Cindy Sherman
Wer ist Cindy Sherman?
Cindy Sherman (*19.1.1954, Glen Ridge/USA) ist eine US-amerikanische Fotokünstlerin und eine der erfolgreichsten Künstlerinnen der Gegenwart (→ Zeitgenössische Kunst). Sie erlangte mit inszenierten Fotografien in den späten 1970er Jahren zunächst im Umfeld der „Pictures Generation“ Bekanntheit. Ab den frühen 1980er Jahren entwickelte sie ein von höchster künstlerischer Autonomie geprägtes Werk, mit dem ihr rasch der internationale Durchbruch gelang. Cindy Sherman gehört neben Richard Prince, Robert Longo, Sherry Levine oder Mike Bidlo zur Generation der Appropriation Art, die in die Fußstapfen u.a. von Elaine Sturtevant trat.
Cindy Shermans Schaffen umfasst zum größten Teil Selbstportraits, in denen sie sich in vielfältigen Rollen und verschiedensten Kontexten inszeniert. Indem Sherman weibliche Rollenbilder der Medienwelt aufgreift, legt sie Stereotypen offen. Gleichzeitig sie lässt ihre eigene Identität hinter Kostümen, Masken und Prothesen verschwinden. Durch die breitenwirksame Rezeption ihrer Werke wurde sie zum Vorbild nachfolgender Künstlerinnen und Künstler, die sich mit dem Thema Identität auseinandersetzen. Ihre Vorbildwirkung wird mit dem Begriff Cindy Sherman Effect bezeichnet.
Ausbildung
Ab 1972 studierte Cindy Sherman an der Buffalo State University Malerei. Rasch entdeckte sie ihr Interesse für Fotografie und feministische Künstlerinnen, die vor der Kamera performten, wie Lynda Benglis, Eleanor Antin und Hannah Wilke. Ihren Kunstbegriff erweiterte sie mithilfe der Arbeiten von Vito Acconci und Chris Burden. Wichtige Impulse erhielt Sherman während ihres Studiums also von jenen Künstlerinnen und Künstlern, die den eigenen Körper als Präsentationsfläche für Kunst verwendeten. In dieser Zeit lernte sie auch Robert Longo kennen, mit dem sie eine Beziehung einging.
Bus Riders (1976)
1976 fotografierte Cindy Sherman die Schwarzweiß-Fotoserie „Bus Riders“, für die sie sich in zuvor beim Busfahren beobachtete Typen verwandelte. Mithilfe von Schminke, Perücken und wechselnden Kleidern hatte sich Sherman als Fahrgast unterschiedlichen Alters und sozialer Herkunft, ja sogar anderer Hautfarbe verkleidet. Sherman posiert mit einem einfachen Stuhl vor einer weißen Wand. Noch mit Selbstauslöser geschossen, zählte u.a. zu den Schwierigkeiten, den Auslöser in der Hand zu verstecken, während das Kabel am Boden sichtbar bleibt.
Hallwalls und Artists Space
1975 eröffnete Robert Longo mit Charles Clough gemeinsam den alternativen Kunstraum Hallwalls, wo Arbeiten junger Künstlerinnen und Künstler gezeigt wurden (und der bis heute existiert). Im Rahmen ihrer Tätigkeiten dort wurde Cindy Sherman Teil der Kunstszene, lernte etwa Martha Wilson, Dan Graham, Bruce Nauman, Nancy Holt, Yvonne Rainer, Robert Irwin, Richard Serra, Joan Jonas und Katharina Sieverding kennen; ebenso Kunstkritikerinnen und Kuratorinnen wie Lucy Lippard, Marcia Tucker und Helene Winer.
Helene Winer war Leiterin des alternativen Artists Space in New York. 1977 kuratierte Douglas Crimp die Ausstellung „Pictures“, für die einige der Hallwalls-Künstlerinnen und -Künstler eingeladen wurden, darunter Sherman und Longo, Sherrie Levine. Mit dieser Ausstellung fand sich die Gruppe der Pictures Generation, die in den 1980er Jahren zur führenden jungen Generation an der Westküste avancierte. Cindy Sherman arbeitete einige Zeit lang im Artists Space als Empfangsdame (manchmal verkleidet), gleichzeitig arbeitete sie an ihren fotografischen Serien, mit denen ihr Anfang der 1980er Jahre der internationale Durchbruch gelang.
„Ich glaube, ich war Teil einer Bewegung, einer Generation, und vielleicht war ich die Populärste aus jener Bewegung damals, aber das wäre wahrscheinlich auch ohne mich passiert. Die Kunstwelt war bereit für etwas Neues, etwas jenseits von Malerei. Eine Gruppe, überwiegend Frauen waren zufällig diejenigen, die das übernahmen, teilweise weil sie sich vom Rest der (männlichen) Kunstwelt ausgeschlossen fühlten und dachten, ‚keiner experimentiert momentan mit Fotografie. Lasst uns das als unser Werkzeug verwenden‘.“1 (Cindy Sherman, 2012)
1989 arrangierte Cindy Sherman zum ersten Mal medizinische Puppen in ihren Inszenierungen.
Ausstellungen
Shermans Arbeiten wurden in zahlreichen Einzelausstellungen gezeigt, zuletzt in der National Portrait Gallery, London (2019), dem Museum of Modern Art, New York, dem San Francisco Museum of Modern Art, dem Walker Art Center, Minneapolis und dem Dallas Museum of Art (2012) sowie dem Astrup Fearnley Museet, Oslo, dem Moderna Museet, Stockholm und dem Kunsthaus Zürich (2013).
Auszeichnungen
Sherman wurde vielfach ausgezeichnet, zu den wichtigsten Anerkennungen und Ehrungen zählen das MacArthur Fellowship (1995), das Fellowship des Guggenheim Museums (1983), das Praemium Imperiale (2016), der Roswitha Haftmann Preis (2012) sowie der Max-Beckmann Preis der Stadt Frankfurt (2019). Seit 1999 trägt Cindy Sherman den Goslarer Kaiserring.
Cindy Sherman lebt und arbeitet in New York.
Literatur über Cindy Sherman
- The Cindy Sherman Effect. Identity and Transformation in Contemporary Art, hg. v. Ingried Brugger und Bettina M. Busse (Ausst.-Kat. Kunstforum Wien, 29.1.–21.6.2020), München 2020.
- Cindy Sherman, hg. v. Eva Respini (Ausst.-Kat. The Museum of Modern Art, New York, San Francisco Museum of Modern Art; Walker Art Center, Minneapolis; Dallas Museum of Art) New York 2012.
- Phoebe Hoban, The Cindy Sherman Effect, in: Art News, 2012, o. S.