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London | National Gallery: Gainsboroughs Knabe in Blau

Thomas Gainsborough, Knabe in Blau, Detail, 1770, Öl/Lw, 179.4 × 123.8 cm (© courtesy of the Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens, San Marino, California)

Thomas Gainsborough, Knabe in Blau, Detail, 1770, Öl/Lw, 179.4 × 123.8 cm (© courtesy of the Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens, San Marino, California)

Im Winter 1922 hing Thomas Gainsboroughs „Knabe in Blau“ drei Wochen lang in der National Gallery, London, bevor er über den Atlantik zu seiner neuen Heimat in Kalifornien segelte. Es war ein öffentlicher Abschied von einem geliebten Gemälde des renommierten britischen Malers (1727–1788). Auf den Tag genau 100 Jahre später kehrt Gainsboroughs Meisterwerk aus dem Jahr 1770 in die Londoner Galerie zurück, denn erstmals wird das Gemälde von der Huntington Galerie in San Marino, Kalifornien, ausgeliehen. In der ersten Jahreshälfte 2022 hat das Publikum die einmalige Gelegenheit, dieses ikonische Werk in Großbritannien zu sehen.

Gainsboroughs „Knabe in Blau“

Auf einer hochformatigen Leinwand ist der junge Porträtierte in ein auffälliges blaues Kostüm gekleidet; er ist blass und ernst, blickt schüchtern und doch direkt aus dem Bild. Die Identität des Knaben ist ungewiss. Auch deshalb steht er für alle Jungen und die Idee der Kindheit im Allgemeinen. Durch eine Reihe von hochkarätigen Ausstellungen, weit verbreiteten Reproduktionsdrucken und unzähligen Kopien von Künstlern im Laufe der Jahrhunderte ist „Der Knabe in Blau“ zu einem der beliebtesten Söhne Großbritanniens geworden.

„Knabe in Blau“ war Thomas Gainsboroughs erster Versuch eines barocken Kostüms in voller Länge – mit Kniehosen und eine aufgeschlitzte Dubette mit Spitzenkragen. Der flämischen Maler Anthonis van Dyck hatte die britische Kunst revolutioniert und die Größen des Hofes meisterhaft und elegant verewigt. Für Gainsborough war es eine Möglichkeit zu zeigen, dass er mit der Eleganz des früheren Hofporträtisten mithalten konnte, war dieser doch ebenso ein Gentleman wie sein Klientel. Gainsborough malte den „Knaben in Blau“ nicht als Auftragswerk, sondern zu seinem eigenen Vergnügen und als Demonstration seiner Fähigkeiten.

Obwohl Gainsborough eindeutig Van Dyck verpflichtet war, ist die Maltechnik ganz seine eigene. Während Anthonis van Dyck Farbe in diskreten Flecken aufgetragen hat, die aus kurzen aufeinanderfolgenden Strichen bestehen, präsentiert Gainsborough ein Chaos aus unberechenbaren Farben und Pinselstrichen. Der blau schimmernde Satin wird in einem Spektrum minutiös abgestimmter Farbtöne – Indigo, Lapis, Kobalt, Schiefer, Türkis, Holzkohle und Creme – wiedergegeben. Er trug die Farben in extrem komplexen Schichten aus kräftigen Schrägstrichen und feinen Strichen auf. Im richtigen Abstand zum Bild verbinden sich die verschiedenen Pigmente zu einer Illusion von Festigkeit. „Knabe in Blau“ verführte sein erstes Publikum nicht mit dem Bild einer Berühmtheit oder mit philosophischen Anspielungen, sondern mit Gainsboroughs Beherrschung der Farbe und der schieren Beherrschung seiner Pinselführung.

„Knabe in Blau“ von 1770 zählt zum Besten in der britischen Kunst des 18. Jahrhunderts. Es ist Gainsboroughs eloquente Antwort auf das Vermächtnis von Anthonis van Dyck und die großartige Porträtmalerei des Barock. Es ist zudem eine stolze Demonstration von Gainsborough, was Malerei leisten kann. Die Popularität und der Einfluss des Gemäldes haben es zu einer Ikone gemacht, die von zeitgenössischen Künstlern zitiert und auf die in Hollywood-Filmen Bezug genommen wurde. Thomas Lawrence, der Gainsborough verehrte, verarbeitete noch Jahrzehnte später die Idee in seinem Knabenporträt „Knabe in Rot“, ein Bildnis von Charles William Lambton aus dem Jahr 1825, das jüngst von der National Gallery erworben werden konnte.

Quelle: The National Gallery of Art, London

Thomas Gainsboroughs „Knabe in Blau”: Bilder

  • Thomas Gainsborough, Knabe in Blau, 1770, Öl/Lw, 179.4 × 123.8 cm (© courtesy of the Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens, San Marino, California)
  • Gainsboroughs Knabe in Blau in der National Gallery, 1922 (Foto © courtesy of the Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens, San Marino, California9
  • Der Knabe in Blau in der National Gallery, London (seitlich), 1922 (Foto © courtesy of the Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens, San Marino, California)
  • Famous Painting Arrives. The Blue Boy being unloaded from a train, 1922, Foto: International, Los Angeles Büro (Foto © courtesy of the Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens, San Marino, California)
  • Besucher*innen in der Huntington Art Gallery, um 1935 (Foto © courtesy of the Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens, San Marino, California)
  • Installationsansicht der Thornton Portrait Gallery in The Huntington: Joshua Reynolds, Diana (Sackville), Viscountess Crosbie, 1777; Thomas Gainsborough, Knabe in Blau, 1770; Thomas Gainsborough, Elizabeth (Jenks) Beaufoy, später Elizabeth Pycroft, um 1780 (von links nach rechts) (The Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens © courtesy of the Huntington Library, Art Museum, and Botanical Gardens, San Marino, California)
  • Thomas Lawrence, Charles William Lambton, 1825, 137.2 x 111.8 cm (ohne Rahmen) (National Gallyer of Art, London, Foto © National Gallery, London)