Wien | Belvedere 21: Wotruba international Neue Perspektive | 2025/26

Fritz Wotruba, Große liegende Figur, 1951-1953 (Belvedere, Wien; Leihgabe Wiener Konzerthausgesellschaft, Foto: Harald Eisenberger)
Fritz Wotruba (1907–1975) glaubte, dass seine Skulptur Licht, Luft und manchmal auch Architektur brauchen. Kein Raum in Wien erfüllt diese Forderung des österreichischen Bildhauers besser als der Schwanzer Pavillon des Belvedere 21. Hier widmet ihm das Museum anlässlich seines 50. Todestages eine umfassende Ausstellung. Erstmals wird Wotruba in einem 15-stimmigen Chor seiner Zeitgenoss:innen gezeigt.
Gemeinsam mit next ENTERprise Architects entwickelten die Kuratorinnen Verena Gamper und Gabriele Stöger-Spevak eine überzeugende Schau im lichterfüllten Raum des Belvedere 21. Sie präsentieren die Werke wie auf einem Catwalk aus Wellpappe. Tonnenschwere Objekte aus Stein oder Marmor, auf Hochglanz poliert oder mit Bearbeitungsspuren rauh belassen, reihen sich nebeneinander zu einem Bühnenbild oder einer Prozession. Das einfache Material Karton steht dabei in starkem Kontrast zu den edlen Materialien der Bildhauerarbeiten, wobei die Schnittstellen der Podeste, Stufenpyramiden, Säulen und Wege facettenreich geschnitten sind. Damit definieren die Kuratorinnen nicht nur präzise eine Vorder- und eine Rückansicht, sondern alles auf einem Karton zum Kunstwerk, darunter auch die Besucher:innen. Wer setzt sich auf einen Karton-Hocker, und fühlt sich unter den Skulpturen und Plastiken selbst als Kunstwerk?
Wotruba international
Österreich | Wien: Belvedere 21
17.7. - 16.11.2025
Wotruba 2025
Seit 2011 befindet sich der Wotruba Nachlass in Form von ca. 500 Skulpturen, Plastiken und Modellen, etwa 2.500 Zeichnungen und 1.500 Druckgrafiken, dem schriftlichen Nachlass, dem Fotoarchiv und der Bibliothek des Künstlers als Dauerleihgabe der Wotruba Stiftung im Belvedere. Wurde Wotrubas Werk bisher vor allem monografisch oder mit Blick auf seinen Einfluss auf nachfolgende Generationen aufgearbeitet, liegt der Fokus dieser gelungenen Präsentation auf seiner internationalen Ausstellungstätigkeit, seinem Netzwerk und seiner Stellung im Bildhauereidiskurs seiner Zeit.
Fritz Wotruba gehört zu den bedeutendsten Bildhauern Österreichs im 20. Jahrhundert. Dies zeigt sich u.a. an der großen Anzahl seiner Ausstellungen und Ausstellungsbeteiligungen: rund 70 Einzelausstellungen und etwa 300 Gruppenausstellungen bespielte Wotruba mit seinen Werken. Wotrubas erste Einzelausstellung fand 1931 im Museum Folkwang in Essen und damit bereits im Ausland statt. Der Emigration in die Schweiz folgte nach dem Zweiten Weltkrieg die internationale Anerkennung durch eine Personale im Musée national d’art moderne in Paris 1948. Darauf folgten Teilnahmen an den Biennalen von Venedig und São Paulo, den Expos von Brüssel, Seattle und Montreal, der documenta in Kassel. Diese internationale Strahlkraft Wotrubas wird erstmals durch die Gegenüberstellung bedeutender Werke Wotrubas mit Arbeiten seiner Zeitgenoss:innen verdeutlicht.
Auf die Frage, wen er zu den bedeutendsten Bildhauern seiner Zeit zählen würde, antwortete der damals 60-jährige Wotruba:
„Giacometti ist vor Kurzem gestorben. Er war ein großer Artist, vielleicht weniger Bildhauer. Laurens war ein großer Bildhauer. Matisse war Maler und Bildhauer. Henry Moore, ein großer Gegensatz zu mir, ein großer Bildhauer. Lipchitz. Marino Marini in Italien, heuter sicherlich noch unübertroffen und wird es bleiben. Das ist die ältere Generation.“1
Vom Stanzengraveur zum internationalen Bildhauer
Fritz Wotruba wurde 1907 in Wien in eine sozialdemokratisch geprägte Arbeiterfamilie geboren. Als 13-jähriger wurde er im Rahmen einer Kindererholungsaktion nach Capodistria (heute: Koper, Slowenien) geschickt. Von Ende Januar bis Anfang August 1920 verbrachte er im dortigen Franziskanerkloster viel Zeit, wo er die Bildergalerie in der Bibliothek bewunderte und zu zeichnen begann. Nach einer Ausbildung zum Stanzengraveur (bis 1925) studierte er bei Anton Hanak und Eugen Steinhof an der Kunstgewerbeschule (bis 1929). In der Komillitonin Marian Fleck (1905-1951), Tochter eines jüdischen Kaufmanns aus Düsseldorf, fand Wotruba seine erste Ehefrau.
In dieser Zeit entstand in einer Barake „Torso“ (WV 22, 1928/29) aus Mannersdorfer Kalkstein, dessen Bedeutung für die Karriere Wotrubas nicht überschätzt werden kann. In ihm zeigt sich noch die expressive Figurenauffassung Anton Hanaks. Mit diesem Werk gelang Wotruba der Durchbruch in der Wiener Secession (1930), dem Folkwang Museum (1931) und der „Internationalen Ausstellung Plastik“ in Zürich (1931). Dieser Erfolg empfahl Wotruba Carl Moll, der ihn 1932 zur Biennale von Venedig einlud und dort den „Torso“ neben der „Stehenden“ (verschollen) präsentierte. Im Jahr 1937 war die Skulptur in der „Exposition d’art autrichien“ im Jeu de Paume in Paris zu sehen, wo sie von Aristide Maillol gelobt wurde. Für Wotruba der Ritterschlag.
Ein Ankauf der Stadt Wien, sie erwarb die Bleifigur „Junger Riese“, ermöglichte Wotruba eine Reise zur Familie seiner Ehefrau nach Deutschland. In Düsseldorf und Essen sah der Bildhauer erstmals Werke von Wilhelm Lehmbruck und Aristide Maillol und kommentierte dies mit: „tiefer Eindruck“2.
Für die internationale Ausrichtung (und vermutlich auch Wahrnehmung) Wotrubas war sein Exil in der Schweiz von essentieller Bedeutung. Bereits während des Dollfuß-Regimes und der Repressalien gegen Sozialdemokraten wurde Wotruba politisch bedroht. Er floh zum ersten Mal bereits 1933 in die Schweiz. Vermutlich bewog ein Auftrag für ein Gustav Mahler-Denkmal den Bildhauer zur Rückkehr in seine Heimat, wo er sich als Antifschist positionierte. Bereits 1937 tauchte das Ehepaar Wotruba in Deutschland unter, bevor es im Herbst 1938 in die Schweiz floh. Sein Atelier wurde zum Treffpunkt für viele emigrierte Künstler:innen, darunter Germaine Richier und Marino Marini.
Kurz nachdem Fritz Wotruba im Dezember 1945 nach Wien zurückgekehrt war, schuf er die lebensgroße Sandsteinskulptur „Stehende“, auch „Weibliche Kathedrale“ genannt. Die Figur steht am Scheideweg zum reifen Werk, das sich in der Folge durch das Arbeiten mit kubischen Formen auszeichnen sollte. Auslöser für die neue Gestaltungsweise ist die Ruinenarchitektur u.a. des Stephansdoms. Diese empfindet Wotruba als „neue charaktervolle Schönheit, entblößt von dem Beiwerk späterer prunksüchtiger Jahrhunderte“3.
Wotrubas internationale Bildhauerfreund:innen
Fritz Wotruba war nicht nur ein international ausstellender Künstler, sondern auch mit einigen der bedeutendsten Bildhauer:innen seiner Zeit befreundet. Marino Marini, Henry Moore und Germaine Richier zählte er zu seinen Feund:innen. César, Alberto Giacometti, Henri Laurens und Aristide Maillol kannte er persönlich. Ausgesuchte Skulpturen Wotrubas und signifikanter Werke zeitgleich tätiger Kolleg:innen wie u. a. Henry Moore, Alberto Giacometti, Germaine Richier, Barbara Hepworth und Marino Marini, Louise Nevelson, Kenneth Armitage oder Isamu Noguchi werden im lichterfüllten Pavillon vom Belvedere 21 gefühlvoll nebeneinander inszeniert.
Historische Werkbegegnungen werden zum Ausgangspunkt genommen, um grundlegende Fragen der Bildhauerei nach 1945 zu adressieren. Die Ausstellung im Belvedere 21 ermöglicht dadurch einen neuen Blick auf Fritz Wotruba, der neben seiner zentralen Rolle für die österreichische Plastik nach 1945 auch eine wesentliche Stimme im internationalen Diskurs um das Menschenbild in der Nachkriegsmoderne darstellt.
- Wotruba 2025, Weibliche Kathedrale, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS
- Wotruba 2025, Paolozzi, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS
Aristide Mailllol
Wotruba lernte Aristide Maillol 1937 im Rahmen seiner Ausstellungsbeteiligung an der „Exposition d’art autrichien“ in Paris persönlich kennen. Der Franzose zeigte sich beeindruckt von Wotrubas „Torso“ und dem jungen Alter seines Schöpfers. Darauf folgte eine Einladung in das Atelier Maillols in Meudon. Dieses Erlebnisse sollte sich im Werk des Wieners deutlich niederschlagen. Waren seine Skulpturen bis zu diesem Zeitpunkt expressionistisch gelängt, so wandte er sich nun den kraftvollen, zugleich von einer souveränen Ausgewogenheit gekennzeichneten Plastiken des Franzosen zu.4 Das Belvedere besitzt Maillols „Die gefesselte Aktion“ von 1905.
Jacques Lipchitz
Die Orientierung nach Westen nahm in den folgenden Jahren noch zu. Wotruba ging mit seiner jüdischen Frau ins Schweizer Exil. Dort freundete er sich mit Germaine Richier an und fand in Fritz Kamm, Inhaber der Galerie Würthle in Wien, einen wichtigen Unterstützer. Bildhauerische Arbeiten von Jacques Lipchitz, Henri Laurens, Ossip Zadkine, Hans von Marées, Antoine Bourdelle machten Wotruba mit den Prinzipien des Kubismus bekannt. Lipchitz' „Sitzender Mann mit Gitarre“ (1918, Lehmbruck Museum, Duisburg) steht in der Ausstellung stellvertretend für die kubistische Plastik. Für die Wotruba-Expertin Gabriele Stöger-Spevak zeigt sie den „Ausgleich zwischen Einzelteilen und Ganzem der Figur, der geometrische Rhythmus von kubischen Formen und die Bewältigung des Gegensatzes zwischen Bewegung und statischem Material“5. Diese Lösungen wurden essentiell für die weitere Stilentwicklung des Österreichers, was an der „Sitzende Figur („Der Denker“)“ (Kunsthaus Zug, Stiftung Sammlung Kamm) deutlich sichtbar ist.
Germaine Richier, die „Königin der Bildhauerei“
„Sitzende Figur („Der Denker“)“ war 1948 in Wotrubas Einzelausstellung im Musée national d’art moderne erstmals zu sehen. Die französische Presse verlieh ihm dem Titel Titel eines „Prinz der Bildhauerei“, wobei Bernard Dorival in Germaine Richier die erblicken wollte.6 Die Pariser Künstlerin ist im Belvedere 21 mit ihrem ikonischen Werk „Die Heuschrecke“ (1955/56, Kunstmuseum Bern) vertreten; Wotrubas verblockter „Denker“ und „Die Heuschrecke“ kam es 1959 in der Ausstellung „New Images of Man“ im MoMA.
Richier arbeitete seit 1945 immer wieder an der Metamorphose zwischen Mensch und Tier, in dem sie Hybride aus Frau und Insekt erschuf. Formal betrachtet, könnten die Werkgegenüberstellung nicht unterschiedlicher sein: Kubisch-kristalline Formen treffen auf organische. Was beide jedoch miteinander verbindet ist der Gedanke der Metamorphose. Während Wotrubas Figuren zunehmend versteinern, führte Richier ihre Frauengestalten auf eine animalische Stufe.
- Wotruba 2025, Richier, Marini, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS
Marino Marini
Fritz Wotruba und Marino Marini lernten einander auch während ihres Exils in der Schweiz kennen. Anfangs war ihre Beziehung eher kühl, doch bald verband sie eine engere Freundschaft, die sie sowohl künstlerisch als auch beruflich verband. So stellten Wotruba, Marini, Richier und Arnold d’Altri 1944 im Kunstmuseum Basel aus.7
Der Einfluss Marino Marinis auf Wotrubas Werk zeigt sich in der Bronzeplastik „Heiliger Georg“ (1948, Belvedere). Sie trifft auf Marino Marinis „Miracolo [Wunder]“ (1961/62, Pinakothek der Moderne, München). Da sich Wotruba in seinem Werk mit einer weiteren Ausnahme nie wieder mit Ross und Reiter beschäftigte, ist eine direkte Auseinandersetziung mit den Arbeiten seines italienischen Kollegen. Auch wenn sie sich in höchst unterschiedlichen Themenkreisen und Stilidomen bewegten, so schätzte Wotruba seinen Kollegen doch zeitlebens - wie aus dem oben zitierten Interview deutlich hervorgeht.
Wotruba: „Große sitzende Figur („Menschliche Kathedrale“)“
„Große sitzende Figur („Menschliche Kathedrale“)“ (1949) befindet sich seit 1954 in der Sammlung des Belvedere, da ihre hohe künstlerische Qualität und ihre Bedeutung für das österreichische Kunstschaffen früh erkannt wurde. Ende der 1940er Jahre weisten Wotrubas Skulpturen eine starke Verblockung auf: Er reduzierte und vereinfachte die Formen, was den Eindruck von Typisierung und Archaisierung verstärkte. So als wollte der Blidhauer in die vorklassische Antike zurück, als die Griechen die menschliche Figur entdeckten (vor allem in Form des Kuros). Wie auch schon an der „Stehenden („Weibliche Kathedrale“)“ (1946) zu sehen war, arbeitete der Wiener nun mit den sichtbaren Spuren von Spitz- und Zahneisen.
Henri Laurens
Nach der „Großen sitzenden Figur („Menschliche Kathedrale“)“ (1949) treffen „Hockender („Geschlossene Figur“)“ (1951, Belvedere) und Henri Laurens' „L’Adieu [Der Abschied]“ (1941, mumok) aufeinander. Ihre Schöpfer lernten einander 1947 in Paris kennen und schätzen. In dieser Phase hatte Laurens seine kubistischen Anfänge bereits lange hinter sich gelassen. „L’Adieu [Der Abschied]“ zeigt ein menschliches Wesen, in sich gekehrt, am Boden kauernd. Es birgt seinen Kopf in den Armen. Der Körper ist aus weichen, voluminösen Formen mit schwingenden Umrisslinien aufgebaut. Die Figur symbolisiert die Verzweiflung des Künstlers angesichts des tobenden Weltkriegs.
Ganz im Gegensatz dazu entschied sich Wotruba für eine blockhafte Gestaltungsweise, mit der er allerdings die Haltung von Laurens' Figur nahezu identisch wiedergibt. Der Organik des Franzosen stellte der Österreicher ein architektonisches Gerüst von aufgestapelten Blöcken gegenüber. Da der Bildhauer das Original in einer amerikanischen Privatsammlung unterbringen konnte, schuf er Zement- oder Bronzeabgüsse. Dennoch unterstrich der Bildhauer immer wieder die höhere Bedeutung der Steinskulptur. Verena Gamper weist in diesem Zusammenhang darauf hin, dass Wotruba auf diese Weise seine wichtigsten Werke für Ausstellungen reservieren und gleichzeitig den Markt bedienen konnte.8
Wotruba: „Große liegende Figur“
„Große liegende Figur“ (1951-1953, Belvedere, 2019 Dauerleihgabe der Wiener Konzerthausgesellschaft) ist für Fritz Wotruba ein autobiografisches Werk von größter Bedeutung. Die Arbeit daran setzte im Sommer 1951 ein, als seine Frau Marian schwer an Krebs erkrankt war und sich ihr Gesundheitszustand schnell verschlechterte. Der Künstler selbst hielt immer wieder fest, dass er in dem Werk seine Trauer über die Krankheit und schließlich den Tod seiner Frau verarbeitet hat.9 Zum einen folgte Wotruba in der Pose der antiken Skulptur der schlafenden Ariadne (Musei Vaticani, Rom), zum anderen nannte er die Stadt Marseille als Inspirationsquelle:
„Ich träume von einer Skulptur, in der Landschaft, Architektur und Stadt zur Einheit werden. Es kann eine Stadt wie Marseille sein, […] sie wird zur grandiosen Skulptur, einer riesenhaften Figur, gebaut aus weißen Blöcken und gegliedert durch flache gestreckte Terrassen, hingelegt in eine unbewegte kahle Landschaft […].“10
Der Künstler muss sich bewusst gewesen sein, dass „Große liegende Figur“ ein Hauptwerk seines Œuvres ist. Kaum war die große Fassung vollendete, stellte er sie auf den wichtigsten Ausstellungen der 1950er Jahre aus: der Biennale von Venedig 1952 und der documenta II 1959. In den 1960er und 1970er Jahren, so recherchierten die beiden Kuratorinnen, war eine Bronzefassung in Wotrubas Einzelausstellungen zu sehen.
Eduardo Paolozzi
Im Jahr 1952 schuf Fritz Wotruba die die Steinskulptur „Großer Gehender [„Zyklop”]” (1952, Museum der Moderne Salzburg11), dem der „Hl. Sebastian III (Figur mit Worten)“ (1958, Kröller-Müller Museum, Otterlo) von Eduardo Paolozzi zur Seite gestellt wird. Dadurch wird deutlich, wie sehr sich Wotruba - bei aller Statuarik seiner Figuren - dann doch mit Bewegung und Dynamik beschäftigt hat. So ist der hochaufgerichtete Körper des „Großen Gehenden” aus unregelmäßigen, an der Oberfläche schwingenden Blöcken aufgebaut, was aber die Gehbewegung des Beins noch betont.
Paolozzi hingegen assembliert seine stehende Figur aus Fundstücken. Die Andeutung des Menschlichen kippt deshalb beim jüngeren Künstler in eine technoide Vision, in das Bild eines Roboters. Menschenähnlich aber dann doch ein Stückwerk. Ein wenig schief und mit Löchern durchsetzt. Die Oberfläche der Skulptur ist grob und rau und weist Kratzer sowie Abdrücke von Zahnrädern, Rädern und Maschinen auf. Auf einer anderen Ebene zeugen diese Spuren jedoch auch von der intensiven Handwerkskunst des Herstellungsprozesses: Sie sind ein deutlicher Hinweis auf das direkte Eingreifen des Künstlers.
Wotruba: Großes Figurenrelief für den Österreich-Pavillon 1958
In den Jahren 1957/58 arbeitete Fritz Wotruba an einem „Großen Figurerelief für den Österreichpavillon der Weltausstellung in Brüssel”. Der Bau von Karl Schwanzer beherbergt heute das Belvedere 21, wodurch Wotrubas Werke an einen originalen Bestimnungsort zurückkehren. Die siebenteilige Arbeit steht hinter dem Bau im Skulpturengarten, während die reproduzierten Teilstücke 2 und 3 in der Ausstellung auf das Ganze verweisen.
Ursprünglich wollte der Architekt eine „Allegorie Österreichs“ im Eingangsbereich aufstellen. Nach einigen Diskussionen entschied man sich aber dann doch für den Menschen als Thema, stand er doch auch im Zentrum der Weltausstellung. Im Gegensatz zu den bisher gezeigten Arbeiten nutzte der Bildhauer das Relief, um mehrere Menschen in sozialer Interaktion zu zeigen. Auch der Aufstellungsort änderte sich. Nun sollte die Bronze vor einer Wand straßenseitig und auf Bodenniveau positioniert werden. Historische Aufnahmen zeigen, wie das Kunstwerk im Außenbereich von stehenden Menschen beäugt, von Passanten ignoriert und auch von Rastenden als Stütze verwendet wurde.
Für die Stilentwicklung ist das Große Figurenrelief bedeutsam, weil Wotruba hier anstelle der Blöcke Rohre verwendete, um die menschliche Form zu beschreiben.12 Aus der kantigen Auffassung wird nun eine weichere, ohne jedoch die strenge Orientierung nach Horizontalen und Vertikalen aufzugeben. Die internationale Wertschätzung von Wotrubas Skulpturen zeigt sich einmal mehr durch eine Ausstellungseinladung: Arnold Bode, dem Gründungsdirektor der „documenta”, lud Wotruba ein, das „Große Figurenrelief” 1959 in Kassel zu zeigen. Dort, aber auch in der legendären Gruppenausstellung „New Images of Man” 1959 im MoMA in New York, traf Wotruba auf Werke des Briten Kenneth Armitage - aber auch Germaine Richier, Alberto Giacometti, Eduardo Paolozzi.
Kenneth Armitages Bronzeplastik „Diarchy [Diarchie / Doppelherrschaft]” (1957, Tate) entstand zur selben Zeit wie Wotrubas „Großes Figurenrelief” und wurde 1958 auf der Biennale von Venedig im britischen Pavillon ausgestellt. Eine Wand verbindet seine Figuren bzw. seine Figuren verschmelzen zu einer Wand. Der Titel macht sie zu Herrschenden. Die Frontalität der Figuren - im Vergleich dazu bewegen sich die Menschen in Wotrubas Relief - lässt sie durchaus königlich wirken. In seinen Kommentaren verwies der britische Bildhauer immer wieder auf seine Erfahrungen als Kunststudent vor dem Krieg: Damals begeisterte er sich vor allem für die Ägyptische Abteilung im British Museum.
- Wotruba 2025, Kenneth Armitage, Foto: Alexandra Matzner, ARTinWORDS
Torsi: Wotruba, César, Noguchi
Wotrubas bronzener „Torso II” (1958, Belvedere) leitet das Kapitel der Kleinplastiken der 1950er Jahre ein. Bisher waren vor allem monumentale Werke zu sehen, nun folgen einige Arbeiten, die mit ihren zylindrischen Formen charakteristisch für Wotrubas Schaffen in den 50er Jahren sind.
César gehört der jüngeren Bildhauer:innen-Generation an, die Wotrubas Werk 1948 in dessen Pariser Einzelausstellung kennenund schätzen lernte.13 Sein „Nu de Saint Denis” [Akt von Saint Denis] (1958, mumok) entstand im Atelier von Saint Denis, was den Titel zur Folge hatte (und nicht der gleichnamige, kopflose Heilige). Auch wenn Fragmentierung und Reduktion auch in Césars Werk eine große Rolle spielt, so wandte sich der Pariser doch einer organischen Formgebung zu, die einen weiblichen Körper erkennen lassen. Im Gegensatz dazu hat die Zuordenbarkeit von Wotrubas Figuren zu einem bestimmten Typ keine Bedeutung.
Die Kuratorinnen setzen Wotrubas säulenartige Figuren auch in den Dialog mit Isamu Noguchi. Der einstige Assistent von Constantin Brâncusi beschäftigte sich schon früh mit der Grenze zwischen Figuration und Abstraktion. „The Self [Das Selbst]” (1956, Tate) ist eine auf eine Steinplinthe montierte längsovale Form mit seitlichen Wülsten. Darin sah der Künstler „eine Konnotation von Egoismus, oder des Menschen allein, der einzigen existenziellen Identität“14. Auch wenn dieses Werk stlistisch und formal wenig mit Wotruba zu tun hat, so waren beide Künstler auf der „documenta II“ (1959) präsent. Für Kurator:innen und Publikum reflektierten sie auf mustergültige Weise die grundlegenden Parameter des Menschseins, wie Verena Gamper betont.15
Kuratiert von Verena Gamper und Gabriele Stöger-Spevak.
Assistenzkuratorinen: Ana Petrovic und Vasilena Stoyanova
Ausstellungsarchitektur: next ENTERprise Architects, Marie-Therese Harnoncourt-Fuchs und Ernst J. Fuchs mit Zishen Liu.
Wotruba International: Ausstellungskatalog
Stella Rollig, Verena Gamper, Gabriele Stöger-Spevak (Hg.)
Mit Textbeiträgen von Penelope Curtis, Verena Gamper, Arie Hartog, Stella Rollig, Gabriele Stöger-Spevak
Verlag der Buchhandlung Walther und Franz König, Köln
- Fritz Wotruba im Interview, ZIB 1967.
- Fritz Wotrubas autobiografische Notizen, publiziert in Otto Breicha, Um Wotruba, Wien 1967, S. 9.
- Fritz Wotruba, Wien in den Augen des heimkehrenden Bildhauers, in: DU, 7. Jg., Heft 2, Februar 1947, S. 33.
- Siehe: Verena Gamper, Gabriele Stöger-Spevak, Werkbegegnungen. Wotruba im internationalen Kontext, in: S. 31–158, hier S. 41.
- Verena Gamper, Gabriele Stöger-Spevak, Werkbegegnungen. Wotruba im internationalen Kontext, in: S. 31–158, hier S. 47.
- Germaine Richier stellte zeitgleich in der Pariser Galerie Maeght aus. Bernard Dorival, Les nouvelles artistiques, in: Les nouvelles littéraires, artistiques et scientifiques, Nr. 1104, (28.10.1948), S. 6.
- Wotruba Katalog, S. 58.
- Verena Gamper, Wotruba 2025, S. 68.
- Fritz Wotruba, autobiografische Aufzeichnungen, 1958, Nachlass Fritz Wotruba, Dossier Autobiografische Texte. Siehe: Wotruba 2025, S. 74.
- Handschriftliche Aufzeichnungen Fritz Wotrubas, o. J. (1960/61), Nachlass Fritz Wotruba, Dossier Autobiografische Texte; veröffentlicht in Fritz Wotruba, „Von einer Reise nach Südfrankreich 1947“, in: Friedrich Heer, Fritz Wotruba. Humanität aus dem Stein, Neuenburg 1961, S. 10f. Irrtümliche Datierung der Reise von Wotruba ins Jahr 1947, tatsächlich 1948; zitiert nach Wotruba 2025, S. 74.
- Die Stadt Utrecht
erwarb den „Großen Gehenden” aus Stein und positionierte ihn 1977 auf dem Mariaplaats. - Das Figurenrelief hatte der Bildhauer erstmals 1939 für sich entdeckt und in der Folge immer wieder genutzt. Ab 1948 schuf er Figurenreliefs vereinzelt auch
in Stein. Siehe: Wotruba 2025, S. 88. - Wotruba 2025, S. 95.
- Brief von Noguchi an Ronald Alley, 12.4.1969, publiziert in Ronald Alley, Catalogue of the Tate Gallery’s Collection of Modern Art other than Works by British Artists, London 1981, S. 562f; Zitiert nach Wotruba 2025, S. 100.
- Wotruba 2025, S. 100.




