James Rosenquist: Eintauchen ins Bild oder amerikanischer Größenwahn?
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James Rosenquist: Eintauchen ins Bild oder amerikanischer Größenwahn? Posthume Retrospektive im Museum Ludwig Köln

James Rosenquist, F-111, 1964/65 Öl/Lw und Aluminium (mehrbahnige Rauminstallation) 304,8 × 2621,3 cm (The Museum of Modern Art, New York Purchase Gift of Mr. And Mrs. Alex L. Hillman and Lillie P. Bliss Bequest (both by exchange), 1996) © Estate of James Rosenquist/VG Bild-Kunst, Bonn 2017 Foto: Courtesy of the Estate of James Rosenquist, Installationsansicht in der Leo Castelli Gallery, 1965 (kolorierte Fassung nach dem Originalfoto)

James Rosenquist, F-111, 1964/65 Öl/Lw und Aluminium (mehrbahnige Rauminstallation) 304,8 × 2621,3 cm (The Museum of Modern Art, New York Purchase Gift of Mr. And Mrs. Alex L. Hillman and Lillie P. Bliss Bequest (both by exchange), 1996) © Estate of James Rosenquist/VG Bild-Kunst, Bonn 2017 Foto: Courtesy of the Estate of James Rosenquist, Installationsansicht in der Leo Castelli Gallery, 1965 (kolorierte Fassung nach dem Originalfoto)

Die riesigen Leinwandarbeiten und Rauminstallationen des amerikanischen Pop Art Künstlers James Rosenquist (1933–2017), welche aktuell in der ersten posthumen Ausstellung des Künstlers im Kölner Museum Ludwig gezeigt werden, sind schlichtweg überwältigend – im positiven wie im negativen Sinne.

Der Untertitel der Ausstellung „Eintauchen ins Bild“ meint genau jenen Effekt der Überwältigung durch die Sinneseindrücke, welche die Kunst Rosenquists beim Betrachter hervorruft. Rosenquist selbst kannte dieses Phänomen nur allzu gut von seiner Zeit als Reklamemaler im New York der 50er Jahre. Und auch wenn man seine späteren künstlerischen Arbeiten betrachtet, so bleibt der Reklamemaler sowohl technisch als auch inhaltlich stets präsent.

Life Magazine-Sujets ins Monumentale übersetzt

Gigantische knallbunte Farbstrudel, in denen Markennamen wie Ford oder Kellog’s zu entziffern sind. Daneben bekannte Gesichter von der Schauspielerin Joan Crawford und dem Vorzeige-Politiker J.F. Kennedy – vor eine Chevrolet-Karosserie. Weiter vorangeschritten in der Ausstellung: eine monumentale, silberne Hochglanz-Trockenhaube, bedrohlich ausgerollte Lippenstifte in unterschiedlichen Rottönen – zusammen eine Art jüngstes Gericht des weiblichen Schönheitswahns oder ein Deus ex machina, der uns alle vom Konsumzwang erretten wird. Im zweiten Stock: kaleidoskopische Weltraum-Atmosphären, Kantenspektren, die aus Spalten eines Frauenkopfes erwachsen, metallisch glänzende Bohrmaschinenaufsätze, Zahnräder und Autoreifen ebenso wie in Tomatensauce getränkte Spaghetti und frittierte Speckstreifen. All dies macht die Motivwelt James Rosenquists aus, welche das Lebensgefühl und den Zeitgeist der 60er und 70er Jahre in Amerika aufflackern lässt.

Seine Sujets bezog er vornehmlich aus dem Life Magazine. Sie dienten ihm aber nur als Basis in der Kompositionsfindung, und waren für ihn wertlos, sobald die Arbeiten im großen Format malerisch umgesetzt waren. Das Museum Ludwig hat sich im Zuge der Recherche zur Ausstellung die unglaubliche Mühe gemacht, eben diese historischen Life Magazine-Exemplare zu durchforsten und zahlreiche der von Rosenquist verwendeten Sujets im Original ausfindig zu machen und in direkter Nachbarschaft zu den Werken zu präsentierten.

Größer, bunter, amerikanischer

Man kann, wenn man von James Rosenquist spricht, eigentlich nicht mehr von großformatiger Malerei sprechen, die Wörter „riesig“ oder „gigantisch“ erscheinen der Dimension seiner Arbeiten angemessener. So misst die größte Leinwandarbeit der Ausstellung, die wiederum zu einer dreiteiligen Installation gehört und den Titel „The Swimmer in the Econo-mist #1“ (1997/98) trägt, rund 3,5 mal 27,5 (!) Meter. Selbst für eine Institution wie das Museum Ludwig in Köln, das gesegnet ist mit seinem Raumangebot, ist dies gewaltig und füllt die Länge des gesamten Hauptraums im Erdgeschoss. Der Effekt der alleine die Größe in Kombination mit der bunten Farbigkeit beim Betrachter erzeugt, ist eine echte „Experience“, die es allerdings kritisch zu beurteilen gilt, da man sich unversehens mit dem sinnlichen Vergnügen zufrieden gibt und nicht nach einer tieferen Auseinandersetzung drängt. Im Angesicht seiner Werke kann dem Betrachter berechtigterweise die Frage in den Sinn kommen, ob den Künstler nicht zwischendurch der amerikanischen Größenwahn ereilt hat.

Spektakuläre Präsentation, qualitativ stark variierende Arbeiten

Die Präsentation im Museum Ludwig ist kurzum spektakulär. Die Arbeiten Rosenquists breiten sich über drei Ebenen aus, wobei einige davon qualitativ mehr überzeugen, andere weniger. Wirklich sehenswert sind die drei Rauminstallationen „F-111“ (1964/65), „Horse Blinders“ (1968/69), und „Horizon Home Sweet Home“ (1970). Die beiden letzteren waren Anfang der 70er Jahren schon einmal in Köln zu sehen: „Horizon Home Sweet Home“ in einer modifizierten Version mit dem Titel „Slush Trust“ in der Rolf Ricke Galerie 1970 und „Horse Blinders“ in einer Retrospektive des Künstlers im Wallraf-Richartz-Museum 1972, damals noch in der Josef-Haubrich Kunsthalle. Dort war auch das Sammlerehepaar Ludwig auf die Arbeit aufmerksam geworden und hatte sie erworben, wodurch sich die Arbeit heute im Besitz des Museum Ludwig in Köln befindet. Die Arbeit wurde in den letzten beiden Jahren aufwendig in-house restauriert. Das Ergebnis kann sich buchstäblich sehen lassen.

„Think big“ – Die Weltraumarbeiten der 80er Jahre

Die Faszination am Weltraum und am amerikanischen Weltraumforschungsprogramm schlägt sich in seinen Arbeiten der 80er Jahre im ersten Stock nieder. Sie scheinen den Anspruch zu erheben, das Wissen ebenso wie das Chaos der ganzen Welt in sich zu bergen. Die eigene Interpretation des Künstlers von seiner Arbeit „Star Thief“ (1980) mag etwas groß gegriffen, womöglich sogar befremdlich klingen: Die Speckstreifen vor der Weltallatmosphäre stehen für Rosenquist nämlich für das kreatürliche Leben auf der Erde, der weibliche Kopf für das Potential des menschlichen Geistes. Gesamt sei es als Sinnbild für Arbeit und Forschungsdrang zu lesen, denn ohne ihn wäre der Mensch nie ins All gelangt. Ob dies Reflexionen eines großes Denkers sind, oder ob Rosenquist ein besonderes Talent hatte, das Große im Banalen zu sehen, sei an dieser Stelle offen gelassen. Dass seine Kunst auf einer „Think big“-Devise aufbaut, ist augenscheinlich.

„Kosmologische Fragen sind schwer zu begreifen, wenn ich daher Abbildungen des Weltraums in meinen Gemälden zeige, dann stets, um etwas darzustellen, das unbegreiflich ist – wie die Zukunft.“1 (James Rosenquist)

Besinnt man sich bewusst auf die möglichen Zusammenhänge der dargestellten Sujets, was sich etwas leichter gestaltet, wenn man sie im kleineren Format betrachtet, so werden komplexe Kompositionskonzepte erkennbar – wie die aufschlussreichen Skizzen des Künstlers zu „The Swimmer in the Econo-mist“ (1997/98) zeigen: das Bild hat einen durchstrukturierten Aufbau mit farblicher Teilung in der Mitte: links Grisaille, rechts Farbe. Um die Bildskizze hat Rosenquist verschiedene Notizen festgehalten, wie etwa: „black program deflects or absorbs“ oder „abstraction of Picasso’s Guernica“. Die Hinweise lassen ein komplexes Gesamtprogramm erahnen.
Eine andere Möglichkeit wäre, den sehr gelungenen, bei PRESTEL erschienen Ausstellungskatalog heranzuziehen, der erfreulicherweise die Kunstwerke vor den kunsthistorischen Abhandlungen platziert.

Der politische Künstler?

Ein zentrales Anliegen der Ausstellung ist das Aufzeigen der politischen Dimension in den Arbeiten Rosenquists. Denn obwohl er sich selbst nie als politischen Künstler bezeichnet hat, so tauchen sehr wohl zahlreiche Verweise auf politische Themen in seinen Arbeiten auf. Bekannt ist, dass der Künstler als Privatperson an zahlreichen Antikriegsdemonstrationen teilnahm. Dass sich das Zeitgeschehen ab den 50er Jahren wie noch nie zuvor bildlich und in medialer Echtzeit ausdrückte, schlug sich nur selbstverständlich auch im Œuvre des Pop Art Künstlers nieder. Sicherlich war Rosenquist ein Mensch, der die politischen Geschehnisse wach beobachtete und künstlerische Kommentare dazu abgab: die Rauminstallation „F-111“ etwa trägt nicht nur den Titel des Kampfjets, welcher in der Zeit des Kalten Krieges auf amerikanischer Seite produziert und eingesetzt wurde, sondern zeigt auch Zusammenhänge auf: ein lachendes Mädchen unter einer Trockenhaube, welches er aus einer Anzeige des Konzerns Dow Chemicals entnommen hatte, der sowohl alltägliche Konsumgüter als auch chemische Kampfmittel produzierte. Ähnlich verhält es sich mit dem Autoreifen und der Firma Firestone, welche ebenfalls Granaten und Soldatenhelme fertigten.

„Nicht, dass ich unpolitisch wäre – ich vertrete ganz entschiedene Ansichten zu Bürgerrechten und Gewissensfragen und habe viele Gemälde als Protest gegen dumme Kriege, dumme Gesetze, rücksichtslose Politiker und gierige Unternehmer geschaffen – ich denke nur einfach, dass Künstler nicht predigen sollten.“2 (James Rosenquist)

Institutional Branding mit posthumer Ausstellung

Dem Kölner Museum Ludwig kommt aktuell die zweischneidige Ehre zu, die erste posthume Ausstellung des Malers auszurichten. Das Museum selbst ist, dank der Schenkung des namensgebenden Kunstsammlerehepaars Ludwig, im Besitz von fünf wichtigen Arbeiten des Künstlers – zudem befindet sich „Star Thief“ schon seit 1995 als Leihgabe der Stiftung Ludwig im Haus, zuletzt noch im Treppenaufgang linksseitig des Eingangsbereichs, nun übersiedelt in die temporären Ausstellungsräumlichkeiten. Die Ausstellung fungiert insofern zusätzlich als institutionelles Branding, denn wie Direktor Yilmaz Dziewior bei der Eröffnung betont: Das Museum Ludwig verfügt über die größte Pop Art Sammlung der Welt und ist über die Landesgrenzen hinaus dafür bekannt. Diese Marke gilt es nach außen hin zu kommunizieren. Insofern ist es ein absurder Twist, dass der Pop Art Künstler Rosenquist posthum selbst Teil dieses Werbestrudels wird und als solcher weiterlebt.

Kuratiert von Stephan Diederich und Yilmaz Dziewior.

James Rosenquist: Eintauchen ins Bild: Ausstellungskatalog

Stephan Diederich & Yilmaz Dziewior (Hg.)
mit Beiträgen von Sarah Bancroft, Tino Graß, Isabel Gebhardt, Tom Holert, Stephan Diederich, Yilmaz Dziewior, Tim Griffin
Museum Ludwig Köln, 2017/18
25,3 x 29 cm, 336 Seiten, mit farb. Abb.
PRESTEL

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  1. James Rosenquist und David Dalton: Painting Below Zero. Notes on a Life in Art, New York 2009.
  2. Ebenda, S. 115.
Nora Höglinger
* 1987 in Rohrbach/OÖ, Studium der Kunstgeschichte und Theater-, Film- und Medienwissenschaft in Wien und Paris. Seit 2009 im Bereich der zeitgenössischen Kunst tätig. Publikationen u.a. für die Sammlung Verbund Wien, BOZAR Brüssel, Hamburger Kunsthalle und Kunst im öffentlichen Raum Wien. Lebt und arbeitet als freie Autorin in Köln.