Die traditionelle Funktion von Porträts – Erinnerungsbilder und Repräsentanten gleichermaßen zu sein – erfüllen die Aufnahmen von Kindern und Jugendlichen der Holländerin Hellen van Meene nicht. Das wird auf dem ersten Blick klar! Hellen van Meene sucht nicht Charakter und Geschichte ihrer Modelle zu ergründen, macht keine lieblich-romantischen Kinderporträts, sondern interessiert sich für das Zukünftige und Mögliche des Jungenseins generell. So ist es wohl auch kein Zufall, dass Köpfe und Oberkörper jene Partien des menschlichen Leibes sind, die die Künstlerin besonders fokussiert, für lange Haare kann sie sich sichtbar begeistern.
Österreich / Wien: Ostlicht
13.4. – 9.6.2013
Die ganzfigurigen Porträts der letzten Jahre werden in alten Häusern oder im Außenraum inszeniert. Ständig ertappt man sich dabei darüber nachzudenken, was die Kinder und Jugendlichen wohl in diesen alten Räumen machen. Die Szenerien sind mit natürlichem Licht beleuchtet und tauchen die meist unbewegten, nie lächelnden Modelle und ihre Umgebung in geheimnisvolle, fast mystische Stimmungen.
So manches Werk der von Gerald Matt kuratierten Schau erinnert an die reiche Tradition v.a. der holländischen Kunst des „Goldenen Zeitalters“. Jan Vermeer und Caravaggio stehen für die Lichtregie Pate. Der melancholische Blick, das Fehlen eines Lächelns scheint von den erotisch aufgeladenen Frauenporträts der Präraffaeliten vorgeprägt (→ Präraffaeliten am Ausstellungs- und Kunstmarkt). Diego Velázquez und Thomas Gainsborough inszenierten in ihren Bildern bereits jenes Verhältnis von Hund von Mensch, das hier mehr oder weniger bewusst mitschwingen.
Die Fotokünstlerin van Meene schafft enigmatische Bilderzählungen, die sich dem leichten Zugriff permanent entziehen. Als Regisseurin ihrer nicht entschlüsselbaren Geschichten spielen Kalkül und Zufall gleichermaßen eine Rolle: Einerseits sind die Kompositionen genau geplant und andererseits, wie Hellen van Meene gesteht, muss auch Spielraum für das Zufällige sein, für Gesten und Körperhaltungen der Modelle, die zur Inspirationsquellen werden können. Hellen van Meene steckte die Mädchen in Kleider ihrer eigenen Großmuttergeneration und entzieht dadurch ihre Protagonistinnen der Zeit. Indem die vielen Mädchen und wenigen Burschen nicht in Straßenkleidung auftreten, repräsentieren sie nicht sich selbst, sondern werden zu Anderen. Sie wirken manchmal wie betagte Menschen, v.a. wenn ein Mädchen in mauvefarbenem Kleid plötzlich seine Hände so ineinanderlegt, wie man es von alten Menschen vermutet und von Kindern nicht kennt. Hellen van Meene ist keine stille Beobachterin der Kleinen, sondern transferiert sie in die Welt der Erwachsenen. Kein Wunder, dass sich die größten Verwandtschaftsbziehungen mit barocken Porträts aufzeigen lassen, werden in ihnen doch Kinder als kleine Erwachsene geschildert. Auch die Kinder und Jugendlichen in den Bildern van Meenes sind keine autonomen, selbstverantwortlichen Wesen, sondern werden zu Spiegelbildern unserer Wünsche.
Die Intimität und die Verletzlichkeit, die Hellen van Meenes Porträts ausstrahlen, werden durch das gewählte Format der Fotografien deutlich unterstrichen. Der Eindruck von Stärke kommt über die Kleidung und den Ausschnitt ins Bild. Das Quadrat bringt Ausgeglichenheit und Ruhe mit sich. Dem aktuellen Trend zum Großformat hält die Holländerin kleine, etwa kopfgroße Prints entgegen. Wenn sie diese Entscheidung bei der Ausstellungseröffnung fast slapstickartig mit ihrer eigenen Vorliebe für das einsame Genießen von Kunstwerken in Museen zu erklären suchte (sie mag kleine schniefenden Ausstellungsbesucher neben sich), so schließt sie doch konsequent an das Bildkonzept der Künstlerin an: Das Kleinformat zwingt die Besucher_innen geradezu nahezutreten, länger und genauer auf die Bilder zu blicken, um mehr Details, Strukturen und Oberflächenqualitäten zu entdecken.
Dass Hunde als die besten Freunde der Menschen gelten, ist eine altbekannte Redensweise. Aber auch Hellen van Meene ist jüngst mit ihrer Serie „Dogs and Girls“ auf den Hund gekommen, setzt sie auf reich gemusterte Orientteppiche, nimmt noch ein geschecktes Lamm, einen Hahn und einen Hasen mit. Ähnliche Teppiche finden sich in nahezu allen Stillleben des holländischen „Goldenen Zeitalters“, wie in den Fotografien van Meenes ist deren Oberflächenstruktur minutiös dargestellt. In welchem Verhältnis die jungen Damen zu den Vierbeinern stehen, lässt sich schwerlich sagen. Wichtiger sind sicherlich die Art der Inszenierung und der subtile Einsatz von Licht.
Im Vergleich zu den früheren Arbeiten wirken „Dogs and Girls“ (2011-2012) deutlich toniger, in Brauntönen, Schwarz, Weiß gehalten. Sie sind im Hintergrund oft bildparallel abgeschlossen, der Blick wird von einer spannend abgenutzten Wand aufgehalten, wobei die Flecken und Oberflächenstrukturen zugegeben interessant sind. Waren die Kinder und Jugendlichen in älteren Arbeiten manchmal noch mit eigenartigen Haltungen und Aktionen beschäftigt, so scheinen sich die Modelle von Hellen van Meene beruhigt zu haben. Sie stehen, sitzen, kauern auf und neben Sesseln, werden einzeln oder zu zweit mit ihren Hunden in Beziehung gesetzt.
Wenn die letzten Bilder auch zunehmend den Charakter von Studioaufnahmen haben und weniger dramatische Lichteffekte zum Einsatz kommen, so handelt es sich doch immer um Choreographien, um Erzählungen jenseits der realen Leben der Abgelichteten. Mädchen wie Hunde sind die Materialien, aus denen die Träume der Künstlerin gestrickt werden. Die jungen Körper, ihre Verwundbarkeit, ihre Stärke sind wie Kokons und werden erst durch die Fantasie der Betrachter_innen gefüllt. Welchen Weg die jungen Menschen gehen werden, ob die Hunde ihnen dabei Stütze und Weggefährten sein können, bleibt offen, da die Kinder zu Spiegelbildern der Erwachsenenfantasie werden. So stellt sich am Ende des Rundgangs nur noch eine Frage: Welche Andere wollen wir sehen?
1972 in Alkmaar geboren
1995 College of Art, Edinburgh
1996 Gerrit Rietveld Academie, Photography, Amsterdam
Lebt und arbeitet in Heiloo, Niederlande