El Anatsui: ghanaisch-nigerianischer Künstler der Gegenwart | ARTinWORDS

El Anatsui

Wer ist El Anatsui?

El Anatsui (*1944, Anyako) ist ein zeitgenössischer Künstler aus Ghana (→ Zeitgenössische Kunst). Er gilt als einer der bedeutendsten afrikanischen Künstler und ist bekannt für monumentale Wandbehänge und Skulpturen. Anatsuis künstlerische Praxis zeichnet sich durch eine kritische Suche nach alternativen Modellen der Kunstproduktion aus. 2015 erhielt Anatsui den Goldenen Löwen für sein Lebenswerk, 2017 den Premio Imperiale.

El Anatsui lebt und arbeitet in Nigeria.

„Wenn ich Arbeiten schaffe, ist das meiner Ansicht nach eine Metapher, die eine alternative Antwort spiegelt – eine Erforschung von Möglichkeiten und eine Erweiterung der Grenzen in der Kunst. Meine Arbeit kann Verbindungsglieder in dem sich entwickelnden Narrativ von Erinnerung und Identität darstellen. Die Verbindung zwischen Afrika, Europa und Amerika liegt eindeutig meinen Arbeiten mit Flaschenverschlüssen zugrunde. Ich habe mit vielen Materialien experimentiert. Ich arbeite auch mit Material, das viel Berührung und Verwendung durch Menschen erlebt und erfahren hat [...] und diese Arten von Material und Arbeit sind stärker aufgeladen als das Arbeiten mit Maschinen.
Kunst erwächst aus jeder spezifischen Situation und ich glaube, Künstler sollten besser mit dem arbeiten, was ihre Umgebung gerade ausspuckt.“ (El Anatsui, 2003)

Kindheit & Ausbildung

El Anatsui wurde er 1944 in Anyako, einer kleinen Stadt in Ghana, geboren.

In seiner Kindheit zog El Anatsui mit seiner Familie nach Ghana, wo er auch seine Ausbildung begann. Er besuchte das College of Art der britisch geprägten Kwame-Nkrumah University of Science and Technology in Kumasi, Zentral-Ghana, und erlangte 1969 einen Bachelor-Abschluss in Bildhauerei und ein Post-graduierten-Diplom in Kunstpädagogik. Seine Lehrtätigkeit begann 1975 an der University of Nigeria in Nsukka, wo er sich der Nsukka-Künstlergruppe anschloss.

Lehre

Bis 1975 lehrte er am Specialist Training College (heute: University of Education) in Winneba (Ghana). Im selben Jahr wechselte er an die University of Nigeria in Nsukka und lehrte dort Bildhauerei und Grundlagen des Designs. Nach seiner Pensionierung im Jahr 2011 wurde er 2014 zum Emeritus ernannt.

Werke

Als El Anatsui in den 1960er Jahren an der Kwame Nkrumah University of Science and Technology (KNUST) in Kumasi, Ghana, studierte, legten ihm die überwiegend europäischen Lehrer:innen verschiedene Skulptur-Formte nahe: vom akademischen Realismus bis zur modernen Abstraktion. Insbesondere die in den 1970ern vorherrschenden Denkrichtungen des Panafrikanismus und der Afrikanischen Persönlichkeit – in Ghana exemplarisch verkörpert durch Sankofa, ein Leitwort der Akan-Völker für „geh zurück und ernte“ – führten El Anatsui jedoch die Bedeutung afrikanischer Kunsttraditionen als Quellen seiner eigenen künstlerischen Suche vor Augen.

Holz und Ton

Die Beschäftigung mit traditioneller, angewandter und freier Kunst in Ghana half El Anatsui neue Herangehensweisen an die Skulptur zu entwickeln. Er ließ sich beispielsweise von den Webmustern und grafischen Symbolen inspirieren, die man auf Kente- und Adinkra-Stoffen findet. In seinem skulpturalen Schaffen ging es nun weniger darum, im klassischen Sinne Masse und Volumen zu bearbeiten als vielmehr um den Prozess, abstrakte Formen, Linien, Oberflächen und Farben sowie negativen und positiven Raum neu zu arrangieren - und zwar unabhängig vom jeweiligen Medium.

El Anatsui kombinierte handwerkliche Schnitz- und Brandmalereitechniken und schuf Muster auf runden Holz-Tafeln, die er bei Kunsthandwerker:innen in Auftrag gab und ursprünglich von Kumasi-Händler:innen zur Präsentation ihrer Waren verwendet wurden. Auf den Rändern dieser Art Teller kombinierte er bemalte Linien und Metallplättchen mit abstrakten, mithilfe erhitzten Eisens hergestellten Designs. In die vertiefte Mitte schnitzte er ghanaische Adinkra-Symbole oder seine eigenen, ganz besonderen Bilder, die das Thema des Werks widerspiegelten. Auf diese Weise verwandelte er die im Alltag gebrauchten Platten in prachtvolle Reliefarbeiten und reflektierte gleichzeitig über afrikanische Geschichte und menschliche Erfahrung. Damit wollte Anatsui die dynamische Beziehung zwischen der reichen Symbolik afrikanischer Sprichwörter und der grafischen Kraft der Symbolsprache Adinkra vermitteln. Die Platten waren sein erster Versuch, den skulpturalen Prozess hauptsächlich als grafische Markierung flacher oder geformter Oberflächen zu fassen.

Nach der ersten Serie ging es in seiner skulpturalen Arbeit jedoch nicht länger um strukturelle Festigkeit, Ganzheit und Stabilität. Mit der Terrakotta-Serie „Broken Pots [Zerbrochene Gefäße]“, seinen ersten Arbeiten in Nsukka, Nigeria, nahmen Anatsuis Experimente und Forschungen hinsichtlich einer Ästhetik der Fragmentierung ihren Anfang. Anatsui bearbeitete sein Material so, dass es ihm erlaubte, Zustände von Fragilität, Gebrochenheit, Fragmentierung und Wandel heraufzubeschwören. Mit dem Tongefäß als Modell konstruierte er Werke aus Einzelteilen und Fragmenten und brach, durchbohrte, teilte und destabilisierte die Formen. Die Tongefäße dienen Anatsui weniger als Behältnisse, sondern vielmehr als Ausdruck dynamischer Spannung zwischen gegensätzlichen Kräften wie Zusammenhalt und Bruch, Stabilität und Fragilität. Inspiriert von der westafrikanischen Sitte, zerbrochene Gefäße und Tonscherben als Ritualgefäße zu benutzen, und dem Einsatz von Schamott aus altem Ton zur Stabilisierung von neuem Ton, schuf Anatsui Terrakottaobjekte, die als Kommentar zu Tod und Wiedergeburt, Zerstörung und Erneuerung gelesen werden können.

El Anatsui wurde ein führendes Mitglied der berühmten Nsukka-Schule und 1985 Mitglied des „AkaCircle Ausstellender Künstler“ in Ostnigeria.

Veränderbare Fragmente

Seit den frühen 1970er Jahren erforscht El Anatsui konsequent verschiedene Materialien – darunter Ton, Holz und Metall – und unterwirft sie intensiven experimentellen Versuchsanordnungen. Die Bedeutung seines bildhauerischen Schaffens liegt in seinem unermüdlichen Engagement für die Erforschung und Erkundung der reichen künstlerischen Traditionen Afrikas, der Geschichte der Sklaverei, der Migration und des Kolonialismus sowie der Auswirkungen von Postkolonialismus, Globalisierung und Umweltveränderungen auf die heutige Welt.

Als Anatsui 1975 in Nsukka, Nigeria, ankam, begann er die Skulptur als Form neu zu definieren: Er begriff sie als malerisch und flächig – als aus fragmentierten, unbefestigten Elementen bestehend. Sie wurde ein typisches Kennzeichen seines skulpturalen Schaffens. Mit der Bezeichnung „zerbrochene Töpfe“ beziehungsweise „Holzstücke“ für eine große Werkserie aus Ton und Holz beschrieb Anatsui sowohl die objektive Beschaffenheit seines Arbeitsmaterials als auch das bildhauerische Arbeiten selbst. Es handelt sich um einen Prozess, bei dem die einzelnen Komponenten des künstlerischen Materials sortiert, verbunden, nebeneinandergestellt und zusammengefügt werden.

Holzreliefs

Während eines Künstlerstipendiums 1980 in Cummington, Massachusetts (USA), entdeckte Anatsui die Kettensäge als Werkzeug zum Holzschnitzen. In den kommenden Jahren lernte er mit der Aggressivität der Schneidemaschine umzugehen, sie zu kontrollieren und zu nutzen. Sie stellt für ihn eine Metapher für die koloniale Zerstörung indigener afrikanischer Kulturen dar.
Bald danach setzte er auch Kreissäge und Holzfräse ein. Als Material wählte der Bildhauer Holzbohlen verschiedener Tropenhölzer, in deren Oberflächen er mit Werkzeugmaschinen hineinschnitzt und die er dann mit einer Lötlampe (Azetylenbrenner) abbrennt. Anschließend reinigt und glättete er die Bretter mit einer Sandschleifmaschine; die Schnittspuren lässt er als dunkle Linien stehen. Manchmal bemalt er auch Teile der Komposition.

Später verwendete El Anatsui auch andere Werkzeuge, etwa eine Fräse sowie eine Band- und eine Lochsäge, mit der er verschiedene organische und geometrische Markierungen und Zeichen in die Tafeln schnitt. Die Holzbearbeitung wurde für ihn immer weniger ein Vorgang, der Masse und Volumen arrangiert, als vielmehr ein graphisches Setzen von Markierungen. Seine einzigartige, geschnitzte Zeichen- und Schreibmethode ist durch verschiedene afrikanische Schreibsysteme und Silbenschriften inspiriert, etwa die Schriften Nsibidi, Vai und Bamum aus Nigeria, Sierra Leone und Kamerun. Die entstandenen Arbeiten reflektieren die Beziehung zwischen Schreiben und Geschichte, zwischen Gedächtnis und Identität im postkolonialen Afrika.

Die meisten von El Anatsuis Holzskulpturen sind Reliefs, nur bei wenigen handelt es sich um Rundplastiken - darunter die Serie „Wonder Masquerade [Wundermaskerade]“ aus den frühen 1990er Jahren und das Monumentalwerk „Erosion“ von 1991.

Grandma’s Cloth Series VI [Grossmutters Stoff (Reihe) VI] (1992)

„Grandma’s Cloth Series VI [Grossmutters Stoff (Reihe) VI]“ ist eines der bekanntesten und erfolgreichsten Werke El Anatsuis aus dieser Periode. Das große Objekt besteht aus mehreren Brettern aus verschiedenen Tropenhölzern. Dadurch erklären sich die fünf verschiedenen Streifen in Ockerfarben. Auf der linken Seite brachte er mit der Kettensäge tiefe, zusätzlich ausgebrannte Schnitte an. In der Mitte schuf er mit der Lochsäge kreisförmige, zweigeteilte Markierungen, und rechts schnitzte er einen Abschnitt aus regellos angeordneten, reliefartig erhöhten Streifen, gefolgt von organisch anmutenden, mit der Holzfräse eingeschnittenen Linien. Die gesamte Komposition aus überwiegend flachen, abstrakten Markierungen, die im Kontrast zu den Holzfarben erscheinen, betont den gemäldehaften Charakter des Werkes, wobei es Zeichnung, Oberflächenmarkierung und Farbe kombiniert.

Invitation to History [Einladung in die Geschichte] (1995)

In „Einladung zur Geschichte“ schuf El Anatsui ein zusammengesetztes Kunstwerk in zwei Schichten. Über die mehrfarbig bemalte Schicht legte er eine weitere, die nur die schwarzen Schnittspuren aufwies. Die Zwischenräume zwischen den Brettern, aus denen sich die vordere Schicht zusammensetzt, geben den Betrachter:innen Teile der dahinter liegenden bunten Schicht frei. Diese Komposition ist eine Aussage über die reichen Geschichten Afrikas, die vom westlichen Kolonialismus geleugnet oder zerstört wurden. Das an einer Wand lehnende Werk nimmt unter den Anatsui-Holzbrettskulpturen eine Sonderstellung ein.

Wandbehänge (ab 2001)

El Anatsui arbeitet an großen, monumentalen Wandbehängen, die aus tausenden von aneinander gereihten, recycelten Metallstücken bestehen. Diese Werke sind oft so groß, dass sie ganze Räume ausfüllen und den Betrachter mit ihren Mustern und Farben beeindrucken. Die epischen Ausmaße seiner Metallskulpturen gehen nicht so sehr auf den Wunsch nach einer „großen Aussage“ zurück, sondern ergeben sich aus Wesen und Logik des Materials, des Mediums und der Herstellungsmethode.
Das Recyclen steht im Sinne seiner Aussage, ein Künstler solle „mit dem arbeiten, was seine Umgebung ausspuckt“. Einige seiner Werke erinnern an Kente-Tücher. Dieser Stoff wird von den Angehörigen der Akanvölker (Ashanti, Nzima, Fanti und andere) und dem Volk der Ewe im heutigen Ghana und in einigen Teile der Elfenbeinküste hergestellt und durfte früher nur von Königen getragen werden. Neben ghanaischen Motiven verwendet Anatsui auch Uli- und Nsibidi-Designs.

Seit 2001 nutzt El anatsui für seine monumentalen Skulpturen gefundene Schraubverschlüsse von Spirituosenflaschen (teilweise erkennbare Markenware). Die dünnen und kleinen Flaschenverschlüsse werden geschnitten, gerollt, verdreht, zerdrückt und dann mit Kupferdraht vernäht. So entsteht ein scheinbar grenzenloses, offenes System, das dem Künstler die Möglichkeit gibt, in einem viel größeren Maßstab zu agieren als bei seinen früheren Reliefarbeiten.

Damit markieren diese Werke einen radikalen Wandel in El Antasuis Œuvre: Dies betrifft sowohl die Größe seiner Arbeiten als auch die skulpturale Form selbst. Mit der Neuerung, Flaschenverschlüsse zu Folien oder Streifen zusammenzufügen, um sie anschließend in einer Komposition neu zu arrangieren, beginnen sich die Grenzen zwischen „Medium“ und „Material“ in seinen Arbeiten vollständig aufzulösen. Die Schraubverschlüsse von beispielsweise Spirituosen wie Rum bezeugen wirtschaftliche und politische Geschichte(n) und Verwebungen zwischen den Kontinenten Afrika, Südamerika und Europa.

Obwohl die Komposition der Module genau durchdacht ist, bleiben alle Arbeiten offene Kunstwerke. Dies zeigt sich dadurch, dass es unbegrenzte Möglichkeiten gibt, wie sie in einer Ausstellung gehängt werden können. Jede neue Hängung ergibt ein fesselndes neues Arrangement dynamischer und farblicher Bezüge, wobei manche Elemente zuweilen vor den Betrachter:innen auf dem Boden zu zerfließen scheinen.

Dusasa II (2007)

Für die Biennale von Venedig 2007 schuf El Anatsui mit „Dusasa I“ und „Dusasa II“ zwei Skulpturen, die für seine damalige Arbeit richtungweisend waren. Als er 2001 seine ersten Metallskulpturen anfertigte, verwendete er entweder Streifen von den Seitenwänden der Flaschenverschlüsse oder eben diese in Kombination mit abgerundeten Verschlusskappen, die jeweils mit Kupferdrähten vernäht wurden. Schließlich entwickelte er mehrere Nahtmuster und vergrößerte die Maße seiner Werke. Für die ca. 6 x 7 Meter große Wandskulptur „Dusasa II“ verwendete El Anatsui zwei Muster mit den Namen „Crushed [Zerdrückt]“ und „Singlet [Achselshirt]“, die er 2004 beziehungsweise 2006 entwickelt hatte. Die Kombination der gröberen Crushed-Kappen und der feineren Singlet-Stiche schafft aus nächster Nähe ein spannendes Zusammenspiel von Textur und Farbe. Aus der Ferne hingegen verschmelzen sie ineinander zu schimmernd wirbelnden abstrakten Formen. „Dusasa“ kann auf Ewe die großangelegte Verschmelzung zweier unterschiedlicher Dinge bedeuten. Dies könnte sich auf die Kombination zweier Muster in der Arbeit beziehen, aber auch auf die Verschmelzung von Kulturen, von Tradition und Moderne, die für die Erfahrung unserer heutigen Welt gleichermaßen wichtig sind.

Gli [Mauer] (2010)

El Anatsuis raumgreifende Installation Gli [Mauer] (2010) gibt dem Publikum die Möglichkeit, sich durch die Arbeit zu bewegen und auf diese Weise mit der netzartigen Installation räumlich und zeitlich zu interagieren. El Anatsui und seine Assistent:innen entwickelten dafür ein spezielles Stichmusters mit dünnen Flaschenverschlüssen. Die halbporösen Vorhänge aus Metallschlaufen definieren weniger den Raum von „Gli“, sondern dienen eher als zarte Andeutungen sich wandelnder räumlicher Möglichkeiten. Die bewusste Einbeziehung von Streifenelementen um die Wandränder erhöht die Spannung zwischen Undurchsichtigkeit und Durchsichtigkeit sowie zwischen fester und zerbrechlicher Form. Das Werk lässt sich auf verschiedene Raumgrößen anpassten und ist dem ghanaischen Dichter Atukwei Okai (1941–2018) gewidmet.

Ausgehend von den ersten fünf Paneelen von „Gli“ umfasst „Logoligi Logarithm“ 66 einzelne Einheiten. Anstatt an Mauern zu erinnern, lässt Logoligi Logarithm mit seinem üppigen und verführerischen Spiel von Licht und Material an einen Ort denken, an dem Sonnenstrahlen durch Dunst- oder Nebelschwaden brechen.
„Logoligi“ ist ein lautmalerisches Wort aus der ghanaischen Sprache Ga. Es steht für eine organische, sich schlängelnde Linie. Das Wort kann aber auch existentielle Unsicherheit und Orientierungslosigkeit bedeuten. Die Bewegung der Besucher:innen durch die labyrinthartige Installation besteht nicht nur darin, den vielen möglichen Wegen der Installation zu folgen, sie kann auch als eine Metapher für die Ungewissheit des Lebens gedeutet werden

Peak Project und Yam Mound

Nach vielen Jahren der Verwendung von Holz als wichtigstes Medium für seine Skulptur begann Anatsui mit anderen Materialien zu experimentieren, darunter verschiedene Arten von metallischen Fundstücken wie Kondensmilchdosen. In Nigeria werden solche Dosen weiterverwendet, indem der Deckel ausgeschnitten wird, um Töpfchen zum Dämpfen von Speisen oder als Messbecher zu gewinnen. Die Dosendeckel werden nicht benötigt und deshalb weggeworfen. Als Anatsui große Mengen solcher Dosendeckel fand, sammelte er sie ein und beschloss später, sie mit Kupferdrähten zu kleineren Platten zusammenzufügen.

Im Jahr 1999 schichtete er diese Platten zu einigen Dutzend Kegeln auf. Weil sie kleinen Bergen ähnelten - und in Anlehnung an die beliebte Milchmarke Peak aus Dänemark - nannte er diese Arbeit „Peak Project“. 2010 häufelte er die kleinen Platten zu einem Hügel auf und nannte sie „Yam Mound [Yams-Hügel]“, denn es sah aus wie die Erdhügel, die von Bauern in Westafrika zum Pflanzen von Yamswurzeln aufgestapelt werden.

Second Wave (2019)

Mit „Second Wave“ konzipierte Anatsui für die historische Fassade des Haus der Kunst in München seine bislang größte Arbeit. Die „Zweite Welle“ erstreckt sich über 110 Meter und besteht aus mehreren tausend Offsetdruckplatten. Diese wurden gefaltet, gepresst, geschichtet, gebogen, gewölbt und zu 22 Tafeln verschweißt und vernietet. Die ortsspezifische Arbeit ist durch ihre Hauptkomponenten mit Anatsuis früheren Metallskulpturen verbunden, denn sie besteht aus Materialien wie Schraubverschlüsse, Stahlroste und Aluminiumbedeckungen. Dem Prinzip der Anhäufung oder Aneinanderreihung einzelner Teile (Platten) folgend, entsteht eine autonome ästhetische Form an der Schnittstelle von Architektur und öffentlichem Raum. Die Installation „Second Wave“ beschwört die bekannte afrikanische Lebensweisheit, dass „kein Zustand permanent ist“.

Die Herkunft der Druckplatten, die von einer Tageszeitung in München und einem Kunstbuchverleger in Bozen stammen, spielen für das Konzept und die Bedeutung von „Second Wave“ eine zentrale Rolle. Durch die Verwendung des Materials betont Anatsui die Verbindung zwischen Ursprung, Form, Design und Thema. Dominante Querlinien verlaufen von links nach rechts und bilden beim Haupteingang eine Art Gipfel. Eine zweite, dynamischere und buntere Welle ragt rechter Hand empor. Diese zweite Welle, nach der die Installation benannt ist, steht für Anatsuis Nachdenken über die heutige Informationsflut sowie über die Geschichte und Entwicklung des Haus der Kunst von den nationalistischen Ideen, die seine Gründung geprägt haben, bis zu seiner heutigen globalen Bedeutung als Zentrum für zeitgenössische Kunst - und seinem Standort in der Nähe der berühmten Eisbachwelle.

Rising Sea [Steigender Meeresspiegel], 2019

„Rising Sea [Steigender Meeresspiegel]“ entstand ebenfalls für die Ausstellung El Anatsuis im Haus der Kunst in München. Er reagierte mit der monumentalen Größe des Werks auf die Galerie im Ostflügel des Hauses. Das Werk besteht größtenteils aus kleinen, weißen Streifen von Deckeldichtungen aus Spirituosenflaschen, die mit Kupferdrähten zusammengenäht sind. Ab etwa sechs Meter von der linken Kante entfernt und nach rechts ansteigend besteht das Werk aus blinkenden, silberfarbenen Elementen, während es nach unten hin eine Kombination aus mehrfarbigen Flächen und Mustern bildet. Der höher gelegene, sich scharf abzeichnende Horizont grenzt den silbernen Himmel von der weiten Meeresfläche ab, bildet eine sanfte, zum Boden hin wogenden Wellen und verschlingt dabei die Muster darunter fast. „Rising Sea [Steigender Meeresspiegel]“ ist Anatsuis künstlerische Reaktion auf die Umweltbedrohungen durch die Erderwärmung.

Preise und Ehrungen

  • 2018: Ehrenmitglied der American Academy of Arts and Letters
  • 2017: Praemium Imperiale
  • 2017: Ehrendoktorwürde der Kwame-Nkrumah-Universität für Naturwissenschaften und Technik
  • 2016: Ehrendoktorwürde der Harvard University
  • 2016: Ehrendoktorwürde der Universität Kapstadt
  • 2015: Goldener Löwe – Ehrenpreis für ein Lebenswerk der 56. Biennale di Venezia
  • 2014: Mitglied der American Academy of Arts and Sciences
  • 2014: Mitglied der American Academy of Design
  • 2013: Ehrenmitglied der Royal Academy of Art
  • 2013: Charles Wollaston-Preis der Royal Academy of Arts in London für sein „TSIATSIA – searching for connection“ (2013)
  • 2009: Prinz-Claus-Preis
  • 1998: Bronzepreis der Triennale von Osaka
  • 1995: Kansai-Fernsehpreis der Triennale von Osaka
  • 1990: ehrenvolle Erwähnung auf der Biennale von Venedig

El Anatsuis Werke befinden sich in den Sammlungen des Asele-Instituts in Nimo (Nigeria), des British Museum London, des Smithsonian National Museum of African Art in Washington DC, des Museum of Modern Art New York, des Centre Pompidou in Paris, des Museums Kunstpalast Düsseldorf, des Setagaya-Museums in Tokio, der Nationalgalerie für Moderne Kunst in Lagos, des Metropolitan Museum of Art in New York und in vielen anderen großen öffentlichen Sammlungen.

Beiträge zu El Anatsui

13. Dezember 2023

Wien | MAK: Textil und Keramik in der zeitgenössischen Kunst Hard/Soft | 2023/24

Arbeiten von rund 40 österreichischen und internationalen Künstler:innen, die in ihrer künstlerischen Praxis auf handwerkliche Techniken wie Sticken, Knüpfen und Weben oder Formen, Kneten und Brennen zurückgreifen.
10. Oktober 2023
El Anatsui Behind the Red Moon, Installationsansicht Tate Modern, © Tate (Joe Humphrys)

London | Tate Modern: El Anatsui Installation des Ghanaischen Künstlers in der Turbinenhalle | 2023/24

El Anatsui: Behind the Red Moon ist der Titel der gigantischen, dreiteiligen Installation in der Turbinenhalle der Tate Modern: The Red Moon, The World und The Wall regen zum Nachdenken über Welt- und Sklavenhandel, Mensch und Natur an.
12. Oktober 2018
El Anatsui, Flag for a New World Power, Detail, 2004, Aluminum und Kupferdraht, 500 x 450 cm (Privatsammlung, Paris, Photo Courtesy: October Gallery, London)

El Anatsui. Triumphale Größe Haus der Kunst zeigt 2019 ghanaischen Bildhauer von Weltrang

Der ghanaische Bildhauer El Anatsui (* 1944 in Anyako) ist vielleicht der bekannteste lebende afrikanische Künstler. Die Ausstellung im Haus der Kunst, München (2019) – seine bislang größte und komplexeste überhaupt – wird Themen und künstlerische Anliegen aus seiner facettenreichen, inzwischen fünfzig Jahre umfassenden Karriere abdecken.
9. Mai 2017
Anish Kapoor, White Dark VIII, 2000, Fiberglas und Farbe, 160 x 160 x 64 cm (Privatbesitz), Foto: Anna-Maria Matzner, ARTinWORDS.

Intuition im Palazzo Fortuny Kuratiert von Axel Vervoordt und Daniela Ferretti | 2017

Intuition in der Kunst – über Kulturen, Zeiten und Regionen hinweg. Axel Vervoordt stellt einmal mehr für den Palazzo Fortuny eine atmosphärische Schau über das Unbewusste in der Kunst zusammen.
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Okwui Enwezor

56. Biennale von Venedig All the World’s Future: Künstler & Künstlerinnen Liste und wichtige Werke | 2015

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