Max Ernst
Wer war Max Ernst?
Max Ernst (2.4.1891–1.4.1976 Paris) war ein deutsch-französischer Künstler des Surrealismus. Der Rheinländer wandte sich 1919 dem Dadaismus zu und begann mit Fotomontagen zu arbeiten. Im Jahr 1922 verließ er seine Frau und seinen Sohn und zog nach Paris. Hier malte er von Traumfetzen inspirierte Kompositionen und wurde dafür im „Ersten surrealistischen Manifest“ als einziger Maler erwähnt: Somit ist Max Ernst der erste Maler des Surrealismus. In den folgenden Jahren malte er „stillos“ (d.h. ohne erkennbare Faktur) und erfand Maltechniken, mit denen er das automatische Schreiben der Literatenfreunde auf die Malerei übertrug:
- Frottage: Durchreiben von vorgefundenen Strukturen auf einen Bildträger - z. B. „Histoire naturelle“ (1925)
- Grattage: Herunterkratzen von angetrockneter Farbe
- Decalcomanie: Abklatschen von noch feuchter Farbe auf einen Malgrund
- Oszillation: automatisches Schreiben von Linien auf einem Bildträger durch Schwingen einer leckenden Farbdose
In seiner Malerei wechseln sich poetische Schneeblumen-Kompositionen mit Urwaldbildern, Inseln mit Sonnenscheibe, tote Wälder, Tropfsteinhöhlen aus Südfrankreich etc. ab. Ende der 1930er Jahre hatte Max Ernst eine Beziehung mit der surrealistischen Malerin und Schriftstellerin Leonora Carrington (Juni 1937-September 1939).
„So kam ich dazu [...], der Geburt aller meiner Werke als Zuschauer beizuwohnen. Ein Mann von ‚gewöhnlicher Konstitution‘ [...] habe ich alles dafür getan, meine Seele zum Ungeheuer zu machen. Als blinder Schwimmer machte ich mich zum Seher. Ich sah. Und ich überraschte mich dabei, verliebt zu sein in das, was ich sah, und wollte mich damit identifizieren.“1 (Max Ernst)
Kindheit
Max Ernst wurde am 2. April 1891 in Brühl als Sohn des Gehörlosenlehrers und Amateurmalers Philipp Ernst und seiner Frau Luise geboren.
Ausbildung
Ernst studierte von 1910 bis 1914 zunächst Philosophie, Psychologie und Kunstgeschichte an der Rheinischen Friedrich-Wilhelms-Universität in Bonn, entschloss sich jedoch bereits während des Studiums dazu, Maler zu werden. Angeregt durch die Begegnung mit August Macke 1911 und seine Beschäftigung mit Werken der Avantgarde begann Max Ernst, als Autodidakt zu malen. Bereits 1913 stellte er erstmals gemeinsam mit den Rheinischen Expressionisten in Bonn aus (→ Expressionismus). In Köln traf er 1914 Hans Arp, mit dem ihn eine lebenslange Freundschaft verband.
Erster Weltkrieg
Mit Ausbruch des Ersten Weltkrieges wurde Max Ernst im August 1914 zum Militärdienst einberufen. 1918 heiratete er die Kunsthistorikerin Luise Straus und kehrte mit ihr nach Köln zurück.
Werke
Max Ernst, Dadamax
Im Sommer 1919 besuchte Max Ernst Paul Klee in München und unterhielt Kontakte zu den Zürcher Dadaisten. Geprägt von den Erfahrungen des Krieges protestierten immer mehr Künstler:innen gegen vorherrschende Konventionen sowie die etablierte Kunst.
„In einer Stadt am Rhein fiel mir an einem regnerischen Tag im Jahr 1919 auf, wie besessen mein irritierter Blick die Seiten eines illustrierten Katalogs mit Objekten für anthropologische, mikroskopische, psychologische, mineralogische und paläontologische Demonstrationen durchblätterte. Dort fand ich Elemente der bildlichen Darstellung versammelt, die so weit auseinander lagen, dass gerade die Absurdität dieser Assemblage in mir eine plötzliche halluzinierende Abfolge von widersprüchlichen Bildern, Doppel-, Dreifach- und Mehrfachbildern entstehen ließ, die sich mit einer Beharrlichkeit und Schnelligkeit, wie sie den Erinnerungen an die Liebe und Visionen aus dem Halbschlaf eigen ist, übereinanderlegten.“2
So gründete Max Ernst 1919 gemeinsam mit Hans Arp und Johannes Theodor Baargeld die Kölner Dada-Gruppe. Es folgte die erste Dada-Ausstellung in Köln, seine ersten Collagen entstanden. 1920 wurde der Sohn Hans-Ulrich (genannt Jimmy) geboren. Den Sommer 1921 verbrachte Ernst mit Hans Arp, Sophie Taeuber-Arp, Tristan Tzara und André Breton in Tarrenz (Tirol).
Max Ernst und der Surrealismus
„Aber die wunderbare Fähigkeit, zwei entfernte Realitäten einander anzunähern, ohne unseren Erfahrungsbereich zu verlassen, und aus ihrer Annäherung Funken zu schlagen; abstrakte Figuren von gleicher Intensität in unseren Sinnesradius hineinzuholen und, des Bezugssystems beraubt, uns in unserem eigenen Gedächtnis zu verfremden, ist das, was das Verfahren vorübergehend zu fassen vermag.“3 (André Breton, 1921)
Nach mehrmaligen Aufenthalten und der ersten Ausstellung in Paris 1921 siedelte Max Ernst in die Kunstmetropole über, wo er bei dem Ehepaar Paul und Gala Éluard wohnte. Im folgenden Jahr zog der Künstler mit den Éluards nach Eaubonne und malte dort das Haus aus. Ausgehend von der Collage, die Pablo Picasso und Georges Braque bereits zehn Jahr zuvor erfunden hatten, arbeitete Max Ernst mit dem Prinzip von Zufall, Provokation und Heterogenität:
„Man könnte die Collage als eine alchemistische Verbindung von zwei oder mehr heterogenen Elementen definieren, die aus ihrem unerwarteten Zusammentreffen resultiert, entweder durch einen Willen, der – aus Liebe zur Hellsichtigkeit – zur systematischen Verwirrung und Verstörung aller Sinne neigt (Rimbaud), oder durch einen Willen, der den Zufall begünstigt. Der Zufall in dem Sinne, wie Hume ihn definiert, als das Äquivalent der Unwissenheit, in der wir uns in Bezug auf die wirklichen Ursachen der Ereignisse befinden. […] Der Zufall ist auch – und dieser sehr schwierige Aspekt des Zufalls ist von den Forschern der ‚Zufallsgesetze‘ vernachlässigt worden – der Meister des Humors und damit in einer nicht gerade rosigen Zeit, in der wir leben und in der eine schöne Handlung darin besteht, sich in einem Kampf beide Arme abnehmen zu lassen, der Meister des Humors-der-nicht-rosa-ist, des schwarzen Humors.“4 (Max Ernst, Jenseits von Malerei)
„Collage-Technik ist die systematische Ausbeutung des zufälligen oder künstlich provozierten Zusammentreffens von zwei oder mehr wesensfremden Realitäten auf einer augenscheinlich dazu ungeeigneten Ebene – und der Funke Poesie, welcher bei der Annäherung dieser Realitäten überspringt.“5
Im Jahr 1924 veröffentlichte André Breton das „Manifest des Surrealismus“, und Ernst schloss sich den Pariser Surrealisten an. Als Gegenstück zur Écriture automatique entwickelt er 1925 die halbautomatische Technik der Frottage und übertrug sie in den folgenden Jahren, unter anderem in der Grattage, auch auf die Mittel der Malerei.
„‘Frottage‘ ist nichts anderes als ein technisches Mittel, die halluzinatorischen Fähigkeiten des Geistes zu steigern, daß ‚Visionen‘ sich automatisch einstellen, ein Mittel, sich seiner Blindheit zu entledigen.“6 (Max Ernst)
Im Jahr 1926 publizierte Max Ernst seinen Frottage-Zyklus „Histoire naturelle“. Nach der Scheidung von Luise Straus heiratete er 1927 Marie-Berthe Aurenche. Er begann, die Serien der Hordenbilder, Wälder, Muschelblumen und Vogelbilder zu malen. 1929 erschien sein erster Collagenroman „La femme 100 têtes“.
„Geht man durch den Wald und schaut dabei hartnäckig auf den Bo-den, so entdeckt man sicherlich viele wunderliche herrliche Dinge. Sieht man dann plötzlich nach oben in die Höhe, so steht man überwältigt vor der Offenbarung einer anderen, gleichfalls wunderbaren Welt. Die Bedeutung von Sonnen, Monden, Sternbildern, Nebelflecken, Galaxien und der ganze Weltraum außerhalb der Erdzone haben sich [...] in mein Werk mehr und mehr eingenistet und werden höchstwahrscheinlich dort eingenistet bleiben.“7 (Max Ernst)
Ein gemeinsamer Aufenthalt mit Alberto Giacometti in Maloja (Schweiz) 1935 weckte Max Ernsts Interesse an der Bildhauerei, sodass er fortan an ersten Gipsplastiken arbeitete. In Deutschland wurden 1937 zwei Bilder von Max Ernst in der Münchener Propaganda-Ausstellung „Entartete Kunst“ gezeigt. Nach der Trennung von Marie-Berthe Aurenche zog Max Ernst 1938 mit der Künstlerin Leonora Carrington, die er bei einem Aufenthalt in London kennenlernt hatte, nach Saint-Martin-d’Ardèche. Er wurde jedoch zu Beginn des Zweiten Weltkrieges mehrfach in französischen Lagern interniert.
USA
Im Jahr 1941 gelang ihm mit der Unterstützung von Peggy Guggenheim, mit der er eine kurze Ehe einging, die Emigration in die USA. Dort entwickelte Ernst 1942 die Technik der Oszillation.
1943 ließ sich Max Ernst von Peggy Guggenheim scheiden und heiratete im Oktober 1946 die Künstlerin Dorothea Tanning.Mit ihr ließ er sich in Sedona (Arizona) nieder. Dort entstanden seine Zementplastiken „Capricorn“, Maskenfriese und weitere Skulpturen.
Rückkehr nach Europa und Durchbruch
Auch in Europa wurde Max Ernst wiederentdeckt und gewürdigt: In Brühl wurde sein Werk 1951 anlässlich seines 60. Geburtstag mit einer Retrospektive gezeigt.
Im Jahr 1953 kehrten Max Ernst und Dorothea Tanning nach Paris zurück. Auf der 27. Biennale di Venezia wurde Ernst 1954 der Große Preis für Malerei verliehen. Danach setzte sein internationaler Erfolg ein. Es folgten zahlreiche Auszeichnungen und Ausstellungen. Zwischen Max Ernst und den Surrealisten kam es in der Vergangenheit immer wieder zu Unstimmigkeiten, er wurde jedoch erst 1955 offiziell aus der Gruppe ausgeschlossen. 1964 zog das Künstlerehepaar nach Seillans in Südfrankreich. Im gleichen Jahr erschien Ernsts Künstlerbuch „Maximiliana“. Anlässlich seiner großen Retrospektive im Solomon R. Guggenheim Museum reiste er 1975 nochmals nach New York.
Tod
Max Ernst starb am 1. April 1976 in der Nacht zu seinem 85. Geburtstag in Paris.
„Ein Maler ist verloren, wenn er sich findet. Daß es ihm geglückt ist, sich nicht zu finden, betrachtet Max Ernst als sein einziges ‚Verdienst‘“8
Alle Beiträge zu Max Ernst
- Zit. n. Max Ernst und die Natur als Erfindung, hg. v. Volker Adolphs (Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn, 13.10.2022–22.1.2023), Köln 2022, S. 102.
- Max Ernst, Jenseits von Malerei, in: Max Ernst, Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, übers. von Dagmara Kraus, Köln 2022, S. 119. Erstveröffentlichung: Max Ernst, Au-delà de la peinture, in: Cahiers d’Art, Nr. 6–7, 1936.
- André Breton, Vive le sport Max Ernst, in: Exposition Dada Max Ernst (Ausst. Kat.), Paris: Au sans pareil, 1921; zitiert aus: Max Ernst: Jenseits von Malerei, in: Max Ernst, Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, übers. von Dagmara Kraus, Köln 2022, S. 118.
- Max Ernst, Jenseits von Malerei, in: ders.: Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, übers. von Dagmara Kraus, Köln 2022, S. 122. Erstveröffentlichung: Max Ernst: Au-delà de la peinture, in: Cahiers d’Art, Nr. 6–7 (1936).
- Max Ernst, Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, mit einem Nachwort von Marcel Beyer, Köln 2022, S. 204.
- Zit. n. Max Ernst und die Natur als Erfindung, hg. v. Volker Adolphs (Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn, 13.10.2022–22.1.2023), Köln 2022, S. 20; siehe auch: Max Ernst, Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, mit einem Nachwort von Marcel Beyer, Köln 2022, S. 210; vgl. Uwe M. Schneede, Das blinde Sehen – Zur Ikonographie des Surrealismus, in: Max Ernst. Retrospektive zum 100. Geburtstag, hg. von Werner Spies, München 1991, S. 351–356.
- Zit. n. Max Ernst und die Natur als Erfindung, hg. v. Volker Adolphs (Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn, 13.10.2022–22.1.2023), Köln 2022, S. 236.
- Max Ernst, Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, mit einem Nachwort von Marcel Beyer, Köln 2022, S. 277.
- Zit. n. Max Ernst und die Natur als Erfindung, hg. v. Volker Adolphs (Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn, 13.10.2022–22.1.2023), Köln 2022, S. 102.
- Max Ernst, Jenseits von Malerei, in: Max Ernst, Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, übers. von Dagmara Kraus, Köln 2022, S. 119. Erstveröffentlichung: Max Ernst, Au-delà de la peinture, in: Cahiers d’Art, Nr. 6–7, 1936.
- André Breton, Vive le sport Max Ernst, in: Exposition Dada Max Ernst (Ausst. Kat.), Paris: Au sans pareil, 1921; zitiert aus: Max Ernst: Jenseits von Malerei, in: Max Ernst, Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, übers. von Dagmara Kraus, Köln 2022, S. 118.
- Max Ernst, Jenseits von Malerei, in: ders.: Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, übers. von Dagmara Kraus, Köln 2022, S. 122. Erstveröffentlichung: Max Ernst: Au-delà de la peinture, in: Cahiers d’Art, Nr. 6–7 (1936).
- Max Ernst, Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, mit einem Nachwort von Marcel Beyer, Köln 2022, S. 204.
- Zit. n. Max Ernst und die Natur als Erfindung, hg. v. Volker Adolphs (Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn, 13.10.2022–22.1.2023), Köln 2022, S. 20; siehe auch: Max Ernst, Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, mit einem Nachwort von Marcel Beyer, Köln 2022, S. 210; vgl. Uwe M. Schneede, Das blinde Sehen – Zur Ikonographie des Surrealismus, in: Max Ernst. Retrospektive zum 100. Geburtstag, hg. von Werner Spies, München 1991, S. 351–356.
- Zit. n. Max Ernst und die Natur als Erfindung, hg. v. Volker Adolphs (Ausst.-Kat. Kunstmuseum Bonn, 13.10.2022–22.1.2023), Köln 2022, S. 236.
- Max Ernst, Die Schriften, hg. von Gabriele Wix, mit einem Nachwort von Marcel Beyer, Köln 2022, S. 277.