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Künstlerkolonie Worpswede Was vor Paula Modersohn-Becker dort geschah...

Künstlerkolonie Worpswede (Prestel)

Künstlerkolonie Worpswede (Prestel)

Doris Hansmann erzählt die Geschichte der Künstlerkolonie Worpswede als den romantischen Versuch einiger Künstler und Künstlerinnen, die von ihnen entdeckte Landschaft nicht nur abzumalen, sondern sich in ihre Stimmungen zu versenken und darin auch zu leben. Leben und Kunst werden eins, so die Maxime des Jugendstils. Wie schwierig jedoch die Umsetzung war, lässt die baldige Auflösung der Künstlergemeinschaft erahnen. Umschlagbild und die vorgelegten Abbildungen stimmen bereits in die wichtigsten Themen der Naturschilderungen ein: eine sommerliche Moorlandschaft, Wind, geduckte Häuser und Segelboote, Birkenwälder.

Gründung

Im Sommer 1884 besuchte der Düsseldorfer Kunststudent Fritz Mackensen (1866-1953) erstmals Worpswede, das etwa 20 Kilometer nordöstlich von Bremen liegt. Die Nichte seiner Zimmerwirtin hatte den Maler auf die Idee gebracht. Mackensen war schlichtweg begeistert von der Landschaft, die sich ihm malerisch darbot. Wenn auch Mackensen von diesem Moment an ein glühender Verhrer der kargen, ärmlichen Gegend war, so sollte es doch fünf Jahre dauern, bis sein Studienfreund Otto Modersohn (1865-1943) im Jahr 1888 erstmals einen Fuß in das „Teufelsmoor“ setzte.

Als sich 1887 Fritz Mackensen endgültig von der Düsseldorfer Akademie abwandten und Otto Modersohn ein Jahr später dazustieß, um gemeinsam Plainair-Landschaften zu malen begannen, sollten ihnen Hans am Ende (1889), Fritz Overbeck (1893), Heinrich Vogeler (1894) folgen. Gemeinsam gründeten sie im Dezember 1894 den Künstler-Verein Worpswede zum Zweck des gemeinsamen Ausstellens. Ein Jahr später gründeten alle Beteiligten - mit Ausnahme von Otto Modersohn - einen zweiter Verein gegründet, den „Verein für Original-Radierung vom Weyerberg“. Die Mitglieder kauften eine Radierpresse. Mit den beiden Mappenwerken „Vom Weyerberg“ (1895) und „Aus Worpswede“ (1897) mit jeweils zwölf Radierungen erreichten sie eine große Publizität. Gerade für ihre Radierungen werden die Worpsweder auch heute noch sehr geschätzt.

 

Durchbruch in Bremen und München

Das gelang erstaunlich rasch, denn die Maler beschickten im April des Folgejahres eine erste Ausstellung in der Kunsthalle Bremen. Obwohl sie vom konservativen Publikum als „Apostel des Hässlichen“ und „Lachkabinett“ beschimpft wurden, gelang den jungen Künstlern damit der Durchbruch, denn Eugen Ritter von Stierle lud sie zur Teilnahme an der Jahresausstellung der Münchner Künstlergenossenschaft ein.

In Süddeutschland erlebten die Maler aus Worpswede einen bahnbrechenden Erfolg. Mackensen wurde für sein Riesenbild „Gottesdienst im Freien“ mit der Goldmedaille ausgezeichnet.Otto Modersohn verkaufte seinen „Sturm im Teufelsmoor“ sogar an die Neue Pinakothek. Zuvor hatte der Bremer Kunstverein hatte bereits Mackensens „Der Säugling“ und Modersohns Gemälde „Herbst im Moor“ erworben.

Die sensationelle Resonanz und der abrupt einsetzende Ruhm der Worpsweder Maler zog eine Reihe von jungen Künstlerin und außergewöhnlich vielen „Malweibern“ an. Letztere vermutlich, weil ihnen die Akademien noch immer verwehrt waren: Hermine Rothe und Marie Bock (1896), Paula Becker (1897 für den Sommer, ab 1898), die Bildhauerin Clara Westhoff und die erst 15-jährige Ottilie Reylaender (1897); einige von ihnen heirateten auch die verehrten Vorbilder und mussten daraufhin den Pinsel gegen den Kochlöffel eintauschen. Einzig Paula Modersohn-Becker (1876-1907) ist es heute beschieden, ihres ungebrochenen Selbstbewusstseins und Sendungswillens wegen, als eine Pionierin der Moderne in die Kunstgeschichte eingegangen zu sein.

 

Naturstimmungen

Die Künstler und Künstlerinnen aus Worpswede dürfen mit ihren stimmungsvollen Landschaften zu den Protagonisten des Naturalismus und internationalen Jugendstils gezählt werden, gleichzeitig waren sie an der Entwicklung von Impressionismus, Naturalismus, Synthetismus, Jugendstil und Expressionismus wesentlich beteiligt. Ihre stimmungsvollen Naturbilder zeigen deutlich den Versuch ein Goldenes Zeitalter, eine unberührte Natur heraufzubeschwören, die sich voller Schönheit dem erkennenden Auge darbietet.

Die Gründung der Künstlerkolonie fernab eines Kunstzentrums erfolgte mit Blick auf die Schule von Barbizon und der französischen Freiluftmalerei, die seit den 1830er Jahren die akademische Malerei herausforderten. Modersohn schrieb über ihre revolutionär anti-akademische Gesinnung:

„Wir werden Feuer und Flamme, fort mit den Akademien, nieder mit den Professoren und Lehrern, die Natur ist unsere Lehrerin und danach müssen wir handeln.“

Dass alle Beteiligten über einen Studienabschluss verfügten, mag dem Schlachtruf eine pikante Note verleihen. Je nach Persönlichkeit wählten die Worpsweder Maler Figuren (Mackensen) oder die Landschaft (Modersohn, Overbeck, Am Ende) zu ihrem Sujet. Neben dem flachen Horizont, den Birkenwäldern, den Moorkanälen, die Torfkähne mit ihren riesigen tiefschwarzen Segeln, den ärmlichen, manchmal ausgezehrten Bauern und ihren Kindern spielt der Himmel Norddeutschlands eine eminent wichtige Rolle in der stimmungsvollen Landschaftsmalerei der Worpsweder. Die untergehende Sonne, der silbrig glänzende Mond und Wolkenstimmungen tragen viel zur Wirkung der Landschaften aus dem späten 19. Jahrhundert bei.

„Was hülfen uns unsere Strohhütten, Birkenwege und Moorkanäle, wenn wir diesen Himmel nicht hätten, welcher alles, selbst das Unbedeutendste adelt, ihm seinen unsagbaren koloristischen Reiz verleiht, der Worpswede schließlich erst zu dem macht, was es ist.“ (Friedrich Overbeck)

 

Auflösung

Dass diese in den Bildern so deutlich gewünschte Harmonie jedoch in der Realität an den Künstlern und ihren Auffassungen scheiterte, belegt das Utopische ihrer Wunschvorstellung. 1899 zerbrach die Künstlervereinigung an Differenzen, Konkurrenzen und der Frage der künstlerischen Positionierung.

Fazit: Das reich bebilderte Buch gibt einen guten Einblick in die Entwicklung der Künstlerkolonie Worpswede, die Differenzen der Beteiligten und die traditionelle Haltung der malenden Ehemänner ihren Künstlergattinnen eingeschlossen. Einzig das an manchen Stellen uneinheitliche Layout der Abbildungen (die abfallenden Bilder sollten wohl möglichst groß reproduziert werden?) irritiert.

22,5 x 26 cm, 144 Seiten,
105 farbige und 40 s/w Abb.
€ 24,95 [D] | € 25,70 [A] | CHF 35,50
ISBN 978-3-7913-4523-9
Prestel Verlag

Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.