Jean-Michel Basquiat (1960–1988) wäre im Jahr 2010 50 Jahre alt geworden. Dies nahm die Fondation Beyeler in Basel zum Anlass, dem Ausnahmetalent eine umfassende Retrospektive zu widmen, bei Hatje Cantz ist der Katalog erschienen. Der New Yorker Künstler zählte in den 1980er Jahren zu den gehypten Talenten, war 1982 mit 21 Jahren der jüngste Teilnehmer der documenta aller Zeiten, der erste afroamerikanische Künstler, der den Durchbruch in der hauptsächlich weißen Kunstwelt schaffte, und die Legende, die 1988 mit 27 an einer Überdosis starb. Glenn O`Brien`s Hintergrundberichte kontextualisieren den Künstler und sein Werk in der New Yorker Kunstszene der späten 1970er und frühen 1980er, als der Autor eng mit Basquiat an einem Filmprojekt arbeitete (später unter „Downtown 81“ veröffentlicht).
Schweiz | Riehen b. Basel: Fondtion Beyeler
9.5. – 5.9.2010
Dieter Burchhart wendet sich in seinem Aufsatz „Jean-Michel Basquiat. Revolutionär zwischen Alltag, Wissen und Mythos“ gegen eine „überwiegend biographische Lesart der Werke“. Er setzt sich für eine noch stärkere Berücksichtigung der ersten textbasierten Arbeiten Basquiats, zwischen 1977 und 1979 unter dem Pseudonym SAMO an die Wände von New York gesprayte Aphorismen, ein. Diese Phase, so Burchhart, belege die konzeptionelle Arbeitsweise des Künstlers. Das Zeichnen interpretiert der Autor als „Erfahrung des alltäglichen Seins“, dem Künstler ginge es nicht um das künstlerische Resultat, sondern um den Akt des Zeichnens selbst und das Verwandeln seiner Umgebung in Kunst. John Cage`s Kompositionsmethode („Wir bemühten uns nicht perfekt zu sein, grob, auf verquere Weise schön.“) steht Pate für die Dehierarchisierung. Cy Twombly wird zur Referenz für Improvisation, Auslöschung und Lesbarkeit. Basquiats großes Interesse für Hip Hop macht die Struktur seiner Arbeiten mit Sampling und Scratching vergleichbar. Die gestische und unmittelbare Arbeitsweise Basquiats hat oft dazu geführt, dass seine Malerei als Neoexpressionismus bezeichnet wurde. Dem hält Burchhart den Schichtenaufbau der Gemälde entgegen, die Oberflächenverletzungen, die Zusammenarbeit mit Andy Warhol, das Sampeln eigener früherer Bildideen und schlussendlich das Wechselspiel von radikaler Leere und Horror vacui. Der Körperlichkeit der Werke wird dabei genauso Rechnung getragen wie dem Verorten des Stils zwischen Zeichnerischem, Malerischem, Verletzendem und Wissensbasiertem.
Der reich bebilderte Katalog führt in das aufregende, schwer verständliche Werk des New Yorker Shootingstars ein, ohne den Künstler auf seine Hautfarbe und Primitivismus zu reduzieren. Basquiat selbst hatte sich gewünscht, von der Kritik ernst genommen und in eine Reihe mit den „Großen Meistern“ der amerikanischen und europäischen Kunstgeschichte gestellt zu werden, wie das im Katalog erstmals abgedruckte Interview bestätigt. Diesem Bedürfnis kommt Burchhart nach, lässt Basquiat wie einen Boxer versus Cy Twombly, Graffitikunst sowie Robert Rauschenberg an- und im Duett mit John Cage und Andy Warhol auftreten (→ WARHOL/BASQUIAT).
Fazit: Tolles Grafikdesign, einfühlsam-faszinierende Fotostrecken und viele Werkabbildungen ergänzen eine klassisch kunsthistorische Untersuchung. Lesenswert!
Sam Keller, Beyeler Museum AG,
Dieter Buchhart (Hg.)
Interview von B. Johnston, T. Davis & J.-M. Basquiat
Texte von D. Buchhart, G. O'Brien
J.-L. Prat, S. Reichling, M. F. Sirmans
25,40 x 31,20 cm, 244 Seiten
334 farbige Abb.
ISBN 978-3-7757-2592-7 (dt.)
Hatje Cantz Verlag
Glenn O`Brien: Wer war dieser Mann mit der Maske?
Glenn O`Brien: Die New Yorker Szene 1978-1982
Dieter Burchhart: Jean-Michel Basquiat. Revolutionär zwischen Alltag, Wissen und Mythos
Ich brauche Quellenmaterial um mich herum. Jean-Michel Basquiat in einem 1985 in Beverly Hills von Becky Johnston und Tamra Davis geführten Interview
Robert Storr: Was steht einer Legend am besten zu Gesicht
M. Franklin Sirmans: Chronologie
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