Alice Neel
Wer war Alice Neel?
Alice Neel (Merion Square (heute: Gladwyne) 28.1.1900–13.10.1984 New York) war eine US-amerikanische Malerin der Moderne, die dem amerikanischen Realismus zugerechnet werden kann. Die „Menschenmalerin“, wie sich Neel selbst bezeichnete, lebte seit 1927 mit Unterbrechungen in New York, wo sie Künstler:innen, Kunstkitiker:innen, und Menschen aus Greenwich Village oder Spanish Haarlem zu porträtierten begann. Erfolg war der Malerin erst im Zuge der zweiten Frauenrechtbewegung und der Etablierung der feministischen Kunstgeschichtsschreibung ab den späten 1960er Jahren vergönnt. Als Neel 1984 im Alter von 84 Jahren verstarb, gehörte sie zu den berühmtesten Künstlerinnen der USA.
Kindheit
Alice Hartley Neel wurde am 28. Januar in Merion Square (heute: Gladwyne), Pennsylvania, knapp 20 Kilometer von Philadelphia entfernt, geboren.1 Ihre Mutter Alice Concross Hartley war eine Nachfahrin eines Unterzeichners der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung. Ihr Vater George Washington Neel arbeitete als Buchhalter bei der Pennsylvania Railroad. Alice Neel war das vierte von fünf Kindern einer bürgerlichen Familie; ihr ältester Bruder, Hartley, starb im Alter von acht Jahren an Diphtherie. Drei Monate nach Alice’ Geburt zog die Familie nach Colwyn, das damals rund zehn Kilometer von Philadelphia entfernt lag und heute ein Stadtteil von Philadelphia ist.
Ausbildung
Von 1914 bis 1918 besuchte Alice Neel die High School in der Nachbargemeinde Darby. Danach lernte sie Maschinenschreiben und Stenografieren und legte die Prüfung für den Staatsdienst ab. In den folgenden drei Jahren arbeitete Alice Neel als Sekretärin für die amerikanische Luftwaffe, wodurch sie ihre Eltern finanziell unterstützen konnte. Abends nahm sie Unterricht an der School of Industrial Art in Philadelphia.
Im Jahr 1921 gab Alice Neel die Arbeit bei der Luftwaffe auf und schrieb sich an der Philadelphia School of Design for Women ein (heute: Moore College of Art and Design). Sie zahlte das Schulgeld für das erste Jahr und erhielt danach staatlich finanzierte Stipendien für drei Jahre.
Neel nahm am klassischen Unterricht teil: Zeichnung und Anatomie, Landschaftsmalerei sowie Akt- und Porträtmalerei. Den damals populären Stil des Impressionismus lehnte sie jedoch kategorisch ab und widmete sich stattdessen einer realistischen Malweise.
Bereits während ihres Studiums erhielt Alice Neel mehrere Auszeichnungen: 1923 wurde sie in ihrer Porträtklasse einen Preis in Form einer ehrenvollen Erwähnung geehrt. Zwei Jahre später erhielt sie den Preis für das beste Gemälde im Aktmalkurs an der Philadelphia School of Design for Women (1925). Im Frühjahr 1925 schloss sie ihr Studium an der Kunsthochschule ab.
Alice Neel in Kuba (1926–1927)
1924 hatte Alice Neel die Chester Springs Summer School der Pennsylvania Academy of the Fine Arts besucht. wo sie den kubanischen Künstler Carlos Enríquez (1900–1957) kennenlernte. Sie heiratete Enríquez kurz nach ihrem Abschluss im folgenden Sommer. Da Neel Bedenken hatte, mit ihm in seine Heimat Kuba zu gehen, reiste Enríquez allein nach Havanna zurück, wo er sich der dortigen Avantgarde anschloss. Kurz darauf, 1926, kehrte Enríquez nach Colwyn zurück und überzeugte seine Frau, mit ihm nach Havanna zu kommen. Das Paar lebte zunächst bei Enríquez’ Eltern, bevor es in eine Wohnung im Hafengebiet zog. Am 26. Dezember 1926 kam ihre erste Tochter Santillana del Mar Enríquez dort zur Welt.
Alice Neel und Enríquez porträtieren die Menschen aus der Stadt in einem realistischen Stil. Wie die Künstlerin später erwähnte, hatte sie auch ihre erste Einzelausstellung in Havanna (Daten und Ort sind allerdings nicht bestätigt). Nachweislich stellte Alice Neel im Frühjahr 1927 zweimal gemeinsam mit Enríquez in Havanna aus.
New York (1927–1930)
Im Mai 1927 reiste Alice Neel mit Santillana zurück in die USA und besuchte ihre Familie. Enríquez folgte seiner Familie im Herbst. Neel und Enríquez entschlossen sich, nach New York zu ziehen. Dort lebten sie zuerst in ein Apartment an der Upper West Side, später in die Bronx. Während die Malerin den Lebensunterhalt in einer Buchhandlung in Greenwich Village verdiente, malte sie sie weiterhin. Der Tod ihrer Tochter Santillana an Diphtherie im Dezember 1927 trug Alice Neel schwer.
Kurz darauf war Alice Neel schwanger mit ihrem zweiten Kind. Nun arbeitete sie bei der National City Bank in New York. Daneben entstanden schonungslose Analysen ihrer Umgebung wie „Well Baby Clinic“ (1928, Privatsammlung). Am 24. November 1928 kam ihre Tochter Isabella Lillian Enríquez, genannt Isabetta, zur Welt.
Im Mai 1930 nahm Enríquez die kleine Isabetta mit nach Kuba und brachte sie zu seinen Eltern. Er plante die Aktion unter dem Vorwand, anschließend mit Neel nach Paris zu reisen, wozu es aber nie kam. Mit Enríquez’ Abreise endete ihr gemeinsames Leben, und Neel verlor den Kontakt zu ihrer Tochter. Die Malerin vermietete ihre Wohnung in New York und kehrte zu ihren Eltern zurück.
Obschon Enríquez 1934 in die USA zurückkehrte, und obwohl weder er noch Alice Neel eine Scheidung einreichten, begegneten sie einander nicht wieder.
Schmerzerfüllte Malerei
Ihren Schmerz verarbeitete Alice Neel im Sommer 1930, der künstlerisch sehr produktiv war. Die Künstlerin pendelte täglich nach Philadelphia, um in einem eigenen Atelier zu arbeiten. Im August erlitt sie einen Nervenzusammenbruch und wurde in eine Klinik eingewiesen, bevor sie vorübergehend wieder bei ihren Eltern wohnte.
Nach einem Selbstmordversuch wurde Alice Neel 1931 erneut ins Krankenhaus eingeliefert. Ein weiterer Versuch, sich das Leben zu nehmen, brachte sie in die Suizidstation des Philadelphia General Hospital und später in ein privates Sanatorium. Dort wurde sie ermutigt, weiter zu zeichnen und zu malen. Die Künstlerin erholte sich bis zum September, so dass sie aus dem Sanatorium entlassen werden konnte.
„Es ist offensichtlich, dass Frauen Bürger zweiter Klasse waren; man musste das aber nicht sein. Ich habe dagegen gekämpft, unterschwellig. Auf die Barrikaden bin ich nie gegangen, obwohl ich immer eine Feministin war. Ich wurde so geboren; ich war schon so in den 30erJahren, noch bevor es eine Frauenrechtsbewegung gab.“2 (Alice Neel)
Greenwich Village
Über gemeinsame Bekannte lernte Alice Neel den erfahrenen Seemann Kenneth Doolittle kennen. Im Jahr 1932 zogen sie zusammen nach Greenwich Village, das als New Yorker Zentrum der Boheme gelten darf. Neel malte dort Porträts von Künstlern und Schriftstellern sowie Stadtlandschaften, inspiriert vom Blick aus ihrem Fenster.
Als Neel an einer öffentlichen Kunstausstellung am Washington Square teilnahm, berichtete das „New York Times Magazine“:
„New York hatte soeben seine erste Freilichtschau, veranstaltet am Washington Square […]. Schwere Zeiten treffen die Künstler aus dem Village; der im Außenraum abgehaltene Verkauf soll ihnen helfen, ihre Waren zu vermarkten und möglicherweise Anerkennung für ihre Talente zu gewinnen.“1
Ein weiterer wichtiger Freund, den Alice Neel in dieser Zeit kennenlernte, war John Rothschild (1900–1975), ein Harvard-Absolventen aus wohlhabender Familie, der ein Reiseunternehmen betrieb. Die beiden verband eine lebenslange Freundschaft.
Als im Dezember 1934 Doolittle in ihrer Wohnung in New York aus Zorn viele von Neels Zeichnungen und Aquarellen verbrannte und über 50 ihrer Gemälde zerstörte, kam die Künstlerin bei John Rothschild unter. Neel erzählt später:
„Ich musste aus der Wohnung rennen, oder mir wäre die Kehle durchgeschnitten worden. Das war ein traumatisches Erlebnis, denn er hatte viele meiner besten Arbeiten zerstört, Sachen, die ich gemacht hatte, bevor ich überhaupt wusste, dass es ihn gibt. Ich brauchte Jahre, um darüber hinwegzukommen.“3
Alice Neel in der WPA
Im Jahr 1933 nahm Alice Neel an verschiedenen Gruppenausstellungen in New York und Philadelphia teil. Dennoch konnte sie nicht von ihrer Kunst leben. Deshalb schrieb sie sich im Dezember bei einem gemeinnützigen Förderprogramm für Künstler, dem Public Works of Art Project (PWAP) – später unter anderem Namen Teil der Works Progress Administration (WPA) –, ein. Bis 1943 erhielt sie mit Unterbrechungen finanzielle Unterstützung.
Das im Zuge des „New Deal“ eingeführte Förderprogramm ermöglichte Alice Neel weiterhin künstlerisch tätig zu sein. Ihre Sujets in dieser Zeit sind auch von der „Great Depression“ geprägt; sie zeigt in ihren Gemälden Straßenszenen und Porträts kommunistischer Denker und Aktivisten.
Spring Lake, New Jersey
Bereits im Sommer 1934 mietete Alice Neel mit ihrer Mutter ein einfaches Haus an der Küste von New Jersey. Dort verbrachte sie gemeinsam mit ihren Eltern und Isabetta, die aus Kuba zu Besuch kam, verbringen die Sommermonate. In dieser Phase schuf sie das unkonventionelle, weil nackte Kinderporträt ihrer fünf Jahre alten Tochter (The Brand Family Collection).
Mit der Unterstützung von John Rothschild und ihren Eltern konnte Alice Neel 1935 ein bescheidenes Sommerhäuschen in Spring Lake, New Jersey, kaufen. Die Künstlerin verbrachte dort für den Rest ihres Lebens einen Teil des Sommers: 1939 mit Isabetta, etc.
Menschenmalerin von New York
Im Jahr 1935 lernte Alice Neel den Sänger José Santiago Negrón (1910–1992) kennen, der Frau und Kind für sie verließ und in Neels neue Wohnung in Chelsea einzog. Wegen einer Fehlgeburt im sechsten Monat wurde Neel ins Krankenhaus gebracht (1937). Am 14. September 1939 wurde ihr erster Sohn Neel Santiago, später Richard genannt, geboren. Negrón verließ sie zeitweise und kehrte zu seiner Frau zurück. Die endgültige Trennung kam im Dezember 1939 – kurz nach der Geburt ihres gemeinsamen Kindes.
Ein weiterer Umzug führt Neel 1938 nach Spanish Harlem. In diesen östlichen Stadtteil von Harlem waren nach dem Ersten Weltkrieg viele Immigrant:innen aus Lateinamerika und Puerto Rico gezogen. Alice Neel kam mit vielen Menschen in Kontakt. Sie porträtierte Immigrantenkinder, Bedürftige, Aktivisten und Sozialarbeiter, die eine New Yorker Galerie in ihrer ersten Einzelausstellung auch präsentierte. Dennoch sah sich die Malerin nicht als Porträtmalerin im traditionellen Sinne, sondern bezeichnet sich als „painter of people [Menschenmalerin]“. Über ihre Arbeitsweise schreibt sie:
„Vor dem Malen spreche ich mit meinen Modellen, und sie nehmen dabei unbewusst ihre typischste Haltung ein – die gewissermaßen ihren ganzen Charakter beinhaltet, ihre gesellschaftliche Stellung, was die Welt ihnen angetan hat und wie sie dafür Vergeltung übten. Was ich fühle, was ich denke, mein Verhältnis zum Modell, alles kommt in dem Gemälde zum Vorschein.“4
Für Alice Neel war es wichtig, die von ihr gemalten Menschen privat zu erleben. Sie lud sie deshalb in ihre eigene Wohnung ein, unterhielt sich zwanglos mit ihnen, wartete, dass sie sich entspannten, um die „echte“ Mimik und die „echte“ Gestik zu entdecken. Der Malerin war wichtig, dass diese Personen ein Minimum an Förmlichkeit und Affektiertheit verströmten. Die Nähe der Künstlerin zu ihren Modellen tat das Übrige. Die Ergebnisse sind schonungslose Schilderungen von Menschen, auch von Berühmtheiten, darunter der halbnackte, kaum erkennbare Andy Warhol (kurz nach dem Attentat in Miederhose und gerade halbgenesen, 1970) oder ihre eigene Schwiegertochter, die hochschwanger und nackt auf dem Sofa vor Neel posierte („Pregnant Woman“, 1971).
Partei und Porträt
Im Jahr 1940 lernte Alice Neel den politisch aktiven Fotografen und Filmemacher Sam Brody (1907–1987) kennen. Obwohl Brody zunächst noch verheiratet war, beginnen Neel und er eine Beziehung. Bis 1958 lebten sie mit Unterbrechungen zusammen. Neel verkehrte wie Brody in einem Kreis von Intellektuellen und Anführern der Kommunistischen Partei. Sie wurde selbst nie offizielles Mitglied der Partei, doch sie sympathisiert mit deren politischen Idealen.
Bereits am 3. September 1941 wurde ihr zweiter Sohn Hartley Stockton Neel zur Welt. Neel unterrichtete während zweier Jahre Malerei in einer Kindertagesstätte, in die Richard und später auch Hartley gingen.5 Als 1943 der Kongress das Ende des Förderprogramms WPA beschloss, konnte Alice Neel nur mehr schwer, für ihren Unterhalt und den ihrer beiden Söhne aufzukommen. Sie bezog bis Mitte der 1950er Jahre Sozialhilfe.
1946 veröffentlichte das kommunistischen Magazin „Masses & Mainstream“ erstmals Neels Illustrationen. Das war der erste einer Reihe von Aufträgen, die Neel für die politische Zeitschrift ausführte. Im selben Jahr verstarb ihr Vater im Alter von 82 Jahren.
Alice Neel hatte von den späten 1940er Jahren bis 1960 nur wenige Möglichkeiten, ihre Werke auszustellen. Sie porträtierte dennoch weiterhin Bekannte und Menschen aus ihrer Umgebung. Dazu zählte auch ihre Mutter, die 1953 zu ihr nach Spanish Harlem zog – Neel hatte diese Wohnung bereits 1942 bezogen. Ein großes Wohnzimmer mit zwei Fenstern zur Südseite diente ihr 20 Jahre lang als Atelier. Die Malerin schuf dort „Last Sickness“ (1953, Metropolitan Museum of Art), ein Porträt ihrer Mutter, die wenige Monate darauf im Alter von 86 Jahren verstarb.
Durchbruch
Alice Neels Gemälde erschienen anlässlich einer New Yorker Gruppenausstellung 1960 zum ersten Mal in einer Zeitschrift. „Art News“ berichtete:
„Miss Neel hinterließ den stärksten Eindruck. Sie malt seit Jahren, ist aber aus unbekannten Gründen selten in Ausstellungen zu sehen.“6
Die Kunstzeitschrift „Art News“ entwickelte sich in den 1960er Jahren zu den wichtigen Promotoren von Neels Malerei. Nachdem der Künstler und Kunstkritiker Hubert Crehan 1962 eine Ausstellung mit 15 Gemälden von Neel in Portland, Oregon organisiert hatte, veröffentlichte er im Oktober einen ausführlichen Beitrag über sie in „Art News“. Das war der erste Feature-Artikel über ihr Werk. Dadurch wuchs das Interesse der Kunstszene, von ihr porträtiert zu werden.
Im September 1962 zog Alice Neel an die Upper West Side in eine größere Wohnung mit Bogenfenstern, in der sie für den Rest ihres Lebens die meisten ihrer Werke malte. Neel begann, sich in anderen Kreisen zu bewegen, und war politisch nur noch wenig aktiv. Sie lernte bei Galeriebesuchen und Vernissagen Künstler, Kunstkritiker und Autoren kennen, die sie einlud, bei ihr zu Hause Modell zu sitzen. In dieser Zeit änderte sie das Kolorit ihrer Gemälde, indem sie hellere Farben einsetzte und in der Darstellung offener wurde.
Der wachsende Bekanntheitsgrad der Künstlerin zeigt sich 1963 in der ersten Ausstellung Neels in der New Yorker Graham Gallery. Eine amerikanische Philanthropin und Psychiaterin, die sie durch John Rothschild kennengelernt hatte, zahlte der Malerin von 1964 bis zu ihrem Tod eine jährliche Zuwendung von 6000 Dollar. Im Sommer des folgenden Jahrs reiste sie zusammen mit Hartley erstmals nach Europa und besuchte Paris, Rom, Florenz und Madrid. Im April 1969 reiste die Künstlerin mit Rothschild in die Sowjetunion und anschließend mit Richard nach Mexiko, wo sie José Negrón und verschiedene Künstler trafen.
Alice Neel beteiligte sich 1968 an einem Protest, der die Abwesenheit von Frauen und afroamerikanischen Künstler:innen in einer Ausstellung des Whitney Museum of American Art kritisierte. Neels Porträt von Kate Millett, der amerikanischen Literaturwissenschaftlerin und Autorin des feministischen Klassikers „Sexual Politics“, erschien 1970 auf dem Umschlag einer Ausgabe der Zeitschrift „Time“. Das Magazin beauftragt Neel regelmäßig mit Porträts von Personen von öffentlichem Interesse.
Späte Anerkennung
Im Zuge der Frauenrechtbewegung wurde Alice Neel als Künstlerin entdeckt. Während der 1960er Jahre hatte sich die Malerin mit Kunstschaffenden und Kritiker:innen vernetzt und war zunehmend wahrgenommen worden. 1971 erhielt Neel die Ehrendoktorwürde ihrer ehemaligen Kunsthochschule in Philadelphia. Als der Kunstkritiker und Lehrer John Perreault 1973 die Ausstellung „The Male Nude“ in New York organisierte, lud er Neel ein, ihr frühes „Porträt von John Gould“ (1933, Privatsammlung) und sein eigenes Aktporträt (1972, Whitney Museum of American Art) zu präsentieren.
Das Whitney Museum of American Art widmete Alice Neel im Jahr 1974 eine erste Retrospektive. Da die Ausstellung nur wenige bedeutende Gemälde beinhaltete, zeigten sich Kunstkritiker und Kuratoren enttäuscht. Für Alice Neel hingegen bedeutete die Ausstellung einen Triumph.
Der wachsende Erfolg der Künstlerin zeigt sich im Jahr 1975, als das Georgia Museum of Art ebenfalls eine Retrospektive organisierte. Neel nahm in diesem Jahr an sechs weiteren Einzel- und 16 Gruppenausstellungen teil; zu ihren Bewunderern zählte auch die österreichische Malerin Maria Lassnig. Neels „Porträt von T. B. Harlem“ wurde in die von Linda Nochlin und Ann Sutherland Harris organisierte Wanderausstellung „Women Artists. 1550–1950“ aufgenommen, die zuerst im Los Angeles County Museum of Art präsentiert wurde. Die Bekanntheit von Alice Neel erreicht 1981 einen neuen Höhepunkt, als sie eine Einzelausstellung der Künstlervereinigung in Moskau erhielt. Gemeinsam mit ihren Söhnen und deren Familien reiste Alice Neel in die Sowjetunion, um an der Eröffnung teilzunehmen.
Ehrungen und Preise ließen nicht lange auf sich warten: „In Anerkennung der herausragenden kulturellen Beiträge und des außerordentlichen Engagements für Frauen und die Kunst“ erhält die amerikanische Künstlerin 1976 den International Women’s Year Award. Drei Jahre später, 1979, wurde Neel – gemeinsam mit Isabel Bishop, Selma Burke, Louise Nevelson und Georgia O’Keeffe - der Preis des Women’s Caucus for Art für ihre herausragenden Verdienste um die Kunst verliehen. Die Auszeichnung überreichte ihr US-Präsident Jimmy Carter.
Der Ruhm der Malerin wurde 1983 von Patricia Hills’ Buch „Alice Neel“ noch weiter verbreitet. Es handelt sich um die erste Monografie über das Werk der „Menschenmalerin“ Neel. Im Zentrum der Erzählung steht, vermittelt durch Gespräche mit Hills, der Lebensbericht der Künstlerin. Ein Jahr später lud sie Johnny Carsons in die „Tonight Show“ ein (1984). Dem folgte im Oktober Judith Higgins’ Artikel „Alice Neel and the Human Comedy” in “Art News”, das Cover der Ausgabe zeigt Neels Porträt.
Im Sommer 1984 wurde bei Alice Neel Dickdarmkrebs im fortgeschrittenen Stadium festgestellt, weshalb die Künstlerin operiert wurde. Trotz Chemotherapie verbrachte sie den Sommer mit Richard und seiner Familie in Spring Lake, wo sie weiterhin malte.
Tod
Alice Neel starb am 13. Oktober 1984 im Kreis ihrer Familie in ihrer New Yorker Wohnung. Im darauffolgenden Februar veranstaltete das Whitney Museum of American Art eine Gedenkfeier.
Literatur zu Alice Neel
- CLOSE-UP. Berthe Morisot, Mary Cassatt, Paula Modersohn-Becker, Lotte Laserstein, Frida Kahlo, Alice Neel, Marlene Dumas, Cindy Sherman, Elizabeth Peyton, hg. v. Theodora Vischer für die Fondation Beyeler (Ausst.-Kat. Fondation Beyeler, Riehen / Basel, 19.9.2021–2.1.2022), Berlin 2021.
- Alice Neel: people come first, hg. v. Kelly Baum und Randall Griffey (Ausst.-Kat. The Metropolitan Museum of Art, New York, 15.3.–1.8.2021; Guggenheim Museum Bilbao, 17.9.2021–30.1.2022; de Young Museum, Fine Arts Museums of San Francisco, 12.3.–10.7.2022), New York 2021.
- Alice Neel. Painter of Modern Life, hg. v. Jeremy Lewison (Ausst.-Kat. Ateneum Art Museum, Helsinki, 10.6.–2.10.2016; Gemeentemuseum Den Haag, 5.11.2016–12.2.2017; Fondation Vincent van Gogh Arles, 4.3.–17.9.2017; Deichtorhallen Hamburg 13.10.2017–14.1.2018), Ostfildern 2016.
- Alice Neel. Painted Truths, hg. v. Jeremy Lewison u. a. (Ausst.-Kat. Museum of Fine Arts, Houston; Whitechapel Gallery, London; Moderna Museet Malmö), Houston und New Haven 2010.
- Alice Neel, Paintings from the Thirties, New York 1997.
- Patricia Hills, Alice Neel, New York 1983.
- Diese Biografie von Alice Neel verdankt sich den untenstehenden Monografien und Ausstellungskatalogen über die Künstlerin.
- Zit. n. Radikal! Künstlerinnen*und Moderne 1910–1950, hg. v. Stella Rollig, Stephanie Auer, Andrea Jahn und Kathrin Elvers Švamberk (Ausst.-Kat. Museum Arnhem, 7.9.2024–5.1.2025; Saarlandmuseum – Moderne Galerie, Saarbrücken, 8.2.–18.5.2025; Belvedere, Wien, 17.6.–12.10.2025), S. 140.
- Alice Neel, Paintings from the Thirties, New York 1997, S. 32.
- Alice Neel, The Art of Portraiture, in the Words of Four New York Artists, in: The New York Times, 31. Oktober 1976.
- Richard Neel schloss 1957 die High School ab und zwei Jahre danach Hartley. Beide gingen mit einem Vollstipendium ans Columbia College in New York. Nach dem Jurastudium arbeitete Richard als Anwalt. Hartley absolvierte ein Medizinstudium und eröffnete eine Praxis in Vermont.
- Lawrence Campbell, Reviews and Previews. Alice Neel, Jonah Kingstein, Anthony Toney, Giacomo Porzano, in: Art News, 59, 8, Dezember 1960, S. 13 f.