenspiel von Kunst und Leben. Vermeers Brieflesendes Mädchen am offenen Fenster in neuer Gestalt, in: Johannes Vermeer. Vom Innehalten (Ausst.-Kat. Gemäldegalerie Alte Meister, Staatliche Kunstsammlungen Dresden, 10.9.2021-2.1.2022), Dresden 2021, S. 164-197.
  8. Die Forschungsergebnisse sind noch nicht veröffentlicht. Siehe: Gregor J. M. Weber, Die ersten innenräume, in: Vermeer (Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 2023), Stuttgart 2023, S. 164.
  9. P. T. A. Swillens, Johannes Vermeer. Painter of Delft 1632–1675, Utrecht/Brüssel 1950, S. 92, Taf. 60–61.
  10. Frans Grijzenhout, Het straatje van Vermeer. Gezichten op de Penspoort in Delft, Amsterdam 2015.
  11. Pieter Roelofs, In die Stadt, in: Vermeer (Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 2023), Stuttgart 2023, S. 142.
  12. Samuel van Hoogstraten, Inleyding tot de hooge schoole der schilderkonst, Rotterdam 1678, S. 25.
  13. Das Museum De Lakenhal in Leiden besitzt eine Glasscheibe aus dem Jahr 1632, die dem Motiv entspricht (Inv.-Nr. 7703). Siehe: Ariane van Suchtelen, Modische Eindringlinge, in: Vermeer (Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam 2023), Stuttgart 2023, S. 173–179, hier Abb. 2, S. 175.
  14. Ariane van Suchtelen, Modische Eindringlinge, in: Vermeer (Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam 2023), Stuttgart 2023, S. 173–179, hier Abb. 2, S. 176.
  15. Zur Perspektivkonstruktion bei Vermeer siehe: Jürgen Wadum, Vermeer in Perspective, in: Johannes Vermeer, hg. v. Arthur K. Wheelock Jr. (Ausst.-Kat. National Gallery of Art, Washington, 12.11.1995-11.2.1996; Koninklijk Kabinet van Schilderijen Mauritshuis, Den Haag, 1.3.-2.6.1996), Zwolle 1995, S. 66–78; Gregor J. M. Weber, Vermeers Bilderwelt, in: Vermeer (Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 2023), Stuttgart 2023, S. 100 und S. 103.
  16. M. de Winkel, The Interpretation of Dress in Vermeer’s Paintings, in: Ivan Gaskell und Michiel Jonker (Hg.), Vermeer Studies (Studies in the History of Art, 55, Center for Advanced Study in the Visual Arts, Symposium Papers, 33), Washington/New Haven/London 1998, S. 327–339, S. 328–330; vgl. auch B. M. du Mortier, Costumes in Gabriel Metsu’s Paintings. Mode and Manners in the Mid-Seventeenth Century, in: Ausst.-Kat. Dublin/Amsterdam/Washington 2010, S. 127–153 2010, S. 132; A. Timmer, Het matineetje, Kunstschrift 54 (2010–2011), Nr. 6, S. 40–41, S. 40–41.
  17. Untersuchungen im Rijksmuseum haben kürzlich ergeben, dass der Blick des Mädchens zunächst mehr in das Bildinnere gerichtet war, aber Vermeer die Position ihrer Augen veränderte, um sie mit den Betrachter:innen in Kontakt treten zu lassen. Siehe: Pieter Roelofs, Vermeers Tronien. Ein verbindender Blick nach außen, in: Vermeer (Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 2023), Stuttgart 2023, S. 208–217, hier S. 208.
  18. Wie auch im Dresdner-Vermeer war das Bild-im-Bild einst übermalt und wurde dabei beschäfigt. Vgl. Gregor J. M. Weber, Ebenda, S. 151–152.
  19. C. R. Johnson Jr. und W. A. Sethares, Counting Vermeer. Using Weave Maps to Study Vermeer’s Canvases, Den Haag 2017.
  20. Gregor J. M. Weber, in: Vermeer 2023, S. 258.
  21. Siehe Weber 2022, S. 59−67 und 137−139, sowie Pieter Roelofs, in: Vermeer 2023, S. 45
  22. Siehe: Gregor J. M. Weber, Ganz nah, in: Vermeer (Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 2023), Stuttgart 2023, S. 196–200, hier S. 196.
  23. Vermeer zeigt das Gemälde ein zweites Mal im Hintergrund seiner „Sitzenden Virginalspielerin“.
  24. Thierry Greub, Jan Vermeer van Delft. Junge Dame mit Perlenhalsband. Ein Werk aus der Gemäldegalerie Staatliche Museen zu Berlin Preussischer Kulturbesitz, Berlin-Tiergarten, Kulturforum Matthäikirchplatz, Berlin 2003.
  25. D. Mahon u. a., Johannes Vermeer’s Mistress and Maid. New Discoveries Cast Light on Changes to the Composition and Discoloration of Some Paint Passages, Heritage Science 8 (2020), Art. Nr. 30, S. 1–11, doi. org/10.1186/s40494–020–00375-2.
  26. Pieter Roelofs, Vermeers Tronien. Ein verbindender Blick nach außen, in: Vermeer (Ausst.-Kat. Rijksmuseum, Amsterdam, 2023), Stuttgart 2023, S. 208–217, hier S. 216.
  27. Yvonne Brentjens, Twee meisjes van Vermeer in Washington. Een kostuumstudie, Tableau 7 (Februar 1985), S. 54–58, S. 55; Portraits in the Mauritshuis 1430–1790, hg. v. B. Broos und A. van Suchtelen (Ausst.-Kat. Mauritshuis, Den Haag), Zwolle 2004, S. 259.
  28. Jan Veth, Schilderijen van Johannes Vermeer in Nederlandsche Verzamelingen, Amsterdam 1908, S. 10.
  29. Margaret Iacono, „Vermeer’s Mistress and Maid“, in: Margaret Iacono und James Ivory, Vermeer’s Mistress and Maid, New York/London 2018, S. 17–57, hier S. 27.
  30. , Portraits in the Mauritshuis 1430–1790, hg. v. B. Broos und A. van Suchtelen (Ausst.-Kat. Mauritshuis, Den Haag), Zwolle 2004, S. 259.
  31. A. Blankert und L.P. Grijp, An Adjustable Leg and a Book. Vermeer’s Lacemaker Compared to Other, in: C. P. Schneider u. a. (Hg.), Shop Talk. Studies in Honor of Seymour Slive. Presented on his Seventy-fifth Birthday, Cambridge 1995, S. 40–43.
  32. W. E. Franits, Paragons of Virtue. Women and Domesticity in Seventeenth-Century Dutch Art, Cambridge 1993, S. 5−9; H. P. Chapman, Inside Vermeer’s Women, in: Vermeer’s Women. Secrets and Silence, hg. v. Majorie E. Wieseman, H.P. Chapman und W. E. Franits (Ausst.-Kat. Fitzwilliam Museum, Cambridge, 5.10.2011-15.1.2012) Cambridge 2011, S. 64–123, S. 90.
  33. Siehe: Vermeer (Ausst.-Kat. Wien 2010),
    S. 134, Nr. 4.
  34. Thoré-Bürger 1859; Waagen 1862, Bd. II, S. 110.
  35. Robert Wald, Die Malkunst. Betrachtungen zum künstlerischen Ansatz und zur Technik/The Art of Painting. Observations on Approach and Technique, in: Vermeer. Die Malkunst, hg. v. Sabine Haag, E. Oberthaler und Sabine Pénot (Ausst.-Kat. Wien 2010), S. 193–213 und S. 312–321 .
  36. Gregor J. M. Weber, in: Vermeer 2023, S. 259.
  37. 35
  38. Hesius 1636, S. 88−90, Nr. 26; De Jongh 1975−1976, S. 69−75.
  39. Vermeer zeigt das Gemälde ein zweites Mal im Hintergrund seines „Konzerts“.
  40. Diese Untersuchungsergebnisse des Vermeer-Forschungsteams am Rijksmuseum sind noch nicht veröffentlicht.
  41. Bestätigt durch den damaligen Direktor Arthur van Schendel und dem Kunsthistoriker Frits Lugt.
  42. Sheldon und Costaras 2006.
  43. Liedtke, Johnson und Johnson 2012, S. 101−108.