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Joannis Avramidis Der „Helene“ unter Österreichs Bildhauern

Joannis Avramidis, Großer Kopf, um 1970, Bronze, H: 92,5 cm (Atelier Joannis Avramidis © Julia Frank-Avramidis, Foto: Lempertz)

Joannis Avramidis, Großer Kopf, um 1970, Bronze, H: 92,5 cm (Atelier Joannis Avramidis © Julia Frank-Avramidis, Foto: Lempertz)

Joannis Avramidis (23.9.1922–16.1.2016) ist bekannt für Skulpturen, in denen er, der griechischen Proportionslehre folgend, nach strengen Gesetzmäßigkeiten ein konzeptuelles Menschenbild konstruierte. Damit orientierte sich Avramidis an Theorien der Antike und der Renaissance: Er sah die Klassische Antike als vorbildhaft an; Demokratie und Versammlungsorte der Polis bildeten gesellschaftliche Bezugspunkte für sein Werk.

„Helene“ in Wien

Mitten im Zweiten Weltkrieg war Joannis Avramidis als Zwangsarbeiter von Griechenland nach Wien verschleppt worden. Zuvor war der Sohn pontischer Griechen bereits der Verfolgung durch die Sowjets nur knapp entkommen. Nach dem Krieg entschied sich der nunmehr 23-jährige in Wien zu bleiben und auf der Akademie sein unterbrochenes Malereistudium wiederaufzunehmen. In der Klasse von Robin Christian Andersen (1890–1969) beschäftigte er sich mit der Malerei der Frührenaissance. Seine erste Skulptur schuf er im Alter von 31 Jahren. Wenig später schrieb sich Avramidis in die Klasse für Restauratoren ein und von 1953 bis 1957 war er Student von Fritz Wotruba (1907–1975). Der wichtigste Bildhauer der Nachkriegszeit bot Avramidis ein Forum und war mehr Kollege, mit dem er sich austauschte, als Lehrerfigur. Von 1968 bis 1992 lehrte Avramidis selbst an der Akademie und prägte dadurch Generationen Studierende. Das künstlerische Werk des „Austrogriechen“ Avramidis umspannt mehr als sechzig Jahre, in denen er mit Hilfe seiner mathematischen Praxis überzeitige Figuren konstruierte.

„Wenn ich anders geartet gewesen wäre und mich am Zeitgeschehen orientiert hätte, wäre ich sicher nicht zu dieser Arbeit gekommen. Dann wäre ich ein Mitläufer“1 (Joannis Avramidis)

Mathematische Experimente

Ende der 1940er Jahre begann sich Joannis Avramidis mit der Reduktion des Organischen auf kubische Formen zu beschäftigen. In der Meisterklasse für Malerei wurde Avramidis immer wieder auf die Malerei der Frührenaissance – vor allem Masaccio und Piero della Francesca – verwiesen. In frühen Zeichnungen erprobt Avramidis das Konzept: Das Menschliche bleibt dabei in Grundzügen erhalten, es macht aber Platz für eine größere Idee.

Mit 31 Jahren schuf Joannis Avramidis seine erste Skulptur. Mit dem „Kouros – Großer Torso“ (1956) reagierte er auf die Tradition der griechischen Skulptur der Archaik2: Die Figur ist in horizontale Segmente geteilt und zeigt eine Zweiteilung – damit folgt er der strengen Symmetrie griechischer Vorbilder. Ob damit die Beine gemeint sind, oder ob der Bildhauer eine Verdoppelung der Figur anstrebte, ist strittig. Die Einkerbungen der säulenartig aufragenden Körperhälften sind entgegen den antiken Kuroi keinem System untergeordnet. Für diesen Kouros fand der Wiener Bildhauer die Form noch durch Experiment, ein Jahr später hatte er das Prinzip bereits in eine mathematische Formel gegossen. In komplexen Ableitungen deklinierte Avramidis bis zu seinem Lebensende sein Hauptthema konsequent durch: Köpfe und Menschen, verdoppelt oder in Gruppen zu einer Gemeinschaft zusammengeschlossen.

Avramidis‘ Konstruktionsprinzip

Bereits zwei Jahre nachdem Joannis Avramidis sein Konstruktionsmodell an einer ersten Skulptur erprobt hatte, führte er es in ein System über. „Große Figur“ (1958) zeigt alle Charakteristika einer „klassischen“ Avramidis-Skulptur: die Betonung der vertikalen Mittelachse, die horizontale Gliederung in einzelne Körpersegmente, die Definition der Figur über die geschlossene Kontur. Interessant ist der Aspekt, dass Avramidis diese Figuren nicht mehr durch Modellstudium erzielte, sondern durch Berechnung von innen heraus. Dafür imaginierte er eine zentrale Mittelachse und berechnete davon ausgehend horizontale Kugelschnitte. Übereinandergeschichtet bilden sie die sichtbaren Körpersegmente, das Anschwellen und sich Verjüngen der Volumina.

Ende der 1950er Jahre legte Joannis Avramidis in „Kopf IV in drei Stadien“ sein bildhauerisches Konzept offen. Der Kopf war für Joannis Avramidis Ausgangspunkt seines Schaffens und Initial jeder Planung: Hier stehen drei Köpfe nebeneinander. Der erste gibt den Blick frei auf ein Gittergerüst aus Aluminium und Kunstharz, das der Komposition zugrunde liegt. Der zweite ist bereits mit Gips überzogen, wodurch die Skulptur „Fleisch“ und „Haut“ als Begrenzung erhält. Der dritte Kopf symbolisiert das dritte Stadium des Arbeitsprozesses, nämlich die Umsetzung in Form eines Bronzegusses.

Das Konzept von Joannis Avramidis setzt sich aus einer mathematischen Konstruktion im Inneren und einer organischen „Bekleidung“ auf der Oberfläche zusammen. Zu den Leitmotiven Avramidis‘ zählen der Kreis, die Horizontale und die Vertikale. Seit den späten 1950er Jahren entwickelte der Bildhauer sein Figurenrepertoire in Variationen – abhängig von der gewählten Proportion des Figurenaufrisses, der Anzahl der horizontalen Segmentschnitte, der Radien sowie deren Ansatzpunkten.

„Das ist mein Anliegen: in meiner Arbeit alles offen darzulegen. Die Formel preiszugeben. Damit auch andere sie verwenden. Vorzüge wie Mängel lesen, prüfen. Die Formel: zur Herstellung eines menschlichen Werks. Die Natur ist der ewige Lieferant der Daten. Meine Arbeit ist die Demonstration der Herstellung einer objektiven, d. h. vollkommen erfaßbaren Form. [...] Dabei ist es mir darum zu tun, persönliche Stileinflüsse aus meiner Arbeit ganz auszuschalten. [...] Gerade diese Selbstständigkeit gegenüber Stilen und Lehren anderer ist mir für die Interpretation meiner Arbeit wichtig.“3 (Joannis Avramidis im Katalog der Kestner-Gesellschaft, Hannover 1967)

Das Finden einer Form mit Hilfe von „Formeln“, wie es Joannis Avramidis selbst nannte, führte zur Idee des Drehens. Die auf einem Gittersystem mit verschieden großen Kreisen konstruierten Figuren lassen sich durch Rotation gleichsam drechseln. Dieses Konzept widerspricht in maßgeblichen Teilen der Ausprägung des Kopfes mit Gesicht und Hinterkopf, wie „Großer Kopf“ (um 1970) zeigt. Andeutungen von Nase, Augen und Mund mussten reichen, Haare und Ohren fehlen gänzlich. Damit nahm Avramidis das Individuelle zugunsten des allzeit Gültigen zurück. Gleichzeitig entwickelte er in Zeichnungen Gesichts- und Hinterkopfprofile als einander spiegelbildlich entsprechende Formen. Dadurch folgte er erneut seinem Denken in Entsprechungen:

„Eine summarische Gesichtsform ist z. B. die Eiform, aber das ist nur ein Teil der Arbeit, denn ich mache ja Köpfe. Die Köpfe bestehen aus vielen Zwischenformen, um dem Natürlichen näher zu kommen. Meine Theorie sagt: wenn ich tausend solche Formen summiere, kann ich quasi einen realistischen Kopf zustande bringen. Aber das ist nicht meine Absicht.“ (Joannis Avramidis)

Verwandlung und Bewegung

Im Jahr 1960 begann Avramidis sich mit Bewegung zu beschäftigen. Der Fries „Metamorphose“ (1960) stellt neben „Modell Baum“ die außergewöhnlichste Auseinandersetzung mit dieser Darstellungsproblematik dar. Offensichtlich illustriert der Fries keinen bekannten Mythos, sondern verweist allgemein auf das Verhältnis zwischen Mensch und Baum, Mensch und Natur. Gemeinsamer Nenner bleibt die hochaufgerichtete Form. Das Werk ist ob seines Naturalismus innerhalb von Avramidis‘ Œuvre außergewöhnlich.

„Der Baum ist ein Thema, in meiner Sichtweise für mich fast stärker da als die menschliche Figur. Er ist sehr nahe an der menschlichen Figur, so wie ich sie entwickelt habe bisher in der Plastik ... das Konstruktive, quasi das Greifbare, wäre sowohl für die Figur wie für den Baum die Säule. Die Säule ist ja schließlich eine Schöpfung des Menschen. Und in dieser Weise, die sicher eine sehr persönliche ist, glaube ich, wird, so wie es bisher die Figur geworden ist, auch der Baum sehr verbindlich für die Allgemeinheit.“4 (Joannis Avramidis in einem Gespräch mit Michael Semff, 2005)

Mit der Skulptur „Der Schreitende“ (1966/1969) gab Joannis Avramidis seinem Werk eine entschieden neue Richtung. Waren die Figuren der 1950er Jahre vom stehenden Kuros inspiriert worden, so begann sich der Bildhauer nun für Bewegung zu interessieren. „Der Schreitende“ übersetzt sie vormals „säulenhafte Zweiteilung“ der Figuren in eine „bewegte bandartige Zweiteilung“, wie es der Avramidis-Experte Michael Semff beschrieb. Nur wenig später gelangte der Bildhauer zu gänzlich abstrakten, bandartigen Lösungen, weshalb „Der Schreitende“ als Beginn einer neuen Werkgruppe gedeutet werden kann. Die Statik der früheren Schöpfungen wurde durch Bewegungsmotive und ondulierende Bandskulpturen abgelöst.

Bandskulpturen

Auslöser für die Entwicklung der Bandfiguren lassen sich spätestens in den frühen 1960er Jahren in den Zeichnungen finden.5 Man kann sich angesichts des großen „Bandfigurenfrieses“ von 1967 bis 1973 an einen antiken Mäander erinnert fühlen oder an gänzlich abstrahierte Figuren. Joannis Avramidis führt Vierkantbänder aus Aluminium in nunmehr rechtwinkeligen Bewegungen durch den Raum. Einerseits betont er durch ihre lineare und gleichsam bildparallele Anordnung die Flächigkeit seiner Komposition, andererseits gelangte Avramidis so zu einer Zeichenhaftigkeit. Die ornamentale Silhouette verdankt sich einer gänzlich auf Geometrie basierenden Gestaltungsweise. Im Gegensatz zu den abstrahierten Figuren der Frühzeit sind es nun nicht mehr der Kreis, oder besser das Kugelsegment, sondern Quadrat und Würfel, welche die Grundkonstanten bilden.

Joannis Avramidis bezeichnete sich angesichts der Bandfiguren selbst als Minimalist – und verankerte damit sein Werk in den Zeitstil der 1970er Jahre. Diese Aussage steht diametral gegen andere Äußerungen des Bildhauers, wonach er unzeitgemäße Werke schaffen wollte. Dennoch lassen sich einzelne Elemente seiner Kunstphilosophie – nämlich ohne persönlichen Stil schaffen zu wollen – mit den Ambitionen amerikanischer Kollegen wie Sol LeWitt in Verbindung bringen. Auch wenn man davon ausgehen kann, dass Grundlagen, Ausgangspunkte und auch Resultate beider Künstler gänzlich unterschiedlich waren, so waren doch beide beseelt von der Offenlegung ihrer Konzepte. Diese „Formeln“ legten der künstlerischen Arbeit Basismodule zugrunde, die in konsequenter Weise variiert und durchdekliniert wurden. Dass Joannis Avramidis mit den verräumlichten Linien auch eine universelle Schrift mitdachte und sich zeitlebens an der menschlichen Figur abarbeitete, mögen die Unterschiede zwischen dem Wiener Bildhauer und seinem amerikanischen Kollegen aufzeigen.

„Avramidis ist nicht nur die Begabung seiner Generation in Österreich, er ist es sicherlich auch in Deutschland, und er gehört zu den wenigen großen Bildhauern unserer Zeit.“ (Fritz Wotruba anlässlich der Verleihung des Großen Österreichischen Staatspreises an Joannis Avramidis, 1973)

Polis, Tempel und Agora – unrealisierte Projekte

„Polis II“ (1965/68) darf mit Fug und Recht als Summe und Resultat der frühen Entwicklung Joannis Avramidis‘ gedeutet werden. Mit dieser Skulpturengruppe setzt der griechischstämmige Bildhauer dem Begriff der Gemeinschaft ein Denkmal. Joannis Avramidis setzt diese Idee der Versammlung der freien und gleichberechtigten Individuen als Gruppe von säulenartig aufragenden Figuren um, die auf einer gemeinsamen Basis und gleich hoch dich aneinandergedrängt stehen. Wenn auch das Individuum nach seinem persönlichen Maß geformt ist, so suggeriert die gleiche Kopfhöhe und die Positionierung der Figuren doch eine gemeinschaftliche Übereinkunft.6

Der vierte Raum der Avramidis-Ausstellung im Leopold Museum ist seinen unverwirklichten Projekten gewidmet: dem Tempel und der Agora. Die Verbindung zwischen dem heiligen Ort und dem Versammlungsort erklärte der Künstler so:

„Ich habe eine ungeheure Empfindung für das Sakrale, d. h. das eben Nicht-Banale. Und daher komme ich auf den Tempel, wo ich wiederum etwas in der Mitte platziere. Es ist ja auch verständlich, daß der Tempel erst dann ein Tempel ist, wenn etwas in der Mitte steht, das den Menschen, der da eintritt, eigentlich in eine würdige Richtung zwingt … Das Zusammenkommenwollen, das soll in einer würdigen Weise geschehen. Und dazu ist eben der Tempel da. Und dafür steht auch die Agora. Es ist also in diesem Sinn dasselbe.“

Der Tempel sollte als kreisrunde Anlage entstehen und in seinem Zentrum diese so genannte „Modellierte Figur“ aus dem Jahr 1958 bergen, die deutlich vom antiken Kuros inspiriert ist. Das Zentrum wäre von vier Varianten der stark stilisierten „Figurenwand“ umgeben. Der in der Ausstellung nachempfundene Kreis sollte von den vier Himmelrichtungen betretbar sein und einen heiligen Versammlungsort markieren. Eng nebeneinanderstehend, zeigt sich die menschliche Gesellschaft als Einheit. Das vor die Menge tretende, freie Individuum wäre in Form des selbstbewusst stehenden Menschen im Zentrum thematisiert worden.

In einiger Distanz zum Tempel wollte Joannis Avramidis die „Humanitassäule“ (1963/86) aufstellen, die im Rahmen der Ausstellung vor dem Museum präsentiert wird. In zahlreichen Skizzen und Modellen erarbeitete Avramidis die Idee einer Säule, die nach dem Prinzip der Addition gebildet wird. Wie die Figurenwände setzt er die Rundform der Säule aus menschlichen Figuren zusammen. Während diese für die Wände in einer horizontalen Reihung nebeneinandergestellt werden, baut Avramidis die Säule aus einer vertikalen Schichtung von Figurengruppen auf. Wenn man die Höhenerstreckung der Säulen als Zeitstrahl interpretieren möchte, ließe sie sich auch als große Erzählung der Menschheit, als Abfolge von Generationen lesen.

Joannis Avramidis, Kopf – Das Trojanische Pferd

Zu den bekanntesten Werken des Joannis Avramidis zählt „Kopf – Das Trojanische Pferd“. Obschon sich der Bildhauer zeitlebens mit dem Menschen auseinandersetzte, so findet das Animalische und die menschliche List über die Sage des Trojanischen Kriegs Eingang in sein Werk. Ursprünglich plante Avramidis die außergewöhnlich gebänderte Figur in sein Agora-Projekt aufzunehmen. In einem Gespräch mit Curt Heigl erklärte er die Verbindung von der Agora und dem Trojanischen Pferd mit seinem Konzept von Plätzen. Avramidis hatte sich seit den frühen 1970er Jahren mit dem Platz als „Ort der Gemeinsamkeit, [als] Ort, wo sich die Polis bewahrt, wo sie auch währt“ beschäftigt. Für ihn konnte aber auch ein Schlachtfeld ein solcher Ort der Polis sein. „Kopf – Das Trojanische Pferd“ war für Avramidis ein „allgemein verbindliches Thema“, das von der Gemeinschaft der kämpfenden Männer erzählt.

„Ich“, so hielt Joannis Avramidis abschließend fest, „habe das Wunschbild, daß meine Arbeit so wenig wie möglich zeitabhängig ist. Meine Idealvorstellung ist, daß ich meine Arbeit auch in einer anderen Zeit hätte machen können, etwa in der Frührenaissance oder in der antiken Archaik.“

Joannis Avramidis im Leopold Museum

Knapp ein Jahr nach dessen Tod widmet das Leopold Museum dem Wiener Bildhauer mit griechischen Wurzeln eine erste Ausstellung, die einen Überblick über das höchst individuelle wie stringente Schaffen gibt. Im Hof des Museumsquartiers verweist die 13 Meter hohe „Humanitas-Säule“ unübersehbar auf Menschlichkeit, die Agora als Festplatz und Versammlungsort.

Joannis Avramidis: Literatur

  • Joannis Avramidis. Skulpturen, Gemälde, Zeichnungen (Ausst.-Kat. Joannis Avramidis – zum 90. Geburtstag 2012 in der Galerie bei der Albertina Zetter, Wien), Wien 2012.
  • Michael Semff, Joannis Avramidis. Skulptur und Zeichnungen, Münchern 2005.
  • Grieche unter Griechen. Joannis Avramidis in der Glyptothek (Ausst.-Kat. 23.6.–17.10.1999), München 1999 (mit Texten von Peter Prange und Raimund Wünsche).

Joannis Avramidis: Werke

  • Joannis Avramidis, Kouros – Großer Torso, 1956, Bronze, H: 152 cm, Foto: Gunther Balzer, Kaiserslautern
  • Joannis Avramidis, Modellierte Figur, 1958, Gips, H: 172,8 cm, Foto: Archiv Joannis Avramidis, Wien.
  • Joannis Avramidis, Kopf IV (3 Stadien), 1959, Aluminiumkonstruktion, Gips auf Aluminiumkonstruktion, Bronze, H: je 30 cm (Akademie der bildenden Künste Wien, Foto: Archiv Joannis Avramidis, Wien).
  • Joannis Avramidis, Metamorphose, 1960, Bronze, 135 × 47 cm, Foto: Archiv Brusberg, Berlin)
  • Joannis Avramidis, Konstruktionszeichnung, 1962, Kohle, Grafitstift auf Papier, 79,9 × 74,6 cm (Foto: Manfred Thumberger)
  • Joannis Avramidis, Der Schreitende, 1966–1969, Bronze, H: 171,5 cm (Staatsgalerie Stuttgart, Foto: Archiv Joannis Avramidis, Wien).
  • Joannis Avramidis, Großer Kopf, um 1970, Bronze, H: 92,5 cm (Foto: Archiv Joannis Avramidis, Wien).
  • Joannis Avramidis, Kopf – Das Trojanische Pferd (Halbprofil), 1970, Kunstharz auf Aluminiumkonstruktion, H: 38 cm, Foto: Manfred Thumberger
  • Joannis Avramidis, Sitzende Bandfigur, 1970–1982, Aluminium massiv (Kaltarbeit), H: 159,5 cm, Foto: Archiv Brusberg, Berlin

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  • 1922

    Am 26. September 1922 wurde Joannis Avramidis als Sohn des Kaufmanns, Schiffsbesitzers und Blumenzüchters Konstantin und Eleni Avramidis in Batumi am Schwarzen Meer (Sowjetunion, heute: Georgien) geboren. Seine Mutter war 1916 vor der Unterdrückung der griechischen Minderheit im Osmanischen Reich ins russische Zarenreich geflohen. Der Vater Konstantin war ein Schwarzmeergrieche, dessen Familie seit Generationen in Georgien ansässig war. Joannis Avramidis hatte drei jüngere Geschwister: Georgette, Thomas und Sofia. Thomas half ab den späten 1960er Jahren seinem Bruder oft bei der handwerklichen Ausführung von Skulpturen.
  • 1936

    Als Vierzehnjähriger begann Avramidis an der Staatlichen Kunstschule in Batumi Malerei zu studieren. Der Vater unterstützte diese Berufswahl nicht. Es entstanden Stillleben, Kopfstudien und Stalin-Porträts.
  • 1937

    Verhaftung und Ermordung des Vaters durch das Stalinregime. Als auch Joannis verhaftet werden sollte, konnte die Mutter die Beamten des NKWD überreden, einen älteren Cousin mitzunehmen. Galt als Sohn eines „politisch Unzuverlässigen“, weshalb Joannis Avramidis das ihm gewährte Begabtenstipendium für die Kunsthochschule in Leningrad (heute: St. Petersburg) nicht in Anspruch nehmen konnte.
  • 1939

    Abbruch des Kunststudiums und Umzug nach Athen. Gemeinsam mit Mutter und Geschwistern floh Avramidis zur Verwandtschaft der Mutter. Der anerkannte Flüchtling besuchte ein Gymnasium und finanzierte den Unterhalt seiner Familie durch Gelegenheitsarbeiten. Erste direkte Begegnung mit der griechischen Antike in Athen prägte den Künstler lebenslang.
  • 1941

    Okkupation Griechenlands (April/Mai).
  • 1942

    Matura, Umzug nach Nordgriechenland, wo Schwarzmeerflüchtlingen Baugrundstücke zur Verfügung gestellt wurden. Freskierte die Häuser der dort ansässigen wohlhabenden Albanerfamilien, um den Lebensunterhalt für die Familie zu verdienen.
  • 1943

    Zwangsverpflichtet (Frühjahr) und in einem Güterwaggon mit einer Gruppe anderer junger Griechen als „Fremdarbeiter“ nach Wien geschickt. Bis Kriegsende arbeitete er im Ausbesserungswerk in Kledering, wo er für die Instandhaltung von Schienenfahrzeugen zuständig war.
  • 1945–1949

    Avramidis wurde nach Kriegsende wegen seiner Russischkenntnisse von der sowjetischen Besatzungsbehörde als verdächtig eingestuft und in ein Internierungslager bei Budapest deportiert. Flucht und Rückkehr nach Wien. Aufnahme des Malereistudiums als ordentlicher Hörer in der Meisterklasse von Robin Christian Andersen (1890–1969) an der Akademie der bildenden Künste (Juli). Hier traf er u. a. Ernst Fuchs, Erich (später Arik) Brauer, Giselbert Hoke und Kurt Absolon. Durch Andersen lernte Avramidis die Malerei der Frührenaissance (Masaccio, Piero della Francesca) kennen. Malte während der Studienjahre reduzierte Landschaftsdarstellungen und intimistische Sujets, die eine Vorliebe für melancholische Stimmungen und Nähe zur Pittura metafisica erahnen lassen. Lernte von Andersen die Betonung des Kompositionsgerüsts und die Reduktion der Palette auf Lokalfarben.
  • 1948

    Erste „Kubische Köpfe“ in Kohle.
  • 1949

    Abschluss des Malereistudiums und Beginn des Studiums in der Meisterschule für Konservierung und Technologie von Robert Eigenberger (1890–1979).
  • 1951

    Avramidis lernte die Restauratorin Waltraud Rathofer kennen, die er im Jahr darauf heiratet und von der er sich 1955 trennte.
  • 1953

    Erste Skulptur am Winterhafen der Donau: einen „Kopf“ aus Bruchstein (Nationalgalerie, Athen). Diese Arbeit zeigte er Fritz Wotruba (1907–1975), der seit seiner Rückkehr aus dem Schweizer Exil in Wien unterrichtete. Nahm Avramidis in seiner Bildhauerklasse an der Akademie der bildenden Künste auf, wo ihm ein eigenes Atelier zur Verfügung stand. Avramidis‘ Studienkollegen waren Andreas Urteil, Alfred Hrdlicka, Alfred Czerny, Erwin Reiter, Franz Anton Coufal, Leopold Höfinger, Roland Goeschl und Oswald Oberhuber.
  • 1954

    „Kleine Halbfigur“ mit additivem, kubische, Aufbau steht noch in der Tradition von Wotrubas Figurenauffassung. „Torso“ und „Kopf“ markieren den Anfang einer eigenständigen Entwicklung hin zur durchkalkulierten Mehrachsigkeit der Figur.
  • 1955

    Joannis Avramidis wurde österreichischer Staatsbürger. Studienaufenthalt in Paris, wo er sich mit dem Dichter und Übersetzer Jean-Claude Hémery (1931–1985) anfreundete.
  • 1956

    Abschluss seines Studiums und Staatspreis der Akademie der bildenden Künste Wien. Avramidis beteiligte sich erstmals an einer Gruppenausstellung: „Figur“ und „Studie“ wurden auf der der XXVIII. Biennale in Venedig neben den Werken von elf weiteren österreichischen Malern und Bildhauern gezeigt.
  • 1957

    Erste Skulpturenentwürfe nach mathematischen Berechnungen: „Bein“. Erste Einzelausstellung in der Galerie Würthle. Avramidis lernte die Bildhauerin und Dichterin Annemarie Persche kennen, die seine zweite Frau wurde.
  • 1958

    „Große Figur“ definierte den Körper erstmals konsequent als gekoppelte Säule, womit eines der wesentlichen Gestaltungsprinzipien für Folgejahrzehnte erprobt wurde. „Modellierte Figur“, die später im Zentrum des „Tempels“ stehen sollte. Österreichischer Förderpreis für Bildhauerei.
  • 1961

    Förderpreis der Stadt Wien, Hugo-von-Montfort-Preis (Bregenz) und Preis der Föderation der österreichischen Industrie.
  • 1962

    Avramidis vertrat Österreich neben Friedrich (später Friedensreich) Hundertwasser bei der XXXI. Biennale von Venedig. Avramidis stellte 22 Skulpturen aus. Der 61-jährige Alberto Giacometti, dem man zeitgleich eine große Personale in Venedig widmete, wurde im österreichischen Pavillon auf die Werke des jüngeren Kollegen aufmerksam und lobte an ihnen „die Qualität und das Drama“. Der mit Giacometti befreundete Franco Russoli, Direktor der Pinacoteca di Brera in Mailand, führte diesen Kommentar später aus, indem er in Avramidisʼ Werk „das ständig wiederkehrende Bild der Einsamkeit, die Suche nach einer Zuflucht in der Umarmung der Menschen, die in ihre eigene Unfähigkeit zur Kommunikation eingeschlossen sind“, fand.
  • 1963

    „Säulen“
  • 1964

    Preis der Stadt Wien.
  • 1965–1966

    Übernahm von Herbert Boeckl die Klasse für Aktzeichnen an der Wiener Akademie der bildenden Künste in Wien. Beginn der Arbeit an „Polis“ und erste Skizzen zum „Tempel“.
  • 1966

    Gastprofessur an die Hochschule für bildende Künste Hamburg. Erste „Bandfiguren“.
  • 1967

    Rückkehr nach Wien.
  • 1968

    Anbote für Professuren an der Staatlichen Kunsthochschule Berlin und an der Akademie der bildenden Künste Wien. Avramidis entschied sich für Wien und die Leitung einer Meisterklasse für Bildhauerei. Mitglied der Wiener Secession; Will-Grohmann-Preis der Stadt Berlin. Aufstellung von „Polis“ (1965–1968) anlässlich der Eröffnung der Neuen Nationalgalerie am Kulturforum in Westberlin.
  • 1973

    Preis der Biennale für Kleinplastik in Budapest, Mitglied des Österreichischen Kunstsenats, Großer Österreichischer Staatspreis (Laudator Fritz Wotruba)
  • 1982

    Aufstellung „Große Säule“ (1963) vor der Hofburg am Michaelerplatz anlässlich der Festwochenausstellung der Wiener Secession.
  • 1985

    Mitglied der Kurie für Kunst. Permanente Aufstellung der „Großen Dreifigurengruppe“ (1980) für „Agora“ auf dem Marktplatz vor dem Heilbronner Rathaus.
  • 1992

    Emeritierung.
  • 1997

    Einzelausstellungen im Französischen Institut in Thessaloniki (Kulturhauptstadt Europas) und in der Nationalgalerie in Athen (Juli bis September). Die Schenkung, die der Künstler im Vorfeld dieser Ausstellung der Nationalgalerie gemacht hat, umfasst 53 Skulpturen, elf Gemälde und 104 Zeichnungen.
  • 1998 Zum korrespondierenden Mitglied der Athener Akademie der Künste ernannt.
  • 1999

    In der Ausstellung „Grieche unter Griechen“ in der Münchner Glyptothek traten Avramidis’ Skulpturen in einen Dialog mit Werken der klassischen Antike.
  • 2000

    Zum korrespondierenden Mitglied der Bayerischen Akademie der Schönen Künste ernannt.
  • 2012

    Zwei Personalen anlässlich von Joannis Avramidis‘ 90. Geburtstages in Wien: in der Antikensammlung des Kunsthistorischen Museums (Säle X bis XIII) und in der Galerie Zetter.
  • 2013

    Großes Goldenes Ehrenzeichen mit Stern für Verdienste um die Republik Österreich. Tod der Ehefrau Annemarie Avramidis.
  • 2014

    Jerg-Ratgeb-Preis (Mai) und Einzelausstellung im Städtischen Kunstmuseum Spendhaus in Reutlingen, wo er hauptsächlich Arbeiten auf Papier und kleinformatige Skulpturen präsentierte. Große Plastiken wurden im Öffentlichen Raum ausgestellt.
  • 2016

    Am 16. Januar 2016 starb Joannis Avramidis in Wien.
  1. Zitiert nach: Michael Semff, Joannis Avramidis. Skulpturen und Zeichnungen, München 2005, S. 309.
  2. Kuros bezeichnet den Typus einer Statue, die meist einen unbekleideten, jungen Mann darstellt. Das Schema des im Gehen begriffenen Stehens, der an den Oberschenkeln anliegenden Händen war im gesamten griechischen Kulturraum von etwa 750 bis etwa 500 vor unserer Zeitrechnung bekannt.
  3. Zitiert nach: Joannis Avramidis (Ausst.-Kat. Kestner-Gesellschaft, Hannover), Hannover 1967, S. 82.
  4. Zitiert nach: Michael Semff, Joannis Avramidis. Skulpturen und Zeichnungen, München 2005, S. 210.
  5. Im akademischen Jahr 1965/66 leitete Joannis Avramidis die Klasse für Aktzeichnen an der Wiener Akademie und dürfte durch die Arbeit mit den Studierenden mit der Frage der Bewegungsdarstellung konfrontiert worden sein. Im folgenden Jahr wurde Joannis Avramidis nach Hamburg berufen, wo er ein Jahr als Gastdozent unterrichtete.
  6. Das altgriechische Wort „Polis“ bezeichnet die Stadt bzw. den Staat, vor allem ist damit aber auch die Bürgergemeinde gemeint. Diese besteht aus gleichberechtigten Personen, die sich freiwillig zu einer Einheit zusammenschließen.
Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.