Flämische und niederländische Renaissance- und Barockzeichnungen in der Albertina: „Bosch, Bruegel, Rubens, Rembrandt“, sind für Dir. Klaus-Albrecht Schröder „vier Namen, die wohl jeder kennt“ und symbolisieren für ihn auch die ältere und jüngere Geschichte der Albertina. Neben den wichtigen Dürer-Beständen, die derzeit in der National Gallery in Washington ausgestellt werden, bilden diese Zeichnungen eine Basis der größten Grafiksammlung der Welt: Sie wurden von Herzog Albert von Sachsen-Teschen (1738─1822 → Die Gründung der Albertina), dessen Geburtstag sich heuer zum 275. Mal jährt, zwischen 1770 und 1822 zusammengetragen und waren in den letzten Jahren bereits einige Male zu sehen. Die ausgestellten Meisterzeichnungen entstanden in der Zeit großer wirtschaftlicher Umbrüche und religiöser Auseinandersetzungen. Sie spiegeln in ihrem Reichtum und ihrer Vielfalt den Wohlstand des „Goldenen Jahrhunderts“, dokumentieren die unterschiedlichen Funktionsformen und Materialien des Zeichnens und sind trotz aller Lebensnähe idealisierte Bilder von der Welt.
Österreich | Wien: Albertina
14.3.2013 - 30.6.2013
In einem chronologisch arrangierten Rundgang entfaltet sich die Zeichenkunst einer der künstlerisch reichsten und politisch brisantesten Regionen der Frühen Neuzeit. Die Werke der vier im Titel angeführten holländisch-flämischen Künstler und ihrer Kollegen umspannen den Zeitraum von der Mitte des 15. bis zur Mitte des 18. Jahrhunderts. Geografisch erschließt sich ein Gebiet von Brügge, wo Jan van Eyck um 1430 die Malkunst revolutionierte, über s`Hertogenbosch und Antwerpen, wo Hieronymus Bosch und 50 Jahre später Pieter Bruegel der Ältere sich mit Phantasiegebilden und Naturwiedergabe beschäftigten, nach Amsterdam, das im 17. Jahrhundert allen anderen Häfen Europas den Rang ablief.
Dass Herzog Alberts Sammlung diese große Menge an hochqualitativen Zeichnungen und auch Druckgrafiken aus dem flämisch-holländischen Gebieten birgt, hängt u.a. mit dessen politischer Funktion als Statthalter der Österreichischen Niederlande zusammen. Herzog Albert und Erzherzogin Marie-Christine wurden im Jahr 1780 von Kaiser Joseph II. nach Brüssel entsandt, wo es eine nahezu königliche Hofhaltung etablierte. Das Paar musste jedoch im November 1792 aufgrund der Brabanter Revolution und der Französischen Revolutionskriege nach Wien zurückkehren. Hier starb Marie Christine am 24. Juni 1798 an Typhus. Herzog Albert widmete sich in der Folge noch intensiver dem Aufbau seiner Kunstsammlung, die er bis zu seinem Tod 1822 beständig erweiterte und neu anordnete. Er kaufte hauptsächlich solche Blätter, die als Meisterzeichnungen angesprochen werden dürfen.1 Für Skizzen oder gar Ideennotizen interessierte sich der Sammler nur dann, wenn das Œuvre eines Künstlers – wie beispielsweise Rembrandt – hauptsächlich solche aufwies und meisterhaft ausgeführtes Material fehlte.
Der Weg in die Basteihalle führt über die Rolltreppe ins Dunkle. Die bildhafte Wirkung der Meisterzeichnungen des 16. Jahrhunderts erstaunt, war aber gleichzeitig Auswahlkriterium für den fürstlichen Sammler. Auch die frühen, kleinformatigen Kopien nach berühmten Gemälden von Jan van Eyck, Hugo van der Goes oder Rogier van der Weyden – meist mit zartem Silberstift ausgeführt – sind einzeln auf die Blätter gesetzt, obwohl sie noch in der Tradition der Musterbücher stehen. Vor allem die Kopie nach einer Van Eyck-„Madonna mit Stifter“ eines südniederländischen Anonymus (um 1450) lässt die Nutzung solcher Blätter ahnen. Der Stifter wurde nur schematisch übernommen und im Vergleich zu Madonna, Kind und Raumschilderung wenig differenziert wiedergegeben. Für den kopierenden Künstler war der Betende kaum interessant, musste er doch in seinen Wiederholungen der Komposition die jeweiligen Auftraggeber:innen ohnedies als lebensechte Porträts einfügen.
Die nach 1500 entstandenen Renaissance-Zeichnungen zeigen nicht nur mit den Akten von Adam und Eva in der Sündenfall-Darstellung von Jan Gossaert (um 1478─1532), genannt Mabuse, eine völlig neue Orientierung der Zeichner in Flandern. 1508 bis 1509 befand sich der Künstler als erster Niederländer in Rom und setzte sich mit dem neuen, von der Antike geprägten Menschenbild und offensichtlich dem Aktzeichnen in italienischen Ateliers auseinander. Maarten van Heemskerck (1498─1574) wird zwischen 1532 und 1536 das antike Erbe auf der Apenninhalbinsel studieren und in eigenen Kompositionen weiterverwenden: Die Albertina zeigt eine panoramaartige Zeichnung von Alt-St. Peter, einen arroganten Esel, der die Verehrung von Isis auf sich bezieht und den geschlagenen Hiob (1548). Da die meisten von Heemskercks Zeichnungen als Vorlagen für Druckgrafiken entstanden, sind sie minutiös ausgeführt. Gleiches lässt sich auch über die Glasfensterentwürfe, sog. Scheibenrisse, sagen: Jan de Beer|s riesige „Wurzel Jesse“ (um 1515-1520) in Grisaille- oder Claire-obscure-Technik oder Dirck Vellert|s (um 1480/85─um 1547) spannend komponierte David-Szenen (um 1523) – der biblische Held seilt sich vor seinen Verfolgern wahrhaft ab – bieten erzählerische Details und dekorative Wirkungen.
Zeichnungen mit malerischen Effekten schufen auch Bernard van Orley (um 1491/92─1542) und in der Folge der unbekannte Meister des Liechtensteinischen Kabinetts (um 1550). Letzterer nutzte leuchtendes Karmesinrot und Blau-Grau als Lavierung, die Wiedergabe von Licht und Schatten erreicht einen ersten Höhepunkt.
Eines der wichtigsten Werke in der Ausstellung ist sicherlich „Der Baummensch“ (um 1500─1510) von Hieronymus Bosch (um 1450/55─1515, → Hieronymus Bosch. Leben und Bilder). Die bildmäßig durchgestaltete Zeichnung zeigt ein seltsames Wassergefährt, das Beine wie Bäume hat, auf zwei Booten steht, einen menschlichen Kopf unter dem Zahnrad und einen eiförmigen, aufgebrochenen Körper aufweist, in dem eine Gruppe Menschen gemeinsam zecht. Es handelt sich hierbei um eine von insgesamt 25 erhaltenen, authentischen Zeichnungen von Bosch, die dieser wohl bereits für einen Sammler angefertigt hat. Der verwendete Silberstift war ursprünglich grau, nun erscheint die Zeichnung aufgrund der Oxidation braun. Diese Monstrosität findet sich auf dem Höllen-Flügel des „Gartens der Lüste“ im Madrider Prado und gilt als Darstellung der verkehrten Welt (→ Hieronymus Bosch: Garten der Lüste & Versuchung). Dass sich auch noch über eine Generation später Künstler und Publikum an Hieronymus Boschs skurrilen Erfindungen ergötzten, belegt das in der Ausstellung gleich daneben präsentierte Blatt: Pieter Bruegel der Ältere (um 1526/30─1569) zeichnete „Die großen Fische fressen die Kleinen“ (1556 datiert und signiert) über 50 Jahre nach dem Ableben Boschs. Bruegel, der aufgrund vieler Bilder des bäuerlichen Lebens seit dem 19. Jahrhundert als „Bauern-Bruegel“ bezeichnet wird, schuf die Komposition rund um einen aufgeschlitzten, großen Fisch in der Mitte - laut Beschriftung des danach gestochenen Kupferstichs - nach einem Entwurf von Hieronymus Bosch. Bruegel lieferte fast 40 Entwürfe für Kupferstiche an den Verleger Hieronymus Cock. Bruegel setzte die berühmte Jahreszeiten-Serie 1565 auch für Kupferstich um, zeichnete aber nicht mehr als zwei heute bekannte Blätter. „Der Frühling“ (1565 datiert und signiert) gehört zu den meisterhaft ausgeführten Vorlagen, in der er die Garten- bzw. Feldarbeit im Vordergrund mit der Schafschur im Mittel- sowie adeligen Lustbarkeiten im Hintergrund kombinierte. Vielleicht aus demselben Jahr stammt das Blatt „Maler und Käufer“, das einen Einblick in das Verhältnis von Künstler und Abnehmer gewährt. Während der Maler visionär in die Ferne schaut, blickt der bebrillte Käufer gespannt auf die unsichtbare Leinwand und greift bereits nach seinem Geldbeutel. 1536 heiratete Bruegel in Brüssel Mayken, die Tochter von Pieter Coecke van Aelst, der vielleicht sein Lehrer war. Außer seine beiden Söhne hatte der Maler, der seit 1551/52 Mitglied der Antwerpener Malergilde war und sich bis 1555 in Italien aufhielt, keine Schüler.
Dass die Beschäftigung mit der phantastischen Kunst Boschs und Bruegels auch Thema in der zeitgenössischen Kunst ist, zeigt die Intervention an dieser Stelle der Ausstellung. Der belgische Künstler Antoine Roegiers (* 1980) führt die „Sieben Todsünden“ (2012─13) von Pieter Bruegel d. Ä., die Hieronymus Cock 1558 als Kupferstichserie herausgab, in eine Filminstallation über. Eine riesige Zeichnung fasst die Landschaft mit ihren abstrusen Behausungen zusammen und diente als Bühnenbild für die animierten Figuren aus den moralischen Drucken. Die Originale zwingen mit ihrer Fülle an Details die Betrachter_innen dazu, die Blicke durch die Kompositionen schweifen zu lassen. Antoine Roegiers setzt diesen wandernden Blick in eine Filmarbeit um, wobei die Bilder auf mehreren Monitoren gleichzeitig laufen und so ein Erfassen des gesamten Inhalts erneut verunmöglicht wird.
Dass die folgenden Jahre in der Region politisch höchst instabil waren und permanent Kriegshandlungen stattfanden, spiegeln die ausgestellten Landschaftsdarstellungen, Porträts und Stillleben nie direkt wieder. Im Jahr 1566 forderte Wilhelm I. von Oranien die Religionsfreiheit und das Ende der Inquisition; der Bildersturm brach aus. Ein Jahr später schlug der Herzog von Alba, Fernando Álvarez de Toledo, den Aufstand mit Gewalt nieder. 1579 spalteten sich die „Sieben nördlichen Generalstaaten“ von Spanien ab und gründeten die Utrechter Union, die 1581 die Republik ausrief und die Oranier als Statthalter einsetzte. Erst 1609 sollte in Antwerpen ein zwölfjähriger Waffenstillstand zwischen Spanien und den Nördlichen Niederlanden unterzeichnet werden, der u.a. Antwerpen die Schifffahrt auf der Schelde wieder ermöglichte. Der Dreißigjährige Krieg zwischen 1618 und 1648 endete mit dem Friedensvertrag von Münster, der die Unabhängigkeit der Nördlichen Niederlande festschrieb. Mit diesen historisch-politisch-gesellschaftlichen Umwälzungen war jedoch die unterschiedliche Entwicklung der flämischen und der holländischen Kunst aufs engste verknüpft. Der Aufschwung des niederländischen Welthandels (1602 Gründung der niederländischen Ostindien-Kompagnie, VOC) brachte so viele Luxusgüter ins Land, dass Amsterdam nicht nur zu einem der bedeutendsten Häfen Europas aufstieg, sondern der Wohlstand auch die bäuerliche Schicht erreichte. Heute gehen Forscher davon aus, dass jährlich etwa 70.000 Gemälde für den freien Markt gestaltet wurden und dass das Etablieren von Spezialmalern für Marinestücke, Waldbodenstillleben, Kircheninterieurs und dergleichen nicht unabhängig von dieser Prosperität gesehen werden kann (→ Die Geburt des Kunstmarktes).
In der Ausstellung „Bosch, Bruegel, Rubens, Rembrandt“ sind diese massiven Umwälzungen nur am künstlerischen Ergebnis einer flämisch-katholischen und einer holländisch-protestantischen Kunstpraxis nachvollziehbar. Die Flucht der protestantischen Künstler aus dem Süden hatte schon um 1600 die Folge, dass die manieristische, flämische Landschaft mit ihrer typischen Braun-Blau Harmonie, den extremen Tiefenzügen zwischen nahsichtigen Bäumen und gebirgigen Felslandschaften sowie einem phantastischen Formenvokabular in den Norden gelangte. David Vinckboons (1576─1629) und ein Nachfolger von Gillis van Coninxloo III. zeichneten Einblicke in Wälder, die mit Tieren und einem Menschenpaar ergänzt, leicht zu Paradies-Darstellungen werden konnten. Die genaue Ausführung und die atmosphärischen Werte der Blätter belegen, dass es um 1600 bereits einen Markt für diese fein ausgeführten Zeichnungen gab.
Kaiser Rudolf II. verlegte 1583 die Residenz nach Prag und berief flämische Künstler an seinen Hof. Unter ihnen befanden sich Roelant Savery (1576─1639), der „nach dem Leben“ (und Pieter Bruegel dem Älteren) zeichnete, Joris Hoefnagel (1542─1600) und Jacob Hoefnagel (1573─1632/33), der Bildhauer Adriaen de Vries (um 1556─1626) sowie der Maler Bartholomäus Spranger (1546─1622). Roelant Savery ist mit Naturstudien vertreten sowie einem „Elefanten, der sich an einem Baum reibt“ (um 1608-1612). Das Blatt „Verfallener Innenhof mit einer Bettlerin“ (um 1608) könnte man für eine ebensolche Naturstudie halten, doch die Forschung konnte bereits nachweisen, dass die Gebäude von einem Druck kopiert und die Bettlerin eingefügt wurde. Joris Hoefnagel hielt Ansichten in Spanien fest und dokumentierte dabei nicht nur Städte, sondern auch Sitten und Gebräuche – man beachte die verschleierten Morisken. Jacob Hoefnagel ist hingegen mit einer Kopie nach einer verlorenen Leonardo-Zeichnung vertreten. Das „Ungleiche Paar“ (1602) hat später einen Rahmen von anderer Hand erhalten, wohl um seine Wirkung innerhalb einer unbekannten Sammlung zu steigern.
Antwerpen konnte 1609 durch den Friedensvertrag zwischen Spanien und den nördlichen Niederlanden erneut wirtschaftlich aufsteigen. Peter Paul Rubens (1577─1640) war ein Jahr zuvor, im Jahr 1608, in seine Heimatstadt zurückgekehrt, da seine Mutter verstorben war. Der Meister blieb und baute seine Werkstatt in der prosperierenden Handelsstadt auf. Rubens' zeichnerisches Œuvre lässt sich einigermaßen klar umreißen: Er entwarf am Beginn seiner Karriere in skizzenhaften Blättern ganze Kompositionen und erarbeitete sich Hände und Köpfe während des Malens am Gemälde in Form von Musterblättern, die mehrere Detailstudien tragen. Studienblätter für den Kreuzaufrichtungsaltar (um 1610) und zum Ildefonso-Altar (um 1630─1631) zeigen dieses Vorgehen in der Ausstellung. „Die Niederlage des Sanherib“ (um 1615─1616) ist eine Ausnahme im Werk des Rubens` und wird erst seit letztem Jahr nicht gänzlich unwidersprochen dem Künstler zugeschrieben. Da ab den 1620er Jahren die Ölskizzen überhandnahmen, gibt es in der Folge nur mehr Köpfe, für die berühmte Persönlichkeiten und Familienmitglieder gleichermaßen Modell standen. Dazu gehörten die beiden ältesten Söhne des Künstlers, seine zukünftige Schwägerin Susanna Fourment und die zweite Ehefrau Hélène. Ob die sog. „Ehrendame der Infantin Isabella“ wirklich mit der ältesten Tochter Rubens`, Clara Serena, identifiziert werden darf, mag man in Zweifel ziehen, ist die Jugendliche doch im Alter von zwölf Jahren verstorben, während der Kopf deutlich älter wirkt.
Im Vergleich zu den zwar skizzenhaften aber feinen Entwürfen Rubens` wirken ähnliche Blätter von Anthonis van Dyck (1599─1641) freier und von der Lichtregie her dynamischer. Van Dyck nutzte neben der Feder einen breiten Pinsel, um braune Lavierungen aufzutragen. Dabei arbeitete er mit extremem Hell-Dunkel-Kontrast, der in manchen Fällen das Lesen der Zeichnungen erschwert. Seine Porträtzeichnungen, die Van Dyck als Vorlagen für die Serie „Icones Principum Virorum“, Radierungen von berühmten Zeitgenossen, anfertigte, sind hingegen von unglaublicher Präzision und Feinheit.
Die Prager Hofkunst strahlte besonders nach Utrecht und Haarlem aus, da der Kunsttheoretiker und –schriftsteller Karel van Mander mit Bartholomäus Spranger befreundet war und dessen Zeichnungen in die Niederlande mitbrachte. Um 1590 hielt der Sprangersche Hofstil „triumphalen Einzug in Utrecht und Haarlem“. Die von Hendrick Goltzius (1558─1617) sowie Jacob de Gheyn II. (1596─1641) gestalteten Blätter zeigen die Vielfalt und die hohe Virtuosität der Zeichner auf. Goltzius bediente sich der farbigen Kreide, um feinst nuancierte Porträts zu gestalten. Wie de Gheyn in dessen „Ecce homo“ (1616) ist Goltzius` „Bacchus mit Faun“ (um 1595─1600) erneut auf großformatigem Pergament gezeichnet. Beide übertragen die Technik des Kupferstichs, nämlich Dreidimensionalität mittels Kreuzschraffur zu erzeugen, auf ihre als „penwercken“ gesondert bezeichneten Federkunststücke.
Die heimische, niederländische Landschaft lief im 17. Jahrhundert der italienischen Vedute deutlich den Rang ab. Künstler wie Jan Josefz. van Goyen (1596─1656) prägten ab den 1620er Jahren die einfachen Küstenansichten mit tiefem Horizont und atmosphärischen Wirkungen. Vor allem Goyen ist berühmt für seine barocken Kompositionen mit dunklem Vordergrund, über dem sich in weiter Ferne duftig gemalte oder gezeichnete Windmühlen oder Städte erheben. Er nutzte erstmals schwarze Kreide in den Zeichnungen und baute den Tiefenzug über Diagonalen auf. Anthonie Waterloo (1609─1690) reiste sogar bis in das heutige Polen, hier das „Gasthaus Hermannshof bei Danzig-Langfuhr“ (um 1660), um großformatige Zeichnungen als Vorlagen für Drucke zu gewinnen. Im Gegensatz dazu zeigt Cornelis Hendriksz. Vroom (1591/92─1661) einfache Hinterhöfe und fast schon „pointillistisch“ getupftes Laubwerk in traditioneller Feder.
Im Werk des berühmtesten holländischen Künstlers, Rembrandt van Rijn (1606─1669), spielt die Landschaft eine wichtige Rolle, trat sie doch ab Mitte der 1630er Jahre als selbständiges Sujet auf und prägte zwischen 1641 und 1652 für elf Jahre auch die Radierkunst. „Bauernhäuser vor gewittrigem Himmel“ (um 1635) zählt wohl zu den bekanntesten Rembrandt-Zeichnungen in der Albertina. Die typisch holländischen Bauernhäuser scheinen vor der Gewitterwolke in Bister nahezu zusammenzurücken. Diese Zeichnung ist autonom, hat keine Funktion innerhalb des malerischen Schaffens Rembrandts – was ihn deutlich von seinem ca. 30 Jahre älteren Zeitgenossen Rubens unterscheidet. „Zeichnen“ wird in der Rembrandt-Sektion der Ausstellung auch mit der Technik der Radierung gleichgesetzt. Berühmte Kompositionen wie „Drei Bäume“, das „Hundertguldenblatt“ und zwei Versionen der „Kreuzigung“ ergänzen die mit Feder und schwarzer Kreide gezeichneten Arbeiten (→ Der späte Rembrandt). Hier wird Rembrandts außergewöhnlicher Umgang mit der Zeichnung jedoch erst nachvollziehbar: Er zeichnete, was ihm unter die Augen trat, auch wenn es ein „Kind im Sesselchen mit einer älteren Frau“ (um 1635) war, die er sicherlich in keiner Komposition unterbringen konnte. Vor allem der 1637 datierte und signierte „Elefant“ ist für die Forschung von größter Wichtigkeit, da Rembrandt höchst selten seine Zeichnungen ausgewiesen und zeitlich fixiert hat. Der Elefant gehört zu den ca. 70 Blättern, die heute den Kernbestand der Rembrandt-Zeichnungen bilden und für Zuschreibungen und Datierungen als Referenzen herangezogen werden.
Den Abschluss der Ausstellung bilden präzise konzipierte Marinestücke u. a. von Ludolf Bakhuizen (1630─1708) und Blumenstillleben von Jan van Huijsum (1682─1779). Das höchstwahrscheinlich mit schwarzer Kreide gezeichnete und aquarellierte „Blumenstillleben“ (um 1730─1735) von Huijsum ist ein wunderbares Blatt, das im Vergleich zu den kompakteren Zeichnungen spontan wirkt und dennoch raffiniert komponiert ist.
Wer die Albertina-Ausstellung „Das Zeitalter Rembrandts“ von Marian Bisanz-Prakken noch in guter Erinnerung hat, wird im letzten Viertel der Schau die damals gezeigten Blätter wiederentdecken. Die Objekttexte aus dem gleichnamigen Katalog finden sich auch in der aktuellen Publikation! So zeigt sich die Schau „Bosch Bruegel Rubens Rembrandt“ als ein um altniederländische, manieristische und flämische Künstler ergänztes Recyclingprodukt, das von der hohen Qualität der Sammlung lebt.
Kurator_innenführung am 15.5.2013, 17:00 (keine Anmeldung)
Vortragsprogramm im Rahmen der Ausstellung, jeweils Mittwoch, 18.30 Uhr im Musensaal der Albertina - bei freiem Eintritt:
24. April: Dr. Erwin Pokorny: Baummensch und Korbmännchen. Autonome Zeichnung und Skizze bei Hieronymus Bosch
15. Mai: Dr. Thomas Ketelsen: Zeichnen im Zeitalter Bruegels. Zwischen Innovation und copy & paste
29. Mai: Prof. Dr. Reinhold Baumstark: Entwurf und Ausführung bei Peter Paul Rubens
12. Juni: Dr. Holm Bevers: Rembrandt legt die Bibel aus. Bemerkungen zur Wiener Jonas-Zeichnung