Alfred Weidinger über Mode, Barock, "Vulgäres" / ARTinWORDS
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Alfred Weidinger: „Am Ende bezieht sich das alles auf eine Erlebniswelt, wie es sie im Barock gegeben hat“ Mode als skulptural-performative Kunstform

Alfred Weidinger mit Pam Hogg, Foto: © Ouriel Morgensztern, Belvedere, Wien.

Alfred Weidinger mit Pam Hogg, Foto: © Ouriel Morgensztern, Belvedere, Wien.

Rundgang mit Alfred Weidinger durch die Ausstellung „Vulgär? Fashion Redefined“ im Winterpalais des Prinzen Eugen von Savoyen. Die von Judith Clark und Adam Philipps für die Barbican Gallery kuratierte Schau verwebt Modegeschichte mit einer komplexen, weil auch englischen Begriffsdefinition des Vulgären als „Absenz des guten Geschmacks“. Weidinger über die Schwierigkeit eine Ausstellung zwischen zwei Kulturkreisen und Ausstellungsräumen zu übersetzen, Illusionismus, Performance und skulpturale Werte in der Mode.


Das Gespräch für ARTinWORS führte Alexandra Matzner am 3. März 2017.

ARTinWORDS: Die Ausstellung „Vulgär? Fashion Redefined“ zeigt vestimentäre Objekte im Winterpalais des Prinzen Eugen von Savoyen. Das Belvedere besitzt eine Sammlung bildender Kunst – aber keine Mode. Wie kamen Sie dazu, Interesse für das Thema und diese Ausstellung zu entwickeln?

Alfred Weidinger: Das hängt mit dem prachtvollen Winterpalais zusammen. Wir haben erkannt, dass in diesen Sälen dreidimensionale Werke besonders gut zur Geltung kommen, außerdem stehen wir allen künstlerischen Medien sehr aufgeschlossen gegenüber. In der Gegenwartskunst wird zwischen den Medien nicht mehr differenziert, und letztlich ist das auch eine Philosophie, die gerade die Wiener Kunst um 1900 besonders prägt. Der Idee des Gesamtkunstwerks zufolge hatten Architektur, Plastik, Malerei, Fotografie, Mode, Schmuck und Kunstgewerbe in der Wiener Werkstätte den gleichen Rang. Diese Philosophie tragen wir seit einigen Jahren weiter, daher ist es nichts Außergewöhnliches, dass wir Mode zeigen.

ARTinWORDS: In Wien eine Modeausstellung zu zeigen, könnte man fast als ein Desiderat bezeichnen, oder?

Alfred Weidinger: Es dürfte wohl schon zwanzig Jahre keine große Modeausstellung mehr in der Stadt gegeben haben. Damit meine ich keine klassische Fashionshow, sondern eine Modeausstellung mit einem übergreifenden Thema! Es geht in „Vulgär?“ nicht um Modegeschichte oder einen bestimmten Designer, sondern um ein kulturpolitisches und soziologisches Thema. Die Frage hier ist, wie man mit dem Begriff des Vulgären umgeht, und wie er auf Mode anwendbar ist.

Bedeutungsverschiebungen

ARTinWORDS: Sie haben die Ausstellung medial erweitert, indem Sie barocke Gemälde hineingenommen haben. Warum das, und wie begründen Sie Ihre Auswahl?

Alfred Weidinger: Wir haben die Ausstellung aus der Barbican Gallery in London übernommen. Die Ausstellungsräume sind im Barbican Center, ein im Stil des Brutalismus errichteter Betonkomplex untergebracht. Die Ausstellungsmacher haben sich mit ihrem Konzept gegen die Architektur gewandt, indem sie den Raum mittels eines black cube aufgelöst haben. Die Kleidungsstücke haben durch die fokussierte Lichtführung auch gewissermaßen geschwebt. Im Winterpalais haben wir es mit einer gänzlich anderen Situation zu tun: Wir mussten den Kleidern viel mehr physische Präsenz geben, indem wir sie mit dem Boden gut sichtbar verankert haben. Die Podeste bestehen daher aus Eichenholz. Die Räume mir ihrer sehr präsenten, barocken Wandabwicklung sind gleichmäßig ausgeleuchtet, und die Objekte werfen Schatten. Zur Ausstattung eines barocken Repräsentationsbaus aus dem Barock gehört auch, dass es das eine oder andere Gemälde gibt. Diese wurden beziehungsvoll zu den jeweiligen Themen der Räume ausgewählt.

ARTinWORDS: Im ersten Raum trifft ein Abendensemble von Elsa Schiaparelli auf Maria Theresia?

Alfred Weidinger: Hier geht es um den Goldbrokat, die aufwändigen Stickereien und das Prachtvolle per se. Gleichzeitig muss man immer mitdenken, dass im 18. Jahrhundert Kleiderordnungen ausgegeben wurden, die regelten welcher Stand was tragen durfte. In Großbritannien spielt das noch immer eine große Rolle, da dort nach wie vor die Mehrklassengesellschaft existiert. Bei uns ist dieses gesellschaftliche Phänomen seit knapp 100 Jahren Geschichte.

ARTinWORDS: Nichtsdestotrotz definiert man sich selbst über Mode. Wenn man den Spruch, man könne nicht nicht kommunizieren, auf Mode überträgt, lässt sich vielleicht behaupten, man könne nicht nicht modisch sein, oder besser, über Mode ein Selbstbild projizieren. Wie würden Sie diese Gedankengänge auf die Modelle, die hier ausgestellt sind und dem Begriff des Vulgären anwenden wollen?

Alfred Weidinger: Ich möchte es allgemeiner sehen. Es wurden von den englischen Kuratoren zu verschiedenen Kapiteln des Vulgären Kapitel kreiert, was gleichzeitig auch einer gewissen Beliebigkeit unterworfen ist. Das ist durchaus legitim! Das Entscheidende ist, dass die Besucherinnen und Besucher entdecken können, dass der Begriff des Vulgären in Österreich eine andere Bedeutung hat als in England. In der englischen Sprache bezieht sich der Begriff viel mehr auf das „gemeine Volk“. Es bezeichnet ein Verhalten, mit dem man versucht, durch Mode und Kleidung etwas vorzugeben, was man nicht ist. Im deutschen Sprachgebrauch ist es vor allem mit der Bedeutung ordinär verbunden. In meinem persönlichen Umfeld wird das Wort kaum mehr verwendet.

ARTinWORDS: Könnte man sagen, dass die Ausstellung auch kulturelle Differenzen sichtbar macht?

Alfred Weidinger: Was den Sprachgebrauch anlangt, ist das sicher so.

ARTinWORDS: Das führt in letzter Konsequenz dazu, dass diese Ausstellung in Wien völlig anders rezipiert werden wird als in London.

Alfred Weidinger: Das hoffe ich! Es war ungemein schwierig, diesen anderen Zugang unseren englischen Partnern beizubringen. Sie waren sich lange der Tragweite dieser Differenz nicht bewusst und haben es erst in den letzten Tagen während des Aufbaus in Wien erlebt.

Geschmacksfragen

ARTinWORDS: Die dritte Änderung, die sie durchgeführt haben, ist die Reduktion der vestimentären Objekte in der Quantität. Reduktion bedingt m.E. immer auch Verdichtung. Wie haben sie diese vorgenommen?

Alfred Weidinger: In der Barbican Gallery wurden ca. 120 Modelle auf ca. 1.400 m² Fläche ausgestellt. Wir haben im Winterpalais knapp die Hälfte des Raumes zur Verfügung. Etwa vierzig Kreationen wurden schlussendlich von den Leihgebern selbst aussortiert. Aufgrund der Fragilität der Objekte haben viele beschlossen, sie nur in London zu zeigen. Dies betraf vor allem die historischen Kostüme.

ARTinWORDS: So ist „Vulgär?“ dann doch mehr eine Ausstellung über Mode zu Beginn des 21. Jahrhunderts geworden?

Alfred Weidinger: Ja, und das ist gut so! Man kann das Thema des Vulgären auf vielen Ebenen beleuchten. Ich hatte zwischendurch die Idee, das Vulgäre auf Autos zu beziehen. Die Chinesen kopieren beispielsweise das Design von Mercedes. Das Auto gibt vor, aus Deutschland zu kommen, obwohl es das nicht tut. Etwas scheinen zu wollen, was man nicht ist, betrifft auch Wohnungsstile. Ein weiteres Beispiel wäre das goldene Appartement von Donald Trump. Im Winterpalais haben wir es mit authentischem Barock zu tun, während Donald Trump diesen Lebensstil zu imitieren versucht. Man kann den Begriff des Vulgären auch mit dem Protzigen und Übertriebenen verbinden.

ARTinWORDS: Meiner Meinung nach spiegelt ein vestimentäres Objekt in der Ausstellung, das Zitat, die Zitation und die Kopie von der Kopie von der Kopie besonders deutlich wider: das Kleid von Maison Martin Margiela für H&M. Es gilt in der Modeindustrie als perfekter Schachzug der Billigkleidungsmarke, wenn sie sich mit prominenten Modedesignern zusammentut. Im Fall von Margiela ist es so, dass er sich selbst zitiert. Modebegeisterte haben so die Möglichkeit bekommen, seit zehn oder fünfzehn Jahren längst vergriffene Originale nachzushoppen. Es ist ein unglaublich tolles Beispiel für das Spiel mit dem Imitat, das selbst wieder zu einem Original wird.

Alfred Weidinger: Genau das ist das Thema der Ausstellung! Margiela zitiert im Print ein Paillettenkleid in einer Ready-to-wear-Kollektion für eine große Modekette. Beachtenswert ist, dass das bedruckte Kleid und das aufgedruckte Kleid nicht den gleichen Schnitt haben, dass die Falten nicht echt fallen.

ARTinWORDS: Dazu kommt noch die Frage des Körpers, der vom Kleid definiert wird.

Alfred Weidinger: Die Kreation von John Galliano gleich daneben, arbeitet mit Illusionismus. Der sehr erotische Print zeigt einen weiblichen Körper, der von einem sehr dünnen, nassen, weißen Chiffon verhüllt ist. Sogar der Körper wird hier kopiert. Es handelt sich ja nicht um den Körper der Trägerin, sondern um den eines unbekannten Modells.

ARTinWORDS: Man zieht sich quasi den Körper einer anderen Frau an und schmückt sich mit deren Attributen. Ich finde zwei Designer in der Ausstellung besonders spannend, weil sie mit diesen Grenzen definitiv experimentellsten umgehen: Der erste ist Walter Van Beirendonck, der mit seinem Bodysuite jede Art von Helden-Fiktion aus Comicstrips verarbeitet und zur Disposition stellt was Männlichkeit ist.

Alfred Weidinger: Auch ich finde seine Arbeiten gehören zu den interessantesten der Ausstellung. Mit ihm haben wir auch diskutiert, da wir eines seiner Modelle als Plakatmotiv wählen wollten. Der Designer hat sich allerdings dagegen ausgesprochen, da er nicht wollte, dass seine Schöpfung mit einem Begriff wie „Vulgär“ in Verbindung gebracht wird. Ich habe bei der Konzeption der Schau gelernt, dass vor allem die bedeutenden Modedesigner ihre Werke, auch wenn sie sehr viel an Eigenschaften, Assoziationen transportieren, vollkommen wertfrei vermittelt halten wollen. Sie überlassen es den Rezipientinnen und Rezipienten sich ihre Meinungen selbst zu bilden.

Vulgarität trifft auf Puritanismus

ARTinWORDS: Auffallend ist, dass Männermode sich nahezu auf den Bereich der Rokoko-Kostüme beschränkt!

Alfred Weidinger: Diese Kostüme, wie die beiden Mantuakleider und die Männerjacken, gehören bereits dem höfischen Protokoll an. Die künstlerische Freiheit beschränkt sich bei diesen Kreationen auf die Materialien, das Gewebe, die Stickerei, die Details, die Farbwahl. In dieser Epoche unterscheiden sich die Männerkostüme und die Frauenroben, was den Aufwand ihrer Produktion, ihren Farbenreichtum und ihren prachtvollen Schmuck anlangt, kaum. Im 19. Jahrhundert ändert sich die Männermode fundamental, als der schwarze Anzug seinen Siegeszug antrat. Erst in den letzten Jahren ändert sich das in der Männermode, was man am floral bestickten Anzug von Gucci auch ganz gut ablesen kann.

ARTinWORDS: Das Gegenteil des Vulgären ist das Puritanische, die Reduktion auf Schwarz und Weiß. Es gibt eine eigene Abteilung für weiße Spitzenkrägen in einer black box. Die Präsentation lässt die fragilen Objekte im Schwarz wie schwebend erscheinen. Hier kann man schon die Assoziation mit barocken Porträts und deren schwarzen Hintergründen haben.

Alfred Weidinger: Die Krägen dienen dazu, nicht nur die Kostbarkeit der geklöppelten Spitze zu zeigen, sondern auch Haut zu inszenieren. Die Spitzenkrägen des Barock setzen schwarze Kleidung voraus, gleichzeitig kann Spitze auch eine Form der transparenten Verhüllung hervorbringen, wo sich die Haut abzeichnet. Durch Spitze können erotische Zonen gut akzentuiert werden.

ARTinWORDS: Aber auch Nichtfarben und Reduktion können ins Vulgäre umschwanken. In der Ausstellung bestechen einige Objekte durch ihre technische Umsetzung, ihre Materialkombinationen, der Neudefinition von Volumina.

Alfred Weidinger: Damit unterscheidet sich Modedesign nicht wesentlich von der zeitgenössischen Kunst. Wenn ich an so manchen Bildhauer denke, so arbeiten sich diese an den gleichen Themen ab: die Eroberung des Raums, die Definition von Volumina. Wenn man sich das Kleid von John Galliano ansieht, so verwandelt es den Körper in eine Skulptur, die in jedem wichtigen Museum der Welt stehen könnte.

Ist Mode Kunst?

ARTinWORDS: Das führt mich zu einer Frage, die ich kurz ansprechen möchte: Das Verhältnis von Kunst und Mode. Der Modekörper kann, wie Sie es gerade getan haben, als Resultat der Verbindung von Körper und Kleidungsstück als Äquivalent zur Skulptur gelesen werden. Das führt zur Überlegung, wie kunstvoll Mode ist, wenn sie doch schnelllebig und mit dem Markt verbunden ist? Kunst wird gerne mit gegenteiligen Begriffen aufgeladen wie Marktunabhängigkeit und Ewigkeit. Kann man dennoch annehmen, dass einige Kreationen, die als untragbar gelten, von ihren Designern bereits als museale Werke konzipiert werden.

Alfred Weidinger: Ich weiß nicht, ob sie schon als museale Stücke entstanden sind. Interessant ist aber, dass ein Großteil der Kleidungsstücke – und ich spreche hier nicht von den historischen Kostümen – aus Museen kommen. Das ist schon sehr bezeichnend! Kein einziges dieser Kleider kommt aus einem privaten Kleiderschrank! Das nimmt die Frage, die Sie gestellt haben, auf eine faktische Art vorweg.

ARTinWORDS: Pam Hogg war zur Eröffnung in Wien. Was hat sie Ihnen über ihre Kreationen verraten, die so sehr körperbetont sind?

Alfred Weidinger: Sie ist eine sehr aufregende Frau, in deren Schaffen Erotik und Sexualität wichtig sind. Sie ist Fashion-Designerin und Künstlerin, das skulpturale Element spielt eine große Rolle. Ihre Kreationen sind sehr filigran und über nahezu androgynen Körpern modelliert. Sie liebt es, mit Spitze, mit Maschen zu arbeiten. Sie macht auch alles selbst!

ARTinWORDS: Könnte man Pam Hogg auch als Textilkünstlerin bezeichnen?

Alfred Weidinger: Ich weiß nicht, ob sie so genannt werden will, aber sie ist auf jeden Fall eine Künstlerin. So sehe ich sie auch. Ihre Kreationen sind sehr offenherzig. Ich weiß nicht, ob wirklich alle damit auf der Straße Freude hätten. Dazu muss man aber sagen, dass sie schlussendlich nichts zeigen, auch wenn sie sehr viel zeigen.

ARTinWORDS: Eines der spannendsten Objekte ist wieder einmal von Walter Van Beirendonck. Ein Unterrock in Form einer Krinoline, der sich gleichzeitig zu einer Art Elefantenkopf auswächst, darüber allerdings wunderbar traditioneller englischer Tweet und fast ein Ascot-fähiger Hut. Dieses Brechen mit Regeln oder Gebietserweiterungen …

Alfred Weidinger: Das kann er! Ich finde Van Beirendonck wirklich großartig und ich mag seine Designs sehr. Die Art und Weise wie er versucht Grenzen zu überschreiten. Ich würde mir wirklich einmal wünschen, ein paar so angezogene Leute durch die Kärntnerstraße spazieren zu sehen. Ich möchte seine Kleider einmal nicht auf dem Laufsteg, sondern in der Stadt sehen.

ARTinWORDS: Als eine Performance?

Alfred Weidinger: Wenn ich an die Aktionen von Günter Brus denke, als er weißgekalkt durch die Stadt gegangen ist, oder Peter Weibel und VALLY EXPORT, er als Hund und sie ihn an der Leine führend, dann erinnern mich diese Kleidungsstücke daran. Sie haben etwas Performatives, auch wenn sie nicht Teil einer Kunstperformance waren. Vielleicht ist es auch schon allein eine Performance mit diesem Objekt über den Catwalk zu laufen.

ARTinWORDS: Das Défilé ist sicher einer der Momente, wo sehr konzeptionell auf Aufmerksamkeit hingearbeitet wird.

Alfred Weidinger: Ja, das möchte ich mit ihm wirklich noch besprechen, weil mich das interessiert: Was möchte er zur Schau stellen, was wiederum nichts anderes ist als eine Performance? Vielleicht können wir an dieser Stelle noch weiter zusammenarbeiten. Dahinter zeigen wir erstmals überhaupt ein Porträt des Schah von Persien. Auch hier geht es um ein Posieren!

Skulpturale Sinnlichkeit

ARTinWORDS: Mode ist zweifellos ein wichtiger Teil der Repräsentationskultur und deshalb vielleicht auch so umkämpft. Im Goldkabinett zeigen Sie Modelle, die einerseits das Florale bzw. Metallische der Dekoration aufnehmen und andererseits die Transformation des Körpers in etwas Utopisches zeigen.

Alfred Weidinger: Hier geht es um das skulpturale Element, wie die Volumina erfasst werden von den Materialien, wie das Licht sich fängt! Wenn Sie hinauf zur Decke blicken, finden Sie dort alles, was in den Kleidungsstücken verarbeitet ist: Fältelung, unterschiedliche Materialität, Lichteffekte. Die Designerin Iris Van Herpen hat das natürlich nicht direkt aus dem Barock gelernt, aber im Lauf der Jahrhunderte wurden dieses Wissen tradiert und solche Erfahrungen verinnerlicht. Am Ende bezieht sich das alles auf eine Erlebniswelt, wie es sie im Barock gegeben hat, wo die Sinnlichkeit einen extrem hohen Stellenwert hatte.

ARTinWORDS: Aus Genderperspektive muss man sagen, dass hier eine Frau als Blüte dargestellt wird.

Alfred Weidinger: Ja, das ist ein altes Thema der Kunstgeschichte! In der Stadt von Gustav Klimt ist das nichts Neues. Schon für Klimt war die Blume eine Frau und die Frau eine Blume.

ARTinWORDS: Mich erinnert es an die Blumenbilder von Georgia O’Keeffe, auch wenn die Künstlerin ihre Werke so nie gelesen haben wollte.

Neo-barocke Hochzeitskleider und ein „in Form gebrachter“ Mondrian

ARTinWORDS: Im Schlachtenbildersaal finden sich vestimentäre Objekte u.a. des Kunstliebhabers Christian Lacroix. Er ist mit zwei handgearbeitete Haute Couture Hochzeitskleidern und Skizzenbüchern vertreten. Welches kuratorische Konzept steht dahinter?

Alfred Weidinger: Judith Clark wollte in diesem Raum auf die Ausstattung reagieren, von der Geometrie der Anordnung bis zur Auswahl der Objekte. So ist sie mit den Vitrinen und der Aufstellung von den Wänden deutlich abgerückt. Die Kleider können daher mit den Schlachtenbildern von Prinz Eugen interagieren. So manches Kleidungsstück von Lacroix erinnert an eine Uniform. Hier sehen Sie Hüte, metallische Materialien und Effekte.

ARTinWORDS: Kann man dann die Eheschließung als Erweiterung der diplomatischen Beziehungen im Barock interpretieren? Dafür ist ja Maria Theresia ein paar Jahrzehnte nach diesen Schlachten berühmt geworden.

Alfred Weidinger: Das ist eine wunderbare Geschichte – aber eigentlich wollten wir das Brautkleid in der Kapelle des Prinzen aufstellen. Da sie jedoch die Privatkapelle des Prinzen war und noch immer ein geweihter Raum, hat es sich nicht richtig angefühlt, dort etwas zu präsentieren. Mit dem kleinen Hinweis auf die österreichische Tradition, Länder durch Hochzeiten zusammenzuführen, passen die Hochzeitskleider auch in den Schlachtensaal.

ARTinWORDS: Im letzten Ausstellungssaal findet sich eine „Wiener“ Arbeit von Hussein Chalayan, der gerade Professor an der Angewandten für Modedesign ist. Er selbst bezeichnet sich als Außenseiter innerhalb der Modeszene, weil er in seinen Entwürfen so konzeptionell vorgeht. Er ist berühmt dafür, unterschiedlichste Technologien zu verwenden, und mit Menschen aus unterschiedlichsten Bereichen zusammenzuarbeiten. Chalayan beschäftigt sich mit Flucht und Migration – auch aus biografischen Gründen. Warum zeigen Sie gerade das Kleid mit lackierten Acryl-Fingernägeln?

Alfred Weidinger: Er wurde von Judith Clark ausgewählt. Uns war es schon wichtig, ihn hier in Wien zu zeigen. Er ist wahrscheinlich einer der interdisziplinärsten Fashion-Designer, der in der Ausstellung vertreten ist. Das Kleid ist aber auch ein Relief und interagiert mit dem Raum.

ARTinWORDS: Das Gegenteil vom Relief findet man in den beiden Vitrinen daneben: Yves Saint Laurents Mondrian-Kleid aus dem Jahr 1965. Es betont die Flächigkeit des Körpers, die seit den 1920er Jahren forciert wurde, mit Hilfe eines abstrakten Gemäldes. Kann man die Storyline der Ausstellung lesen als eine Entwicklung von der voluminösen Barockrobe, vom Körper weg hin zur abstrakten Gestaltung?

Alfred Weidinger: Ich sehe in dem Motiv etwas Ausgeglichenes, Kontemplatives. Saint Laurent hat sehr wohl auf die Körperproportionen geachtet und versucht, dieses Regelwerk auf den Körper zu übertragen. Er definierte eine klare Mitte und nutzte eine streckende Wirkung. So gesehen wurde der Mondrian für die Mode „in Form gebracht“.

Bilder zur Ausstellung „Vulgär? Fashion redefined“

  • Kopie der Kopie, Ausstellungsansicht „Vulgär?“ © Belvedere, Wien.
  • Puritanismus, Ausstellungsansicht „Vulgär?“ © Belvedere, Wien.
  • Christian Lacroix, Hochzeitskleid, 1993, Ausstellungsansicht „Vulgär?“ © Belvedere, Wien.
  • Christian Lacroix, Hochzeitskleid, 2007, Ausstellungsansicht „Vulgär?“ © Belvedere, Wien.
  • Alfred Weidinger mit Pam Hogg, Foto: © Ouriel Morgensztern, Belvedere, Wien.
  • Pam Hogg, Foto: © Ouriel Morgensztern, Belvedere, Wien.
  • Pam Hogg vor ihren Kreationen in „Vulgär?“, Foto: © Belvedere, Wien.

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Alexandra Matzner
Gründerin von ARTinWORDS * 1974 in Linz, Studium der Kunstgeschichte, Geschichte und Romanistik in Wien und Rom. Seit 1999 Kunstvermittlerin in Wien, seit 2004 Autorin für verschiedene Kunstzeitschriften. Jüngste Publiktionen entstanden für das Kunsthaus Zürich, Schirn Kunsthalle Frankfurt, Albertina und Belvedere in Wien.