„Van Gogh: Poets and Lovers [Dichter und Liebende]“ in der Nationalgalerie wird thematisch präsentiert und zeichnet die Geschichte von Vincent van Goghs Aufenthalts in der Provence nach (→ Vincent van Gogh: Biografie). Die Ausstellung widmet sich Van Goghs Zeit in Arles und Saint-Rémy in der Provence (1888–1890) und untersucht wie der Künstler, die vorgefundenen Orte in seiner Kunst in idealisierte Räume verwandelte. Ausgangspunkt der von Cornalia Homburg kuratierten Schau sind die Gärten in seiner direkten Umgebung. Indem er sie zu Horten der Dichter und Liebenden machte, schuf er einen zutiefst eindrucksvollen und poetischen Rahmen für sein Werk. Die Schau bildet den Höhepunkt der Feierlichkeiten zum 200. Geburtstag der National Gallery of Art | London.
Großbritannien | London: National Gallery
14.9.2024 – 19.1.2025
Vincent van Goghs Werk aus Südfrankreich entstand von Februar 1888 bis Mai 1889 in Arles und von Mai 1889 bis Mai 1890 in der Nervenheilanstalt am Stadtrand von Saint-Rémy-de-Provence. An diesen beiden Orten schuf Vincent van Gogh seine schönsten und charakteristischsten Gemälde, die vor Farbe und dynamischer Pinselführung nur so strotzen. Die Ausstellung zeigt auch, welche wichtige Rolle Porträts spielten, da van Gogh seinen Modellen innerhalb seines künstlerischen Universums symbolische Bedeutung zuschrieb, wie etwa dem „Dichter und Liebende“ im Titel der Ausstellung.
„Van Gogh: Dichter und Liebende“ untersucht, wie sich die poetische Vorstellungskraft und die mit der Liebe verbundenen Ideen zu zentralen Themen für den Künstler entwickelten. In Arles beispielsweise bezeichnete van Gogh den öffentlichen Park vor dem Gelben Haus als Dichtergarten und stellte sich vor, wie die italienischen Renaissancedichter Petrarca und Boccaccio dort spazieren gingen. Einige der bedeutendsten Gemälde und Zeichnungen van Goghs aus dieser Zeit sind mit dieser Idee verbunden, und Liebespaare erscheinen in Gemälden wie „Sternennacht“ (Musée d’Orsay, Paris, 1888).
Der Untertitel wird zu Beginn der Ausstellung mit einer Reihe von Gemälden und Zeichnungen eines Parks in Arles vorgestellt. Diese lag direkt vor dem Gelben Haus an der Place Lamartine, in dem er 1888 vier Zimmer mietete.1 Diese Werke stammen hauptsächlich aus dem Frühherbst 1888; van Gogh schuf sie kurz vor der Ankunft von Paul Gauguin. Zu dieser Gruppe gehört der „Eingang zum öffentlichen Garten in Arles“ (Oktober 1888, Phillips Collection in Washington, DC). Die prominente Figur eines stehenden Mannes, der eine Zeitung liest, könnte möglicherweise den Künstler mit seinem Lieblingsstrohhut darstellen.
Als Vincent im Mai das Gelbe Haus mietete, hatte er seinem Bruder Theo geschrieben, dass „das Entzückende an diesem Atelier die Gärten gegenüber sind“. Im Frühling müssen sie wohl am besten ausgesehen haben, denn im April 1888 zeichnete er bereits „Park in Arles mit einer Ecke des Gelben Hauses“ (Privatsammlung). Bei einer anderen Gelegenheit beschrieb er gegenüber seiner Schwester Wil den Blick aus seinem Schlafzimmerfenster als „einen sehr hübschen Park, wo man morgens den Sonnenaufgang sehen kann“. Bald wandte er sich dem Motiv auch malerisch zu, was in London durch „Weg im Park“ (1888, Kröller-Müller Museum, Otterlo) eindrucksvoll belegt wird.
Van Gogh nannte diese urbane Oase bald den „Dichtergarten“, wie das Gemälde aus dem Art Institute of Chicago zeigt, und verband den Park in seiner Fantasie mit Schriftstellern. Er kannte sich mit Literatur aus und bewunderte die Dichter der italienischen Frührenaissance: Petrarca (der im nahegelegenen Avignon gearbeitet hatte), Boccaccio und Dante. Schon zu Lebzeiten liebte er die Schriften von Alphonse Daudet, einem Dichter und Romanautor, der einen Teil seines Lebens in der Provence verbrachte, und Emile Zola, der in Aix-en-Provence aufgewachsen ist. Interessanterweise ließ er in seinen Gedanken aber auch Maler wie Giotto di Bondone oder Sandro Botticelli in dem Hain spazierengehen:
„Der unauffällige öffentliche Garten enthält Pflanzen und Büsche, die einen von Landschaften träumen lassen, in denen man sich leicht Botticelli, Giotto, Petrarca, Dante und Boccaccio vorstellen kann.“ (Van Gogh in einem Brief an Gauguin)
Vincent bezeichnete einige seiner Künstlerkollegen sogar als „Dichter“ und verwendete das Wort im weiteren Sinn, um ein künstlerisches Temperament auszudrücken. So betitelte er ein Porträt des belgischen Malers Eugène Boch als „Der Dichter“ (September 1888, Musée d’Orsay, Paris). Diese Auszeichnung verlieh er auch Gauguin, den er in einem Brief als „neuen Dichter“ ansprach.
Und warum kommen Liebespaare in van Goghs Gemälden vor? Wir können nur spekulieren, aber der Maler hat möglicherweise nach weiblicher Gesellschaft gesucht und Neid empfunden, als er in Arles spazierende Paare sah. Gleichzeitig verband er sich mit der Kunstgeschichte und dachte über Hochzeitsbilder von Frans Hals und spazierende Liebende von Adolphe Monticelli nach. Paare erscheinen daher in einigen seiner Landschaften als idealisierte Figuren. In „Im Öffentlichen Garten mit einem Paar (Der Dichtergarten)“ (Oktober 1888, Privatsammlung) sind van Goghs „zwei Liebesfiguren“ zu sehen. Der blau gekleidete Mann mit dem Strohhut könnte wieder den Künstler repräsentieren, wobei Vincent sich vorstellt, wie er mit einer Begleitung direkt vor seinem Haus spazieren geht.
Im Spätsommer 1888 plante Van Gogh, in Arles sein Gelbes Haus mit seinen Bildern zum Thema „Der Garten des Dichters“ (Raum für Gauguin, den er als einen „poetischeren“ Künstler als sich selbst empfand), „Der Dichter und die Liebenden“ und die „Sonnenblumen“ (Ende August, Ende November/August Dezember 1888 und Januar 1889) zu schmücken. In einem Brief vom 19. oder 20. August bat er seinen Bruder um eine Anzahlung von 300 Francs, um Möbel für das Haus zu kaufen, darunter zwei Betten – eines für sich selbst und ein weiteres, um ein Gästezimmer einzurichten, das Gauguin nutzen konnte.2 In dieser Hektik der häuslichen Planung kam er auf die Idee, wieder Sonnenblumen zu malen.
„Ich denke daran, mein Atelier mit einem halben Dutzend Gemälden von Sonnenblumen zu schmücken. Eine Dekoration, in der grelles oder gebrochenes Gelb vor verschiedenen Blauhintergründen hervorsticht, vom blassesten Veronese- bis zum Königsblau“ [665].
Das Wissen um Gauguins Interesse an der Blume muss eine Rolle bei seinem Wunsch gespielt haben, das Atelier und kurz darauf auch das Schlafzimmer, das er für Gauguin vorgesehen hatte, mit einem Motiv zu schmücken, das ihm gefallen würde. Während er auf die Nachricht von Gauguins Ankunft wartete, malte er sie fieberhaft. Die Sonnenblumen fungierten für ihn während der Abwesenheit seines Freundes beinahe als Ersatz. Diese Gemälde waren ausschlaggebend für seine Konzeption eines Dekorationsschemas, das schnell über die Wände des Gelben Hauses hinausging. „Van Gogh: Dichter und Liebende“ zeigt, wie der Künstler zunächst im Jahr 1889, im Jahr der Weltausstellung, bedeutende Kompositionen für Ausstellungen in Paris zu schaffen versuchte. Er hoffte, diese als geschlossene Gruppe neben den Werken anderer Avantgarde-Künstler ausstellen zu können.
In der National Gallery hängen zwei Versionen des berühmten Porträts der Arlesienne, für die van Gogh Madame Ginoux, die Besitzerin des Nachtcafés als Modell gewinnen konnte: „L’Arlésienne (Die Frau aus Arles)“ (1890, Privatsammlung, F543) und „L’Arlésienne (Porträt von Madame Ginoux)“ (Februar 1890, Galleria Nazionale d’Arte, Rom). Mit der Porträtserie würdigte er die (legendäre) Schönheit der Damen vor Ort, die der Maler, vermutlich aufgrund fehlenden Erfolgs in der Damenwelt, als bereits verblasst empfand. Dennoch widmete er Madame Ginoux seine Aufmerksamkeit - allerdings gefiltert durch eine Zeichnung von Gauguin, die nach dessen abrupter Abreise im Süden geblieben war. Die beiden in London ausgestellten Porträts sind symbolisch zu verstehen, als Aufarbeitung der zerbrochenen Freundschaft, als Abgesang auf die traditionsreiche Geschichte von Arles (beispielsweise durch die berühmte „Venus von Arles“, eine römische Kopie einer Venus von Praxiteles, im Louvre vertreten) und auch die Ablehnung der Bürger:innen von Arles, die Ende Februar 1889 zu einer Petition gegen den Künstler geführt hatte.
Die National Gallery hat eine große und aufwendig bearbeitete Zeichnung des Parks vom Art Institute in Chicago erhalten. Die Zeichnung entstand nur fünf Tage vor Vincents Abreise aus Arles in die Nervenheilanstalt; am 3. Mai 1889 beschrieb er sie in einem Brief an Theo:
„Heute habe ich eine jener Zeichnungen gemacht, die für den Frühling sehr dunkel und ganz melancholisch wurden.“
Die Rohrfederzeichnung „Weinender Baum“ (Mai 1889) wurde noch nie in Großbritannien ausgestellt. Van Gogh erweckt in der Szene den Eindruck eines Landschaftsparks – nicht eines belebten Stadtgebiets. Diesmal ist die Landschaft ohne menschliche Gestalten geformt. Obwohl die Zeichnung eine Weide darstellt, ist es bezeichnend, dass Vincent es „den weinenden Baum“ nennt, was vielleicht auf seinen Geisteszustand hinweist, als er im Begriff war, nach Saint-Rémy zu übersiedeln.
Van Goghs Darstellungen des öffentlichen Gartens suggerieren einen ruhigen Ort und in den Gemälden einen angenehmen Ort für einen Spaziergang. Aber die Place Lamartine lag eigentlich in einem belebten und ungesunden Teil der Stadt. Es lag zwischen dem Bahnhof und der „Straße der freundlichen Mädchen“, so Vincents Bezeichnung für das Rotlichtviertel. Der Platz wurde zudem von mehreren Nachtcafés und der Polizeistation gesäumt. Vincent nutzte künstlerische und poetische Erfindungen, um seine eigenen Interpretationen des öffentlichen Gartens zu schaffen und ihn als entspannenden, vergnüglichen Ort vorzuschlagen.
Der öffentliche Garten ist nur das erste von einem halben Dutzend grob chronologischer Themen in der kommenden Ausstellung der National Gallery. Die Kapitel umfassen hauptsächlich Landschaftsmalerei aus Arles und Saint-Rémy (→ Vincent van Gogh : Paul Gauguin in Arles), drunter auch Blumenstillleben mit einem Schwerpunkt auf den Sonnenblumen (→ Van Goghs Sonnenblumen).
Im Mai und Juni 1889, nachdem Van Gogh sich selbst in das Krankenhaus Saint-Paul-de-Mausole in Saint-Rémy eingewiesen hatte, stellte er sich den verwilderten Garten der Anstalt als abgeschiedenen Ort für Liebende vor. Er malte spektakuläre Kompositionen mit Ansichten des Geländes. Die Ausstellung zeigt, wie diese idealisierende, euphorische Erkundung des Anstaltsgartens in dramatischem Kontrast zu Werken aus dem Herbst steht, als van Gogh denselben Ort stattdessen mit seinem eigenen Leiden und dem seiner Mitpatienten in Verbindung brachte ( → Amsterdam | Van Gogh Museum: Van Gogh und die Olivenhaine).
Kuratiert von Christopher Riopelle, einem Spezialisten für das 19. Jahrhundert, und der unabhängigen Van-Gogh-Forscherin Cornelia Homburg.