Was macht Claude Monet zu einem Jahrhundertkünstler? Warum spielen die Orte, in denen er lebte, solch wichtige Rollen für sein Werk? Wie kann sein Verhältnis zur Natur bestimmt werden? Diese Fragen und noch viele mehr stellen wir Heinz Widauer, Kurator der großen Monet-Ausstellung in der Albertina (→ Claude Monet. Impression und Empfindung).
Das Gespräch für ARTinWORDS führte Alexandra Matzner.
ARTinWORDS: Ausstellung der Albertina und Katalog sind mit „Claude Monet. Die Welt im Fluss“ betitelt. Einerseits ist das sehr poetisch und verweist auf Monets Liebe zur japanischen Kunst, andererseits deutet es mit dem Verweis auf die Seine ein Hauptthema von Claude Monet an. Worum geht es in der Ausstellung?
Heinz Widauer: Um Landschaftsbilder, um die Freilichtmalerei und darum, wie sich Monets Malweise immer wieder veränderte. Der Titel „Die Welt im Fluss“ ist einerseits ein Leitmotiv, mit dem wir die Ausstellung chronologisch gliedern: Paris, Argenteuil, Vétheuil und Giverny waren die wichtigsten Lebensorte Monets am Fluss – an der Seine – anhand deren wir die Entwicklung von Monets Landschaftsmalerei von den Anfängen bis zu seinem Tod skizzieren. Anderseits ist die „Welt im Fluss“ Metapher für gewisse Aspekte in Monets Schaffen: Der Titel steht für die Veränderlichkeit in der Natur und für ihre Wandlungsfähigkeit, dem Monets Pinsel mit oft skizzenhafter Geschwindigkeit folgen musste, um einen gewünschten Eindruck festzuhalten. Mitunter nimmt er ja mehrere Leinwände ins Freie mit, um auf Veränderungen blitzschnell mit einer neuen Leinwand reagieren zu können. Die Natur lag Monet ja nicht passiv zu Füssen, wie zuvor den Malern der Schule von Barbizon, oder wie ein Ateliergegenstand den Salonmalern, sondern sie griff durch ihre wetter- bzw. atmosphärisch bedingten Veränderungen aktiv auf Monets Malweise ein. Zudem spricht der Titel auch das Ineinanderfließen von Wasser, Dunst, Nebel, Eis und Schnee und die sich mit dem Licht verändernden Farben an. Schließlich steht er auch für die „fließende Welt“ des japanischen Farbholzschnitts, der Monet beeinflusst hat und den er leidenschaftlich gesammelt hat.
ARTinWORDS: Leben und Werk von Claude Monet entwickeln sich dem Fluss, der Seine, entlang. In einigen Jahren wandte er sich auch dem Meer und verschiedenen Küstenabschnitten zu. Welche Phasen und Orte sind für Ihre Ausstellung besonders wichtig?
Heinz Widauer: Monets Anfänge erfolgten zwar in La Havre und seiner Umgebung; die Ausstellung beginnt aber mit Paris, seinem ersten richtigen Wirkungsort. Während der Phase in Argenteuil, – den Ort, den wir auch als „Die Wiege des Impressionismus“ bezeichnen –, gab es die Erste Impressionisten-Ausstellung 1874 In Vétheuil erlebte Monets Malerei eine Wende, denn er durchlebte Krisenjahre. Schließlich verbrachte er vierzig Jahre und somit die zweite Hälfte seines Lebens in Giverny.
ARTinWORDS: Wie kommt die Albertina dazu, eine Claude Monet Ausstellung zu machen? Er ist kein berühmter Grafiker.
Heinz Widauer: Nein, aber wir haben nicht nur eine grafische Sammlung, sondern auch die Batliner-Stiftung im Haus. Seitdem wir die Batliner-Sammlung zeigen, machen wir immer wieder Ausstellungen zur Klassischen Moderne. Es befinden sich drei Gemälde von Claude Monet in der Batliner-Sammlung. Das Musée Marmottan Monet Paris hat zudem Interesse bekundet, einen Teil seiner Sammlung in der Albertina zu zeigen. Das Museum in Paris gibt es seit den 1930er Jahren, die Monet-Sammlung ist dort hingegen noch nicht so lange ausgestellt. Sie ist erst seit den 1980er Jahren öffentlich zugänglich. In der Öffentlichkeit ist das ganz späte Werk von Monet auch nicht so gut bekannt. Die Albertina erschien dem Musée Marmottan die geeignete Plattform, um den späten Monet zu zeigen.
ARTinWORDS: Monet ist in dem Fall also auch eine Marketing-Strategie von Seiten des Pariser Museums?
Heinz Widauer: Uns macht es sehr stolz, dass wir nach über zwanzig Jahren wieder eine Monet Ausstellung in Österreich machen können.
ARTinWORDS: Sie haben über vierzig Gemälde vom Musée Marmottan Monet Paris und die drei eigenen Gemälde – das gibt in Summe dreiundvierzig Gemälde. Kann man damit schon eine ganze Ausstellung bestücken? Wie viel kommt noch zusätzlich dazu?
Heinz Widauer: Damit haben Sie erst etwas mehr als ein Drittel der ausgestellten Werke genannt. Dazu kommen noch Leihgaben aus Boston, – das ist der zweitgrößte Leihgeber –, aus dem Puschkin-Museum, aus Frankreich, aus London, der Schweiz, USA, Deutschland – wir haben wirklich aus vielen Ländern und großen Monet-Sammlungen Werke erhalten – sogar aus Tokio.
ARTinWORDS: Als die Ausstellung vor einem Jahr angekündigt worden ist, haben Sie noch mit dem Titel „Empfindung und Impression“ gearbeitet. Das sind zwei essentielle Begriffe, um das Werk von Monet zu beschreiben. Könnten Sie das vertiefen?
Heinz Widauer: Unter Impression versteht man den Niederschlag eines ersten visuellen Reizes auf der Netzhaut. In der französischen Sprache bezeichnet impression aber nicht nur das, sondern auch den ersten noch skizzenhaften Entwurf eines Motivs auf der Leinwand. Eine Impression ist eine Ölskizze. Ihr liegt Spontanität, Flüchtigkeit und Unmittelbarkeit zugrunde. Später, sagen wir so ab den 1890er Jahren, rückt bei Monet das Spontane in den Hintergrund. Je länger Monet beispielsweise einen Heuhaufen bei stimmten Lichtbedingungen ansieht, umso mehr Farbnuancen haben sich ihm erschlossen, umso mehr Einzelheiten sieht er, umso öfter geht er mit einer weiteren Malschicht über ein schon gemaltes Motiv darüber, bis ihm seine Empfindsamkeit sagt, dass er das Motiv erschöpfend erfasst hat.
ARTinWORDS: Bereitet Claude Monet mit der Betonung der Subjektivität auch spätere Ismen wie den Expressionismus bzw. die Abstrakte Kunst vor?
Heinz Widauer: Man könnte das meinen, ich wäre aber damit vorsichtig. So wenig wie Wassily Kandinsky oder Kasimir Malewitsch Monet als den Wegbereiter der Abstraktion vereinnahmen können, obwohl sie vor seinem Werk angeblich einschlägige Erweckungserlebnisse hatten, so wenig hat Monet mit dem Expressionismus etwas zu tun. Zweifellos hat Monet den Fauvismus und den Expressionismus gekannt, aber sein radikales Spätwerk, das er nach dem Ersten Weltkrieg malte, mag eher der Auseinandersetzung mit seinem Augenleiden – dem Grauen Star – geschuldet gewesen sein, als der Auseinandersetzung mit diesen Strömungen. Es scheint mir eher so, dass Monet aus seinem Handicap eine Tugend machen wollte, und dass er experimentell vorgegangen ist, so als wollte er sehen, was möglich wäre, wenn man ohne „richtig“ sehen zu können, aus der Erinnerung oder nur anhand der Farbbezeichnungen auf den Tuben malt. Monet war am Ende seines Lebens sehr reich; er konnte es sich leisten, ohne Rücksichtnahme auf finanzielle Überlegungen zu malen. Seine Bilder zeigte er zudem ohnehin niemandem. Dass Monet den genannten Kunstrichtungen den Weg geebnet haben könnte, erklärt man sich vielleicht mit der Wiederentdeckung seines Werkes in den 1950er Jahren in den USA, als er von Künstlern des abstrakten Expressionismus der Generation der 1950er und 1960er Jahre entdeckt wurde. Joan Mitchel ließ sich beispielsweise in Vétheuil, wenige Kilometer von Giverny nieder.
ARTinWORDS: Claude Monet schuf in den 1860er Jahren noch große Figurenbilder durchaus mit traditioneller Ikonografie und wechselte dann aber sehr bald zur Landschaftsmalerei. Wenig später folgte die Auseinandersetzung zwischen Edgar Degas und Monet und den beiden Gruppen innerhalb des impressionistischen Zirkels, der sich zunehmend in Figuren- und Landschaftsmaler aufspaltete. Was, glauben Sie, faszinierte Monet an der Landschaft so?
Heinz Widauer: Ich glaube, dass ihn der Zufall zur Landschaft geführt hat und dass er Umstände vorgefunden hat, die das Malen im Freien begünstigt haben. Er lernte den Marine- und Landschaftsmaler Eugène Boudin kennen, der ihn in die Landschaftsmalerei einführte und zudem ein Geschäft für Künstlerbedarf führte, wo man u.a. Tubenfarben, vorgefertigte Leinwände und spezielle Staffeleien und Malkästen für die Freilichtmalerei erwerben konnte. Freilichtmaler, u. a. solche der Schule von Barbizon, kauften bei Boudin ein. In Paris haben diese Maler mit ihrer Freilichtmalerei die akademische Historienmalerei in der herrschenden Gattungshierarchie vom Thron gestoßen.
ARTinWORDS: Bei den Figurenbildern tat sich Claude Monet bekanntermaßen in der Beendigung schwer. Auf der anderen Seite gibt es aber phänomenale Einzeldarstellungen von modisch gekleideten Frauen, mal in der Landschaft und mal im Interieur stehend oder gehend. Ich stelle mir Claude Monet als Zweifler während des Malprozesses vor, der durchaus Probleme hatte, Bilder zu vollenden und abzugeben.
Heinz Widauer: Obwohl man sich fragt, ob er das dann vorschiebt – indem er sagt, dass die nicht fertig aussehenden Gemälde besser aussehen, weil er nicht fertig wurde, oder ob er das wirklich so meint. Monet ging bei Ausstellungen u.a. zielgerichtet vor – je nachdem, welche Ausstellung er beschickte, den Salon oder eine Impressionisten-Ausstellung – Monet hatte immer den Adressaten im Auge. Für den Salon und ein konventionelles Publikum hat er weiter ausgeführte und große Leinwandbilder gemalt, bei die ersten Impressionisten-Ausstellung zeigte er bewusst Bilder, die an den Sammler von Avantgardemalerei gerichtet waren; sie rücken das Prozesshafte in der Malerei in den Vordergrund. Für Monet war das Bild im vermeintlich Skizzenhaften fertig. Damit handelt er sich manchmal den Ärger des Galeristen ein, der von ihm forderte, die Bilder gefälliger, d. h. ausgeführter, zu malen.
ARTinWORDS: Seiner Ansicht nach ruinierte er ein Bild eher beim „Vollenden“?
Heinz Widauer: Könnte man meinen. „Vollendet“ bedeutete für ihn zweifellos etwas anderes, als für den Käufer. Monet malte oft mehrere Fassungen, vor allem am Anfang seiner künstlerischen Betätigung. Das ist nicht zu verwechseln mit den späteren Serien! Claude Monet malte eine Fassung in der Natur und eine im Atelier. Die eine ist mehr oder anders ausgeführt als die andere. Es war offenbar von Mal zu Mal verschieden, wann er ein Bild als gelungen oder als fertig ansah.
ARTinWORDS: Es gibt diese Idee einer skizzierenden, offenen Malerei und einer traditionell ausgeführten Malerei, die mehr dem Salongeschmack entsprach, schon bei Charles-François Daubigny, den Monet sehr verehrt hat. Vieles, wofür Monet zumindest am Beginn seiner Karriere steht, hat er nicht erfunden, aber die Art und Weise, wie er es zusammenbringt, führt es auf eine ganz neue Ebene. Was macht die Qualität von einem Monet-Gemälde in den frühen 1870ern für Sie aus? Was ist das Neue daran?
Heinz Widauer: Als Freilichtmaler und in der Art und Weise, wie er dem Licht seine Aufmerksamkeit schenkt, nimmt Daubigny den Impressionismus vorweg. Er nähert sich dem Motiv aber wie ein Akademiemaler; er ist noch einer akademisch-klassischen Kompositionstradition verpflichtet, die mit einem Bildaufbau einhergeht, der sich auf die Mitte des Bildes konzentriert. Daubignys Pinselstriche sind zudem sorgfältig nebeneinandergesetzt und gegenstandsgebunden. Daubigny gilt daher mehr als Wegbereiter, denn als Mitbegründer des Impressionismus. Monets Pinselführung löst sich vom Gegenstand; seine Bilder sind ausschnitthaft und in ihrer Ausschnitthaftigkeit oft sehr radikal. Schräge Bildausschnitte, Raumsprünge und eine Skizzenhaftigkeit, die fast genauso stark die Aufmerksamkeit auf sich zieht wie das Motiv, gehen weit über Daubigny hinaus.
ARTinWORDS: Inwiefern spielt hierfür die Fotografie eine Rolle? Das wird immer wieder diskutiert.
Heinz Widauer: Impressionisten haben sich nie direkt über die Fotografie geäußert. Das Medium war ihnen natürlich bekannt. Aber sie eiferten ihm nicht nach, sondern wollten besser sein als die Fotografie. Die Panoramafotografien von Nadar oder Fotografien des Charles Marville, die das durch die Hausmannsche Stadterneuerung zu schleifende Paris fotografisch dokumentierten, bevor die mittelalterliche Bausubstanz dem Abriss zum Opfer gefallen ist, mögen Monet zwar inspiriert aber zu eigenständigen Lösungen animiert haben.
ARTinWORDS: Es geht den Impressionisten rund um Monet also um ein Übertrumpfen der Fotografie?
Heinz Widauer: Genau. Die Farbfotografie war damals noch in den Anfängen und wurde noch nicht kommerziell genutzt. Die Aufnahmen waren eher lichtarm. Umso mehr Licht gaben die Künstler ihren impressionistischen Gemälden.
ARTinWORDS: Dazu kommt auch noch die Ausschnitthaftigkeit, die auch immer mit japanischer Kunst zusammen gesehen wird. Hier hakt auch der Ausstellungstitel ein, „Die Welt im Fluss“. Claude Monet war ein begeisterter Sammler und hat sich in Giverny ganze Räume mit japanischen Farbholzschnitten austapezieren lassen.
Heinz Widauer: Ich glaube, er als zweihundert Stück besessen. Die Blätter sind sehr schwierig auszustellen, weil sie lichtempfindlich sind. Ein Gemälde mit einem Farbholzschnitt zu kombinieren, ist schwierig, weil Papierarbeiten und Gemälde nebeneinander ausgestellt, unterschiedliche Lichtwerte erfordern würde, denen sie ausgesetzt sein dürfen. An ein- und derselben Wand wäre das technisch nicht machbar. Zudem wäre so etwas sehr didaktisch – das möchten wir nicht. Eine Ausstellung soll in erster Linie erfreuen; inhaltliche Informationen bekommt man mit den in den Galerieräumen locker verstreuten Wandtexten.
ARTinWORDS: Monet war selbst kein Druckgrafiker aber ein Pastellzeichner. Gibt es Pastelle in der Ausstellung zu sehen?
Heinz Widauer: Nein, gibt es nicht, aus ähnlichen Gründen, wie ich es für die japanischen Holzschnitte erwähnt habe. Monet-Pastelle Ausstellen ist aus Gründen des Lichts sehr schwierig und wäre nur in einer Spezial-Ausstellung möglich, wie es vor ca. 10 Jahren in den USA der Fall war. Aufgrund ihrer Lichtempfindlichkeit werden Pastelle nicht gerne verliehen. Zuletzt war dies eben in der wunderschönen und sehr gut aufbereiteten Schau „The Unknown Monet“ 2007 im Sterling and Francine Clark Institute in Williamstown in Massachusetts der Fall.
ARTinWORDS: Argenteuil war der Geburtsort bzw. die Wiege des Impressionismus und ist ein wichtiges Kapitel der Monet-Ausstellung.
Heinz Widauer: Wenn wir den Geburtsort des Impressionismus definieren wollten, müssten wir fast sagen, dass es Le Havre in der Normandie ist. Monets ikonisches Bild „Impression – Sonnenaufgang“ ist im Hafen von Le Havre entstanden. Der Titel „Impression“ ist nur zufällig namensgebend geworden, weil Monet im Katalog schreiben musste, was das Bild zeigt. Da er schlecht schreiben konnte „Hafen von Le Havre“ – von dem man eigentlich nicht viel sieht, außer Wasser und ein paar Docks im Hintergrund, dafür aber die glühende auf dem Wasser reflektierende Sonne – hat er es „Impression. Soleil levant“ bezeichnet. Das wurde von einem Kritiker aufgegriffen, der seine Ausstellungsrezension dann „Exposition des Impressionnistes“ – also, wenn wir polemisch sein wollen, „Ausstellung von Malern unfertiger Bilder“ – genannt hat.
ARTinWORDS: Warum steht die „Wiege des Impressionismus“ in Argenteuil?
Heinz Widauer: „Impression. soleil levant“ ist 1873 gemalt worden. Die erste Impressionisten-Ausstellung fand 1874 statt. Monet wohnte seit 1871 in Argenteuil.
ARTinWORDS: Dieser ungemein produktiven Phase ging der Deutsch-Französische Krieg mit Aufenthalten in London und Holland voraus. Monet übersiedelte 1871 nach Argenteuil. Wie entwickelte er sich zum Impressionisten?
Heinz Widauer: Der Impressionismus kündigt sich bereits 1869 an – bevor Monet nach London ging. Im berühmten Bild „Der Froschteich“, auf Französisch „La Grenouillère“, zeigt sich die veränderte Haltung Monets gegenüber der Freilichtmalerei der Schule von Barbizon. Kurze, lebendige Striche, die auf den Wellen der Wasseroberfläche tanzen und je nach Lichteinfall unterschiedliche Farbtöne haben, dazu die Darstellung der Gegenwart – das unbeschwerte Treiben und der Müßiggang einer Pariser Freizeitgesellschaft – also eigentlich urbane Motive – zeigen ihn an einem Wendepunkt um 1870. Einerseits ist er noch einer 500-jährigen Geschichte der Nachahmung von Wirklichkeit verpflichtet, andererseits weisen die Verselbstständigung von Strich, Farbe und Licht darauf hin, das bildimmanente Kriterien zunehmend Bedeutung erlangen. Das Gemälde „Der Froschteich“ ist im Zweiten Weltkrieg zerstört worden und nur durch Skizzen überliefert. In der Albertina zeigen wir ein vergleichbares Bild, „Der Landesteg“ aus Privatbesitz. Es wird mit 1871 datiert und könnte eine Szene in Holland darstellen, genauso gut aber kurz vor Monets Exil in London entstanden sein.
ARTinWORDS: Diese Phase der Jahre 1869/70, in denen Monet zum Beispiel auch seine frisch angetraute Frau Camille in Strandbildern zeigt, ist der Weg zu etwas vollkommen Neuem. In der ersten Phase des Impressionismus, in Argenteuil, scheint sich alles prächtig zu entwickeln. Dann kommt es zur großen Krise finanzieller Natur Ende der 1870er Jahre, und Monet übersiedelt nach Vétheuil. Was verändert sich in Monets Werk?
Heinz Widauer: Vétheuil veränderte Monets Motivik. Aus finanziellen Gründen, quasi auf der Flucht vor seinen Gläubigern, zieht er sich in das entlegene Vétheuil zurück; seine Frau Camille ist mit dem zweiten Sohn Michel schwanger und erkrankt schwer. Sie stirbt 1879. Zudem hat auch sein ehemaliger Förderer und enger Freund Ernest Hoschedé, ein Kaufhausmagnat, Konkurs angemeldet und ist vor seinen Gläubigern für einige Zeit nach Belgien geflohen. Er und seine Frau Alice haben ihr ganzes Vermögen verloren. Claude Monet nimmt Alice und ihre sechs Kinder bei sich auf, was ihm eine zusätzliche Belastung ist.
ARTinWORDS: Wie wirkt sich diese persönlich-finanzielle Notlage auf Monets Kunst aus?
Heinz Widauer: In Vétheuil sucht Monet einen Neuanfang; eine neue Motivik – die Unberührtheit des entlegenen Ortes, das Ursprüngliche, die altehrwürdige aus dem Spätmittelalter stammende Kirche. Er wendet sich von der urbanen Kultur in Paris und Argenteuil ab und lässt ihn einen Neuanfang im Einfachen suchen und finden. Er besucht Orte in der Umgebung, wo schon Maler der Schule von Barbizon ihre Motive gefunden haben. Er nimmt zunehmend das mächtige Wirken der Natur wahr, mit dem Höhepunkt dramatischer Wetterbedingungen um 1879/80, als eine kleine Eiszeit den Norden Frankreichs und die Seine in eine Eislandschaft verwandelt, die sich beim darauffolgenden plötzlichen Temperaturanstieg mit lautem Getöse in einen Eisgang verkehrt. Mit den zehn oder zwölf Bildern vom Eisgang auf der Seine beginnt Monet in den 1880er Jahren das Arbeiten in Serie. Zuerst noch ohne wirkliches Konzept: Auf seinen Reisen nach Étretat in den 1880er Jahren nähert er sich dem Motiv aus unterschiedlicher Distanz und gibt es noch keine sie zusammensehende Vision. Für Monet ist der Unterschied zwischen einem Baumstumpf am Morgen und demselben am Nachmittag größer als der zwischen einem Mann und einer Frau, die von der selben Sonne beschienen werden, meinte der deutsche Kunsthistoriker Julius Meier-Graefe einmal. Damit hat er Monets Serienkonzept auf den Punkt gebracht. Erst um die Wende der 1880er/90er Jahre geht er dazu über, ein Motiv in seinem Wesenhaften zu erfassen, indem er es stets aufs Neue – etwa die Heuhaufen – vom selben Standpunkt aus malt.
ARTinWORDS: Musste er zu den Heuhaufen, besser den Getreideschobern, nicht immer zur selben Zeit zurückkehren, damit der Schatten passt?
Heinz Widauer: Genau. Das war immer am Spätnachmittag, als er dann auch am besten gegen das Licht der Sonne malen konnte. Und dann ging er ins Atelier und legte die Bilder nebeneinander, überarbeitete sie und stimmte sie auf einander ab. Dann erst fand er eine Einheit.
ARTinWORDS: Als ob alle Getreideschober gemeinsam der eine Getreideschober wäre?
Heinz Widauer: Genau. Er wusste ja selbst, dass das nicht zu erreichen war.
ARTinWORDS: Das Wissen um die Unmöglichkeit dieses Projekts hat sich bis zur Präsentation dieser Bilder am Kunstmarkt durchgezogen. Claude Monet stellte zwar seine Serien gemeinsam aus, aber er verkauft die Bilder einzeln. Es ist spannend zu beobachten, dass der finanzielle Erfolg Monets mit den frühen 1890ern, mit Motiven, die relativ unspektakulär sind, beginnt.
Heinz Widauer: Aber sie waren einer Darstellungstradition verpflichtet. Das Leben am Land, die Landwirtschaft, der Sämann, die Ernte oder der Getreideschober sind Motive, die die Generation vor Monet – die Realisten Millet, Daubigny, Corot – zu einer gewissen Popularität geführt hat. Man denke nur an Werke von Millet. Vincent van Gogh nimmt sich etwa zur selben Zeit wie Monet des Sujets an. Sie sind Metaphern für das ursprüngliche und unverdorbene Leben in Frankreich, das man dem urbanen Leben gegenüberstellt.
ARTinWORDS: Aber damit wäre dieser Zugang Monets in den späten 1880ern der absolute Gegensatz zu den Jahren in Argenteuil, wo es ihm um Tourismus und Industrialisierung ging. So pittoresk die Bilder auch sein mögen, sie enthalten Monets Beobachtungen zur Modernisierung des Arbeitslebens.
ARTinWORDS: 1879 starb die erste Ehefrau von Monet, und er erlebte eine persönliche und auch künstlerische Krise. Danach folgen das Anmieten eines Hauses in Giverny, die Gründung einer neuen Patchwork-Familie gemeinsam mit der Ehefrau eines ehemaligen wichtigen Sammlers und der Wandel zum Reisekünstler der 1880er Jahre. Monet war knapp über 40 Jahre alt und scheint voller Tatendrang zu sein. Welche Bedeutung hatte das nun einsetzende Reise für sein Leben und seine Entwicklung?
Heinz Widauer: In den 1880ern reist er vielleicht deshalb so viel, weil Alice Hoschedé sich noch nicht völlig von ihrem Mann trennen konnte. Das Paar konnte erst nach dem Tod von Alice’s Ehemann 1892 heiraten.
ARTinWORDS: Gingen die Reisen nicht auch mit einem gewissen Wunsch seines Galeristen konform, neue spannende Motive und andere Farben in seinen Werken zu verarbeiten?
Heinz Widauer: Vor allem, wenn Monet dem Wunsch Paul Durand-Ruels folgt, im Süden zu malen! Das hat ihm die Künstlerkollegenschaft übelgenommen, weil sie dachte, dass Monet mitunter zu sehr auf den Markt geschielt hätte. Es kann wirklich sein, dass ihn Durand-Ruel nahegelegt hat, den Süden und das südliche Licht zu malen, weil er erhofft hatte, dass sich die Bilder dann besser verkaufen. Durand-Ruel hat in den USA viele Käufer und Sammler gefunden.
ARTinWORDS: Die Bretagne war den amerikanischen Sammlern zu wild und zu rau?
Heinz Widauer: Vielleicht. Und die französische Mittelmeerküste begann unter den Touristen zu boomen. Man kann aber auch annehmen, dass Claude Monet sich nicht nur den Wünschen seines Galeristen gebeugt hat. Ich denke, dass das südliche Licht allgemein für Künstler anziehend war. Paul Cézanne lebte schon im Midi; 1886 ging auch Van Gogh nach Arles, weil er dort das japanische Licht suchte. Der Süden Frankreichs war ein Sehnsuchtsort. Dazu kommt, dass sich der Impressionismus um die Mitte der 1880er Jahre in einer Krise befand. Viele von Monets Weggefährten suchten nach Alternativen. Seurats und Signacs Neoimpressionismus hat das Gebäude des Impressionismus ordentlich ins Wanken gebracht. Monet geht mit Pierre-Auguste Renoir nach Italien; Renoir versucht in Italien auf den Spuren Raffaels sein Glück; Monet hingegen versucht andere Landstriche dem Impressionismus dienstbar zu machen: Pittoreske Motive, wie sie Monet an der südfranzösischen Küste malt, sind den Kollegen zu geschmäcklerisch; Monet hat in Bordighera, den Garten der Villa Moreno gesehen, der ihn wahrscheinlich motiviert hat, selbst einen Garten in Giverny anzulegen. Aber Monet konnte auch anders, indem er fast unschöne Motive, wie an der Küste der Bretagne oder im Zentralmassiv die Creuse malt.
ARTinWORDS: Die Natur ist im Garten immer im Fluss. Claude Monet scheint sich sehr genau überlegt zu haben, was er wo pflanzen möchte, um zu gewünschten Farbeffekten zu kommen?
Heinz Widauer: Ja. Er mag einen Blühkalender gehabt haben und er hatte bis zu sechs Gärtner, die sich um seinen Garten kümmerten. Monet wusste sehr genau, welche Pflanzen, wann und in welchen Farben blühen.
ARTinWORDS: Als Stillleben-Maler von Blumen ist er allerdings nicht ganz so überzeugend, finde ich. Vor allem wenn man seine Stillleben mit jenen von Edouard Manet vergleicht.
Heinz Widauer: Für Claude Monet ist die Natur etwas Lebendiges. Sie geht aktiv auf den Maler zu. Ein Stillleben ist etwas Totes, das sich nicht mehr verändert. Zumindest nicht von einem Augenblick zum anderen. Es ist etwas Passives, das ihn vielleicht nicht interessiert hat.
ARTinWORDS: Gleichzeitig malt er nie den Garten als eine Art von Panorama.
Heinz Widauer: Nein, aber Ausschnitte. Und man steht immer mittendrin. Er hatte aber die Vision von einem Panorama, die er sich in gewisser Weise in der Orangerie erfüllt ließ. Man steht dort in der Mitte und ist von Monets Gartenmotiven umgeben. Monets ursprünglicher Plan war es, die Wandbilder in einem kreisrunden Pavillon im Hôtel Biron – dem heutigen Rodin Museum – zu errichten. Der Plan wurde schließlich zugunsten der Orangerie fallengelassen.
ARTinWORDS: Die revolutionärsten Bilder Monets entstanden ab 1900 mit Motiven aus seinem Garten, wo er sich zu einem der Väter der abstrakten Kunst aufschwingt.
Heinz Widauer: Die wirklich radikal anders aussehenden Bilder entstanden ein wenig später, nach 1914. 1909 stellte Monet noch seine Seerosen-Bilder bei Durand-Ruel aus. Sie sind, vergleichen mit dem, was später entsteht, noch sehr haptisch und konkret. Ab 1918/19 wird es nur noch abstrakt. Er war zu dieser Zeit Millionär, er musste nicht mehr verkaufen, und der Verkauf hat ihn wahrscheinlich gar nicht mehr interessiert. Monet war aber auch zunehmend isoliert und einsam. In dieser Phase kümmert er sich nicht mehr darum, was der Markt oder die Öffentlichkeit sagen, weil er die Bilder ohnehin nicht ausstellte. Was in Giverny entstanden ist, hat man bis nach seinem Tod kaum gekannt. Sein Sohn Michel Monet hat aus dem Erbe noch verkauft, aber es ist immer noch ein Großteil im Nachlass geblieben. Heute befindet sich dieser im Musée Marmottan Monet in Paris – und bald sind einige Werke daraus in der Albertina zu sehen.
ARTinWORDS: Ich frage mich immer wieder, inwieweit der Erste Weltkrieg in seinem Werk Einzug gehalten hat?
Heinz Widauer: Es gibt die Auffassung, dass bei der Gemäldeserie mit Trauerweiden Melancholie mitschwingt. Oder wenn Claude Monet die Japanische Brücke oder die Rosenallee wählte, dass er sich damit eine gewisse Geborgenheit hineinversetzt hat. Aufgrund seines Augenleidens fühlte er sich außerhalb der Mauern seines Anwesens unsicher. Der Weltkrieg spielt als Motiv in seiner Malerei keine Rolle. Es sind eher seine persönlichen Schicksalsschläge, die man vermeint, in seinem Spätwerk spüren zu können. 1911 starb Alice und 1914 einer seiner Söhne. Er verlor Künstlerkollegen wie Alfred Sisley, Paul Cézanne, Auguste Rodin, Edgar Degas und 1919 auch Pierre-Auguste Renoir. Seine Stieftochter Blanche zog nach dem Tod ihres Ehemannes zu ihm nach Giverny und kümmerte sich um ihn. Aber er dürfte am Schluss ziemlich einsam gewesen sein.
ARTinWORDS: Claude Monet arbeitete in den 1920ern in völliger Freiheit in einem riesigen Atelier, das er während des Kriegs hat errichten lassen. Darin entstanden in jahrelanger Arbeit die „Grandes Decorations“, die er dem französischen Staat schenkte. Wie passen diese monumentalen Bilder und die expressiven, fast abstrakten Kompositionen zusammen?
Heinz Widauer: Die „Grandes Decorations“ sind zwischen vier und sechs Metern lang und etwa zwei Meter hoch. Die Werke aus dem Nachlass im Musée Marmottan sind vorbereitende, nicht weiterverfolgte und begleitende Arbeiten. Mitunter suchte er einen Ausgleich, wenn es ihm im Atelier zu heiß war, dann ging er raus und widmete sich der Rosenallee oder der Japanischen Brücke. Vielleicht waren sie eine Art Fingerübung, die er „außer Programm“ malt
ARTinWORDS: Dafür sind die „Grandes Decorations“ im Vergleich zu den „Fingerübungen“ relativ konkret.
Heinz Widauer: Die „Grandes Decorations“ mögen ursprünglich auch so abstrakt gewesen sein, nur hat sie Monet dann überarbeitet, vor allem nach seiner dritten Augenoperation 1922. Für ihn selbst mögen die expressiven und sehr skizzenhaften und nahezu abstrakten Arbeiten „vollendet“ gewesen sein. Werke, mit denen er nicht zufrieden war, hat er vernichtet. Dass sie im Nachlass geblieben sind, beweist, dass er sie geschätzt hat.
ARTinWORDS: Da ist wieder die fließende Geschichte. Es hat fast etwas Kalligrafisches. In einem Strich ist die ganze Qualität, die Lebenserfahrung des Meisters enthalten. Es braucht kein ausformuliertes Werk.
Heinz Widauer: Ich glaube, dass er dem Skizzenhaften den Vorzug gegeben hat. Den Überarbeitungen mag er nicht so ganz willig nachgekommen sein.
ARTinWORDS: Der späte Monet ist in den letzten Jahren im Kontext der nachfolgenden Generationen wiederentdeckt worden. Wie kam es dazu?
Heinz Widauer: Gleich nach der Eröffnung der Orangerie 1927 hat man Monets Bilder nicht so geschätzt. In den 1950er Jahren sind die „Grandes Decorations“ restauriert worden, und man hat sie wiederentdeckt. Gleichzeitig ging man daran, Monets Anwesen, das nach dem Tod und vor allem im und nach dem zweiten Weltkrieg verwahrloste und sich selbst überlassen blieb, wieder herzurichten und zu sanieren. Die Mittel dafür brachte man mit Verkäufen aus seinem Nachlass auf. Museen, darunter das MOMA in New York erwarben Werke Monets aus dem Nachlass und die Wiederentdeckung nahm seinen Lauf. Vor allem durch Künstler der jüngeren Generation amerikanischer abstrakter Expressionisten.
ARTinWORDS: Claude Monet ist er einer der populärsten Künstler des späten 19. und frühen 20. Jahrhunderts, würde ich meinen. Einige seiner ikonischen Bilder sind im allgemeinen Gedächtnis unglaublich weit verbreitet. Zusammenfassend: Was macht Claude Monet für Sie zu einem Jahrhundertkünstler?
Heinz Widauer: Man kann sich einem impressionistischen Bild auf zwei Weisen annähern. Sie laden oft ein, sie nur im Vorbeigehen wahrzunehmen; es ist als würde die vom Maler angestrebte Spontanität und Augenblicksmalerei auch den Betrachter erfassen und der schlendert einfach vorbei. Bei Monet geht das nicht. Man kommt nicht weg, weil man wirklich hinschauen muss. Wenn man bei Monet schaut, dann sieht man und entdeckt viel. Das macht für mich den Unterschied zu anderen aus. Und er beugte sich nicht dem Diktat neuer aufstrebender postimpressionistischer Avantgarden. Er entwickelte sich aus eigenem Antrieb weiter.
ARTinWORDS: Eines der Zitate im Katalog stammt von Paul Cézanne: „Monet ist nur ein Auge, aber was für ein Auge.“ Ist es bei Monet die unglaubliche Detailfülle an Farbinformationen in scheinbar einfachen Kompositionen, die vielleicht so fasziniert?
Heinz Widauer: Ja dazu noch Motive, die berühren. Einerseits der starke Naturbezug – das ist heute wieder modern. Und andererseits ist es erfüllend, ruhig schauen zu können, wo doch alles so flüchtig und schnelllebig ist. Man „erlebt“ Monet, wenn man sich auf seine Bilder einlässt; seine Bilder laden zum Verweilen ein.